Die Antreiber und ich

Die Antreiber sind ein gleichzeitig faszinierend einfach und erleuchtendes wie aber auch eingeschränktes Modell vom menschlichen Handeln. Die Transaktionsanalyse hat mit ihnen einen wichtigen Beitrag geliefert, soziale Interaktionen zu erhellen.

Bei meiner ersten Begegnung mit dem Konzept durchlief ich auch ein paar Fragen, um zu testen, welchem Antreiber ich mich am meisten zugehörig fühle. Man sagte mir, dass man eben den der perfekten Antreiber habe, wenn man sich nicht entscheiden könnte. Auch sagt man, dass sich in Not und Hektik automatisch der dominante Antreiber einstelle.

Was gibt es alles an Antreibern? „Sei (immer) perfekt!“; „Sei (immer) stark!“; Streng Dich (immer) an!“; Mach es anderen (immer) recht!“; Beeil Dich (immer)!“. Das sind die Klassiker.

Nun habe ich den Eindruck, dass diese Antreiber nicht alles sind, was mich kennzeichnet. Denn ich kenne diesen Wink zum Handeln in – mehr oder minder – sich wiederholenden Situationen. Sehe ich jemanden in Not, so stellt sich bei mir eine Art Schutzpflicht ein. Sie gleicht stark dem Hang des Erwachsenen, ein Kleinkind mit äußerster Vorsicht zu behandeln und einen Säugling zu streicheln und anzulächeln. Im sozialen Umgang höre ich häufiger die innere Stimme, gerecht zu sein. Meist führt das dann dazu, den Stärkeren auf’s Korn zu nehmen, wenn er seine Stärke jemanden anderem gegenüber ‚miss’braucht bzw. aufzwingt. Und auch höre ich den Wink, ein Mehrwert für die anderen zu sein und den Kontakt zu einem anderen zum eigenen Mehrwert für sich selbst zu machen.

Geht es um Einstellungen zu Dingen und Situationen, kenne ich den leisen Wunsch, wirksam zu sein. Das führt auch letztlich auch dazu, eine Herausforderung erst gar nicht anzugehen, wenn ich weiß, das ich ihr nicht Herr werde. Typisch dafür ist ein technisches Problem, das sich mir in den Weg stellt. Ich könnte damit kokettieren, wie es viele tun, die der technischen Grundoperationen nicht mächtig sind. Doch kann ich es einfach nicht!

Im Umkehrschluss zu meinen Antreibern verspüre ich in mir Kräfte, die genau das Gegenteil bewirken. ‚Abtreiber’ könnte man sie nennen, oder auch Mißstimmer oder Anhalter.

Bei einer Erörterung von Antreibern muss man wohl auch die kulturelle Abhängigkeit sehen, die aus einem typisch mitteleuropäischen Biedermeier stammt. Es ist das Konzept der guten Benehmer, der Braven, der Moralperfektionisten.

Zudem ist es blind für den sozialen Wettbewerb: ein Unternehmer oder Sportler würde wohl sagen ‚sei besser als die Konkurrenten’. Das ist doch ein lebensimmanentes Prinzip, das wohl täglich seine Geltung in unserem Handeln entfaltet. ‚Sei hübsch’ oder ‚werde begehrt’ könnten andere sozialen Antreiber sein, die gerade in der Pubertät ihre Wirkung entfalten.

Das Modell der Antreiber erledigt sich vielleicht nicht mit den 5 Klassikern. Man sollte prüfen, welche die eigenen sind.

Gratifikationskrise

Der Begriff der Gratifikationskrise klingt irgendwie elegant. Das Gefühl, sie zu durchleiden, hingegen ist eine Qual.

Im Kleinen kennen wir das schon aus Kindertagen und Jugendzeiten. So stehen wir dann auf der Kletterburg und schreien ‚Mama‘, weil sie mich für den Aufstieg loben soll. Ja, ich brauche dann diesen Schub an Lächeln und Zusprechen, um zu wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Und so ist mein weiterer Lebensweg gezeichnet von dieser Suche nach Lob und Aufmerksamkeit. Diese Währung ist wichtig, oft wichtiger als Hartgeld. Denn ohne das OK des Gegenübers bin ich ein-sam. Dann verliere ich zusehends an Selbstgewissheit, dass ich dazu gehöre.

Im Großen ist es meist ein langjähriger Prozess, der mit einem Engagement verbunden ist, aber keinerlei Aufmerksamkeit derer erfährt, der auch davon profitiert. Nehmen wir denjenigen, der einen Angehörigen pflegt. Er wird mit Sicht auf das Elend, das Mitleid mit den Kranken gar mit Garstigkeit bestraft. Es ist ja nicht so, dass man sich nach verrichtetem Tagwerk dann auf die Kante eines Betts setzt, um sich selbst Dank auszusprechen oder sich zu loben. Wer hat sich schon einmal zurückgezogen und hat vom Glücksgefühl des Alltags taggeträumt?

Im beruflichen Alltag gibt es Gratifikationskrisen, die typisch für die Wege einer Laufbahn sein können. In den Jahren nach der Ausbildung klotzt man, arbeitet aus Leidenschaft und genießt es, ein Fachgebiet zu beherrschen. Das Glück der Routine sowie Erfolge über Risiken stellen sich ein. Man will auch, dass dies wahrgenommen wird – von all denjenigen, die ‚wichtig‘ sind. Das sind die Vorgesetzten, Konkurrenten, Freunde, Familienmitglieder. Das Publikum soll reagieren.

Es ist schon schlimm, wenn das ausbleibt. Es kann aber auch durch die Änderung von Rahmenbedingungen unmöglich gemacht werden. Das vollzieht sich fast regelmäßig, wenn ‚Change‘ passiert. Denn dann ist die Vergangenheit plötzlich nichts mehr wert, wird – schlimmer noch – verteufelt und verurteilt. Plötzlich stehen Lebensleistungen auf dem Spiel, schließlich am Pranger. Das kann ganze Abteilungen treffen.

Im Falle der DDR traf das eine ganze gesellschaftliche Schicht. Der Fall der privilegierten Klasse aus großer Höhe ist nur schwer zu verkraften. Denn seine Identität als ‚Normaler’ wird plötzlich in Frage gestellt.

Es zeigt sich aber noch treffender, wenn eine ältere Fachkraft auf eine jüngere und neue Führungskraft trifft. Dann passiert kein Ausgleiten und Stopp, sondern ein aktiver Prozess der nicht-Anerkennung. Die neue Führungskraft will zeigen, dass sie durchsetzungsstark ist. Auch will sie neue Akzente setzen und sich von der Zeit zuvor absetzen. Viele gefallen sich dann im Bild desjenigen, einen eisernen Besen zu führen – wir Deutsche sind diesem Bild gegenüber ziemlich aufgeschlossen.

Das stürzt vormals souveräne Menschen in eine Krise. Die Hilflosigkeit zeigt sich an den Sätzen im Konjunktiv: ohne mich wäre das so niemals aufgeblüht; ich habe das aufgebaut; früher hatten wir einen Vorteil in y. Doch das Publikum wird dem Neuen huldigen und schließlich entnervt sein, denn der Alte immer wieder jammert.

Man kann darüber erkranken wie der kleine Junge auf der Kletterburg. Spätestens dann muss man als Älterer die Situation nachzeichnen können, den Rahmen und die Entfaltung der Dynamik verstehen. Gratifikation heißt denn auch, sich selbst beglückwünschen zu können, das man eine frühere Chance auf Entfaltung hatte.

 

Der Rüpel

„Trump kann austeilen, aber nicht einstecken. Das ist typisch für Rüpel.“ Das hörte ich bei einer Radiosendung nach einem dieser Termine im Vorwahlkampf 2016.

Natürlich ist dieses Verhalten uns allen bekannt. Bemerkenswert finde ich die Verbindung zwischen dem Wort ‚Rüpel‘ und diesem Verhaltenstopos. Denn zunächst kürt man die Routine mit einem Wort, das vermutlich überall – bis auf Texas – als Schimpfwort gilt.

Zweitens aber entlarvt es auch des Rüpels Schrägheit und Imbalance. Er ist eben ein Ausschlag in die eine Richtung, die wir überhaupt nicht mögen. Und die andere Richtung ist dem Pendel verschlossen.

Vermutlich brauchen eine Gruppe oder eine Gesellschaft Rüpel. Man kann sich an ihnen abarbeiten, in dem man sie als Modell für schlechtes Verhalten aufbaut. Man kann sich von ihnen distanzieren, um sich besser zu fühlen. Man kann sie gegen andere Rüpel einsetzen, um sich selbst zu schützen. Man kann sie als Kämpfer bei gewaltsamen Auseinandersetzungen oder im Sport einsetzen.

Einmal Rüpel, immer Rüpel? Wer schon einmal eine Rüpelei begangen hat, weiß, wie es ist. Vielleicht findet er Gefallen daran. Doch im Regelfall merkt auch ein törichter Rüpel, dass er vereinsamt, weder Bewunderung noch Aufmerksamkeit erhält. Dann ändert er zuweilen sein Verhalten, um etwas Gegenliebe zu erhalten.

Ob es wohl Menschen gibt, die Rüpel heißen? Tatsächlich tragen die dann ganz normale Namen, wie Karin oder Horst. Blickt man schon die Wortgeschichte, so stellt man überrascht fest, dass Rüpel eine Koseform von Rupprecht ist. Also ist das doch tatsächlich gut gemeint.

Man sieht: die Rüpel sind Außenseiter, die auch etwas Gutes an sich haben können.

Von Moral und Moralisten

Prominente, die einer Wahl für ihre Stellung bedürfen, müssen besondere Maßstäbe an ihr soziales Verhalten anlegen. Sonst werden sie rasch an den Pranger gestellt, um ihr Fehlverhalten mit der imaginären Moral zu spiegeln, die gar nicht mehr existiert.

Zuletzt ging es so Volker Beck, einem Spitzenpolitiker der Grünen Partei. Er wurde mit 0,6 gr Crystal Meth von der Polizei erwischt, als er aus der Wohnung eines Drogendealers kam.

Die Reaktionen zu Volker Becks anschließendem Rücktritt fielen hart aus: „Beck haut sich die Birne weg“. „Er hat in seinem Politikerleben immer ausgeteilt. Nun wird er selbst Zielscheibe des Tadels.“ „Mit seinem hohen Anspruch muss er nun selbst erst einmal zurecht kommen.“

Das alles folgt dem Satz: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Auffälliger war aber die Diskussion dazu, für welche Dimension des Fehlverhaltens man Beck verantwortlich machen sollte. Der Besitz von dieser Kleinstmenge an Drogen ist nichtmals strafrechtlich relevant. Niemand anders wird dadurch gefährdet. Gedealt hat er auch nicht. Wofür also sollte man Beck schelten?

Parteifreunde und -feinde wetteiferten jedoch in Distanzierung und Verurteilung. Schließlich standen aus Landtagswahlen an.

Worte des Bedauerns fielen nicht. Wenn ein Alkoholiker krank ist, wieso nicht dann auch ein vermeintlicher Drogenabhängiger? Nur weil er ein Prominenter ist? Oder ein prominenter Politiker?

Tatsächlich gleicht das alles dem mittelalterlichen Prozedere von Beschuldigung, Verfolgung, Pranger, Scheiterhaufen. Zwar kommt man heutzutage mit dem körperlichen Leben davon. Dafür wird dem ‚Täter’ aber die Lebensgrundlage entzogen, da sein öffentlicher Ruf, sein Leumund ruiniert sind.

Liegt dazwischen nicht die Aufklärung?

Jeder andere Mensch wird mit anderen moralischen Benchmarks gemessen als diejenigen, die in der Öffentlichkeit stehen. Ist die Aufrechterhaltung doppelter Maßstäbe nicht irrational?

Zwischenzeitlich gehen mir selbst auferlegten Sanktionen und das Zuvorkommen eines öffentlichen Dialogs einigermaßen auf die Nerven. So scheuen viele Prominente nach einem vermeintlichen Fehler ihre Selbstverteidigung in der Öffentlichkeit. Das konnte man bei Margot Käßmann sehen, aber auch bei Sebastian Edathy. Ich bedauere das. Denn gerade die öffentliche Auseinandersetzung hätte doch einen Gewinn. Mit der ‚öffentlichen Verurteilung’ muss man dann vielleicht nicht mehr leben. Und hat das nicht auch mit einer gesunden Fehlerkultur zu tun? So hat die Privatinsolvenz einen enormen Fortschrift gebracht: den es ist kein ‚lebenslänglich’.

Brauchen wir nicht auch die gesamte Breite der Gesellschaft in der Politik? Verschwenden wir nicht Talente? Zerstören wir nicht auch Menschen?

‚Fehl’verhalten setzt Fehler voraus. Menschliche Fehler sind ebenso relativ wie Fehler beim Ausfüllen einer Rolle. Man könnte natürlich sagen, dass die Fehlerbeurteilung abhängig ist vom kulturellen Rahmen. In einer Welt jedoch, die sich vermischt und die Menschenwürde unabhängig von der gesellschaftlichen Geltung eines Menschen gesetzt ist, hat diese kulturelle Prägung nichtmals einen erklärbaren Sinn mehr.

 

Lächler

Es gibt Menschen, die ein unentwegtes Lächeln im Gesicht haben. Mir fällt ein ehemaliger Vorgesetzter ein, der immer irgendwie schmunzelte. Ich wusste nicht, ob das ein aufgesetztes oder echtes Lächeln war.

Roger Willemsen, den vermutlich viele kennen, war ein anderer dieser Lächler. Er konnte eine gesamte Talkshow hindurch lächeln. Es gibt aber auch Lächler-Profis, wie Eiskunstläufer, Tänzer, Geistliche und andere, die mit ihrer professionellen Rolle das Lächeln zum Dauerzustand machen.

Ich habe Argwohn, wenn ich solche lächelnden Menschen treffe. Ich denke dann, sie wären arrogant oder würden sich lustig über mich machen. Denn es ist so ungewohnt, dass sich mutmaßen ließe, diese Menschen seien durch den Konsum von Drogen in diesem Zustand.

Zwischenzeitlich habe ich verstanden, dass Menschen sich bewusst für ein Lächeln entscheiden können. Das gilt wohl nicht für die ohnehin freundlichen Menschen, die das aus ihrer Kindheit mitbringen. Es gibt

Menschen, die sich sagen: „ab jetzt habe ich für jeden ein Lächeln übrig.“

Dennoch bleibt der Argwohn. Denn es scheint uns angeboren, zwischen dem bewussten und ausgebrochenem Lächeln zu unterscheiden. Das vermeintlich falsche Lächeln wird dann als Grinsen wahrgenommen. Es wirkt maskenhaft. Man kann hierbei nicht von seiner natur lassen.

Das Gefühl stellt sich ein, der andere wolle seine Mitmenschen manipulieren – um irgendeinen persönlichen Vorteil zu erlangen. Würde man dies thematisieren, könnte der Lächler die Unterstellung wohl kaum gegenstandslos machen. Er würde zwar anführen, keinen Vorteil für sich erlangen zu wollen. Und dennoch bliebe man im Zustand des Zweifels.

Bewusste und überzeugte Lächler haben es schwierig. Und dennoch sollte man versuchen, ihnen mit einem Lächeln zu begegnen.

 

Napoleon

Auf einer Reise in den 1980er Jahren machte ich mich schuldig, auch wenn mir das damals unbewusst war und erst später klar wurde.

Mit Studienkollegen bereisten wir Polen. Aus irgendeiner Quelle hatten wir von der Möglichkeit einer Übernachtung gehört, die sich in einem alten Pfarrhaus bei einem alten Mann bot. Dort klopften wir schließlich an und wurden äußerst freundlich aufgenommen.

Unser Gastgeber lebte dort alleine. Er betreute wohl weiter seine Gemeinde, auch wenn er wohl mehr von seiner Gemeinde gestützt und versorgt wurde. Er war schon recht zerbrechlich, aber angetan und fast aufgekratzt von unserem Besuch. Er wollte unbedingt ein guter Gastgeber sein und offerierte uns so, was sein Haushalt hergab. Für ihn war das sicherlich körperlich anstrengend.

Wir ergriffen die Chance und stürzten uns die Unterhaltung mit ihm, da er von dem Leid der zurückgebliebenen Deutschen nach der Vertreibung und Flucht erzählte sowie von der politischen Eiszeit der 1970er Jahre, als Polen wie ein Klotz im sozialistischen Ostblock feststeckte. Noch spannender jedoch war seine Erzählung von Napoleons Russlandfeldzug, der dem Haus eine besondere Bedeutung gab. Denn Napoleon selbst soll in den Gemäuern geschlafen haben.

Schließlich gingen wir ermattet wie geistig satt und angereichert schlafen, was nötig war, da die räumlichen Gegebenheiten nicht geradezu einluden.

Nächsten Tag zogen wir weiter, ohne den alten Mann verabschieden zu können. Wir wollten auch nicht nach ihm sehen, um wohl auch den faszinierenden Abend nicht mit Ernüchterung teilen zu müssen.

Erst zwei Wochen später erfuhren wir, dass der Mann verstorben war. Mich gruselte vor der Vorstellung, durch unser Gespräch den freundlichen alten Mann überfordert zu haben. In den Sinn kam mir aber nicht, dass er vielleicht auch während der Nacht verstorben war und so sich nicht mehr am Morgen hatte zeigen können.

Erstaunlich ist, dass mir erst nun beim Schreiben in den Kopf kommt, dass ich mit einem Menschen seinen letzten Lebens’abend’ geteilt habe. Vielleicht konnten wir zwei ihm ja gar etwas geben, das er sonst nicht erfuhr. Vielleicht haben wir seine Stimmung gehoben und etwas Freude in ihm ausgelöst. Das hätte er dann ja auch während seines Ablebens vor Augen haben können.

Ich weiß es schlicht nicht, egal wie ich mich zu erinnern versuche. Dennoch ist ein schöner Abend auf einmal mit einer Bedeutung aufgeladen, die mir unheimlich wird. Denn man spürt dann, dass man ihn hätte seiner Bedeutung gemäß auch hätte würdigen müssen. Doch das ist wiederum unsinnig, da man über die Bedeutung des Augenblicks für den Verlauf eines Lebens selten weiß und wissen kann – wies sollte man das für die Zukunft vorhersagen können? Es gibt Menschen, die glauben, das zu spüren. Ich habe jedoch ein wenig Argwohn, ob dies nicht eine Konstruktion ist, die man im Lichte des Verlaufs der weiteren Ereignisse dann vornimmt.

Nur eines beruhigt mich, dass ich bei der Erinnerung an diesen Abend erst an den freundlichen Mann denke – und dann erst, mit dem Geist Napoleons die Stube geteilt zu haben.

Und mach Dir kein Bild von anderen

Viele Prominente tauchen immer wieder in unseren Leben auf. Dazu gehören alle Personen, die uns durch Fernsehen und Printmedien vermittelt werden. Irgendwann glauben wir, sie zu kennen. Schließlich gehen sie ja in unseren Wohnzimmern ein und aus.

Man macht sich vom Gesicht und den Rollen eines Schauspielers ein eigenes Bild: Doch plötzlich erlebt man genau diejenigen in Talkshows oder Portraits, von denen man ein spezifisches Bild im Kopf hat. Und deren Verhalten kann dann stark mit der eigenen Vorstellungswelt kollidieren.

Mir ging es so mit Schauspielern, die in ihrer Glanzrolle schmierige Landadelige darstellen, sich aber plötzlich als differenzierte Geister entpuppen; oder man sieht eine Schauspielerin immer wieder in einer Rolle einer mutigen und unabhängigen Frau, die aber ohne ihre Rolle nur ein Häufchen Unsicherheit ist.

Das passiert allen Menschen. Nun kann man diese Fehlerquelle so hinnehmen – und den Fehler freilich weiter begehen. Daraus lässt sich jedoch auch lernen. Denn man lernt, dass man irrt, wenn man sich selbst für vermeintlich logisch, fehlerfrei hält und richtig zu kombinieren und zu konstruieren glaubt.

Allen Menschen könnte man so begegnen und sie allmählich und schleichend kennenlernen. Man würde das auf das ‚Urteil‘ verzichten, um nicht hineinzufallen. Dies ließe sich in eine Hypothese oder einen Entwurf münden lassen.

Auch sich selbst könnte man so begegnen.

 

Schweres Atmen

Mein Vater ist ein alter Mann. Er erfüllt jedoch nicht alle Erwartungen an einen solchen Satz, da er witzig ist, noch neugierig und in großen Mengen Torte verspeist.

Dennoch ist er zwischenzeitlich das, was man körperlich gebrechlich nennt, also schwerfällig, langsam, zuweilen unkoordiniert. Er bedarf vieler kleiner Hilfen, die das Fortkommen im Alltag erleichtern.

Und gleichgültig, wie alt ich selbst bin, erinnere ich mich noch gut an seinen anderen Körper, der rastlos, kräftig, koordiniert und geschmeidig war. Mir fallen dann auch Eigenheiten ein, da man seine Eltern ja mustert und sehr genau beobachtet. So weiß ich um das Gefühl seiner Haut zu berühren. Und ich erinnere mich an den Geruch, der sehr typisch war.

Was mir jedoch am meisten in Erinnerung geblieben ist, sind seine Hände beim Zeichnen. Auch fällt mir dann die Geschmeidigkeit ein, mit der er im Schwimmbad durch das Wasser glitt. Das ist so eigen; das sind lebendige Bilder in meinem Kopf. Diese Aktivitäten waren von großer Eleganz und zeichneten eine ganz eigene Struktur an Bewegung.

Heute aber hat sich der Körper einem radikalen Wandel vollzogen. Er ist überhaupt nicht mehr, was er war. Gewissermaßen ist er karg, trocken und dünn.

Was mich einzig erschreckt, ist sein dünnes und zartes Atmen, das wie ein vorsichtiges Blasen klingen kann. Das macht mir klar, dass seine Kraft schwinden muss, da sie nicht mehr genug Sprit erhält.

Gleichzeitig sehe ich jedoch auch die Demut des Alters: man muss nicht raumgreifend sein, um zu leben. Man muss nicht Massen vertilgen, um sein zu können. Auch kann ein Atmen vorsichtig und ausreichend sein.

 

 

Von Bärten und Jungs

Im meiner Generation wurden Bärte assoziiert mit Polizist, Hasenscharte, Geographiestudent oder Obdachlosem. Das war in den1980er Jahren. Schaue ich mir die Klassenphotos an, diese herrlich steifen Gruppenbilder voller verblichener Farben und noch heute spürbarer Kleidung, sehe ich niemanden, der einen Bart hat. Es gibt da 2 Jungs, die ‚light’ Rocker waren. Die rasierten sich nicht, hatten aber auch keinen Bart.

Als mein Vater in den 1950er Jahren begann, einen Vollbart zu tragen, wurde er von seiner Umgebung Othello genannt. Es sollte nicht darauf hindeuten, dass man ihn deshalb als Künstler betrachtete. Auch damals galt es als unschicklich.

Heutzutage tragen immer mehr Männer Bärte, gar Vollbärte. Zwischenzeitlich sieht der 30-40 jährige Mann wie ein Islamist aus. In Berlin ist der Prenzlauer Berg voll von diesen bärtigen jungen Männern. Es sieht uniformiert aus – auch wenn ich nie auf den Gedanken käme, dass Bartlose auch uniformiert sein könnten.

Als erstes frage ich mich dann, ob das denn überhaupt passt. Ich hatte mein Leben lang die seltsame Idee, Bärte seien etwas für Ältere. Jetzt kommen diese jungen daher und tragen Bärte. Sie sind fast alle gleich, nichtmals fleckig, sondern gut und dicht gewachsen. Weiter überlege ich dann, ob die wohl auch dieses Set an Bartpflegeinstrumenten über den Waschbecken ihrer Badezimmer stehen haben, was man dann eben so benötigt. Von da aus schwenken meine Gedanken fort zur Frage, ob denn darunter Alles hygienisch zugehen kann.

Auch frage ich, wieso es wohl überhaupt jemals Bärte gegeben hat. Wahrscheinlich entschied darüber die Natur, die dem Mann für seine winterlichen Ausflüge bei der Jagd so etwas wie einen Schal verpasst, der ihn schützen sollte. Haben denn Tiere auch Bärte?

Fazit: auch wenn sie sich verstecken, sie sind doch ok. Auch in unserer Adoleszenz gab es das, als 3-Tage-Bärte. Historisch kompensieren können wir den dünnen haarigen Aufstrich damit, dass wir körperlich damals nicht rasiert waren.

 

Wie sehe ich aus?

Wie oft schauen wir wohl in den Spiegel? Keine Ahnung!

Ich selbst checke am Morgen, ob ich mich so zeigen kann. Aber wozu dient das eigentlich? Sehe ich ‚gut‘ aus? Ist irgendetwas schräg? Habe ich vielleicht ein Spaghetti im Mundwinkel?

Tatsächlich habe ich berechtigte Sorgen: denn hin und wieder entgleite ich mit der Rasierklinge. Schlimmer aber ist, es ist Winter und ich habe zu heftig angesetzt – es blutet dann später leicht aus meinem Gesicht. Und ich sehe dann aus wie ein Monster. Mein Gegenüber in der U-Bahn deutet mir dann eine Reaktion an, die ich jedoch ohne Spiegel kaum einzuschätzen weiß.

Gibt es denn noch andere Motive für den Spiegel? Ist das Hauptmotiv, nicht aufzufallen? Oder eben doch aufzufallen?

Es gibt dieses Wiegen des Kopfes, wenn man sich im Spiegel betrachtet. Zum einen dient es wohl dazu, alle Winkel auszuleuchten. Zum anderen aber könnte auch die jeweilige Ansicht mit dem imaginären Wunschbild abgeglichen werden.

Man muss die Geschichte der Menschheit wohl unterteilen in die Zeit vor und mit dem Spiegel. Stelle ich mir vor, wie Menschen früher ein Abbild ihrer selbst erhielten, fällt mir die ruhige Seeoberfläche ein. Welch Schreck muss es wohl gewesen sein, plötzlich sich selbst zu erblicken!

Narziss war wohl eher die Ausnahme: er verließ den Ort der Selbstbetrachtung nicht mehr. Er bewunderte sein eigenes Äußeres. Möglicherweise gebe es keine Narzissten, wenn Spiegel nicht erfunden worden wären.

Dann jedoch hätten wir es nicht zu einer umfassenden Bildung unserer Identität geschafft. Denn die schließt ja unsere Körperlichkeit mit ein. Und wir hätten wohl auch nicht Körper und Unversehrtheit mitsteuern können. Wir wären wohl einfach Instinkt geblieben.

Also dann schauen wir uns doch lieber weiter in Spiegel an.