Gehen wir ein Stück?

An eine belustigende Szene erinnere ich, also ich vor Jahren in China war. Eine junge Frau stoppte uns beim Überqueren der Straße und erkundigte sich danach, woher wir kommen. Ich war überrascht und gleichzeitig befremdet: ist es selbstverständlich, da Chinesen doch eigentlich schroff und desinteressiert sind? Wollen wir wirklich mit fremden Menschen in Kontakt kommen?

Würden wir dieserlei tun? Reagieren wir nicht mit diesem typisch deutschen Argwohn? „Der will bestimmt etwas von mir! Komm, lass uns gehen!“ Es ist ein bisschen wie das Gefühl, dass man verfolgt wird, man misstraut jeglichem Ansinnen dieser Art. Möglicherweise fühlen sich die Deutschen dann an den Satz der Mutter erinnert: ‚geh mit niemandem mit, vor allem nicht mit Männern!‘

In Afrika hingegen umfasst man gerne die Hand eines Fremden und zieht ihn mit sich. Das ist wie die des Kindes, wenn es Papa oder Mama etwas zeigen will. Auch das lässt uns bei Unbekannten zurückschrecken.

In touristischen Zentren auf der ganzen Welt fürchten sich Reisende davor, abgezockt zu werden. Und tatsächlich sind die Touristen für einen Teil der Gastgeber eher Freiwild; auf der andrehen Seite sind sie aber auch von ihnen abhängig. Die Touristen wiederum wollen willentlich die Einheimischen ihrer Reiseländer ‚ausbeuten‘, indem sie Schnäppchen machen können. Irgendwie steht es in dieser Auseinandersetzung 1 : 1.

Mein Vater war einer dieser Menschen, der selbst seinen Bedarf wie folgt formuliert hatte: „jedermann braucht täglich ein Mindestmaß an Ansprache.“ Er hielt sich daran. Nur zu gerne involvierte / verwob er ihm unbekannte Mitmenschen in kleinen Begegnungen mit ihm, sei es in einem Lokal, auf einer Veranstaltung oder gar einfach auf der Straße. Am liebsten hätte er sich Menschen herausgepickt, um einfach ein kleines Gespräch mit ihnen zu führen. In belustigter Erinnerung ist mir die Begegnung bei einer Besichtigung eines historischen Rohbaus: „Sie sind doch dieser Schauspieler aus x; spielen Sie da nicht diesen hilflosen Jüngling? Also passen Sie auf hier.“

Und wie schön wäre es nur, wenn man ein interessantes Gesicht auf der Straße einfach anlachen könnte; wie schön, wenn man einfach etwas Nettes äußern würde; wie schön, wenn man sich einfach nur erkundigen könnte! Man stelle sich das vor: hätten Sie Zeit für einen Austausch über die Aussicht hier?“ „Würden Sie mir 10 Minuten schenken, damit ich Ihnen einen Witz erzählen kann, den ich gerade hörte und teilen will? Es wäre zu schade, den bei mir zu behalten.“ „Könnten wir nicht einfach ein paar Schritte gehen? Mich interessiert, wieso Sie so erschrocken auf den Hund reagierten?“

In Madrid saß ich einst in einem Park und schaute mir das Treiben der Menschen an. Ich hätte mich wegen meiner mangelnden Spanischkenntnisse mit niemandem austauschen können. Dann sah ich auf einer Kreuzung eine lose Gruppe jüngerer Menschen: sie waren Aktivisten der hug me – Bewegung. Und tatsählich nahmen es verschiedene Passanten wahr.

Man will auf Reisen Land und Leute kennenlernen. Doch lässt man nur zu, sich auf Distanz zu begegnen – und die besteht wirklich aus räumlicher und sozialer Distanz. Lassen Sie es nicht so weit kommen. Bald haben wir keine Ausrede einer Pandemie mehr.

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