Das Weinen

Welche Art von Weinen gibt es? Gibt es dazu eine Typologie?

Weinen ist mehrheitlich mit Trauer, Schmerz verbunden. Doch kann man auch aus Angst weinen. Ebenso existiert das Weinen aus Wut. Und gar kann Weinen Rührung bedeuten, die sich mit Freude und Glück paart.

Im Deutschen gibt es unterschiedliche Worte: wimmern, weinen, heulen, schluchzen. Es zeigt verschiedene Ausgestaltungen und Anlässe des Weinens. Noch besser: diese Worte haben einen Klang: ‚heult‘ jemand, ist das eher negativ denn jemand ‚weint‘.

Wieso Menschen wohl Wasser aus ihren Augen fließen lassen? Wieso hat uns die Natur damit ausgestattet? Was nur lässt Weinen anspringen? Ist es ein Hormon, das ausgeschüttet wird? Ist es ein Reflex?

Jedenfalls weint man nicht einfach so aus Lust und Laune, schon gar nicht gewollt – nein, man wird davon überwältigt.

Heute ist Weinen in der Öffentlichkeit peinlich. Der weinende wendet sich ab, um zu verbergen; da er glaubt, es würde Schwäche ausstrahlen. „Ein Indianer weint nicht.“ würden wir als Jungs gelehrt. Die Mädchen wurden bei häufigerem Vorkommen mit ‚Heulsuse‘ bedacht – als ob das erste Mädchen Susanne geheißen hätte.

Gleichsam gibt es auch eine Fernbedienung dazu. Konstantin Wecker sang vom einsamen Weinen. Andrew Agassi liebten die Sportreporter dafür, dass er weinte. Vermeintlich war das ein Zeichen dafür, authentisch, menschlich und ehrlich zu sein. Das Weinen ist also sympathisch geworden, eben hoffähig. In einem Film mit William Hurt (anchor man) zeigt sich, dass das öffentliche Weinen Menschen gar beeindruckt und sie sich so gezielt gewinnen lassen.

Wahrscheinlich gibt es auch medizinisch-anthropologische Studien, die nachweisen, dass Weiner länger leben und weniger häufig an Depression erkranken. Das könnte wohl war sein.

Meiner Schlussfolgerung bin ich mir unsicher, auch wenn ich sie so formulieren würde: weint mehr, meine Mitmenschen – wenn Ihr gleichzeitig auch mehr lacht und schmunzelt!

 

Das Leben als Projekt

Ich begegne immer häufiger jüngeren Menschen, die mir von Muss-Wünschen erzählen: ich muss einen unbefristeten Job haben; ich muss einen Partner finden; mir muss es gut gehen.

Wie gut kann ich das nachempfinden! Es ist grausam, sich nach der Anstrengung von Kindheit und Jugend nicht als Erwachsener fühlen zu können. Wenn die Grunderwartungen nicht erfüllt werden, deckt das die Täuschung auf.

Aber: mir scheinen die jungen Erwachsenen wie an einem ständigen Projekt ‚Leben’ zu basteln. Denn es geht der Altersgruppe immer auch um das Meistern einer Idee. Vielleicht drängt sich dieser Eindruck des ständigen Projektmanagements dadurch auf, dass tatsächlich solche Worte fallen wie ‚das wird mein nächstes Projekt‘.

Bei der Suche nach dem Partner und dem Lebensmodell fällt es mir aber auch auf: die Erwartungen sind klar definiert, ein Bild beschrieben und eine fixe Wunschliste gefertigt. Mir scheinen weder eine Offenheit der Entwicklung noch ein Raum für Kompromiss und Flexibilität zu bestehen.

Und so tendiert die Beschreibung von Erwartungen eher zu Anforderungen an die eigene private und weitere soziale Umwelt. Man fühlt sich bedrängt, so sein zu sollen, wie der oder die andere es erwartet.

Doch stärker noch bedrückt mich, was das Denken in Projekten ausmacht: Die Organisation des Lebens zu beherrschen, gestalten und verantworten zu können. Die Zuversicht ist großartig, die Hybris aber auch.

Das Denken hat ein Muster, das Mitmenschen zu Objekten eines Prozesses macht. Eine Inter-Aktion ist dann nur noch im selbst gesteckten Rahmen möglich. Das nimmt jeglicher sozialer Beziehung so viel an Spontaneität, Offenheit, Entwicklungsmöglichkeit usw. Im Kern: es ent-sozialisiert das Soziale.

Die Partnersuche wird zum ‚Autokauf‘: man schaut sich im Katalog (wie einer Partner-Seite) das Marktprodukt an, prüft dies mit den eigenen Vorlieben gegen und geht dann auf die Suche nach dem Angebot. Das Modell ist im Kopf, nur der Schnäppchenpreis (Wohnen um die Ecke und Eigentumswohnung o.a.) ist noch zu finden.

Noch entsetzlicher ist dann der Versuch, im Coaching das Projektmanagement als Grundmuster aufzubrechen. Denn ist das Coaching nicht selbst ein Projekt? Geht es nicht genau darum, ein Anliegen identifizieren, daran zu wirken und schließlich Erfolg zu haben?

Tja: wir wissen eben nicht, was wir wollen:-)

 

Generationen im Coaching

Was macht nur der Coach mit 50, wenn er auf ‚youngster’ trifft?

Man könnte sagen: was wohl? Er coacht eben wie bei den anderen auch – gehört doch zum normalen Geschäft. Das Eingehen auf das Gegenüber ist eine Grundbedingung der Tätigkeit an sich.

Hier zeigt sich aber eben doch die Herausforderung, die sich fundamental zwischen seines- und andersgleichen zeigt. Denn geht man mit Menschen um, die ein recht ähnliches wie verwandtes Wertesystem haben, sind schon alleine der Umgang und das Verständnis gegeben.

Es ist aber ganz anders, wenn ein alter Mensch um ein Gespräch bittet. Dann nämlich nimmt man an einer Reise in ein Alter teil, das man nur aus der Beobachtung kennen kann.

Oder es kommt gar eine Frau und spricht über bestimmte weibliche Empfindlichkeiten. Dann weiß man schnell, dass man nicht ein Stück faktisches oder nachempfundenes Wissen mitgeben kann.

Es wird aber ganz und gar, wenn Angehörige der Generation x, y und z um ein Gespräch bitten. Nein, lieber Leser, lieber weiterlesen: denn es gibt sie wirklich! Die Theorie sagt, dass diese jüngsten Alterskohorten (die wohl noch keine Generationen sind) Vorstellungen vom Leben mitbringen, die mir nicht nur unbekannt, und wenn bekannt, dann unbegreiflich sind. Denn plötzlich werden einem selbst ‚ewige‘ Werte in einer Manier entgegen geworfen, die darauf abzielen zu sagen, dass sie ‚absolut‘ sind, keiner Hinterfragung zugänglich sind und die nicht sehenden zu verdammen sind.

Wie nur sind Coaching, ein Verständnis oder eine Augenhöhe möglich, wenn schon die Toleranz dem Gesprächspartner gegenüber im ersten Satz negiert wird? Bis dort eine Plattform für einen guten Dialog geschaffen ist, dauert es sowohl viele Gespräche und eine Änderung des Gegenübers.

Aber soll man so schnell aufgeben? Ja, um konsequent zu sein. Und nein, da mich sehr neugierig stimmt, wie folgenden Wünsche verankert sind: „ich muss mich doch nicht anstrengen. Ätzend – was ein Konzept für ewig Gestrige! Ich möchte chillen können.“

Auch ich selbst entdecke dann in mir den Widerstand des Affektes, ähnlich einem Instinkt, den ein Tier gegenüber einem Geschehen in der Außenwelt hat: ist denn das Leben da, um sich auszuruhen? Und wieso kann man den vielen Fragen und spannenden Sachen den Rücken kehren? Wie kann man gut sein, indem man nichts tut?

Also muss ich auf einem schmalen Grat eine Wertebasis herstellen, um überhaupt einen Raum für Dialog kreiieren zu können. Oder aber ich tauche sofort in eine Wertediskussion und den Abgleich der Werte ein. Auch kann ich den Wert an sich thematisieren: was nur macht er mit uns? Und woher kommen wohl die Werte, die man seine eigenen nennt?

Totschlagargumente

Ein herrliches Wort – seit wann es wohl existiert? Eigentlich müsste es ja Mordargument heißen, da man den Gegner vernichtet sehen will.

Aber so einfach ist es dann doch nicht. Denn der Nutzer des Totschlagarguments kann mit seiner Verwendung unterschiedlichen Motiven folgen: zunächst kann es schlicht Schwäche sein, da er mit dem Niveau seines ‚Gegners’ nicht zurecht kommt; dann kann er schlicht müde oder nicht mehr gewillt sein, weiter zu diskutieren; oder aber er mag es, den anderen zu demütigen und auszuschalten, das letzte Wort zu haben. Oder er hat es eben einfach so von seinen Eltern gelernt.

Sicherlich gibt es noch eine Reihe plausibler Gründe, Totschlagargumente zu nutzen.

Beispiele sind: Das ist doch logisch! Das war doch schon immer so! Natürlich habe ich recht! Das ist eben gesunder Menschenverstand! Sie haben keine Ahnung!

Es ist schade, dass diese Geister des Totschlags noch immer ihr Unwesen treiben. Sie sollten besser exkommuniziert oder verfemt werden. Besser natürlich wäre, dass man die Kunst des Austausches in den schulischen Lehrkanon aufnimmt. Was in England für eine Bildungsschicht funktioniert, geht hierzulande in der Rezeption von ‚Unterm Birnbaum’ unter. Der Dialog, das Gespräch, die verbale Auseinandersetzung sind ein zentrales Instrument, um seinen Weg in der Gesellschaft zu machen. Denn es bedeutet ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Autonomie in einem sozialen Konflikt.

Interessant ist auch, wie man mit solchen Totschlagargumenten umgeht. Meist wird die Sachlichkeit empfohlen. Doch wie soll das gelingen, da ja der Opponent gerade die sachliche Ebene verlässt? Es ließe sich auch offen auf einer dritten Ebene ansprechen, dass dies ein Totschlagargument ist, um zu sagen, dass dies ein einseitiges Ende des Dialoges bedeutet. Man könnte offen anschließen, dass man anders fortfahren müsse.

Wer daraus ein Spiel macht, kann einfach bessere eigene Totschlagargumente finden. Dann aber ist es kein Dialog mehr, sondern nur noch ein Kampf um das letzte Wort!

Vielleicht bebildert man das Geschehen mit einem Ringen. Die Sportler sind die Gesprächspartner, die Mittel die Worte. Nutzt einer ein Totschlagargument, wird er disqualifiziert.

Systemiker

„Denken Sie doch ‚mal mit!“, könnte ein Satz sein, den ein Vorgesetzter einem Mitarbeiter hinschleudert. Er meint damit, nur in den Grenzen seines Aufgabenbereichs unterwegs gewesen zu sein, ohne die Folgen zu bedenken. Das dürfte sich nahezu in jedem Betrieb einmal täglich ereignen.

Mitdenker sind eine eigene Spezies von Mensch. Sie versuchen die Folgen ihres Handelns und auch das anderer mitzudenken. So haben sie den Kurs, ja das Schicksal der größeren Einheit im Blick. Sie antizipieren Prozesse und Folgewirkungen.

In Betrieben, aber auch anderen Einrichtungen ist man auf solche Menschen einerseits angewiesen, andererseits verachtet man sie. Meist werden die Mitdenker Querdenker oder Außenseiter.

Dennoch ist es positiv, dass es einige gibt, denen das Schicksal aller und der Einrichtung insgesamt ein Thema ist.

Negativ ist, dass viele Anfeindungen die Mitdenker treffen. Denn der Mitarbeiter an sich konzentriert sich auf sein Tätigkeitsfeld. Und er findet diese seltsamen Mitdenker, die sich als Strategen präsentieren, überheblich. Denn Strategie darf nicht Sache von ‚Herrmann’, sondern einer Person mit irgendeiner herausgehobenen Position, in der Regel einem Vorstand. Mitdenker erheben sich nach dem Verständnis der Mehrheit über ihre ‚eigentlichen‘ Aufgaben und spielen Unternehmenslenker, obwohl sie doch keine sind.

Auch untergraben sie das Bemühen der Mehrheit, ihre spezifischen Aufgaben gut zu erledigen. Die Mehrheit hat keine Lust, ’systemisch‘ zu denken: vielmehr reicht es, den eigenen Handlungsraum gut zu erfüllen.

Eine Wahrheit ist: Die Mitdenker muss man hegen und pflegen, da sie eine wichtige Rolle spielen. Sie sind eine vernachlässigte, angefeindete und vereinsamte Gruppe der Belegschaft: „ein Hoch auf den Mitdenker!“

 

Halo-Effekt

Kennen Sie das? Sie treffen einen sympathischen Menschen. Sie sind begeistert und angetan, voller Freude. Sie mögen sie/ihn. Sie bestärken auch in der Unterhaltung seine Meinungen und Thesen.

Selbst wenn sie oder er dann politisch inkorrektes Zeug erzählt, erklären Sie sich das als schlaue Provokation oder witzigen Zynismus. Selbst wenn das Fehlverhalten offenbar wird, entschuldigen Sie das vor anderen und sich selbst damit, dass er es nicht so gemeint hat oder es einfach nur ein Ausrutscher war.

Es passiert häufig, vom sympathischen Äußeren darauf zu schließen, dass jemand auch als Wertebündel ok ist. Da kommt der blonde Mann oder die blonde Frau, freundlich, positiv, geradeaus, zugewandt. Man ist versucht, dass unter ‚positiv‘ abzuhaken. Der Berliner würde sagen: ick steh‘ auf den Typ! Der is klasse.

Und plötzlich öffnet sich in meinem Kopf die Schublade, die überschrieben ist mit: alles, was die/der tut, ist gut.

Die Einteilung in gut und schlecht ist sicherlich in der Evolution wichtig gewesen. Die ererbte Anthropologie jedoch ist ein Feind der Differenzierung in sozialen Kontakten, die eben vielfältiger als die Freund-Feind-Problematik sind.

Auch wenn der Mensch es gerne einfach hat, so ist er doch auch das Wesen, das die Entdeckung liebt.

Fazit: wenn ‚halo‘ droht, wecken Sie sich mit einem kräftigen ‚hallo‘ wieder auf!

Die Hand auf der Wange

Ich habe so wenig Erinnerung an meine Kindheit: da gibt es nichts, was sich vor meinem inneren Auge als Bild ausbreitet. Interessant ist, dass ich auch nichts Schreckliches oder Traumatisierendes in Erinnerung bringe. Es ist – schlicht nichts.

Man ist jedoch immer auf der Suche nach den ersten Zeichen seiner Selbst in der eigenen Erinnerung. Eine solche Erinnerung könnte als Element der Identität dienen. Vielleicht vermisst man sich auch einfach gerne enzyklopädisch. Oder man will der ersten Erinnerung ein erklärendes Element für sein Leben aufdrücken.

Meine ersten bewussten Erinnerungen sind Herumtollen, das Liegen im Bett oder die Unstet von Erkrankungen.

Doch gibt es Empfindungen, die zeitlich früher liegen und mir noch etwas sagen: der Geruch in Omas Wohnung; die Hitze auf dem Hintersitz im Auto; der Ekel, wenn Mutter mir mit einem angespuckten Taschentuch die Mundwinkel reinigte; oder das Fieber, das mir so unerklärlich unangenehm war.

Noch früher jedoch ist das Gefühl geboren, das mir ein warmes Grundgefühl gab: die große Hand meines Vaters auf meinem Kopf: sie erfasste meinen ganzen Kopf. Es war wahnsinnig bestimmend, ruhte diese Hand auf mir. Denn es fixierte mich dort, wo ich stand. Aber ich wusste auch, das jemand ‚von oben‘ aufpasste.

Ich mochte das, obwohl ich eigentlich keine überflüssigen Schmusereien goutierte. Es war ein distanziertes, aber auch ein schützendes Zeichen meiner Umwelt.

Auch mochte ich eine schützende Handinnenfläche auf eine meiner Wangen.

Man muss sich fragen, wieso eigentlich diese Geste kaum mehr im Erwachsenenalter existent ist. Es gibt nur noch die älteren, die es wagen, einem Zugeneigten die Hand auf die Wange zu legen oder beide Hände in die eigenen zu schließen.

 

Staat und Unternehmen, diese Teufel

Es gibt – fast – nichts Alltäglicheres als die Beschimpfung des Staats und der Wirtschaft. Eigentlich „trifft es immer die richtigen“, könnte man denken. Denn es ist eine wesentliche Tugend moderner Öffentlichkeit, auch schwarze Schafe zu identifizieren – und gerade diese.

Doch haben Staat und Wirtschaft eine eigene Persönlichkeit? Beschimpft man gleichzeitig auch die Menschen, die die beiden Konzepte ausmachen? Sind es dann auch die Beamten? Und sind es auch die Arbeiter? Oder gibt es Kreise, die Staat und Wirtschaft so manipulieren, dass man sie als die eigentlichen Missetäter herausnehmen könnte?

Anhand eines Betriebes ist es mir rätselhaft zu identifizieren, wer die Bösewichter sind, die gesellschaftliche Moral konterkarieren, ohne gleichzeitig eine rationale und nachvollziehbare Begründung für Ihr Handeln akzeptieren zu müssen. Denn das Streben nach Gewinn – mitsamt aller dafür konstituierenden Rahmenbedingungen – ist doch, was nicht nur sie ausmacht, sondern den Menschen auch ‚Brot und Arbeit‘ gibt.

Dennoch trifft die Unternehmen die Verdammung vieler: sie würden keine moralischen Werte vertreten; sie würden keine Gerechtigkeit verbreiten; sie würden nur Geld nachjagen; die wären nicht demokratisch und und und

Aber warum sollten sie auch? Irgendwie werden menschliche Qualitäten anderen Bereichen zugeordnet, die dort nichts zu suchen haben. Sollte man auch Tiere damit belegen? Oder Maschinen? Sollten wir die Regeln für unser soziales Zusammenleben auch solchen Aspekten des Lebens überstülpen, die eben keine Menschen sind?

Auch sind die Kritiker befremdlich, die den Wohlstand für selbstverständlich nehmen und seine Basis gleichzeitig verdammen, ohne eine Alternative zu kennen. Wenn die herkömmliche Wirtschaft ’schlecht‘ wäre und ausgesorgt hätte, wer sorgt für die Existenzgrundlage? Werden sich Verdienst und Geldmittel von alleine einstellen? Wie könnte das gehen?

Nur wer seinen ‚Feind‘ versteht, wird auf ihn eingehen – und letztlich ändern können. Wie viele Denker haben das nicht auch schon gesagt? Man denke an Rudi Dutschke’s ‚Marsch durch die Institutionen‘ oder Bloch’s Diktum ’nur ein guter Atheist ist ein guter Christ‘.

Also , liebe Verdammer von Staat und wirtschaft: versucht die zu verstehen und Euch zu verorten!

Rührung

Es gibt diese Sequenzen, in denen Menschen in Rührung verfallen.

Meist passiert das mit Blick auf eine starke Emotion, sei es eine negative oder eine positive. Wenn kennt nicht die Rührung der Eltern, deren Kind gerade heiratet? Oder aber dem Jungen man, der seine Mutter zu Grabe tragen muss?

Das Wort Rührung zeigt schon allein, dass die Stabilität des Normalzustandes außer Gleichgewicht gerät. Die stabile Lage wird eben Instabilität und ‚gerührt‘. Das Gefühl der Regung ist vollkommen, da die innere Stimme schweigt, die sonst sagen würde „aber jetzt halt einmal“.

Es gibt Menschen, die sagen, sie seine ‚nahe am Wasser’ gebaut. Ein Zeichen von Rührung könnte sein, feuchte Augen ob eines Erlebens zu bekommen. Statt dies als eine interessante Erhörung zu empfingen, entschuldigt man sich eher bei seinen Mitmenschen.

Dabei ist Rührung ein komplettes Gefühl, wie etwa ‚Gänsehaut bekommen‘. Auch dabei lässt sich schwer entscheiden, ob das Gefühl schön oder nicht ist. Auch der Schauer des Regens oder der kalten Dusche erfasst vollkommen den Körper, ist erschreckend total und irgendwie schön zugleich.

Sagt man, „gerührt gewesen zu sein‘, zeigt dies, dass ein Wesenskern berührt wurde. Gut oder schlecht – auch das ist egal. Doch für Menschen, die einen Alltag leben, der die Konvention der Vielen zu seinem eigenen Standard macht, kann es gut tun sein zu spüren, dass es auch ein anderen gibt als denjenigen, der nach außen seine Funktionen erfüllt und seine Sozialisierung abruft. Denn so darf auch sein innerer Kern für einen Moment befreit werden. Nur was wahrlich bedeutsam ist, rührt den Menschen. Auch die Ausnahme an sich von der Regel, keine Rührung zu erfahren, kann wohltun. Etwa so wie ein anstrengender Urlaub, der eben Routine und Bekanntes durchbricht.

Manche Menschen scheinen Rührung zu konzipieren, ohne darauf zu warten, dass sie an die Tür klopf und hereinkommt. Es sind diejenigen, die spirituelle Handlungen vollziehen, um die Rationalität und das gegenwärtige Denken zu vertreiben.

Aber auch Sport stellt eine Rührung dar. Es gibt diesen Ausdruck des ‚runners high’ für Läufer, die sich wie in Trance durch die Umgebung bewegen: sie haben dann keine Gedanken oder Probleme mehr im Kopf, denen sie zu folgen haben. Vielmehr ist der „Kopf leer“ und befreit. Der eigene Körper aber sorgt dann dafür, Rührung zu erfahren.

Bei Rührung assoziiert man auch leicht das Bild des Soldaten, der sich in Drill und Fremdbestimmung bewegt. Dann sagst der Kommandeur „rührt euch“ und plötzlich ist man nicht mehr Soldat, sondern Mensch. Denn das Regelwerk steht still.

Blicke ich auf mich selbst, so weiß ich keinen Moment der Rührung zu erinnern. Was mir das sagt, kann ich nicht entscheiden. Irgendwie jedoch bin ich nun neugierig geworden, darauf zu achten. Wie häufig spüre ich Rührung? Wie oft käme das wohl in meinem Tagebuch vor? Und was würde aus dem Tage, an dem ich Rührung empfunden hätte?

 

Unumwundenes Gutgehen

„Mit geht es gut: aber ich traue mich nicht, das laut zu sagen.“

Vielen Menschen kommt ein solcher oder ähnlicher Satz über die Lippen. Denn sie trauen sich nicht, das ‚Glück herauszufordern‘. Man muss sich dann als Zuhörer fragen, ob das vielleicht Aberglaube ist.

Mich erinnert das an diese dramatische Aussage, dass man als Überlebender eines KZ niemals wieder ruhig bleiben konnte, da man ja – im Gegensatz anderen – nicht gestorben sei. So fühlen sich offenbar auch Überlebende einer Katastrophe oder eines Unfalls, die nicht zu den Opfern gehören.

Anders ist es, wenn Menschen Hochzeit feiern. Dann ist es ein Muss zu sagen, dass dies der schönste Augenblick im Leben ist. Deswegen heißt es dann wohl auch ‚Hoch’zeit.

Also was steckt wohl dahinter, dass man sich nicht traut? Kann es sein, das dies damit zu tun hat, Deutscher zu sein? Dann in Frankreich oder in Italien sagt man ses ich ständig ein oder fordert auch andere dazu auf zu sagen: „das Leben ist schön“. In Deutschland hingegen geht man wohl davon aus, dass alles perfekt sein muss, aber nie ist. Deswegen kann man auch nicht zufrieden sein.

Es gibt nun auch Völker oder eben Menschen, denen eine Stimmung eigen ist, stets ein trauriges Antlitz und Gepräge zu geben. Man denke an die Schwermut des Tangos in Argentinien. Man denke an den Blues, der nichts anderes ist, als mit dem Hadern des Schicksals zurechtzukommen. Vielleicht will man es weg singen, kultiviert es aber wohl eher. Dann muss man wohl auch feststellen, dass die Russen schlicht schwermütig sind. Sie fangen nach ein wenig Alkohol an, so zu singen, dass man als Nicht-Russe am liebsten weinen würde.

Vielleicht greift aber auch so etwas wie eine immanente Logik: wenn ich glaube, dass es mir unumwunden gut geht, dann kann es ja keinerlei Positives mehr geben.

Irgendwie will gelernt sein zu sagen, dass es einem gut geht. Erkrankt man so, dass man sein Leben nicht mehr ungehindert führen kann, dass man Schmerzen hat oder gar Ängste um sein Leben haben muss, dann ist man nach der Gesundung erlöst und befreit: es geht einem wieder gut. Das wäre auch eine Logik: hat man nie ein Tal der Tränen durchlaufen, kann man auch kein Hochgefühl erfahren.

Gerade unter jungen Leuten ist es schwierig, sich in seinem Gutsein zu sonnen: man leidet keinen Hunger, keine Gewalt, keine Optionen. Und dennoch ist man nicht zufrieden, wenn auch nicht unzufrieden. Man kann es einfach nicht ein-schätzen.

Ein Hinweis der Glücksforschung könnte uns bei der Freistellung beistehen: denn Glück ist kein permanenter Zustand, sondern eine rhythmische Reihung, eine ständige Wiederkehr von Glücksmomenten. Beschränkt man sich darauf, dürfte man auch sagen, dass es einem an nichts fehlt – schlicht gut geht.