Vom elenden Dasein eines Füllwortes

‚Im Endeffekt‘ könnte es ‚eigentlich‘ auch ‚ganz‘ nett sein. ‚Sozusagen‘ wäre das ‚teilweise‘ so etwas‚ das ‚in irgendeiner Weise‘ wirkt – also ‚quasi’ und ‚ein Stück weit’!

Waren wir Deutsch Sprechenden schon immer solche Angsthasen? Haben wir immer alles relativiert? Konnten wir nie Indikativ?

Als legendär dürften die Interviews von Jogi Löw und Angela Merkel gelten – oder eben besser Modell bildend sein. Denn die Etwaigkeit und das Unbestimmte sind hier eindeutig. Nur die Richtung und die Stimmung werden offenbar. „Das tut schon auch wahnsinnig weh“ meinte Löw nach der verpatzten WM.

Das ist mainstream: wer sich festlegt, wird daran gemessen. Komisch ist, dass wir Deutschen an genau den Indikativ glauben: ein Mann, ein Wort; endlich sagt einmal einer etwas, was er denkt; gerade heraus ist genau richtig; der tut, was er denkt.

Und dennoch bleibt die Sprache des Alltags im Ungefähren. Und auch das hat Wirkung: denn die Unzuverlässigkeit wird zu einem neuen prägenden Element sozialen Handelns. Komme ich heute nicht, komme ich morgen. Wir sehen uns dann. Vermutlich hat das mit den neuen Optionen zu tun, die die Konsum- und Erlebnisgesellschaft bietet.

Das Füllwort ist ein seltsames Ding: denn es ist überflüssig. Wenn das Überflüssige so sehr herausragt, dass es Stimmungs-gebend ist, ändert sich sein Zweck. Am Ende ist alles nur noch Füllwort. Vergleichbar wäre dies mit dem austrocknenden See. Am Anfang sind die Inseln zu vernachlässigen; je mehr der See allerdings freigibt, ist nur noch Einöde.

Wie kommt die Unterhaltung in unser Leben?

Zu gerne würde ich wissen, was Sprachforscher zum Ursprung des Wortes Unterhaltung sagen; denn die Nähe zu Unterhalt lässt uns Laien ziemlich ratlos zurück, nur mit der Chance zur wilden Spekulation.

Der Regisseur Billy Wilder hat nach seiner Lebenserfahrung einschließlich der Flucht aus Nazi-Deutschland gesagt, er wolle nur noch Unterhaltung machen. Die Trias des altgriechischen Theaters schließt Unterhaltung nicht ein, nur Komödie.

Erst die moderne Gesellschaft dürfte Unterhaltung ermöglicht haben. Denn in der Substanzfalle früherer Zeiten dürfte organisierter Zeitvertreib nur Kultur gewesen sein, die aber wohl mehr am Ziel höherer Erkenntnis als bloßem Zeitvertreib orientiert gewesen sein dürfte.

Unterhaltung ist Entertainment. Es ist das mittlere Maß an Aufmerksamkeit, das gefordert ist. Man schläft nicht ein, muss sich aber auch nicht konzentrieren. Es ist wie ein Zustand an sich, so wie Trance, Wut, Freude, Müdigkeit oder ähnliches. Ich glaube, dass wir süchtig nach Unterhaltung sind: denn wir können ruhen ohne zu tun, und dennoch Bildern und ein wenig Worten folgen.

Unterhaltung bedient die Lust am Lachen, ein wenig die emotionale Berührung, das Fallen Lassen in musikalischen Sphären und das Mitsingen, die leichte körperliche Bewegung usw. Unterhaltung ist wie ein leichter Schwips, der ein Versprechen auf Leichtigkeit darstellt.

Es ist gut, dass es Unterhaltung gibt.

Selbstverantwortung und Schuld

„Ich bin so wütend“, schmetterte mir kürzlich eine Frau bei einem Seminar entgegen. Ich war gerührt und gleichzeitig beeindruckt. Denn es offenbarte sich ein aristotelischer Fehlschluss, von dem ich hoffte, er sei ausgestorben.

Es ging um die Verantwortung des Helfers, der nur Gutes beabsichtigt – aber dennoch Negatives auslöst. Das könnte eine Intervention im Betrieb sein, wenn einem Kollegen Ungerechtes widerfährt und man damit anderen eine Schuld zuweisen muss. Das könnte die Beratung eines Freundes sein, wenn man sein Leid sieht und ihm helfen will – und übersieht, dass er zwar ein momentanes Missgeschick löst, dafür aber kein ehrliches Feedback bekommen hat. Und es könnte das Handeln in einem Notfall sein, wenn man schlicht das Falsche tut.

Die Erwartung der wütenden Frau war, dass man von den negativen Folgen ent-schuldigt würde, da man doch nur helfen wolle. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass Schäden dann anders gewertet und sanktioniert werden müssten, wenn man fern bösen Willens eine negative Folgewirkung ausgelöst und verursacht hat. Die Frau erwartete Absolution.

Selbst wenn das eigene Handeln eher einem Unfall gleicht, so ist doch die eigene Existenz das entscheidende Zutun für eine negative Wirkung. Man kann sich davon nicht befreien. Es gehört zur Verantwortung, auch die misslichen Folgen eigenen Handelns anzunehmen und auszuhalten.

In Erste Hilfe-Kursen ist diese Haltung Standard. Dort wird den Freiwilligen versichert, ihr Handeln sei straffrei, ihr Nicht-Handeln aber eine illegale Unterlassung. Das ist für jeden bequem: Engagement gegen absolute Straffreiheit.

Ein Arzt hat diese Chance nicht: er muss dafür gerade stehen, wofür er sich als Behandlung entscheidet. Daran ist er rechtlich gebunden; aber auch sein Gewissen muss damit klarkommen. In allen anderen Professionen gibt es einen Feldzug für die Fehlerkultur: in der Medizin aber ist das nicht erlaubt; hier darf sich der Arzt keinen Fehler erlauben. Begeht er einen Fehler, so trägt er – nach Meinung der Gesellschaft – Schuld.

Schuld und seine Verarbeitung / Verdrängung waren einst große Themen der Literatur und somit Kinder ihrer Zeit. Man denke nur an Jane Austin oder Dostojewski. Ich habe den Eindruck, dass dies kaum mehr der Fall ist. Öffentlich zur Schau getragene, ja demonstrierte Stimmungen, sind Enttäuschung und Wut. Vielleicht tun wir uns deswegen so schwer damit.

Ich selbst habe Schuld und Sühne durch meine Eltern, aber auch den Fußball gelernt. Beim Fußball war es einfach: wer gegen die Regel verstößt, muss sich verdienen, indem er regelkonform weiterspielt; sonst fliegt er raus.

Vorstellen könnte ich mir, dass das Bewusstsein von Schuld und somit die Kompetenz zur Verarbeitung von Schuld weniger stark ausgebreitet sind. Denn zu sehr übernehmen andere, vor allem Technologie und öffentlichen Systeme die Verantwortung für unser eigenes Tun. Das bedeutet, dass man selbst immer weniger Gelegenheit hat, Fehler zu machen. Ein Schutzschild spannt sich vor menschlichen Fehlern auf.

Zudem könnte sein, dass Eltern jetziger Kinder und Jugendlicher die Ausbildung von Selbstverantwortung konsistent eindämmen – wenn auch wohl nicht beabsichtigt. Bildlich zeigt sich das schon damit, die Kinder zur Schule zu bringen. Doch im Kern handelt es sich um das Aufspannen eines Sicherheitsnetzes für alle Lebensbereiche.

Das auf sich Nehmen von Schuld will gelernt sein: zunächst muss man akzeptieren, dass man im Leben nicht umhinkommt, einer Situation dieser Art zu begegnen. Dann muss man Schuld auch annehmen. Schließlich heißt es, sie zu verarbeiten.

Vom Kumpel zum Chef-Typ

Im letzten halben Jahr wanderten gleich drei Kollegen auf die TOP-Jobs in ihren Organisationen. Mit allen verbindet mich eine 15-jährige Geschichte, geleitet von beruflichen Kontakten, aber mit einem überdurchschnittlichen persönlichen Bezug. Der besteht aus einer gewissen Vertrautheit und das Duzen.

Meine Glückwünsche bewegten sich in derselben alten Welt der Kumpanei, die bislang den Ton unseres Austausches ausmachten. So weit, so gut.

Eine Reaktion oder andere Art von Antwort meiner Anerkennung erhielt ich nicht. Es kann sein, dass dies ein Zeichen war, nun einer anderen gesellschaftlichen Statusgruppe anzugehören. Vielleicht mochten sie die flapsige Art nicht, die ihnen wie eine Beleidigung vorkam. Oder aber sie empfanden das als Anbiedern.

Auch andere Personen, denen ich in der Vergangenheit begegnet bin, haben Karrieren gemacht, die ihnen öffentlichen Rollen und somit Status gaben. Dies bezieht sich auf Personen in hohen Positionen der EU, der OECD oder der Bundesministerien.

Das Erstaunliche ist, dass nur wenige weiter den Kontakt über Grenzen des Status hinaus halten (wollen). Ich bin – persönlich – enttäuscht über den Bruch zu höherem gesellschaftlichen Status; aber froh darüber, dass ich den zu niedrigerem Status aktiv vermeide. Denn dort forciere ich Kontakte, um mich eben nicht in einer Blase zu bewegen.

Für den Aufsteiger ist es ein enormer Schritt, einen neuen Status via Leistung einnehmen zu können. Es dürfte einem tiefen Bedürfnis entsprechen, ein ‚Verdienst‘ in Anspruch nehmen zu können; sich im Wettbewerb um höhere Posten durchzusetzen; oder Achtung von Mitmenschen für die erlangte Macht zu erhalten.

Aufsteigen im gesellschaftlichen Sinn ist weit mehr als Aufsteigen in räumlich-physischer Perspektive: denn es ist eine für alle sichtbare Bewegung ‚nach oben‘, was an sich schon mit einem besseren blick und bessere Luft verbunden ist. Es geht am Ende aber über das schauen auf die anderen, was räumlich bedeutet, den anderen über-legen zu sein und mehr Kapazitäten zu besitzen.

Drei kontrastierende Blicke dazu: zum ersten handelt es sich zwar auch um soziale Anerkennung. Doch entscheidend ist, dass die Personen auch eine funktionelle Kompetenz mitbringen. Schließlich gehören ihre Mitglieder zur Funktionsweise einer – wie auch immer gearterten – Funktionselite an.

Weiter ist soziale Anerkennung auch mit Haftung und Verantwortung verbunden. Dies bedeutet auch, für Konsequenzen seines Handelns einzustehen – also mit öffentlichem Pranger und raschem sozialem Absturz.

Schließlich kann sozialer Aufstieg nicht die individuelle Persönlichkeitsentwicklung kompensieren, die als echte Bewegung eines Menschen bedeutsam ist.

Natürlich verschiebt sich die Bedeutung je nach Kontext, Präferenz und Schicksal. Doch dürften Aufstiege ein Moment von Lebensenergie schlechthin sein. Der Mensch möchte seine Situation stets optimieren, sie beherrschen und gestalten.

Daher gratulieren Mitmenschen auch intuitiv zu einem Aufstieg. Und entwickeln so etwas Ähnliches wie Ehrfurcht. Es handelt sich um die Attribuierung von Wert an sich. Denn Status ist nun einmal eine soziale Währung: es lässt sich mit Mehr an persönlichen Vorteilen versehen.

Und was heißt das für mich? Ich habe diese Personen wohl aus dem Kreis von Vertraulichkeit verloren.

Das beste Eis der Stadt

Mit weit aufgerissenen Augen, Stolz in der Stimme und gestrecktem Körper: „da gibt es das beste Eis in unserer Stadt! Und gleich bei uns um die Ecke.“

Auch ich habe mich schon in dieser Manier erlebt: ich wollte damit sagen, dass ‚ich‘ etwas Tolles entdeckt habe, worüber andere von mir erfahren können. Es ist, als ob ich selbst das Tolle geschaffen habe.

Ein seltsames Verhalten – wie ich zugeben muss: denn ich bin lediglich Mittler.

Mittler sonst berufen sich gerne auf ihre bloße Mittlerrolle, wenn sie für etwas Schlechtes verantwortlich gemacht werden. Sie sind dann der Bote, der nur und ausschließlich die Message überbracht hat.

Die Vereinnahmung der Leistung anderer oder aber das Prahlen über die Nähe zu etwas Besonderem prägt menschliches Verhalten so sehr. Ich frage mich, wieso das eigentlich der Fall ist. Denn der Homo Sapiens ist doch gerade derjenige, dem Logik und Rationalität zugetraut werden kann.

Nehmen wir das Beispiel desjenigen, der seit Kindertagen einem Prominenten kennt. Nehmen wir an, einen Fußballer. Dann sagt man Sätze wie: den kenne ich schon lange; mit dem habe ich früher auch gekickt. Hier ist noch nicht das Ende der eigenen Überhöhung erreicht. Denn der Mensch ist noch mehr versucht zu äußern, dass er dem heute prominenten Fußballer noch etwas beigebracht hat oder selbst besser spielte. Dem Gegenüber dreht sich der Magen um; denn solcherlei Blödsinn will man nicht hören.

Dennoch: man muss die Übertreibung noch machen; man kann nicht ablassen davon. Es ist wie die Versuchung, der Judas nicht widerstehen konnte. Man will wer sein, auch gerne mehr sein.

Nur wer von früh an mit einem Wertekontext der Demut sozialisiert wurde, hat wohl kein Problem damit, sich entscheiden zu müssen. Denn er kann nicht anders als Demut. Sonst aber dürfte es keine Schranken geben.

Es hilft nichts: man muss sich selbst zähmen, wenn der Wolf der Aufmerksamkeit nach außen drängt!

Der gemeine Grieche

Insgesamt 5x war ich in Griechenland, mit einer zeitlichen Erstreckung von 40 Jahren. Die Griechen sind so unauffällig, dass sich keine nationalen Charakteristika aufdrängen.

Und dennoch verhalten sie sich alle in einem gemeinsamen Korridor: ihr Verhältnis zu Lautstärke ist anders. Denn sie sprechen lauter als wir Deutsche es als maßvoll empfunden. Dadurch wirken sie auch ein wenig aufdringlich, da ihre nahe Umwelt Notiz von ihnen nehmen muss.

Griechen erscheinen mir durchweg höflich: sie blicken einem in die Augen, sie lächeln, sie danken usw. Es ist ein meist unspektakulärer und angenehmer Umgang auf Augenhöhe.

Der typisch mediterrane kleine Mann, der Heros, ist hier nicht typisch. Niemand macht Show. Niemand trägt auffällige Kleidung. Niemand fährt Autos mit besonderem Design.

Eher ist das Äußere zumindest der Männer einfach: Extravaganz gibt es möglicherweise bei den Reedern, die auch unser Bild von Griechen beeinflusst haben. Doch die Kleidung bleibt funktional. Es sind die einfachen T-Shirts und Hosen, die dominieren. Auffällig sind eigentlich nur die stylischen Sonnenbrillen, die mit dem Haar verwachsen sind.

Die Geschwindigkeit der Griechen ist gemäßigt. Das Bewegen der Menschen ist wohl der hohen sommerlichen Temperatur angepasst. Denn weder gestikulieren sie stark noch bewegen sie sich hastig – nach unserem mitteleuropäischen Standard eher gemächlich.

Vielleicht ist der Grieche ein Genussmensch, da er ohne Tempo durch das Leben rast. Doch würde dafür auch sprechen, sich den kulinarischen Gelüsten hinzugeben. Die Speisekarte nimmt sich jedoch eher einfach aus. Man greift auf lokale Ernährungsmittel zurück.

Der Körperbau des normalen Griechen ist etwas pummelig, wohl geschuldet der geringen Sportlichkeit und dem reichhaltigen Essen. Es sind die Röllchen am Torso, die durchaus normal sind. Die Bräune des Griechen ist seltsam: es ist braun und hell zugleich, keine schöne Mischung.

Die Arbeitsmentalität ist anders als in Mitteleuropa; man bekommt schnell den Eindruck, der Mensch könne auch gut ohne. Ich traf den Sohn eines britisch-griechischen Paares. Der meinte: „jeder will hier reich sein. Aber keiner ist dafür bereit zu arbeiten.“ Ein Schuhmacher in dem Dorf, das tatsächlich Theologos heißt, meinte auf meine Frage hin, ob er mir ein Paar zuschicken könne: „Ich bin doch keine Fabrik!“

Die Sorge für die Umwelt ist auch etwas, das uns Mitteleuropäern auffällt – sie fehlt, soweit man wilde Müllhalden für hinreichend empfindet. Denn die verteilen sich ohne Systematik auf den vielfach agrarischen genutzten Flächen.

Und was richtig auffällig ist: überall Jazz Musik, mit dem Lounge-Effekt. Es groovt den Besucher in die geschmeidige Langsamkeit des hiesigen Lebens.

Der Knuddel

Eine etwa 30 jährige Frau meinte kürzlich, es solle endlich ein Teil erfunden werden müssen, das einen bei Bedarf in den Arm nimmt. Hingegen wäre der Boxsack doch nur für den Zustand der Wut und ihres Ablassens brauchbar.

Es gibt bereits das professionelle Angebot, sich kuscheln zu lassen. Doch könnte das in der Praxis schwierig werden. Zudem gibt es die Bewegung der Free Hugs, die befremdlich daher kommt.

Einst hatte ich eine seltsame Situation zu überstehen, als ich einer weinenden Frau gegenüberstand und die mich einfach in die Arme nahm. Dann gesellte sich eine dritte Person dazu, die um die Erregung der traurigen Frau wusste. Sie umarmte diese Frau dann noch von hinten. So standen wir dann als Knäuel vereint – und zwar lange. Diesem Zustand konnte ich nur wenig abgewinnen.

Gleichzeitig kann ich mich noch an dieses temporäre Ereignis erinnern, das uns in der sog. Tanzstunde in den 1980er Jahren widerfuhr, der Stehblues. Da standen wir pubertierenden also zu langsamer Musik herum und bewegten uns kaum. Auch das war befremdlich.

Weiter in meinem Sammelsurium an Erlebnissen fällt mir eine alte Bekannte ein, die mich herzlich und heftig umarmt, wenn sie mich gelegentlich trifft. Dies wiederum ziehe ich dieser leichten Berührung mit der scheinbar unwillkürlichen, aber gelernten Scheibenwischer-Bewegung des Armes über den eigenen Rücken vor.

Im Kern ist es wohl die Sucht nach einem kurzen Zurück in die frühe Kindheit, als die Mutter jegliche Situation des Unwohlseins mit einer Umarmung auflöste. Es ist die Aussage ‚alles wird gut‘, die damit verbunden ist.

Wir Menschen sind eben doch dem inneren Sippenzwang verpflichtet. Es sollte ein Bürgerrecht auf Umarmung eingeführt werden.

Der langweilt mich

Je länger man jemanden kennt, desto mehr steigt die Gefahr, dass er den Compagnien langweilig findet.

Gleichzeitig aber wächst damit die Versicherung der Geborgenheit mit dem anderen. Vermutlich passiert das in jeder lebenslangen Partnerschaft.

Wie ist das eigentlich in Gefängnissen? Ist es dort nicht auch so, dass die Zelle zur Trutzburg gegen die anderen Insassen wird? Dass also auch die langweiligste und isolierteste Situation Geborgenheit und Heimat schafft?

Und ist nicht die Überwindung der Änderung ein riesiger Berg, den es zu erklimmen gilt? Ist die berüchtigte Komfortzone, auch wenn sie wenig Komfort bietet, nicht noch immer ein Heimathafen gegenüber der Unsicherheit auf rauer See?

Es handelt sich also bei Beziehungen um gegenläufige Entwicklungen: zu- und auseinander. Dennoch denkt man, es sei eine lineare Entwicklung zum besseren und intensiveren Zustand – schon eigenartig!

Die Einsicht kommt erst dann, wenn die Freiheit erlangt und die Ketten über Bord geworfen sind. Dann ist ausreichend Grund für Jammern vorhanden.

Es ist so eine Sache, sich vom Alten zu trennen und zum Neuen zu kommen. In unserer Zeit des Wandels sind Halten und Rückbesinnung nicht modern, einfach nur rückwärts gewandt. Das durchzieht alle möglichen Entscheidungen, ja gar die Weltanschauung. Doch sollte das auch privaten Beziehungen gelten? Oder gelten dort nicht möglicherweise andere Regeln?

Häufig hört man von den aufreibenden Mühen, eine Partnerschaft bis ins Alter zu erhalten. Gerade sah ich das noch von David Beckham. Doch las ich das auch schon von anderen Prominenten. Insoweit können die jedenfalls diese Botschaft verbreiten, die sonst nicht gehört würde?

Amanda

Kürzlich, also eigentlich vor ein paar Wochen stand ich in einem Zug zum Flughafen auf, um den Waggon zu verlassen. Wie es so ist, blickt man gelangweilt umher in der Erwartung, dass sich endlich die Tür öffnen würde.

Mein Blick fiel auf eine Frau in etwa 20 m Entfernung. Ich konnte sie wegen meiner neuen Gleitsichtbrille nicht angemessen fixieren. Doch sie hatte Ähnlichkeit mit: Amanda. Sie ist eine Engländerin, der ich während eines längeren Praktikums begegnet bin.

Ich musterte also, so gut ich konnte, ob das Amanda ist. Die Frau schaute auch sehr interessiert in meine Richtung. Ich wusste aber nicht, ob sie mich fixierte oder vielleicht einen grünen Fleck an der Wand neben mir.

Jedenfalls versuchte ich zu verifizieren, ob das Gesicht mit meiner Erinnerung übereinstimmt. Fraglos hatte das Gesicht dieselben großen dunklen Augen, eine schlanke Form und das leicht spitze Kinn, das jedoch nie zu lang aussah. Da diese Frau dort jedenfalls sich beim Blicken umdrehte, war der Kopf die einzig mir verbleibende Vergleichsfläche.

An sich bin ich ein sehr guter Erinnerer, was Gesichter anbelangt. Von meinem Vater insbesondere habe ich dies mit bekommen. Denn der Blick auf Muster aller Art hat er bei Spielen mit meinem Bruder und mir ausgebildet. Am Ende schloss ich mit 50 : 50, dass es tatsächlich Amanda oder eben nicht war.

In der Situation hätte ich das eigentlich leicht verifizieren können. Denn mein Flug war ohnehin verspätet. Doch trieb es mich, eben das nicht zu tun. Vielleicht erwartete ich, dass diese Frau dasselbe tun würde. Oder ich wollte mir sowohl die Enttäuschung als auch das typische Gespräch nach einer langen Zeit ersparen. Vielleicht verschob ich das auch, weil ich mir dachte, sie könne mich finden, wenn ihr daran läge. Schließlich sollte klar sein, wohin ich mit dem Flugzeug aufbrechen würde.

Gut, die Chance ist vorüber. Ich mag diese Zusammentreffen einfach nicht, in denen man unmittelbar zum Erzählen der Biographie und der Bewertungen (wie: mein Leben läuft gut; Du siehst aber ‚noch‘ gut aus) gezwungen wird. Dem habe ich meine Neugierde untergeordnet. Vielleicht ist das schon das Alter, nicht mehr jedem und allem nachgehen zu müssen, sondern sonderbare Unklarheiten zu belassen.

Möglicherweise scheute ich aber auch in einer Stimmung, meine Reise einfach nur hinter mich zu bringen, ein nettes Gespräch, was einmalig bleiben würde.

Oder aber: eine Fata Morgana gibt es nicht nur in der Wüste.

Der Lebenswille schwindet

Im Alter stellen sich andere Werte ein. Denn die Marge für eigene Entwicklungen schwindet. Auch die körperliche Energie lässt nach.

Wer kennt nicht das milde Lächeln des Großvaters, der Bubereien einfach nicht mehr schelten will? Wer kennt nicht das Gesicht der älteren Kollegin, die schmunzelnd beobachtet statt einen thematischen Beitrag zu liefern? Und wer kennt nicht das ungläubige Beobachten von Senioren, wenn Kinder laut herumtollen?

Vermutlich richten wir unsere Aufmerksamkeit auch im Alter auf die Zukunft – nur anders. Man erhofft sich einen würdevollen Abgang; nicht alleine zu bleiben; oder keine Schmerzen zu haben. Vielleicht will man auch noch etwas klären, was im Leben liegen geblieben ist.

Man hat als älterer Mensch auch kein Problem, seine Gedanken zu äußern: „früher hätte mich das noch aufgeregt. Aber heute betrachte ich das nicht als wichtig.“ „Wissen Sie, ich bleibe lieber hier bei mir im Sessel; gehen Sie ruhig zu Ihrer Veranstaltung.“

Kaum ein Film, selten ein Buch haben Alte zum Gegenstand, niemals zum Helden gemacht. Es gibt da sicherlich Harald & Maude, Hallervorden als revitalisierter Marathon-Mann. Alternde Schauspieler übernehmen die ihnen von jüngeren Drehbuchautoren zugeschriebenen Rollen als Menschen mit Kraft; als Philosophen des Alltags; als Opfer der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung. Auch Leidensgeschichten wie zu Alzheimer sind darunter. Es dominiert das ‚noch‘ oder ‚nicht mehr‘. Es sind stets verzerrte Interpretationen, die nicht den ‚normalen‘ Zustand des Alterns einfachen können, sondern irgendetwas Filmreifes daraus machen wollen.

Interessant aber ist beispielsweise der Vater des schwedischen Kriminalkommissars Wallander. Auch ‚Liebe’ des österreichischen Regisseurs Harneke. Denn dort werden die Älteren nicht gewertet oder interpretiert. Der Zuschauer beobachtet nur, welche Irrungen erfolgen, wenn die definierten Rollen verschwinden.

Eine Gefahr von Schablonen ist bei der Darstellung von Altern also immer gegeben. Wenn Kunst den Zustand, alt zu sein, nicht mit Geschichten malt, dann bleibt er den Jüngeren weitgehend verschlossen. Denn ältere Menschen können nicht nach erzählen (was man gemeinhin tut) – dann sind sie schon nicht mehr. Und selbst auf Augenhöhe würde der Dialog möglicherweise nicht ausreichen, die Differenziertheit darzustellen.

Wie also Altern verstehen, wenn man nicht selbst altert? Schwierig! Denn zu häufig fordern wir intuitiv, man solle sich zusammennehmen. Oder aber es kommt einem das Totschlagargument über die Lippen, es würde schon besser werden. Das jedoch muss dem Zuhörer wie ein Witz vorkommen. Zudem ist der ältere Mensch ja nicht mehr ein Kind, das mit dumpfen Argumenten beruhigt werden will. Zwar lässt die Stärke von Denken und Physis nach. Doch ist das Bewusstsein des Erwachsenen ja weiterhin vorhanden.

 

Und schließlich gleitet die Unlust, über das Ende nachzudenken, in die Gewissheit, dass in unmittelbarer Nähe der Tod winkt. Das muss ängstigen, zumindest verunsichern. Befreit dieses Wissen den Menschen von den Fesseln eingeschränkten Denkens? Kann man vielleicht so neue Erkenntnisse gewinnen, wenn die Bewährung im Alltag unwichtig geworden ist?

 

Ich habe den Eindruck, dass die Natur tatsächlich das Leben wie den Tag eingerichtet hat. Mit dem Sonnenaufgang verspürt man Kraft und es verlangt nach Aktivität. Am Abend aber stellt sich die Müdigkeit ein, mit der man sich verabschiedet. Denken und Fühlen stellen sich ganz auf das Schließen der Augen ein. Man verantwortet dem Schlaf sein Schicksal.