Von Moral und Moralisten

Prominente, die einer Wahl für ihre Stellung bedürfen, müssen besondere Maßstäbe an ihr soziales Verhalten anlegen. Sonst werden sie rasch an den Pranger gestellt, um ihr Fehlverhalten mit der imaginären Moral zu spiegeln, die gar nicht mehr existiert.

Zuletzt ging es so Volker Beck, einem Spitzenpolitiker der Grünen Partei. Er wurde mit 0,6 gr Crystal Meth von der Polizei erwischt, als er aus der Wohnung eines Drogendealers kam.

Die Reaktionen zu Volker Becks anschließendem Rücktritt fielen hart aus: „Beck haut sich die Birne weg“. „Er hat in seinem Politikerleben immer ausgeteilt. Nun wird er selbst Zielscheibe des Tadels.“ „Mit seinem hohen Anspruch muss er nun selbst erst einmal zurecht kommen.“

Das alles folgt dem Satz: Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Auffälliger war aber die Diskussion dazu, für welche Dimension des Fehlverhaltens man Beck verantwortlich machen sollte. Der Besitz von dieser Kleinstmenge an Drogen ist nichtmals strafrechtlich relevant. Niemand anders wird dadurch gefährdet. Gedealt hat er auch nicht. Wofür also sollte man Beck schelten?

Parteifreunde und -feinde wetteiferten jedoch in Distanzierung und Verurteilung. Schließlich standen aus Landtagswahlen an.

Worte des Bedauerns fielen nicht. Wenn ein Alkoholiker krank ist, wieso nicht dann auch ein vermeintlicher Drogenabhängiger? Nur weil er ein Prominenter ist? Oder ein prominenter Politiker?

Tatsächlich gleicht das alles dem mittelalterlichen Prozedere von Beschuldigung, Verfolgung, Pranger, Scheiterhaufen. Zwar kommt man heutzutage mit dem körperlichen Leben davon. Dafür wird dem ‚Täter’ aber die Lebensgrundlage entzogen, da sein öffentlicher Ruf, sein Leumund ruiniert sind.

Liegt dazwischen nicht die Aufklärung?

Jeder andere Mensch wird mit anderen moralischen Benchmarks gemessen als diejenigen, die in der Öffentlichkeit stehen. Ist die Aufrechterhaltung doppelter Maßstäbe nicht irrational?

Zwischenzeitlich gehen mir selbst auferlegten Sanktionen und das Zuvorkommen eines öffentlichen Dialogs einigermaßen auf die Nerven. So scheuen viele Prominente nach einem vermeintlichen Fehler ihre Selbstverteidigung in der Öffentlichkeit. Das konnte man bei Margot Käßmann sehen, aber auch bei Sebastian Edathy. Ich bedauere das. Denn gerade die öffentliche Auseinandersetzung hätte doch einen Gewinn. Mit der ‚öffentlichen Verurteilung’ muss man dann vielleicht nicht mehr leben. Und hat das nicht auch mit einer gesunden Fehlerkultur zu tun? So hat die Privatinsolvenz einen enormen Fortschrift gebracht: den es ist kein ‚lebenslänglich’.

Brauchen wir nicht auch die gesamte Breite der Gesellschaft in der Politik? Verschwenden wir nicht Talente? Zerstören wir nicht auch Menschen?

‚Fehl’verhalten setzt Fehler voraus. Menschliche Fehler sind ebenso relativ wie Fehler beim Ausfüllen einer Rolle. Man könnte natürlich sagen, dass die Fehlerbeurteilung abhängig ist vom kulturellen Rahmen. In einer Welt jedoch, die sich vermischt und die Menschenwürde unabhängig von der gesellschaftlichen Geltung eines Menschen gesetzt ist, hat diese kulturelle Prägung nichtmals einen erklärbaren Sinn mehr.

 

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