Der Massentod

Wieso nur ist der Mensch angesichts großer Opferzahlen bewegt?

Tagelange Berichterstattungen folgten dem Absturz der German Wings Maschine oder dem IC-Unfall in Eschede. Auch jeder schwere Unfall auf einer der deutschen Autobahnen wird in den Nachrichten verbreitet.

Seltsam jedoch steht dem gegenüber die Nachricht, das jährlich bis zu 15.000 Todesopfer durch Krankenhauskeime zu beklagen sind sowie jährlich bis zu 10.000 an den Folgen einer Grippe sterben. Zudem gibt es pro Jahr in Deutschland 10.000 Selbstmorde zu beklagen.

Diese offenkundige Unverhältnismäßigkeit stört bzw. ruft nach einer Erklärung. Denn warum tun wir das nur? Wieso sind wir dann besonders betroffen?  Können wir uns unser eigenes Verhalten erklären?

Was bietet sich also an? Es kann sich um Unfälle handeln, politische Gewaltanschläge, natürliche Katastrophen oder Ähnliches. Es ist wohl das Besondere und das vermeintlich Vermeidbare, das uns bewegt.

Vielleicht ist unsere besondere Aufmerksamkeit aber auch banal: es mag eine Regel des modernen Journalismus sein, dass Unglücke Menschen bewegen. Dies würde wiederum auch einem besonderen Empfinden der Menschen entsprechen, das gezielt bedient wird. Oder aber wir sind dann betroffen, wenn uns jemand motiviert betroffen zu sein?

Ist es also rational, logisch rational oder emotional rational? Sind die Opferzahlen möglicherweise zu groß, als dass man sie fassen könnte? Muss man sich dann physisch die Leichen vorstellen? Ist der springende Punkt der Empfindung, dass man selbst hätte betroffen sein können, da die Menschen eben zufällig und im Alltag Opfer wurden? Ist die singuläre Ursache so interessant, dass uns der Tod von fremden Menschen regt?  Verstärkt die räumliche Nähe das sprichwörtliche Entsetzen, die angeführte Fassungslosigkeit und die Anteilnahme?

Wohl lernt man dieses Verhalten, so auch die damit einhergehenden Empfindung. Denn vergleichbare Massentode, wie sie auch immer verursacht werden, finden unter uns kaum dieselbe Betroffenheit, wenn sie sich in einer anderen Weltregion ereignen, in einer anderen Alltagskultur oder eben nur eine bloße Meldung sind.

Das Phänomen der Betroffenheit jedenfalls währt nur ein paar Tage. Denn dann ist die Nachricht aus den Medien und aus dem Kopf. Im Vergleich zu einem persönlichen Trauerfall, einem Mensch oder anderes verloren zu haben, ist die Berührung eben doch mittelfristig nichtig.

Eine Folgerung daraus ist zu ziehen ist schwierig, da uns die moderne Ethik im Wege steht, wenn wir mit uns selbst analytisch umgehen wollen. Doch schieben wir beiseite, dass eine Information zu einem Massentod Empathie provoziert, ist es uns doch schließlich gleichgültig, soweit wir eben nicht aufgefordert werden, uns berühren zu lassen.

Weiter gedacht, würde das bedeuten, dass wir uns selbst in Betroffenheit versetzen als auch unwissentlich manipuliert werden können. Es heißt aber auch, gerade bei emotionalen und ethischen Sachverhalten nachzudenken, als einfach dem Gesetz der Reaktion Folge zu leisten.

Bewertung des Todes anderer

Haben Sie schon einmal Traueranzeigen gelesen? Die sind immer voller Panegyrik, also der immer guten Bewertung. ‚Nihil nisi bene de mortibus’ heißt es dann.

Dem Leser kommen dann aus seinem Inneren Verhaltensbestimmungen, die er irgendwo herhat. Beispiele sind: Schrecklich, dass jemand so früh gehen musste! Er/Sie hatte das ganze Leben doch noch vor sich. Na ja, der war so alt, dass es in Ordnung ist. Im Alter von 50 kann man schon einmal sterben. Nun ist er sie/er erlöst; sie/er hatte ja auch keine Lust mehr.

Auch die Kommentare in den Anzeigen ähneln dem: ein erfülltes Leben; viel zu früh gegangen; in dem Alter kann man schon einmal sterben, etc.

Es gibt jedoch auch andere Kommentierungen – jenseits der Öffentlichkeit. Stellen Sie sich doch das Ehepaar vor, dass am Sonntag gemeinsam beim Frühstück sitzt: schau’ mal, jetzt ist der Horst gestorben. Ich dachte, dass der schön längst tot sei. Und die Erna; die sah ja auch immer so schlecht aus. Jetzt hat ihre Tochter wahrscheinlich erst einmal durchgeatmet. Was jetzt wohl aus dem Garten wird?

Ist das nicht reichlich Evidenz, dass man zwischen dem Wert von Menschen und der Deutung des Todes von Menschen Unterschiede macht – und das zunächst einmal alles nach dem Parameter biologischer Voraussicht? Es gibt fixe Ideen: Wer alt stirbt, hat sein biologisches Leben gelebt. Kinder und Jugendliche aber hatten nie eine Chance. Und: Das Schlimmste ist, sein eigenes Kind zu verlieren.

Gibt es Regeln dafür, dass wir den Tod so unterschiedlich bewerten? Thesen könnten sein:

  • je mehr Status der Mensch hatte, desto größer fällt das Lob aus, nicht aber der emotionale Verlust
  • einen je größeren Beitrag einem jungen Menschen zum gesellschaftlichen Leben zuzuschreiben, lässt seinen Tod bedeutsam werden, also den erwarteten Verlust zum Fixum werden
  • je mehr der Mensch ein Konsument gesellschaftlicher Versorgung ist, desto eher verweigern die Beobachter die Trauer
  • wer Böses getan hat, hat sein Leben verwirkt

Davon scheint völlig unabhängig die persönliche Kenntnis des Verstorbenen zu sein, da wohl die Bewertungen von allen kommen – es sei denn, man hat ein religiöses oder professionelles Verhältnis zum Tod.

Ich persönlich lasse mich stets von der Tristesse protestantischer Beerdigungen in den Bann ziehen, der mich wie einen Rausch oder eine Trance erfasst: es ist dann das Ambiente aus Grau, finsteren Gesichtern, der Totalität von Unwiederbringlichkeit und der Ausschluss jeglicher Zuversicht und Fröhlichkeit, die eine Trauerfeier zum wahren Trauererlebnis machen.

Aber: ist der Tod nicht jedweden Alters dasselbe Übel? Verstirbt nach 40 Jahren der Ehepartner, bricht doch wahrlich eine Welt zusammen, nicht wahr?

Auch verfehlen wir selbst stets den hohen moralischen Anspruch, den uns die Werthaltungen, besser die Verhaltenserwartungen vorschreiben. Den anderen darf man nicht am Nutzen für sich selbst bemessen. Doch kann es nicht legitim sein? mein Sohn fehlt mir sehr, da ich mich mit ihm austauschen konnte. Ich möchte nicht alleine sein. Ich habe immer so viel mit ihr gelacht.

Komisch geradezu ist die Vorstellung, dass der Tod zu Hause schöner sei! Ist er nicht gleichsam ein Schrecken? Ist für den Hinterblieben das nicht noch schlimmer, dass da in dem Bett, der geliebte gestorben ist? Oder treibt den postmateriellen Menschen die Homemade-Ideologie, alles Hausgemachte sei besser?

Verstößt man gegen die moralischen Standards und Regeln, so heißt es, man sei ‚geschmacklos’. Das darf aber nicht soweit gehen, seine persönliche Reflektion zum Tod zu unterlassen. Auch den Tod muss man würdigen wie das Leben. Schön jedenfalls ist der Gedanke zentralafrikanischer Trauerfeuern: wie feiern das Leben des Toten nochmals ausgiebig, bevor wir ihn bestatten.

Wieso gibt es keinen Plural von Liebe?

Liebe ist ein seltsames Konzept. Auch ist es ein schönes Wort, gar im Klang. Und es gibt Menschen, die gar Liebe heißen.

Wohl gibt es das Wort auch in allen Sprachen. Ob es das am meisten ausgesprochene Wort auf der Welt ist? Zu befürchten ist, dass es eher andere Worte in die Hitliste der am häufigsten gesagten Worte schaffen.

Wir kennen, was uns die Sprache liefert: die Mutterliebe, die Liebe zu einem x/y, die Liebe eines Hobbies, die Liebe zu einzelnen Empfindungen und vermutlich noch andere. Wieso gibt es eigentlich keine anerkannte Typologie von Liebe(n)? Dann kämen wir besser mit diesem Heiligtum zurecht, dass für viele das Elixier, gar der Sinn des Lebens ist.

Die Frage hier ist aber die, wieso dieses Wort, was da immer im Singular herkommt, auch immer nur eine/n Adressaten haben soll und darf. Handelt es sich um Menschen, dann liebt man letztlich doch nur immer einen oder eine? Anders darf es sein bei Hunden, bei Speisen, Sportarten, Filmen und anderem mehr. Aber bei Menschen verdichtet sich Liebe mit anderen Konzepten wie Treue und Vertrauen, Schutz und Unterstützung, Verständnis und Partnerschaft.

Relativiert wird die Grundannahme emotionalen Monopols sicherlich dadurch, dass wir in der Folge gleich mehrere Liebesbeziehungen haben können: es beginnt mit der ersten Liebe und auf dem Konto bleibt dann die große Liebe des Lebens stehen. Aber sie folgen eben einander, sie geschehen nicht gleichzeitig.

Gegen die Grundannahme ließe sich anführen, dass es vor allem in den letzten 150 Jahren auch 3er Beziehungen, offene Partnerschaften und andere Ausnahmen von der 2er Liebe gab. Aber ist das nicht alles Ausdruck der Opposition gegen einen gesellschaftlich tief verwurzelten Glauben, dass man die Liebe einer Person und einem Gegenüber zu schenken hat? So sprechen wir mit unserem Gewissen ja auch darüber, wenn plötzlich die eine durch eine neue Liebe überlagert wird: das kann doch nicht sein! Oder ist es erlaubt? Wie würde ich mich fühlen, wenn das mir passierte?

Man könnte auch den Negativ-Test machen: braucht es überhaupt Liebe? Es wäre so viel angenehmer, nicht den Entzug erleben zu müssen, ob er nun plötzlich eintrifft oder sich schleichend einstellt. Wie geht es den Menschen, die niemals geliebt haben? Sind die krank? Fehlt ihnen etwas? Auch hier wieder weiß die Gesellschaft Antwort: sie ist als alte Jungfer gestorben. Na ja, er war Zeit seines Lebens allein und ist deswegen natürlich auch schrullig geworden. Ja es mangelt dieser Person an der essentiellen Erfahrung von Liebe. Haben diese Menschen jedoch ein anderes Objekt wie einen Hund, ergeben sich wundervolle Partnerschaften.

Woher kommt diese Liebe eigentlich? Bedarf sie überhaupt des anderen? Oder ist es platonisch auch gut – oder vielleicht gar besser? Besteht Liebe aus einem Wechselspiel oder erwächst das dem eigenen Denken und Fühlen? Das Objekt der Liebe muss keinen Anteil an der Liebe haben! Dann hätte der österreichische Sänger Danzer recht. Und wenn Du mich nicht lieben willst, dann liebe ich mich alleine.

Wie fühlt man sich, wenn man geliebt wird? Ist man nicht auch voll’ schlechten Gewissens? Denn man hat begriffen, dass man selbst Ursache für den Mangel des anderen, ja seines Unglücks ist. Aber was soll man auch schon tun, wenn man nun einmal nicht in derselben Weise ‚empfindet’? Dennoch kann man sich auch im Gefühl laben, geliebt zu werden, und das still genießen oder den Liebenden zum eigenen Vorteil manipulieren.

Im ständischen Zeitalter, als man mit seines- und ihresgleichen vermählt wurde, basierte die Eheschließung auf Erwägungen, den gesellschaftlichen Rang und den sozioökonomischen Status zu erhalten und eben standesgemäß zu heiraten. In Filmen wird dann – dem modernen Zuschauer – geantwortet, Liebe entstehe schon mit der Dauer der Ehe. Aber könnte auch sein, dass es eben diese Liebe damals nicht überhaupt gab?

Historisch wurde die romantische Liebe erfunden, sie ist nichtmals 900 Jahre alt, also 40 Generationen alt. Angesichts dieses Befundes der Wissenschaften muss man sich fragen, ob denn die vielen Personen und mehr als 1.000 Generationen seit der Menschwerdung dann ohne Liebe waren.

Man kann ja empathisch gewesen sein, aus gutem Grund der Überlebenstaktik gar soziale Eigenhaften entwickelt haben oder Formen der Gemeinsamkeit ausgebildet haben. Aber gehört zu den Trupps, die nur zum Überleben erst durch die Savannen streiften und schließlich in Dörfern landeten, wirklich auch Liebe? Wo bitte hätte sie ihren Platz gehabt? Wieso gibt es eigentlich nicht ‚das’ Symbol der Menschen für die Liebe, das man in Ausgrabungsstätten überall auf der Welt finden würde? Schließlich gibt es für Geburt und Tod vieler solche materiellen Hinterlassenschaften.

Der Liebe ist kaum auf die Spur zu kommen. Sie mag ein Konstrukt sein. Das würde bedeuten, dass wir ihr hinterher jagen, weil man uns frühzeitig im Leben gesagt hat, dass es sie gebe und man sie finden müsse. Sonst bliebe das Leben unerfüllt. Ja, Leben ohne Liebe hieße, dahin zu vegetieren. Wenn dem nicht so wäre, würden wir eine Idee umsetzen wollen, die vielleicht nur abstrakt ist – wenn auch zugegeben schön!

Polittourismus

Ein Voyeur politischer Dramatik zu werden – oh je. Das will niemand, der sich als anteilnehmend und solidarisch versteht. Und doch: es passiert.  Blicke ich zurück, so sehe ich mich selbst auf Reisen in einem seltsamen Drama. So fuhr ich in diesem Jahr durch Belfast und ließ mich von den sog. Friedenszäunen faszinieren. ‚Thrill‘ wäre wohl das richtige Wort. Auch habe ich dies in südafrikanischen Kapstadt bei dem Besuch des Erinnerungszentrums für die Apartheid erlebt.

Als Deutscher ist man dieser Erinnerungskultur über: denn zu lange wurden die Gräuel der eigenen Vorfahren, ob Eltern oder Großeltern-Generationen, gezeigt. Der Deutsche der Nachkriegszeit ist durch diese ‚Schule‘ gegangen. Das Seltsame jedoch: im Gegensatz zu gleichaltrigen Franzosen oder Engländern wurde man gedrängt, sich schuldig zu fühlen. Irgendwann beginnt dagegen die innere Gegenwehr, da es eine eigentümliche Situation ist, ständig gesagt zu bekommen ’seid Eurer Schuld bewusst‘ und ‚achtet auf die Anzeichen einer Wiederholdung‘.

Nur selten erreicht der Grusel das eigene Empfinden. Mir ging es als junger Erwachsener so, als ich mich von einer Besuchergruppe in den Anlagen des Ex-KZs in Auschwitz entfernte. Plötzlich stand ich inmitten eines Raumes mit Haaren der Ermordeten. Sofort fuhr mir der Schrecken in die Glieder. Ebenso ergeht es mir gelegentlich, wenn ich verschämte oder anklagende Erzählungen von Bekannten und Prominenten höre, dass ihre Grosseltern zu Würdenträgern der Nazis gehörten. Auch erschrak ich, als ich einst einen Bericht über die Folter in Osttimor las. Es ging dabei um die Folterung eines Mannes in der Zelle nächst zu der seiner Frau. Sie musste das Stöhnen, Schreien und Klagen, schließlich das Verstummen und Sterben ihres Mannes hören. Schließlich erinnere ich mich an die Schicksale derjenigen Helfer, die bei den ersten Nachkriegswahlen Bosnien-Hercergowinas den freiwilligen Wahlhelfern halfen. Ihre persönlichen Geschichten über die Grausamkeiten ließen den Zuhörer nur noch verstummend.

Vor Ort sieht man sich plötzlich dem Konflikt und seinen Spuren gegenüber. Im Fernsehen lässt sich das fast tagtäglich verfolgen, wenn man nur die Nachrichten verfolgt. Doch die Nähe ist eine andere Qualität! Denn man befindet sich an genau dem Ort des Schreckens, kann die Örtlichkeit begehen oder gar anfassen. Dann schießen Fragen und Bilder in den Kopf, die einem bedeuten, dass die einen böse sind, die anderen aber nicht. Man sieht sich gezwungen, Stellung zu beziehen. Ich frage mich stets, ob dies jedem Betrachter so geht.

Kinder beginnen schon zu weinen, wenn sie nur einen Menschen hinfallen sehen. Der Erwachsene hingegen erstarrt und versucht zu sortieren, was denn die angemessene Reaktion auf sichtbare Grausamkeit ist. Man sieht die Grausamkeit und die Folgen der körperlichen Gewalt geradezu vor sich. Man will dies aber nicht wirken lassen. Vielleicht greift man als Tourist auch deswegen dann zur Fotokamera. Vielleicht lässt sich so verstehen, dass gar Selfies in KZ-Anlagen gemacht werden.

Doch was macht man aus dem Unbehagen? Man versteckt sie rasch in der Urlaubserinnerung und den Photos, die entstanden sind. Es verhält sich wie mit einer physischen Berührung: die Sensation der Berührung verflüchtigt sich schnell.

Ebola hier und dort

Die Berichterstattung über Ebola berührt die Ehrlichkeit der aufgeklärten Gesellschaft. Das ist zwar alles schrecklich, was den Opfern in Afrika widerfährt, aber das ist auch gleichgültig. Hauptsache ist, dass man selbst nicht betroffen wird.

Das Handeln der westlichen Regierungen, die Berichterstattung der Medien sowie die Haltung der Bevölkerung sind deckungsgleich gegenüber dem Phänomen. Es gilt der Schutz des eigenen Landes – und basta!

Am ehrlichsten brachte dies ein Interview mit einem Regierungsvertreter zum Ausdruck, der über den Einsatz neuer Medikamente sagte, dass die aber nur für die Pfleger und den medizinischen Dienst, nicht aber für die Erkrankten genutzt würden.

Was seltsam berührt, ist dieser Automatismus, „Keine Panik. Es passiert schon nichts. Wir haben alles im Griff.“ Was nur glauben die ‚Verantwortlichen‘, wie eine aufgeklärte Gesellschaft reagieren würde? Würden die Menschen auf die Straßen rennen und laut klagen? Würde die bürgerliche Ordnung zusammenbrechen? Würden die Horden andere Menschen als Ebola-Erkrankte diffamieren? Ist die Ebola-Epidemie in Afrika ein Testfall für den sozialen Frieden in Westeuropa?

Die Europäer und westlichen Gesellschaften sehen sich als potentielle Opfer. Man sollte sich nicht lustig machen, da dies eintreffen könnte, auch wenn sie keine Täter sind.

Fazit: man darf Angst haben. In seiner Sorge jedoch sollte man seine Menschlichkeit genau beobachten. Es ist wie mit der Toleranz, dass man eigentlich nur die tolerieren möchte, die schon nicht so schlimm sind. Hoffen wir tatsächlich, dass uns das Virus verschont. Aber bitte schließt die Westafrikaner in Eure Wünsche mit ein!

Blog – der Hacker

Wieso nur gibt es Hacker? Es ist das überhaupt ein Phänomen? Gibt es Hacker erst, seitdem das Internet die Möglichkeiten schafft – welcher Verhaltensweise entsprach das Hacken früher? Gibt es Hacker auch ohne Geräte?

Wenn man sich so vorstellt, welche Motive mit dem Hacken von  Computern anderer Menschen und Einrichtungen einhergehen könnten, fallen mir einige Triebkräfte ein: es ist schlicht Abenteuer. Zudem ist es Ehrgeiz zu schauen, ob man es auch schafft. Grenzen auszuprobieren gehört zur menschlichen Anthropologie. Auch hat das ganze etwas Voyeuristisches, da man Dinge sehen kann, die zur geistigen und emotionalen Intimsphäre, auf jeden Fall aber zur Privatsphäre gehören. Auch entspricht es dem Bestätigen eines Selbstbildes, selbst und alleine ohne jegliche fremde Hilfe agieren zu können. Schließlich könnte es auch sozialem Druck entspringen, zu einer Gruppe zu gehören, die sich rühmen kann, eine Technik zu beherrschen. Wer sich in der Welt der Computerspezialisten heimisch fühlt, dürfte auch anstreben, zu den Besten zu gehören.

Dass es sich um eine kriminelle Handlung handeln könnte, wird vor den Hackern vermutlich eher vermutet denn gewusst. Ernstlich würden sie auf eine Befragung hin eher von einem Kavaliersdelikt ausgehen. In der Glaubenswelt des Hackers gibt es vermutlich eine große Gruppe, die nur an einen Streich glaubt, da ja kein Schaden zugefügt wird.

Auf jeden Fall handelt es sich um eine Grenzüberschreitung, die die persönlichen und organisatorischen Grenzziehungen anderer nicht respektiert. Aus dem persönlichen und Face-To-Face-Erleben kennen wir das: wir fühlen uns unwohl, entziehen uns und distanzieren uns gar wörtlich von der Grenzüberschreitung eines anderen. Und als respektierender Mensch akzeptieren wir das auch. Denn auch wir selbst wollen ja nicht Dinge preisgeben, die wir verbergen.

Gerne würde ich allen Grenzüberschreitern einen kleinen Text zur Verfügung stellen. Darin würde ich wohl wie folgt schreiben: Lieber Grenzüberschreiter, schön, Sie begrüßen zu dürfen. Eigentlich hätte ich mich gerne mit Ihnen ausgetauscht. Doch gewissermaßen sind sie flüchtig. Ich weiß nicht, ob ich Sie interessiere oder ich nur zufällig Ihr Leben kreuze. Mich interessiert natürlich, was Sie über mich herausgefunden haben, ja auch, wie Sie mich nun beurteilen oder einschätzen. Andererseits weiß ich nicht genau, ob ich mit Ihnen nun darüber austauschen will. Denn es ist unwahrscheinlich, dass wir einander verstehen. Wir teilen wohl nicht dieselben Werte und Interessen. Denn ich persönlich würde Ihren Computer nicht hacken. Recht haben Sie, dass ich dies ohnehin nicht kann. Doch glaube ich auch, dass ich bei Ihnen nicht viel finden würde. Sie sind ja wahrscheinlich mehr bei anderen unterwegs als sich mit sich selbst zu beschäftigen. Das würde mich dann doch eher langweilen. Sollten Sie am Ende doch Kontakt zu mir aufnehmen aufnehmen wollen: Sie wissen ja, wo Sie mich finden.

Fazit: der Grenzüberschreiter ist ein Typ, dem man persönlich begegnen statt nur ablehnen sollte. Denn es ist doch interessant zu erfahren, was die anderen treibt. Sicherlich gehört Mut dazu, doch ohne Mut erlebt man eben auch keine Abenteuer. Das war schon bei den Weltumseglern so.

leeres Fest

Stellen Sie sich vor, Sie erhalten eine Geschenkebox und die ist leer! So ähnlich verhält es sich mit der Weihnachtszeit: die Verpackung kennt jeder, doch der Inhalt hat sich verflüchtigt.

Weihnachten ist zum seltsamen Ritual geschrumpft. Für die Menschen ist eine willkommene Phase der Erholung am Jahresende. Gleichzeitig ist es ‚der’ Familientag schlechthin: niemals fühlt man sich so verpflichtet, den Heiligabend im Kreise der biologischen Familie zu zelebrieren.

Nun könnte man klagen, dass Weihnachten sich stark von dem abgewandt hat, was es für den Großteil des 20. Jahrhunderts bedeutete. Doch das hieße auch, die Messlatte dort zu setzen, was einer anderen historischen Epoche entspricht.

Gleichzeitig tut man jedoch auch gut daran, an den Ursprung dieses Tages zu denken: es ist die Geburt des Religionsgründers unserer Kultur. Das Problem ist, dass die vielen Muster der Erzählungen keine Anknüpfungspunkte in unserem Alltag und Denken mehr haben: was nur ist eine unbefleckte Empfängnis? Wieso kommen Heilige aus dem Osten und bringen Geschenke? Warum muss ein Sohn des Gottes überhaupt auf die Erde kommen, um dann getötet zu werden? Und was bedeutet es nur, dass er den Menschen damit die Erlösung bringt?

Viele Journalisten und medialen Religionsvertreter schließen also, dass Weihnachten eigentlich nichts mehr mit seinem Ursprung zu tun hat. Die Glossen und Kommentierungen nehmen so auch in den Zeitungen, Magazinen, Radio- und Fernsehsendungen zu. Tja, schick ist es geworden, über Weihnachten zu lamentieren: so ist doch alles nur Kommerz! Eine wahrliche Industrie ist rund um die moderne Weihnachtsgestaltung entstanden – gibt es nicht zwischenzeitlich gar TV-specials zu den größten Weihnachtsliedern im Bing Crosby, Maria Carey, George Michael oder Chris Rea? Und treten an Weihnachten nicht die Familienkonflikte in aller Härte hervor – schnellen dann nicht die Scheidungsraten nach oben?

Doch könnte man dem mit dem berühmten Zitat entgegentreten: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern die Weitergabe der Flamme.“ Es geht nicht in erster Linie um die Aufrechterhaltung überkommener Formen des Feierns und Gedenkens.

Wir modernen Menschen haben das Glück, eine Zeit des Jahres zu verbringen, die uns mit dem Zeigefinger mahnt, an das Gute schlechthin zu denken. Zwar tut sie das dadurch, dass man Freunde und Familie beschenken soll; dass man spendet; dass man auf das Jahr zurückblickt; dass man das harmonische Miteinander und die dekorierte Umgebung schätzt. Doch das lädt uns alle ein, sich diese Zeit zu nehmen, um dem Leben schlechthin zu gedenken, die eigene Situation zu bewerten, sich Gutes zu tun, sich dem Schönen zu widmen und auch bloß zu träumen.

Es geht um unsere eigene „christliche Botschaft“! Die kann für uns recht unterschiedlich ausfallen. Doch ahnen wir, dass das Leben nicht nur Anstrengung, Problemlösung, aktives Tun und Pflicht ist. Es hat auch mit der Erfüllung eigener Sehnsüchte zu tun. Es ist auch eine Zeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen oder sich von schönen Traditionen einfangen zu lassen und so zur Ruhe zu kommen. Wir sollten sie nutzen, diese Weihnachtszeit, die nur vordergründig ausgehölt ist, soweit wir sie nicht selbst befüllen.

Darf man so tun ‚als ob‘?

Die Turnschuh- und Outdoor-nation etabliert sich dieser Tage immer mehr in dem Maße, wie der Segway uns die Bewegung erspart. Ist das ein kollektiver Selbstbetrug?

Vor Jahren ging ich in einen Laden, der Schuhe führte. Ich fragte dort nach den Luxus-Sportschuhen meiner Jugend, also Adidas Universal. Bei einem speziellen Modell fragte ich nach, ob es sich für allen möglichen Sport nutzen ließe. „Aber nein: das sind keine Sportschuhe. Das sind life style-sneakers.“

Sensibilisiert durch dieses Erlebnis begann ich mehr und mehr auf Schuh’bekleidung‘ zu achten. Wenn ich zuweilen dann in einer U-Bahn sitze, nehme ich immer mehr bunte, gar schrille Schuhmodelle und Farben wahr, die eine Form haben, als ob sie für Sport taugen würden.

Ähnliches fällt mir zu einem Witz eines befreundeten Arztes ein, der schmunzelnd von einer Umfrage berichtete. Auf die Frage ‚was tun Sie für Ihre Gesundheit?‘ war Antwort Nr. 1 ‚ich gehe zum Arzt‘. Auch hier entdeckte ich wieder diese für mich irrationale Rationalität.

Wenn sich das schon kollektiv vollzieht, wiederholt sich das nicht auf der Ebene des Einzelnen? Würde das nicht bedeuten, dass man sich ein programmatisches Selbstbild gibt, das aber faktisch falsch und nicht echt ist? Würde das Vorleben der Massen nicht auch dazu einladen, es selbst auch zu tun?

Die Begegnung dieses Phänomens lässt mich in einer Beratung immer wieder stutzen. Denn es heißt doch, auch einem Selbstbild ein Mindestmass an objektiver Reflektion und das Bewusstsein seiner Außenwirkung beiseite zu stellen.

Der Psychologe Kahnemann würde dieses Phänomen als ’normal‘ betrachten, da es tatsächlich dem Verhalten der Mehrheiten entspricht. Dennoch sollte sich der moderne Mensch auch dieses Stück an Selbstaufklärung gönnen.

Lautstärke

Wer kennt nicht den Stress bei Lautstärke? Am auffälligsten ist dies bei einer Vorbeifahrt eines lauten Martinhorns oder einem passierenden Güterzug. Auch Knalls rühren körperlich, da der Körper mitbebt.

Was aber, wenn eine Stimme oder ein Lachen schrill sind? Wie empfindet man die grölenden oder lauten Männergrüppchen in Bahnen und auf dem Weg zu einem Fußballstadion? Und wie geht man mit der lauten Musik oder deutlich zu vernehmenden Unterhaltungen in der Wohnung nebenan um?

Man ist ge-nervt und ärgerlich. Dies schlägt rasch in Aggression um. Sie kann sich gegen die Lärmquelle, aber auch gegen Dritte richten. Manchmal reicht es schon, ein Ventil zu öffnen, indem man flucht.

Man denke an Spanier, die am Strand neben einem selbst Platz finden. Sie haben rauhe Stimmen, sind ‚laut‘ und schnattern.

Ablehnung ist dem bewusst lärmenden Menschen gewiss. Das gilt auch für den mit einer lauten Stimme, der in seinem Leben eher Ablehnung als Zuneigung erfährt. Dabei kann der bewusste Lärm ein Zeichen für die Sehnsucht sein, gehört und wahrgenommen zu werden.

Eine laute Stimme – mitsamt dem Menschen und Resonanzkörper – ist aufdringlich. Der Lautstarke hat Pech im Leben, da ihm die Leisen grundsätzlich ihre Sympathie verweigern.

Der Lautsprecher-Typ ist der, welcher den anderen übertönen bis mundtot machen will. Es ist der, der in einer Unterhaltung unterbricht und immer das letzte Wort hat.

Auch ist die Lautstärke dann ein Indiz für Schwäche, wenn einfach lauter gesprochen wird. Es ist das Eingeständnis des Mangels, wenn der Deutsche schlicht lauter zu dem Fremden spricht, der eine andere Sprache spricht.

Fazit: der Laute ist nicht im Vorteil, nur weil er schneller gehört wird.

Haben Obdachlose Rechte?

Eine chinesische Weisheit beschreibt die elterliche Pflicht: wir geben Obdach, Wärme und Nahrung – was soll man auch mehr geben?

Obdachlose in Deutschland leben im öffentlichen Raum, da sie eben kein privates Quartier wie die anderen haben. Sie schlafen auf Parkbänken, unter Brücken, in Hauseingängen, Bahnhöfen, Unterführungen – eben in verschämten Ecken.

Unsere erste Reaktion ist die der Distanzierung. Denn das sind auch keine Menschen, mit denen wir aufgrund gemeinsamer Interessen und Situationen in Kontakt treten würden. Auch gibt es dieses körperliche Weichen, wenn uns ein Obdachloser nahekommt. Es entspricht unserem anthropologischen Restinstinkt, den Schmutz und oft üblen Geruch zu meiden, um Krankheiten von uns fernzuhalten.

Oft auch bilden Obdachlose und Alkohol eine Symbiose: sie sind umringt von Flaschen, sind von diesen charakteristischen roten Nasen gezeichnet, lallen miteinander oder torkeln herum.

Der zweite Blick ist der nach unten. Denn die einzige Kontaktmöglichkeit – es sei denn, man ist Sozialarbeiter – ist das Betteln um Geld oder Nahrung. Da Stadtmenschen – subjektiv – zu oft angesprochen werden, schauen sie den Obdachlosen nicht in die Augen.

Also nehmen wir die Menschen hinter der Fassade der Obdachlosigkeit nicht wahr. Es stellt sich das Grundgefühl ein, dass die eine Gruppe ausmachen, die außerhalb steht. Es ist wie mit Gespenstern, die man sieht, ohne jemals mit ihnen in Berührung zu kommen. Mit-gefühl oder Mit-leid sind so unwahrscheinlich.

Kürzlich sah ich einen Obdachlosen, der sich über Handy mit einem Bekannten austauschte. Die Wortfetzen klangen nach einem völlig normalen Dialog. Und aktuell kreuzte ich schon zum zweiten Mal einen joggenden Obdachlosen. Da dies völlig aus dem Bild fällt, ist das der Aufmerksamkeit wert.

Es hat mich schlicht gefreut, das zu sehen – vermutlich muss ich einfach meine Augen offenhalten.