Das kollektive öffentliche Lachen

Es gibt wohl nichts Schlimmeres für junge Menschen als die Belächlung durch Dritte! Denn das bedeutet soziale Ächtung. Und offensichtlich erträgt Mensch das nicht.

Adorno hat 1964 ein prominentes Seminar darüber gehalten. Es sah das kollektive Lachen als ein Mittel der Repression. Es ist ein Mittel, um Menschen anderer Meinung zu diffamieren und zu diskreditieren.

Ich beobachte dies nach der Lektüre dieser historischen Seminarberichte leider immer häufiger in meiner eigenen Umgebung. Wahrscheinlich drängt es sich eben nach einer solchen Erfahrung einfach auch mehr auf.

Ich kenne dieses Auslachen vor allem von den Chinesen, aber auch von den Franzosen. Das scheint so etwas wie ein nationaler Sport zu sein. Aber auch die ARD Sendung ‚verstehen Sie Spaß?‘ hat diese Häme als Erfolgskonzept zugrunde gelegt.

Aber es gibt natürlich auch dieses laute Auflachen des einzelnen, der völlig verunsichert durch die Welt stolpert. Das ist eine Übersprungshandlung, die immer wieder im sozialen Zusammenhang auftritt, wenn das Selbst zum Thema wird. Und das gibt den betroffenen Menschen eigentlich noch mehr das Image eines bedauerlichen Daseins. Es ist, als ob sie sich selbst auslachen würden, um anderen zuvor zukommen.

Jedoch bleibt es dabei: die Menschen wollen nicht ausgelacht werden. Ihre Lebenskraft, also die Anerkennung durch andere, scheint vom Wohlmeinen der Mitmenschen abhängig zu sein. Dann vergräbt man sich, will sich entfernen – um nur nichts ertragen zu müssen.

Das Leben ist eine Geschichte der Ängste und Kränkungen

Der Psychologe Wolfgang Schmidbauer äußert gelegentlich, das ganze Leben sei ein unentwegter Fluss von Kränkungen.

Wenn dem so ist, dann ist das Leben ehrlich kein Ponyhof: denn dort reiten die jungen Mädchen durch hohes Gras und erfreuen sich der Sonne und dem Kaltgetränk danach.

Kränkungen sind einerseits die Ent-täuschung von explizierten Erwartungen; andererseits ist es auch die Erkenntnis, dass sich Hoffnungen nicht erfüllen.

Ängste hingegen sind eine normale Begleiterscheinung im Alltäglichen: vielleicht hat man ja häufiger Angst als man lacht!? Doch ist mit jedem potentiellen Erfolg natürlich auch der Misserfolg möglich, was wiederum einer Kränkung entspricht.

Viele Menschen fragen sich jedoch, warum gerade sie unter x oder y leiden. Es kann doch nicht sein, dass immer ich das sein muss. Natürlich gibt es Pechvögel! Und selbstverständlich gibt es Menschen, die in ihrem Leben gebeutelt werden. Jedoch scheint mir, dass ausgerechnet sie mit dem umgehen können, was ihnen widerfährt.

Wenn die Haltung manifest wird, dass das Ausbleiben einer Hoffnung schon eine Kränkung ist, düstert sich das Weltbild vollends ein. Dann dürfte man wohl im sog. Tunnelblick gefangen sein. Dann heißt es, aktiv um Erfolg zu kämpfen. Manchmal nämlich kann auch der bloße Wettkampf um irgendein Ziel Spaß machen, auch wenn es sich nicht erreichen lässt. Im Sport ist es natürlich, dann Anleihen zu machen. Aber schwierig ist, wenn man tatsächlich eine Planung aufheben muss. Dennoch: schon alleine die Vorbereitung auf einen Urlaub kann Spaß machen.

Dann aber gibt es auch Unmöglichkeiten, die schmerzlich sind: wenn man beispielsweise einfach kein Körpergewicht abbauen kann. Dann sollte man wohl beigeben und damit leben. Hieran lässt sich deutlich sehen, dass man Situationen auch umdeuten kann. In unserer pluralen Gesellschaft hat man das geschafft: man kann auch ohne Body Shaming glücklich sein. Dann wird man eben schön und füllig.

Auch mit Ängsten wird man leben können. An Angst ist vermutlich noch niemals jemand gestorben. Die Angst wird auch niemals dein Freund; jedoch könnte es sein, dass sie eben ein lebenslanger Companion ist. Dann wird man eben durch sie begleitet, so wie von einem unangenehmen Schatten.

Denkmuster in der Krise

Es gibt ja dieses bekannte Muster der ‚inneren Antreiber‘ aus der Transaktionsanalyse: die Antreiber brechen sich mit der Krise Bahn. Im Stress sind sie nicht mehr zu stoppen. Jeder verhält sich unter Stress extremer. Die Antreiber sind: Genauigkeit und Fehlerlosigkeit (Sei perfekt!); Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit (Sei anderen gefällig!); Gründlichkeit und Durchhaltevermögen (Streng Dich an!); Stärke und Unabhängigkeit (Sei stark!); Schnelligkeit und die Fähigkeit, Chancen zu nutzen (Beeil dich!).

Nun haben wir Corona: und die Welt steht Kopf. Man muss sich fragen, wieso das eigentlich so ist. Denn die aktuelle Grippewelle mit 100en von Toten ist egal, die Todeszahlen des Winters 2017/18 von 25.000 Menschen alleine in Deutschland niemandem geläufig. Genauso wenig wie die 400.000 Toten, die Afrika jährlich durch die Infektionskrankheit Malaria zu beklagen sind.

Die Medien und die Politik gehen dabei eine seltsame Koalition ein, die dennoch irgendwie rational ist: es heißt bloß Ruhe zu bewahren und keine Panik auszulösen. Und gerade das schafft die Kommunikation, indem sie eben immer mehr mit dem Thema präsent ist. Wer nicht die ungeschönte Wahrheit ausspricht, befördert Spekulationen und Befürchtungen.

In einem Land mit der Garantie freier Selbstbestimmung ist das schwierig, da eben die ‚Kein Zwang‘-Politik an ihre ultimative Grenze stößt. Am besten ist dies gekennzeichnet mit dem Satz, der derzeit auch wiederum Schlagzeilen macht: „freie Fahrt für freie Bürger.“

Man fühlt sich ähnlich einer Notsituation im Verkehr: es stockt; aber man wird nicht informiert. Denn wieso treibt man dieses ganze Spiel? Ist das nicht völlig überzogen?

Das ganze Beispiel zeigt allenthalben ritualisiertes Handeln mit wenig gesundem Menschenverstand. Schön war, dass die Kanzlerin bei allen Forderungen nach Gesundheitsschutz zur Mäßigung und zum Abwägen aufgerufen hat. Das ist angesichts der radikalen Szenarien zum Stopp des öffentlichen Lebens völlig richtig. Zudem dürfte sich eine Wirtschaftskrise anbahnen. Aber es ist jetzt schon absehbar, dass Journalisten und Kommentatoren nach dem Abflauen wieder von Überreaktionen reden werden.

Denn sie wussten nicht, was sie tun

Wie wir aus den Weihnachtsgeschichte und unserer schlichten Einführung in die christliche Glaubenslehre wissen, hat Jesus – am Kreuz genagelt – den Schöpfer um Verzeihung für die Menschen gebeten: Gott, erbarme Dich der Menschen, die sich ständig aufgrund ihrer Unvollkommenheit schuldig machen. Sie können einfach nichts dafür, da sie nicht perfekt sind.

Der Klimawandel hat tatsächlich etwas von diesem apokalyptischen Endzeitszenario, das sich in der Szene spiegelt. Alles geht zu Ende; aber es bittet niemand die Schuldigen der Vergangenheit um Verzeihung. Dennoch gab es Menschen, die etwas getan haben – ohne um die Konsequenzen zu wissen.

Die Frage ist nun, ob die Kinder, Jugendlichen und überhaupt Jüngeren die Älteren für den Zustand der Welt beschuldigen dürfen. Ist es gerechtfertigt zu behaupten, die Älteren würden den Jüngsten einen geschundenen Planeten überlassen? Dass sie grob fahrlässig gehandelt hätten? Oder gar selbstsüchtig?

Man kann die Fragestellung unterschiedlichen Matrices unterwerfen: dem Strafrecht, der Psychologie, der Moral und anderem mehr. Ich befürchte, dass der Mensch ebenso kollektiv gehandelt wie immer: Idee – Plan – Durchführung – Analyse der Folgen. Und es war nichtmals ein Bild des Ganzen als vielmehr des Handelns einer vergleichsweise agilen intelligenten technologischen Elite. Es waren eben die besten, die Innovationen geschaffen und dann umgesetzt haben.

Man kann die jeweiligen Vorgänger immer beschimpfen. Das tun übrigens auch die Nachfolger im Amte. Nur haben sie eben auch den Vorteil, von den Errungenschaften der Vorgänger profitieren zu dürfen sowie auf deren guten wie schlechten Erfahrungen setzen zu können – sie haben also einen Wissensvorsprung. Der besteht in dem angesammelten Wissensbestand, also im zugänglichen Weltwissen.

Und nun kommt wieder die Frage nach der Legitimität des Vorwurfs und der Verantwortung. Ist das gerechtfertigt? Darf man sich überhaupt überhöhen? Was darf man denn eigentlich überhaupt behaupten? Muss man sich des eigenen Privilegs bewusst werden, die Zukunft vor sich zu haben?

Dürfen wir also anklagen? Natürlich gehört das zur Freiheit des Handelns. Und es versichert die Kläger, dass sie im Recht sind. Es zementiert ihr Weltbild als Opfer. Das ist bequem, aber auch logisch.

Wir Älteren auf dieser Erde können der Anklage Glauben schenken, eine Unterlassung begangen zu haben. Wir können sagen, dass wir nicht wussten, was wir auslösen. Wir haben im besten Gewissen und aktuellem Wissen gehandelt. Und dennoch bleibt das maue Gefühl, Schuld zu haben.

Mich erinnert das an die Frage der Erbsünde. Wir können weder dafür, was besteht, noch für das, was gewollt war, freigesprochen sind – wir sind irgendwo dazwischen.

Fledermäuse im Gebälk

Die deutsche Einheitswippe mag ein Witz sein; liefert sie doch für jeden Kabarettisten reichlich Stoff, um sich lustig zu machen. Denn Großes und Kleines, Bedeutsames und vermeintlich Unwichtiges, wie Grundsätzliches und Praktisches gehen hierbei durcheinander – prallen eben aufeinander. Und gerade der Aufprall verschiedener Richtungen macht uns lachen, schmunzeln und Kopf schütteln. Wir finden die ganze Debatte sinnfrei, grotesk, überzogen und überflüssig.

Andererseits sind Großbauten und besondere Pläne zum Bau von Erinnerungen immer mit Kopfschütteln begleitet. Denn im Angesicht des aktuellen Leides ist die Nicht-Unmittelbarkeit immer unsinnig. Irgendwann jedoch gehören solche Prunkstücke von kollektiver Erinnerungskultur immer zu Anziehungspunkten von Besuchern auf der Ferne. Es ist, als ob sie eher verstünden, was diese über die Gesellschaft aussagen wollen.

Die Groteske der Planung einer in Stein gemeißelten Erinnerung ist wohl die immer gleiche. Schon einer der größten Romane des 20. Jahrhunderts, der Mann ohne Eigenschaften, nahm ein solches Vorhaben zum roten Faden, über den Status Quo nachzudenken.

Die Auflehnung gegen das Offizielle und Institutionelle ist immer wieder ein Reservoir für Protest, Häme, Schimpfen über die Obrigkeit – aber auch immer wieder ein Anlass zum Nachdenken und zum Streit über öffentliche Angelegenheiten überhaupt. Das sehen wir dieser Tage ja auch bei den spontanen Demos gegen den sog. Shutdown, also das Schließen des Lebens im öffentlichen Raum. Und auch das wiederum gibt Anlass zum Nachdenken. Denn angesichts der Katastrophe in Norditalien ist das Gehopse von einzelnen eher zwergig und dumm. Der SPIEGEL Autor Hornig schrieb dazu kürzlich: „Ich habe nie zu den Menschen gehört, die sich im Ausland für ihre Landsleute schämen. Im Moment aber fällt es mir schwer, die Deutschen zu mögen.“

Das Seltsame bei den Protesten gegen die politischen Corona Maßnahmen ist aber, dass genau die Regeltreue vermutlich der Grund daher ist, dass Deutschland so glimpflich, vielleicht gar glücklich durch die Pandemie gekommen ist.

Es bleiben die Fledermäuse im Sockel des Einheitsdenkmals: sie sind doch eigentlich ein Beweis dafür, dass die Natur auch vor dem Großen nicht Halt macht. Es ist die lebend gewordene Fabel des Königs neuer Kleider. Die Fledermäuse haben den Sockel des ursprünglichen Kaiserdenkmals erobert. Würde man sie nicht auch in die baulichen Planungen einbezogen haben, würde man doch tatsächlich auch das Jetzt schleifen.

Gehen wir ein Stück?

An eine belustigende Szene erinnere ich, also ich vor Jahren in China war. Eine junge Frau stoppte uns beim Überqueren der Straße und erkundigte sich danach, woher wir kommen. Ich war überrascht und gleichzeitig befremdet: ist es selbstverständlich, da Chinesen doch eigentlich schroff und desinteressiert sind? Wollen wir wirklich mit fremden Menschen in Kontakt kommen?

Würden wir dieserlei tun? Reagieren wir nicht mit diesem typisch deutschen Argwohn? „Der will bestimmt etwas von mir! Komm, lass uns gehen!“ Es ist ein bisschen wie das Gefühl, dass man verfolgt wird, man misstraut jeglichem Ansinnen dieser Art. Möglicherweise fühlen sich die Deutschen dann an den Satz der Mutter erinnert: ‚geh mit niemandem mit, vor allem nicht mit Männern!‘

In Afrika hingegen umfasst man gerne die Hand eines Fremden und zieht ihn mit sich. Das ist wie die des Kindes, wenn es Papa oder Mama etwas zeigen will. Auch das lässt uns bei Unbekannten zurückschrecken.

In touristischen Zentren auf der ganzen Welt fürchten sich Reisende davor, abgezockt zu werden. Und tatsächlich sind die Touristen für einen Teil der Gastgeber eher Freiwild; auf der andrehen Seite sind sie aber auch von ihnen abhängig. Die Touristen wiederum wollen willentlich die Einheimischen ihrer Reiseländer ‚ausbeuten‘, indem sie Schnäppchen machen können. Irgendwie steht es in dieser Auseinandersetzung 1 : 1.

Mein Vater war einer dieser Menschen, der selbst seinen Bedarf wie folgt formuliert hatte: „jedermann braucht täglich ein Mindestmaß an Ansprache.“ Er hielt sich daran. Nur zu gerne involvierte / verwob er ihm unbekannte Mitmenschen in kleinen Begegnungen mit ihm, sei es in einem Lokal, auf einer Veranstaltung oder gar einfach auf der Straße. Am liebsten hätte er sich Menschen herausgepickt, um einfach ein kleines Gespräch mit ihnen zu führen. In belustigter Erinnerung ist mir die Begegnung bei einer Besichtigung eines historischen Rohbaus: „Sie sind doch dieser Schauspieler aus x; spielen Sie da nicht diesen hilflosen Jüngling? Also passen Sie auf hier.“

Und wie schön wäre es nur, wenn man ein interessantes Gesicht auf der Straße einfach anlachen könnte; wie schön, wenn man einfach etwas Nettes äußern würde; wie schön, wenn man sich einfach nur erkundigen könnte! Man stelle sich das vor: hätten Sie Zeit für einen Austausch über die Aussicht hier?“ „Würden Sie mir 10 Minuten schenken, damit ich Ihnen einen Witz erzählen kann, den ich gerade hörte und teilen will? Es wäre zu schade, den bei mir zu behalten.“ „Könnten wir nicht einfach ein paar Schritte gehen? Mich interessiert, wieso Sie so erschrocken auf den Hund reagierten?“

In Madrid saß ich einst in einem Park und schaute mir das Treiben der Menschen an. Ich hätte mich wegen meiner mangelnden Spanischkenntnisse mit niemandem austauschen können. Dann sah ich auf einer Kreuzung eine lose Gruppe jüngerer Menschen: sie waren Aktivisten der hug me – Bewegung. Und tatsählich nahmen es verschiedene Passanten wahr.

Man will auf Reisen Land und Leute kennenlernen. Doch lässt man nur zu, sich auf Distanz zu begegnen – und die besteht wirklich aus räumlicher und sozialer Distanz. Lassen Sie es nicht so weit kommen. Bald haben wir keine Ausrede einer Pandemie mehr.

Helden-Opfer

Was können Männer doch für Helden sein! Komischerweise sind sie das auch, wenn sie wie kleine geschlagene Verlierer auf ihre Gruppe zukommen und beteuern können, dass der Körper leider nicht mitgemacht hat.

Kennen Sie das von den Fußballplätzen und Laufstrecken dieser Welt? Da humpelt man sich gerne unter Beifall der Zuschauer vom Schlachtfeld. Und man hofft auf den bedauernswerten und gleichwohl anerkennenden Blick von einem Dritten.

Das kann auch ganz andere Verhaltensweisen annehmen. Aus meiner Jugend kenne ich diejenigen, die gerne diese Arm- und Beinbinden trugen, um den Mitmenschen ihre Verletzungen zu demonstrieren. Heute sehe ich das häufig bei Tapes für Läufer. Die sind so schön bunt, dass sie nicht übersehen werden können. Und immer wieder heißt die Message: wir sind trotz halber Kraft volle Fahrt voraus gestoben.

Offenbar müssen sich Menschen ihrer Besonderheit von Dritten immer wieder versichert werden. Dies ist vor allem dann seltsam, wenn man dasselbe wie die anderen tut, und zur selben Zeit. Jedes Mittel ist gerechtfertigt und jeder Zweifel beiseite geschoben, wenn man nur die soziale Anerkennung von Dritten erhält. Es ist wie die Nahrung, die der Mensch rein biologisch benötigt.

Ich las einst die Geschichte, dass soziale Anerkennung auch heißt, an der gemeinsam geschlagenen und gerissenen Beute teilhaben zu können. Sonst wird man an den Rand gedrängt und verhungert. Der Außenseiter überlebt tatsächlich nicht. Und dieses biologische Erbe scheint unser Verhalten bis ins Mark zu bestimmen.

In Dankbarkeit

Diese knappe Formulierung sieht man häufiger auf Grabsteinen. Sie meint wohl den Respekt vor dem Leben und seiner persönlichen Leistung. Es ist wie die Verbeugung vor dem Sarg.

Wie ist es aber mit uns Lebenden? Ich blicke um mich und sehe Ansprüche – an alle und auf jedes. Warum auch nicht? Denn jeder soll sein Leben genießen können.

Doch finde ich auch, dass wir uns für all‘ die Errungenschaften auch dankbar fühlen sollten, die da sind: ein Leben, das lebenswert und selbstbestimmt geführt werden kann. Zunächst ist es die Erhaltung der Gesundheit, dann auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Im Grunde handelt es sich um das gesamte zivilisatorische Wissen, was uns schon bei der Geburt erwartet.

Es ist schlicht das Wissen, das die Menschheit akkumuliert hat, welches uns als Geschenk gegeben wird. Es handelt sich um eine unglaubliche Quantität und Qualität, dieses Weltwissen, was uns zur Verfügung steht. Keine Generation fängt bei ‚null‘ an; muss also auch nicht neu erfinden, was bereits vorab geschaffen worden ist.

Das Erstaunliche: wir halten alles für selbstverständlich, was da ist. Es geht immer weiter.

Seltsam ist, dass die Menschen nur die Gefahren und Belastungen sehen. Gerne würden sie alles zurückschrauben, wieder natürlich sein. Es ist ein einer dieser Wünsche der Aufklärung, den schönen und edlen Wilden wieder zu bekommen – der im Zweifel ein ungehobelter und übel riechender Zeitgenosse ist.

Es würde aber auch seltsam anmuten, so etwas zu feiern und dessen zu gedenken, was die Weltleistung der gesamten Menschheit bis dato ist. Ich kann mich nur an einen missglückten Versuch erinnern, den von Robbespierre, die menschliche Vernunft zum Gott zu erheben.

Nach meinem Wissen gibt es nichtmals so etwas wie einen Begriff dessen, was die Leistung der Menschheit ist. Es gibt Gaia, es gibt den Weltgeist Hegels und vermutlich noch anderes. Sonst feiert man nur Ausschnitte / Teilmengen, also räumlich begrenzte, durch Blut verbundene oder denselben Glauben geeinten Großgruppe. Aber die Menschheit an sich?

Jegliche Kommunikation ist Glück

Paul Watzlawick ist so etwas wie der Superstar des alltäglichen Missverständnisses. Denn er hat eingängig beschrieben, wie es schief laufen kann, wenn Menschen miteinander kommunizieren. Sicherlich ist ihm zu danken, überhaupt darüber nachzudenken. Denn er hat einladend provoziert und unterhalten.

Doch ist es ein wenig speziell: wer schon kennt die Schriften von Watzlawick? Die sind nur einigen geläufig. Dennoch ist es ein Lebenswerk, das kaum jemand zu bieten habt.

Tatsächlich bietet Kommunikation ein Universum von Möglichkeiten. Alles kann passieren. Vermutlich ließe sich dies gar mathematisch berechnen. Daher ist es ein Glücksspiel, wenn Kommunikation gelingt.

Doch weiß auch jeder, dass es ohne nicht geht. Es ist stets die Rechnung auf eine Unbekannte: was schon weiß man vom anderen? Man orientiert sich zunächst an seinem Äußeren: wer einem ähnlich ist (Herkunft, Kleidung, alter), dürfte ähnlich ‚ticken‘. Das ist wohl das eherne Gesetz der Wahrscheinlichkeit, i.e. je ähnlicher, desto mehr Chancen auf Verständigung.

Kommunikation heißt aber nicht, dass man etwas gemeinsames hat. Es ist die Gemeinsamkeit des Moments: denn auch Streit oder Schweigen ist Kommunikation. Gerade jetzt hat die Politik ein eindrucksvolles Beispiel geliefert: der kanadische Präsident Trudeau schwieg 20 Sekunden auf die Frage eines Journalisten zu Trump. Allen Zuschauern war offensichtlich, dass er nicht sagen kann, was er will, was er denkt: denn Trump ist all‘ das, was Trudeau nicht sein will.

Kommunikation ist eher ein Austausch über Freund- und Feindschaft. Man erzwingt gemeinsame Grenzen und Terrains. Es ist eben doch wie das Beschnuppern zweier Hunde, die schauen, wie sie miteinander können. Vielleicht basiert dies ja tatsächlich darauf, ob sie den Geruch des anderen Hundes ertragen – wenn es das denn ist, was sie beim Beschnuppern herausfinden wollen.

Kommunikation bleibt ein lebenslanges Rätsel, selbst zwischen Menschen, die sich gut kennen.

Monster

Ein Postbote stockte vor der durchsichtigen Tür, als er uns sah. Dann trat er doch in den Licht durchfluteten Korridor. Er kam auf uns zu und fragte: „haben Sie Waffen dabei?“ Meine Verneinung kommentierte er mir der Aussage, dass wir doch alle kleine Monster wären. Ich passte. Schließlich fragte ich, ob er denn die postalische Sendung x hätte. Er gab sie mir nach umständlicher Suche in die Hand.

Tja, dachte ich bei mir. Ist das sozial adäquat? Ist der Mann verrückt? Wie soll ich auf solche nicht gewöhnlichen Fragen reagieren?

Wahrscheinlich will man einfach nur weglaufen. Denn man ist so sicher im Umgang mit sozial adäquatem Verhalten. Und plötzlich kommt jemand daher und provoziert eine Situation, die ungewohnt ist.

Und dann könnte man sich – soweit man Zeit zum konzertieren Nachdenken hat – fragen, ob man offen für solche Situationen ist; oder aber lieber den Normalzustand hat; man doch lieber den Standard abspult, wie man sich eben so verhält.

Ich wurde zwar neugierig, konnte das aber nicht befriedigen. Denn ich argwöhnte, dass ich den Dialog nicht übersehen, wohl kontrollieren könnte. Also ließ ich es. Denn mir war unklar, ob der Bote das ernsthaft rational meinte oder eben nur aus einer Lage der psychischen Verrückung.