Gratifikationskrise

Der Begriff der Gratifikationskrise klingt irgendwie elegant. Das Gefühl, sie zu durchleiden, hingegen ist eine Qual.

Im Kleinen kennen wir das schon aus Kindertagen und Jugendzeiten. So stehen wir dann auf der Kletterburg und schreien ‚Mama‘, weil sie mich für den Aufstieg loben soll. Ja, ich brauche dann diesen Schub an Lächeln und Zusprechen, um zu wissen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

Und so ist mein weiterer Lebensweg gezeichnet von dieser Suche nach Lob und Aufmerksamkeit. Diese Währung ist wichtig, oft wichtiger als Hartgeld. Denn ohne das OK des Gegenübers bin ich ein-sam. Dann verliere ich zusehends an Selbstgewissheit, dass ich dazu gehöre.

Im Großen ist es meist ein langjähriger Prozess, der mit einem Engagement verbunden ist, aber keinerlei Aufmerksamkeit derer erfährt, der auch davon profitiert. Nehmen wir denjenigen, der einen Angehörigen pflegt. Er wird mit Sicht auf das Elend, das Mitleid mit den Kranken gar mit Garstigkeit bestraft. Es ist ja nicht so, dass man sich nach verrichtetem Tagwerk dann auf die Kante eines Betts setzt, um sich selbst Dank auszusprechen oder sich zu loben. Wer hat sich schon einmal zurückgezogen und hat vom Glücksgefühl des Alltags taggeträumt?

Im beruflichen Alltag gibt es Gratifikationskrisen, die typisch für die Wege einer Laufbahn sein können. In den Jahren nach der Ausbildung klotzt man, arbeitet aus Leidenschaft und genießt es, ein Fachgebiet zu beherrschen. Das Glück der Routine sowie Erfolge über Risiken stellen sich ein. Man will auch, dass dies wahrgenommen wird – von all denjenigen, die ‚wichtig‘ sind. Das sind die Vorgesetzten, Konkurrenten, Freunde, Familienmitglieder. Das Publikum soll reagieren.

Es ist schon schlimm, wenn das ausbleibt. Es kann aber auch durch die Änderung von Rahmenbedingungen unmöglich gemacht werden. Das vollzieht sich fast regelmäßig, wenn ‚Change‘ passiert. Denn dann ist die Vergangenheit plötzlich nichts mehr wert, wird – schlimmer noch – verteufelt und verurteilt. Plötzlich stehen Lebensleistungen auf dem Spiel, schließlich am Pranger. Das kann ganze Abteilungen treffen.

Im Falle der DDR traf das eine ganze gesellschaftliche Schicht. Der Fall der privilegierten Klasse aus großer Höhe ist nur schwer zu verkraften. Denn seine Identität als ‚Normaler’ wird plötzlich in Frage gestellt.

Es zeigt sich aber noch treffender, wenn eine ältere Fachkraft auf eine jüngere und neue Führungskraft trifft. Dann passiert kein Ausgleiten und Stopp, sondern ein aktiver Prozess der nicht-Anerkennung. Die neue Führungskraft will zeigen, dass sie durchsetzungsstark ist. Auch will sie neue Akzente setzen und sich von der Zeit zuvor absetzen. Viele gefallen sich dann im Bild desjenigen, einen eisernen Besen zu führen – wir Deutsche sind diesem Bild gegenüber ziemlich aufgeschlossen.

Das stürzt vormals souveräne Menschen in eine Krise. Die Hilflosigkeit zeigt sich an den Sätzen im Konjunktiv: ohne mich wäre das so niemals aufgeblüht; ich habe das aufgebaut; früher hatten wir einen Vorteil in y. Doch das Publikum wird dem Neuen huldigen und schließlich entnervt sein, denn der Alte immer wieder jammert.

Man kann darüber erkranken wie der kleine Junge auf der Kletterburg. Spätestens dann muss man als Älterer die Situation nachzeichnen können, den Rahmen und die Entfaltung der Dynamik verstehen. Gratifikation heißt denn auch, sich selbst beglückwünschen zu können, das man eine frühere Chance auf Entfaltung hatte.

 

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