Ein anständiger Mensch

Über Joe Biden wird viel geschrieben – man muss sich fragen, ob es über einzelne Menschen überhaupt so viel zu sagen gibt. Was zum Beispiel würden die vielen Mitmenschen über einen Albtraum sagen!?

Jedenfalls war ich schwer beeindruckt, als das Phänomen Biden schleichend in mein Bewusstsein vordrang. Sicherlich, er ist die Antipode zu Trump, diese Mensch gewordene Schlechtigkeit. Erst war er sleepy Joe, dann Stotterer, schließlich Romantiker. Und nun ist er unfachmännisch ein anständiger Kerl.

Ich versuchte mir die Situation auf meiner eigenen Bestattung zu erdenken: würden die Trauergäste sagen, dass ich ein anständiger Kerl war? Das kann ich mir nicht vorstellen. Das will ich auch gar nicht.

Aber dennoch: das ist schon eine Leistung, so beurteilt oder auch nur eingeschätzt zu werden. Was muss man dafür tun? Kann man das beeinflussen?

Könnte es nicht sein, dass Anstand auch bedeutet, immer im mainstream zu sein, also einfach nur langweilig? Oder schließt es ein, sich gelegentlich gegen die Mehrheit zu stellen, wenn es um fundamentale Werte der Gesellschaft geht, die eben von der Mehrheit hinterfragt und nicht mehr gelebt werden? Oder genügt es, ab und zu einen Bösewicht zu sanktionieren?

Ich weiß auch nicht, ob ein Politiker mit symptomatischem Anstand weiterkommt. Denn den müsste er ja bei jeglichem politischen Handeln wie eine Monstranz vor sich hertragen. Wäre er dann nicht berechenbar? Gar naiv? Lässt sich Politik mit Ehrlichkeit und Geradlinigkeit denken? Ist das System Politik wirklich so einfach?

Und dann: möchte man auf dem Grabstein stehen haben: er war ein anständiger Mensch? Wie banal und mittelmäßig! Möchte man nicht mit einer Heldentat erinnert werden, wie der Miniatur einer Weltrettung, eben einer Heldentat?

Wie auch immer es ist: man stand bei einer solchen Fremdbewertung sicherlich immer fest im Leben – und das ist schon einmal etwas!

Absegnen

„Das lasse ich mir aber von meinem Vorgesetzten absegnen.“ Wer hat diesen Satz nicht schon einmal gehört?

Was aber ist dieses ‚Absegnen‘? Wieso wird das so genannt? Hat das etwas mit Religion zu tun? Gibt es gar ein Ritual?

Man kann im Netz nachschauen, was das Wort bedeutet: „Zustimmung von einer höheren Instanz“. Doch ist diese höhere Instanz nicht eine Hierarchiestufe in der Kirche. Es handelt sich wohl um eine säkulare Anleihe aus dem kirchlichen Vokabular. Gibt es nichts Schöneres, einfach aus dem Bereich zu klauen, der die letztendliche Legitimation für sich beanspruchen darf!?

Und so wird damit natürlich auch die Unfehlbarkeit einkopiert. Das heißt, dass eine getroffene Entscheidung eben nicht hinterfragt werden darf.

In DE hat man weitere Synonyme, die andere heilige Instanzen aufführt: es ist der Friedrich Wilhelm, der ein Papier zeichnen kann. Auch ein UKAS kann formuliert werden, also ein Erlass der zaristischen Regierung im einstigen russischen Reich. Der ehemalige Bundeskanzler Schröder hat daraus einfach basta gemacht.

Die kirchliche Komponente impliziert, dass eine Entscheidung steht, im OB und im WIE. Sie darf nicht hinterfragt werden. Sie muss gar ‚geglaubt‘ werden. Das kann aber tatsächlich in seiner rationalen, demokratischen und mündigen Gesellschaft an sich schon zu einer Ablehnung des Prinzips eines Chain of Command führen. Denn das Prinzip der solitären Entscheidung ist schwierig, wie das desjenigen, der nur die Funktion eines Vorgesetzten hat. Besser ist schon die Entscheidung eines Eigentümers, dass Privateigentum respektiert wird.

Es stellt sich eben die Frage der Legitimität von Entscheidung und Entscheidungsgewalt. Es ist wahrscheinlich, dass die Mehrheit der Menschen die wissenschaftlich begründete Wahrheit ‚glaubt‘, auch wenn das immer mehr in Frage gestellt zu werden scheint. Denn wissenschaftliche Evidenz ist vielstimmig, es gibt ein Nebeneinander von Wahrheiten. Der Segen lässt sich hiermit also nicht einholen.

Und Absegnen ist auch immanent, dass die einmal getroffene Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann – sie gilt mit Verweis auf die göttliche Kraft als ewig richtig und zu beachten. Man kann sie nicht weg-segnen. Es gibt meines Wissens keine geregelten Prozess, Wahrheiten durch neue Wahrheiten zu beseitigen. Was passiert eigentlich mit den alten Wahrheiten? Sind die deswegen tot? Man ‚überwirft‘ Wahrheiten – was?

Absegnen dürfte kein sinnvolles Verfahren sein. Möglicherweise hat es den Klang erlangt, mit dem ein frustriertes Hingeben andeutet. „ist mir doch egal; Hauptsache eine anderer trägt die Verantwortung.“ Das wiederum ist blödsinnig, da wir nach dem Selbstverständnis des Rechtsstaats mündige und selbstverantwortete Bürger sind.

Das Absegnen sollte nur noch das Abticken und Bestätigen in Verwaltungsverfahren sein. Es hat in der heutigen Welt keinen Platz mehr. Man sollte es in Frieden sterben lassen.

Entwürfe

Lassen wir die Geschichte der Menschwerdung einmal 50.000 Jahre dauern – auch wenn es sicherlich keinen klaren historischen Start geben kann. Die Zahl allerdings gibt ein gutes Abbild von ihrer Länge und der Anzahl an Generationen.

Rund 99 Prozent der Zeit mussten sich die Menschen den äußeren Bedingungen anpassen. Das war Grundvoraussetzung für ihr Überleben. Da waren natürliche, landwirtschaftliche, biologische und soziale Erfordernisse. Für den internen Zwist sorgten die Menschen schon selbst.

Und plötzlich geschieht etwas Unvorhergesehenes: die Menschen basteln sich ihre Umwelten. Es geht um Lebensentwürfe. Nicht mehr die realen Verhältnisse zählen. Es ist, als ob jeder ein wenig Gott spielen könnte. Der Mensch kann sich so konstruieren, wie er glaubt, sein zu wollen. Es ist wohl der Gipfel des Menschen als Homo Faber, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt.

Natürlich nimmt das Schwung mit den technischen Möglichkeiten auf. Denn das erst ist auch die Voraussetzung dafür, dass man eben nicht 10 Stunden täglich für das Besorgen der Nahrungsgrundlage aufbringen muss.

Zwischenzeitlich jedoch bastelt man an vielen mehr. Erst am Äußeren: chirurgische Reparaturen sind ja nur eine Vorstufe für die heutigen Eingriffe, die die Ästhetik verbessern helfen sollen.

Es geht aber noch weiter: denn man kann gar die Biologie ändern, indem man sein Geschlecht in ein anderes umwandelt.

Und natürlich macht auch nichts davor halt, das Bewusstsein zu gestalten – das sind Drogen, Psychotherapie usw.

Davon handeln ja auch science fiction-Filme, die zwischenzeitlich real science gewichen sind. Die Akzeptanz dafür dürften eben die filmischen Welten geschaffen haben.

Und nun vermischen wir uns auch noch mit Maschinen. Das beginnt schon mit dem Zusammenleben mit Puppen: das haben wir zwar als Kind bereits getan. Doch nun greift das Phänomen auf die Welt der Erwachsenen über.

Auch können wir Cyber Sex haben. Der Mensch kann mit Programmen einen Dialog erziehen, den er mit einem zwischenzeitlichen verstorbenen Mitmenschen hatte. Androiden kommen erst in Supermärkte, dann in Altersheime. Und Alexa und Co bringen letztendlich einen Assistenten ins Leben, von dem wir uns weiter abhängig machen.

Gewalt

Gewalt hat ein doppeltes Konzept: zum einen ist es passiv, zum anderen aktiv.

An einem Beispiel: Polizeigewalt an sich ist nur das Potential, das sich einsetzen lässt. Die Gewalten des Staats sind Kompetenzen und Zuständigkeiten. Gewalt ist irgendwie wie Gottheit oder Natur: sie kann aktiv werden, muss es aber nicht.

Dann aber gibt es natürlich auch die Gewalt, die eben physisch an einem Menschen verübt wird. Sie ist meist impulsiv und zügellos. Die manifestiert sich darin, dass sie aktiv wird.

Im französischen und englischen wird unterschieden: puissance und pouvoir; wie force und power.

Muss uns das nun etwas sagen? Das weiß ich nicht. Selbst eine kleine gedankliche Reise erbringt eher Vermutungen: auffällig jedenfalls ist, dass der Adressat gar nicht sicher weiß, ob er nun passiver oder aktiver Gewalt ausgesetzt ist – geschweige denn nicht zu wissen, ob es sich um einen positiven oder negativen Begriff handelt.

Es ist ein wenig wie bei der geführten Ohnmacht des Kindes und des Heranwachsenden, der nicht weiß, ob das Verhalten der Eltern gut oder schlecht für ihn ist. Es ist zur Schärfung des jungen Menschen jedoch unerlässlich, das auch einschätzen zu können.

Und das bestimmt natürlich auch den Umgang mit Gewalt: ist es richtig, sie herauszufordern; oder sich ihr zu unterwerfen. Die Einschätzung nimmt die Legitimität von Gewalt vor.

In einem friedlichen gesellschaftlichen Zustand ist es ohnehin seltsam, der öffentlichen Gewalt unterworfen zu sein. Denn sie ist der passive Erzwinger des vermeintlichen Mehrheitswillens; der letztlich auch zur aktivierten Gewalt als letztes Mittel zurückgreift.

Das Wort muss es geben; gehört es doch zur normalen Ausstattung menschlichen Miteinanders. Doch sollte man nicht zumindest sprachlich differenzierter damit umgehen?

Janis Joplin

„Mit einem rotzigen Lachen verabschiedete sie sich, als sie am Vortag ihren Song mercy dispense à capella eingespielt hatte.“ So endete eine Hommage im Radio am 50. Todestag der Sängerin, dem 04.10.2020 (https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/202010/04/Janis_Joplin_Todestag_Musikerin_Rock_Blues.html).

Und dann wurde dieses einzige Lachen vom vermutlichen Originalband eingespielt – herrlich! Es verrät irgendwie dieses kecke „jetzt habe ich es“. Gleichzeitig ist es Ausdruck eines jugendlichen ‚basta‘ – als ob man der Welt zeigen möge, dass man es kann.

Das war dann das letzte offenkundige Lebenszeichen, bevor sie am nächsten Tag in Hollywood nach einer Überdosis Heroin tot aufgefunden wurde. Dieser Tod klingt gar nicht so wie dieses frische und lebendige Lachen, das sie davor noch lachte.

Andererseits zeigt diese Diskrepanz, wie wenig Menschen kongruent sein müssen. Denn sie können einerseits jugendlich naiv, andererseits eben einzigartige Könner ihres Sujets sein.

„Live fast, love hard, die young!” ist wohl der Wahlspruch der Toten dieser Jahre.

Jedenfalls bin ich froh über dieses dreckige Lachen, was so viel sympathischer ist als das Kreischen auf der Bühne, das für mich persönlich den Grenzbereich weg von der Musik überschritten hatte. Ist es dann nicht schön, mit einem Lachen erinnert zu werden?

Redet doch miteinander!

In der Demokratie sollen Argumente gewechselt werden, bis ein Konsens entsteht. Dies ist Essenz und zentraler Glaubenssatz in der demokratischen Theorie. Und immer wieder wird sie mit neuen Begriffen geformt und mit anderen Bildern untermalt.

Gibt es jedoch so etwas wie eine Verfahrensanweisung zur Qualitätssicherung? Was muss man tun, damit das gelingt? Gibt es eine Checkliste? Was muss man tun, damit dies nicht misslingt?

Einen gelernten Mechanismus gibt es dazu nicht. Ein Ausflug in Mediation und Verhandlungstaktik würde es wert sein. Dort geht man eigentlich davon aus, dass die Zielsetzung ein schlussendliches Einvernehmen ist. Beispielsweise die Harvard Methode der Verhandlung besagt, dass alle einen Deal wollen. Seltsam nur, dass eben der Konflikt eine 50 : 50 Chance besitzt, beigelegt zu werden. Ansonsten bleiben Sprachlosigkeit und zementierter Hass.

Man könnte versuchen, so etwas wie eine ‚Theorie der alltäglichen Konfliktbeilegung‘ zu begründen. Man muss wohl kaum erfinden, nur verpacken und kommunizieren – glaubt man. Damit sollte dann auch einhergehen, Abwägung, Ermessen und Verhältnismäßigkeit einbeziehen. Diese Reifezustände sollte jeder lernen.

Aber jetzt kommt die Frage: wie viel Streit verträgt die Demokratie? Allmählich wächst die Erkenntnis, dass die Grundannahme nicht stimmt, die Kontrahenten würden sich irgendwie einigen – zumindest auf den Dissens. Es könnte naiv sein zu hoffen, sich einfach um einen Tisch zu setzen und solange auszutauschen, bis jeder den anderen versteht und akzeptiert.

Das zeigt sich derzeit in den USA, die als polarisierte Gesellschaft dargestellt wird. Dort gehen Risse durch Familien, Nachbarschaft und anderen natürlichen sozialen Gruppen. Die Menschen hassen und schreien. Sie hören vielleicht einmal zu, aber haben keine Bereitschaft zum Verstehen, Kompromisse erörtern oder Einlenken.

Blickt man auf die Versöhnung, so liegen die Sachverhalte anders als bei der Sühne und Verantwortung für einer ungerechte Staatsform zuvor. Gerade bei Kriegen und Diktaturen ist dies ein immer neuer Versuch, der meist wesentlich länger dauert als der vorausgegangene Konflikt.

Und dann sind da auch nicht die Schlüsselerfahrungen. Der Konflikt kommt mit den Geschwistern ins Leben, dann auf den Spielplatz oder in die Schule. Irgendwann – ja irgendwann, kommt ein Dritter und verlangt von den beiden Kontrahenten: nun vertragt Euch wieder! Und es in etwa so schlimm wie die erste zerbrochene Liebe. Man will es einfach nicht. Nachgeben zweitens ist etwas für Feiglinge. Und man will doch stark sein, vor allem wenn man jüngeren Alters ist. Dann kommt noch der Konflikt mit den Eltern, der entweder im Nachgeben oder totalen Opponieren endet. Und dieses Muster verbleibt dann meist ein ganzes Leben lang im Verhältnis der beiden Generationen. Und schließlich begleiten uns die Konflikte in die Lebenspartnerschaften: eine Ehe zu erhalten – so sagt man – ist schwieriger als sie zu beenden. So scheint es auch mit Krieg und Frieden im Allgemeinen.

Und immer wieder derselbe Versuch: redet doch miteinander! Dann wird es schon. Wie hörte ich kürzlich von einem Mediator: Kommunikation ist Glückssache! Und wie stellt man sich dann vor, durch bloßes Reden wieder zu einander zu finden? Reden ist doch auch nur das Arbeitsmittel, dazu kommen Zuhören, Formulieren – und natürlich Austauschen.

Unsere Erfahrung lehrt uns also, dass dies kein Patentrezept ist. Reden mit anderen, also Interagieren und Kommunizieren ist etwas für Könner und Neugierige – und natürlich diejenigen, die geben können. Es ist nicht nur provokativ zu ergründen, ob Schweigen einfach besser wäre.

Nachnamen – Schall und Rauch oder erster Eindruck?

Nun gibt es tatsächlich eine Nobelpreisträgerin, die Glück heißt. Mich haben die Kommentare nicht verleitet zu lesen, was sie bislang geschaffen hat. Der Name freilich hat mich beeindruckt.

Ein Kollege von mir, mit dem ich nichts zu tun habe, heißt Liebe. Bei einem ersten Treffen stahl ich sein Tischschild, weil ich es so beeindruckend empfand.

Einst kannte ich eine Pia Pumm, die jedoch nie eine Sympathie für Wim Stubbe teilte. Frau Hinz muss einen Herrn Kunz finden. Und …

Andererseits gibt es dann immer Menschen mit seltsamen Nachnamen. Auf dem Ku’damm sah ich ein Schild, auf dem ein Dr. Meerrettig für seine Dienste warb. Dann las ich im Kiez ein Schild für einen Arzt namens Wundt.

Ein Bekannter von mir heiratete einst eine geborene Sonnenschein. Später übernahm er ihren Namen. Ein Kumpane früherer Tage lehnte jedoch den Namen seiner Frau, geborene Martinetz, ab. Er wollte weiter Sense heißen.

Nun ließen sich weitere sprachliche Allerlei finden und zitieren. Doch würde ich gerne alle Namensgeber fragen, was die Namen mit ihnen machen: wie reagieren die anderen Menschen auf Sie? Und wie können sie damit umgehen?

Bei Kindern berühmter Eltern wird es rasch zum Trauma, wenn man der Boulevard-Presse Glauben schenken darf. Auch bei modischen Namen können erhebliche Vorurteile mitschwingen, wie bei Kevin einst zum Schulerfolg nachgewiesen werden konnte.

Auch Namen transportieren eben Schwingungen und Stimmungen. Und die liegen meist im Auge des Betrachters. Denn er ist es, der mit einem Klang, einer Erinnerung und weiterem Wissen Wertungen vornimmt. Der Namensträger kann dagegen kaum etwas ausrichten.

Namen sind eben auch ein Kind ihrer Zeit – vor allem bei der elterlichen Entscheidung. So sind Moden immer zu beobachten, wie die Namensvergabe Washington in Folge der Präsidentschaft; oder die

Vielleicht sollte man ähnlich wie bei der Reifeprüfung von religiösem Glauben und schulischem Erfolg, das Grundwissen für das Leben erlangt zu haben, die Anleihe nehmen: mit der Volljährigkeit könnte der mansch entscheiden, wie er gerne genannt werden will; mir scheint das sinnvoller zu sein als mit seiner geschlechtlichen Identität herumzuexperimentieren.

Nebensächlichkeiten

Wieso nur gibt es Menschen, die sich den wesentlichen Fragen verweigern? Meine Mutter drängte meinen Vater stets, sich zu den großen Fragen feste Meinungen zu bilden. Er schwieg meist dazu. Mein Vater flüchtete sich vielmehr in die vielen Kleinigkeiten des Lebens.

Nebensächlichkeiten sind die eigentliche Hauptsache, wie ich häufig empfinde. Da man ihnen wesentlich häufiger begegnet, kommt auch mehr Überraschendes zum Vorschein. Es ist wie die Entdeckung der Welt durch Kinder: egal, wo man hinschaut, eröffnet sich ein neues Bild. Schaut man nur auf die bekannten Phänomene, ergibt sich immer wieder dasselbe Muster.

Nehmen Sie den Fußballfan, der in bestimmten Größen seines Sports denkt: zum Sport selbst gehören die Tore und die Stars; zum Ambiente das Stadion, das Singen und das Ausleben aller Emotionen. Doch kann man sich freilich auch mit den vielen Kleinigkeiten auseinandersetzen: wann nämlich fallen während der 90 Minuten die meisten Tore? Welches Stadion hat eine Rasenheizung? Ist die Abseitsregel Plan der Verteidigung oder Dummheit des Angriffs? Das ist doch richtig spannend!

Es gibt aber auch Kompositionen, die fast nur aus Kleinigkeiten bestehen, wie ein Uhrwerk, die Zeichnung eines Raubvogels, die Maserung eines Baumstamms usw. und darin kann man sich verlieren. Dann ergeht es einmal wohl wie demjenigen, der Puzzeln liebt.

Synonyme von Nebensächlichkeiten gibt es nicht so richtig: sie sind den jeweiligen kleinen Eltern angepasst, wie Staffage, Paraphernalia, Nippes oder Kleinod. Es ist so schade, dass sie immer nur eine Nische einnehmen. Ich denk, dass sie für die psychologische Stabilität eine wichtige Rolle spielen. Liegt bei den großen Fragen des Lebens viel im Argen, können die vielen Kleinigkeiten über das Leid hinweghelfen.

Mit erzählte einst eine ältere Frau, dass sie eine Freundin im Hospiz über die letzte Zeit begleitet habe. Offensichtlich gab es das auf und ab, das Schwankern der Extreme zwischen Angst und Freude am Kleinen. Ich war schwer beeindruckt, wie sie berichtete, dass die Blumen auf dem Nachtisch die sterbende mehr als nur erfreut hatten. Sie habe sich in den Einzelheiten der Stile und Blüten verloren, die Spuren des Wassers nachgezeichnet. Sie verfiel damit in glückliche Momente trotz ihres Zustands.

Ich versuche Nebensächlichkeiten in meinem Leben Platz einzuräumen. Aber ich muss auch aufpassen, mich darin nicht zu verlieren;-)

Schadenfreude

Schadenfreude ist wirklich Freude; sie kann süßer sein als echte fröhliche Freude. Es ist wohl wie mit der Rache.

Gelesen habe ich just am Tag der bislang höchsten Zahlen zu Infektionsraten mit dem Corona Virus, dass einer der Anführer der Leugner schwer erkrankt ist.

Und ich kann mich auch erinnern, wie ein genesener Patient im Fernsehen auftrat, nachdem Präsident Steinmeier ihn empfangen hatte. Der 62- jährige Joachim Hauser meinte, dass die Leugner wenigstens unterzeichnen sollten, im Falle einer Infektion keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen: https://www.swr.de/swraktuell/covid-19-ueberlebende-zu-gast-beim-bundespraesidenten-100.html

Ein Schweizer Arzt hat gefordert, eine solche Regel grundsätzlich zu formulieren: man solle ein Register mit Leugnern führen; dann habe man zumindest ein Kriterium dafür, wer Ausspruch auf einen der begehrten Intensivplätze habe und wer nicht: https://www.google.de/amp/s/www.swp.de/panorama/intensivbetten-in-der-schweiz-keine-behandlung-fuer-corona-leugner_-53330692.html%3f_XML=AMP.

Und jetzt mischt sich auch noch Prof. Henn ein, der stellvertretende Leiter des deutschen Ethikrates: https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=tvLtCkmuVis https://www.google.de/amp/s/www.zeit.de/amp/wissen/gesundheit/2020-10/coronavirus-aktuell-neuinfektionen-covid-19-ausbreitung-live

Man kann es natürlich auch wissenschaftlicher wie Steffen Werther machen;-), wie https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-12/triage-humanitaere-hilfe-corona-krise

Und jetzt will die spanische Regierung auch noch ein Register aller derjenigen, die sich nicht impfen lassen: https://www.bbc.com/news/world-europe-55471282

Uns Menschen ist es jedoch deutlich ins Gewissen geschrieben, Menschenleben zu schützen. Das bedeutet auch, dass man den hippokratischen Eid unbedingt und absolut respektieren muss, selbst wenn die Erkrankten es nicht wollen. Die gesamte Debatte über die Sterbehilfe zeigt die Konsequenz, indem sich die Gegner auch gegen den Sterbewunsch der schwer Erkrankten wenden. Also sollte man auch Leugnern im Fall eines schweren Krankheitsverlaufs medizinische Hilfe zuteil werden zu lassen.

Dagegen sprechen allerdings das neutrale Argument sowie das subjektive Moralempfinden. Denn wieso sollten Gegner einer Maßnahme davon profitieren können? Denn das das würde doch Kapazitäten schaffen, aus denen anderen Nutzen ziehen können? Ist nicht menschenverachtend genug, dass die Leugner egoistisch behaupten, ihre Grundrechte auf Protest seien höher zu werten als der Gesundheitsschutz?

Man kann diese ethische Debatte so laufen lassen, solange man nicht selbst entscheiden muss. Das ist nun einmal bei öffentlichen Trägern von Entscheidungen der Fall wie vielleicht auch dem ein oder anderen Mediziner. Man kann nicht beides gleichzeitig wollen. Es ist ein moralisches Dilemma, da Werte mit einander konkurrieren, die aus demselben Holz geschnitzt sind.

Die Leugner jedoch könnten sich aus anderen Lebensbereichen bedienen: leugnet man die Raubtierqualität eines Eisbären, sollte man sich mit ihm in die Höhle legen; leugnet man den Nutzen einer gesunden Ernährung, kann man sich im Alter auf etwas gefasst machen; und leugnet man den Sinn des Schlafes, so sollte man einfach nicht mehr zu Bett gehen und sich auf den Tag freuen.

Senizid

Dem Wort begegne ich nun erstmals während der Corona-Krise. Nicht einmal Schirrmacher habe ich das sagen gehört oder schreiben gelesen, auch nicht bei anderen, die sich der Älteren vermeintlich entledigen wollen.

Senizid bedeutet den Selbstmord der Alten in einer Gesellschaft. Man sagt es den Germanen und nordischen Völkern nach, passt es doch auch gut zu dem Mythos, sich für seinesgleichen aufzuopfern – ohne Opfer auch keine Heldentat!

Es zeigt sich vor allem in Ausnahmesituationen wie bei einer Naturkatastrophe: die Alten opfern sich für das Leben der Jüngeren. Schon im Kleinen sind diese Glaubensgüter zu sehen: wir haben nicht mehr lange zu leben – wofür brauche ich noch die Sachen?

Die Debatte um Sterbehilfe zeigt ein immer wieder kehrendes Element: der Alte soll sich nicht opfern müssen, weil er denkt, er würde der Gesellschaft zur Last fallen. Das dürfte der Umkehrschluss dessen sein, was uns der Mythos mitgibt.

Und gerade in Schweden scheint man nun dennoch ein historisches Beispiel ungeheuren Ausmaßes gefunden zu haben: man ist sich der Tödlichkeit des Virus bewusst, wenn es die Älteren trifft. Deren Schutz soll aber nicht die Einschränkung des Lebens der jüngeren rechtfertigen müssen. Das gerät nun ins Wanken, da die Zahlen der Toten stark anstiegen.

Altentötung wird Senizid übersetzt. In der frühen Menschengeschichte machte es wohl Sinn: so konnten die knappen Ressourcen eben denjenigen vorbehalten werden, die sie zum weiteren Leben benötigten. Mit dem Vordringen von Wohlstand und Menschenrechten ist dies gänzlich aus der Geschichte der entwickelten Welt verschwunden.

Es dürfte heutzutage Platz gemacht haben dem Selbstmord für die Gemeinschaft, also einer Art Kamikaze. Denn die Älteren wollen nun einmal nicht ihr Gefühl, gut gelebt zu haben, und die Überzeugung, für die Kinder und Kindeskinder sorgen zu wollen, aufgeben. Dies gehört wohl zu einem gelingenden Leben – freilich gepaart mit der Anstrengung und Müdigkeit des Alters.