Die Hand auf der Wange

Ich habe so wenig Erinnerung an meine Kindheit: da gibt es nichts, was sich vor meinem inneren Auge als Bild ausbreitet. Interessant ist, dass ich auch nichts Schreckliches oder Traumatisierendes in Erinnerung bringe. Es ist – schlicht nichts.

Man ist jedoch immer auf der Suche nach den ersten Zeichen seiner Selbst in der eigenen Erinnerung. Eine solche Erinnerung könnte als Element der Identität dienen. Vielleicht vermisst man sich auch einfach gerne enzyklopädisch. Oder man will der ersten Erinnerung ein erklärendes Element für sein Leben aufdrücken.

Meine ersten bewussten Erinnerungen sind Herumtollen, das Liegen im Bett oder die Unstet von Erkrankungen.

Doch gibt es Empfindungen, die zeitlich früher liegen und mir noch etwas sagen: der Geruch in Omas Wohnung; die Hitze auf dem Hintersitz im Auto; der Ekel, wenn Mutter mir mit einem angespuckten Taschentuch die Mundwinkel reinigte; oder das Fieber, das mir so unerklärlich unangenehm war.

Noch früher jedoch ist das Gefühl geboren, das mir ein warmes Grundgefühl gab: die große Hand meines Vaters auf meinem Kopf: sie erfasste meinen ganzen Kopf. Es war wahnsinnig bestimmend, ruhte diese Hand auf mir. Denn es fixierte mich dort, wo ich stand. Aber ich wusste auch, das jemand ‚von oben‘ aufpasste.

Ich mochte das, obwohl ich eigentlich keine überflüssigen Schmusereien goutierte. Es war ein distanziertes, aber auch ein schützendes Zeichen meiner Umwelt.

Auch mochte ich eine schützende Handinnenfläche auf eine meiner Wangen.

Man muss sich fragen, wieso eigentlich diese Geste kaum mehr im Erwachsenenalter existent ist. Es gibt nur noch die älteren, die es wagen, einem Zugeneigten die Hand auf die Wange zu legen oder beide Hände in die eigenen zu schließen.

 

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