Haben Sie schon einmal Traueranzeigen gelesen? Die sind immer voller Panegyrik, also der immer guten Bewertung. ‚Nihil nisi bene de mortibus’ heißt es dann.
Dem Leser kommen dann aus seinem Inneren Verhaltensbestimmungen, die er irgendwo herhat. Beispiele sind: Schrecklich, dass jemand so früh gehen musste! Er/Sie hatte das ganze Leben doch noch vor sich. Na ja, der war so alt, dass es in Ordnung ist. Im Alter von 50 kann man schon einmal sterben. Nun ist er sie/er erlöst; sie/er hatte ja auch keine Lust mehr.
Auch die Kommentare in den Anzeigen ähneln dem: ein erfülltes Leben; viel zu früh gegangen; in dem Alter kann man schon einmal sterben, etc.
Es gibt jedoch auch andere Kommentierungen – jenseits der Öffentlichkeit. Stellen Sie sich doch das Ehepaar vor, dass am Sonntag gemeinsam beim Frühstück sitzt: schau’ mal, jetzt ist der Horst gestorben. Ich dachte, dass der schön längst tot sei. Und die Erna; die sah ja auch immer so schlecht aus. Jetzt hat ihre Tochter wahrscheinlich erst einmal durchgeatmet. Was jetzt wohl aus dem Garten wird?
Ist das nicht reichlich Evidenz, dass man zwischen dem Wert von Menschen und der Deutung des Todes von Menschen Unterschiede macht – und das zunächst einmal alles nach dem Parameter biologischer Voraussicht? Es gibt fixe Ideen: Wer alt stirbt, hat sein biologisches Leben gelebt. Kinder und Jugendliche aber hatten nie eine Chance. Und: Das Schlimmste ist, sein eigenes Kind zu verlieren.
Gibt es Regeln dafür, dass wir den Tod so unterschiedlich bewerten? Thesen könnten sein:
- je mehr Status der Mensch hatte, desto größer fällt das Lob aus, nicht aber der emotionale Verlust
- einen je größeren Beitrag einem jungen Menschen zum gesellschaftlichen Leben zuzuschreiben, lässt seinen Tod bedeutsam werden, also den erwarteten Verlust zum Fixum werden
- je mehr der Mensch ein Konsument gesellschaftlicher Versorgung ist, desto eher verweigern die Beobachter die Trauer
- wer Böses getan hat, hat sein Leben verwirkt
Davon scheint völlig unabhängig die persönliche Kenntnis des Verstorbenen zu sein, da wohl die Bewertungen von allen kommen – es sei denn, man hat ein religiöses oder professionelles Verhältnis zum Tod.
Ich persönlich lasse mich stets von der Tristesse protestantischer Beerdigungen in den Bann ziehen, der mich wie einen Rausch oder eine Trance erfasst: es ist dann das Ambiente aus Grau, finsteren Gesichtern, der Totalität von Unwiederbringlichkeit und der Ausschluss jeglicher Zuversicht und Fröhlichkeit, die eine Trauerfeier zum wahren Trauererlebnis machen.
Aber: ist der Tod nicht jedweden Alters dasselbe Übel? Verstirbt nach 40 Jahren der Ehepartner, bricht doch wahrlich eine Welt zusammen, nicht wahr?
Auch verfehlen wir selbst stets den hohen moralischen Anspruch, den uns die Werthaltungen, besser die Verhaltenserwartungen vorschreiben. Den anderen darf man nicht am Nutzen für sich selbst bemessen. Doch kann es nicht legitim sein? mein Sohn fehlt mir sehr, da ich mich mit ihm austauschen konnte. Ich möchte nicht alleine sein. Ich habe immer so viel mit ihr gelacht.
Komisch geradezu ist die Vorstellung, dass der Tod zu Hause schöner sei! Ist er nicht gleichsam ein Schrecken? Ist für den Hinterblieben das nicht noch schlimmer, dass da in dem Bett, der geliebte gestorben ist? Oder treibt den postmateriellen Menschen die Homemade-Ideologie, alles Hausgemachte sei besser?
Verstößt man gegen die moralischen Standards und Regeln, so heißt es, man sei ‚geschmacklos’. Das darf aber nicht soweit gehen, seine persönliche Reflektion zum Tod zu unterlassen. Auch den Tod muss man würdigen wie das Leben. Schön jedenfalls ist der Gedanke zentralafrikanischer Trauerfeuern: wie feiern das Leben des Toten nochmals ausgiebig, bevor wir ihn bestatten.