Tabu Trump

Wieso erhält Trump wohl so viel Aufmerksamkeit? Weil er wichtig ist? Weil er schrill ist? Weil er anders ist?

Zwischenzeitlich glaube ich, dass wir Betrachter uns gut unterhalten und entertained fühlen. Denn der Mann ist eben nur durch seine wirren Äußerungen und irrationalen Handlungen immer wieder eine Überraschung – was sich zwischenzeitlich bewährt. Er ist die permanente Überschreitung und der Bruch der Regel und Konvention.

Es ist ein stetes Schauspiel: wie der Mann auch auftritt, verhält er sich inkonform. Vielleicht glauben wir, dass dies einem höheren Plan folgt; doch zwischenzeitlich wird uns gewahr, dass es die bloße Anti-Haltung des Mannes ist. Er war stets nur gegen, nicht für irgendetwas.

Wir verhalten uns wie Voyeure und hoffen auf den Skandal. Wir fühlen uns dadurch genau so unterhalten wir durch einen skandalösen Film oder Theaterabend. Und wir schmunzeln genau so wie über grüne Flitzer oder ähnliches. Es ist wie ein hohles Lachen über eine kleine Dummheit.

Und natürlich warten wir auf die Reaktion des Establishment, das ja nie um eine Reaktion verlegen ist. Denn sonst regieren diese Funktionsträger ja auch mit Annahme, dass sie die besten sind. Und wir starren dann auf ihre Unbeholfenheit; möglicherweise freuen wir uns gar darüber, dass die Eliten auch nicht souveräner als wir sind.

Die Lust am Tabu ist wohl eine originäre Regung des Menschen. Darüber lassen sich Grenzen identifizieren, die eine Gesellschaft, aber auch die Beziehung zu einer Einzelperson aushält. Es ist wie die Bewegung des Kindes in alle Richtungen, bevor ihm die Eltern Grenzen setzen.

Wenn man 70 wird

In letzter Zeit habe ich so viele Interviews und Talk Shows mit Personen gesehen, die Ihren 70. Geburtstag vor oder gerade hinter sich haben.

Es gibt diejenigen, die annehmen; die, die leugnen; oder die, die ignorieren. Jedenfalls sind alle, die sich dazu äußern, darauf bedacht, irgendetwas etwas Sinnvolles beizutragen. Schließlich dürften sie in einem Rahmen der nächsten 15 Jahre ableben, sterben eben.

So sah ich Konstantin Wecker, Matthias Habich, Henry Hübchen, Mathieu Carriere, Rod Stewart, Elton John.

Erstaunlich an diesen 70-jährigen ist, dass die aussehen und wirken wie 55-jährige. Vielleicht sind das die Ausnahmen ihrer Altersgruppe. Gerade deswegen könnten sie auch ein besondes Leistungspotential entfaltet haben. Doch ist das wohl nicht der Fall. Vielmehr dürfte gleich eine signifikante Gruppe ihrer Altersklasse ähnlich wirken.

Nun könnte man in einem life style-Magazin schlau schreiben, es handele sich doch um die jungen Alten. Doch müsste man dann nachfragen, ob alt zu wirken und zu sein identisch mit ‚jung‘ sein soll. Denn eigentlich sind die Personen nur in ihrer Kleidung jung, teilweise in ihrem körperlichem Zustand und bedingt nur in ihrem Denken.

Sie sind eben nicht ‚alt‘ im Verhalten, wie die Mehrheit es definieren würde. Sie sind nicht starrsinnig, voll von rückwärts gewandten politischen Ideen, in beige gekleidet usw. Dennoch durchlaufen sie alle dieselbe Reflektion in der Bewertung des Jetzt und des Früher. Sie ziehen eben Bilanz. Sie können es ‚modern‘ ausdrücken, dass auch Menschen jüngeren Alters sie verstehen. Das gehört aber auch zu ihrem Repertoire als prominente und öffentliche Person. Andererseits sind sie auch ihrer eigenen Jugend näher: Sie stellen sie ins Zentrum ihrer Rückschau und fragen sich, ob ihre Karriere zwangsläufig war und geglückt ist. Sie wollen oft wissen, ob ihre Leistungsfähigkeit und ihr Potential darüber Ausschlag gegeben haben – oder eher der glückliche Umstand. Und sie werden demütiger als Ältere früher, weil sie erkennen, dass ihr Lebenswerk zufällig ist, von Glück abhängt, Umstände positiv waren und die eigenen Talente sich eher automatisch ausgebildet haben.

Es wäre wohl wert, einen Fragebogen dafür zu standardisieren, wie man sein Leben in der Rückschau prüft, um es bewerten zu können.

Diese jungen Alten plagen dennoch dieselben medizinischen Umstände wie alte Menschen in der Vergangenheit. Daher sterben sie dann – auch für uns – überraschend, wie wir es mit David Bowie erlebt haben. Man hätte es schlicht nicht erwartet.

Die 70-jährigen heutzutage führen meist auch das weiter, was sie in ihrem Leben gemacht haben. Früher waren die älter Werdenden dazu weniger in der Lage, weil Muskelkraft – wie mentale Stärke, Gesundheit – eine größere Rolle spielte als heute. Dieser Tage kann das kompensiert werden durch Maschinen und Automatisierung, unterstützt durch geschicktere Medienpräsentation und bessere Gesundheitsversorgung.

Die 70 Jährigen sind wie unsere Therapeuten und Wahrsager. Denn sie nehmen vorweg, was uns noch bevorsteht. Und so haben sie den Status verloren, Rollenmodelle zu sein: früher für Musik und Lebensstil und heute für unser älter werden. Sie bewegen sich wie ein gleichförmiger Rechenschieber mit uns durchs Leben. Ich werde sie vermissen.

Bequemlichkeit

Wieso ändern eigentlich die Menschen ihr herkömmliches Leben so rasch? Wieso ist alt auch in der Wertigkeit alt? Wieso lassen sich Menschen auf sich immer häufiger neue technologische Neuerungen ein?

Es gibt wohl drei Begründungen dafür:

Der Mensch ist süchtig nach Bequemlichkeit.

Der Mensch möchte Veränderung. Er hasst Gleichförmigkeit. Er möchte Neues.

Und der Mensch möchte modern erscheinen. Zwischenzeitlich ist das ein Wert für sich.

Früher war Landflucht. Wieso? Die Menschen wollten Strom und Wasser. Sie wollten weniger von der harten Arbeit. Sie wollten nicht mehr abhängig von den Launen der Natur sein. Sie wollten die Annehmlichkeiten des Alltags. Sie wollten die städtische Infrastruktur und den Verlass auf die Angebote an Lebensmitteln.

Heute will der Mensch auch alles einfacher haben. Dem Argument, das etwas schnell geht und praktisch ist, scheint nicht widersprochen werden zu dürfen. Denn es ist ein heiliges Motiv, das alle im Konsens vereint. Es ist auch Teil des gesunden Menschenverstands.

Ist Bequemlichkeit etwa zum Elixier gesellschaftlichen Wandels geworden?

Ich habe Angst, dass damit auch die Einfachheit Einzug in unser aller Leben nimmt. Denn die vielen Rituale und die kulturellen Unterschiede werden damit zum Opfer des technischen Einheitsbreis.

Zur Illustration ließe sich anführen, dass Navigationsgeräte in Autos oder in Mobiltelefonen es tatsächlich einfach macht, den Ort x zu finden. Es vermeidet Fehler, somit Energie, verhindert den Stress und führt natürlich zu weniger Unfällen. Es ist schon eine feine Sache!

Und doch: wir opfern damit die Chance, einem räumlichen Überblick zu gewinnen; wir verlieren eine Kombinationsgabe, die man Transfer nennt; wir wissen nichts mehr über das richtige Falten von Stadtplänen; wir können nicht mehr Karten lesen (auf die wir im Internet jedoch weiter zugreifen können); wir verlieren die Kultur der nationalen Einheiten und Sortierungen.

Die Bequemlichkeit aber ist keine Entspannung – das sollte man nicht verwechseln. Dazu ist der Mensch zu sehr Homo Faber. So stürzt er sich auf die Eroberung des neuen Gerätes und vernachlässigt die natürliche und moderne Umwelt. Er wird eigentlich ein wenig selbst zum Avatar.

Das Schlimmste ist, dass dies alles auf Kosten unserer körperlichen (vielleicht auch geistigen) Gesundheit geht. Denn der menschliche Körper wird zig Generationen benötigen, sich der heutigen Technik anzupassen. Und die wird dann ohnehin eine neue und weiter gezogen sein.

Vielleicht sollte man das Dschungel-Buch zitieren. Der Bär Mogli singt: versuch’s doch ‚mal mit Gemütlichkeit! Seine Kindesbären könnten heute aber auch schmettern: Versuch es hin und wieder ohne Gemütlichkeit!

Hast Du Kinder?

Es gibt diese Frage, die für Menschen von immenser Bedeutung ist: „hast Du Kinder?“

Für die einen heißt es, zu wissen, was den anderen wirklich ausmacht. Haben sich die anderen der Mühsal und der Freude der Kindererziehung ausgesetzt? Haben Sie ‚echte‘ Verantwortung übernommen? Andere überhöhen gar diese Erfahrung als Essenz des Lebens.

Andere wiederum würden gerne verneinen, da sie Eltern als unmündig betrachten. Schließlich sind sie in ihrem fixen Rahmen an Lebenssinn gefangen. Sie sind unflexibel. Sie machen sich abhängig von Kindern. Sie sind diejenigen, die heiti teiti vor Rationalität stellen, Kinder überhöhen.

Dann gibt es auch diese verdammte Frage, die Frauen erwischt, wenn Sie mit Frauen zu tun haben: ist es jetzt nicht Zeit für Kinder? Wenn nicht jetzt, schließt sich das biologische Fenster. Dann ist die Chance vorbei. Die Frau ist Ihrer biologischen Bestimmung dann nicht nachgekommen. Die Uhr hören die Frauen ticken, so sie sie hören wollen.

An dem Verhalten sieht man, wie sehr Retro eigentlich Tradition ist. Denn auch die jugendlich-adoleszente Retro-Bewegung muss sich dem Lebensmodell bzw. seiner biologischen Bestimmung unterwerfen.

Es ist wie eine Bewährungsprobe, um bei den anderen als vollwertig gelten zu können. Kann es aber sein, dass auch andere vollwertig sein wollen?

Es gibt andere Bewährungen wie das des Mutter oder Vater seins, denen man mit anderen Fragestellungen auf die Spur geht:

– ist Ihre Mutter gestorben?

– haben Sie eine Karriere aufgeben müssen?

– haben Sie Ihre Grundsätze schon betrogen?

– hatten Sie bereits eine ernste Krankheit?

Eine Bekannte von mir erzählte mir von einer Bekannten ihrerseits, die in einem Streitgespräch, soweit sie verbal in die Ecke gedrängt wurde, immer final sagte: „Und ich habe schließlich 5 Kinder.“ Im Kern zählt dieses Faktum eben mehr als alles andere. Es will sagen, dass man Recht hat.

Seltsam ist, dass Kinder haben eher eine Last ist. Denn mit der Jugend beginnt die Schwierigkeit. In früheren Zeiten bog man genau dann die Heranwachsenden so zurecht, dass sie sich in die Erwachsenenwelt einführen. Heute gelingt das nicht mehr.

Kinderreichtum als positive Vokabel ist zum Merkmal von Armut geworden. Kinder sind kein ‚Gut‘ mehr. Vielmehr stellen sie eine emotionale Einzigartigkeit dar. Denn Eltern sind zwar wichtig, werden aber meist abgelehnt oder drittrangig bewertet. Wer würde schon fragen, ob man Eltern hat?

Sie sind Luxusgut geworden.

Der Preis dafür, intelligent zu sein

Intelligente Menschen haben es schwer. Denn der Affekt der anderen gegen eine Überlegenheit des anderen ist stark. Niemand möchte einem Anderen unterlegen sein.

Die Anwürfe gegen Intellektuelle sind Legion. Denn sie sind zumindest in der deutschen Kultur unvereinbar mit Konzept der ehrlichen Hände Arbeit. Daher sind vor allem Künstler und Wissenschaftler solche, denen unterstellt wird, sie produzierten Dinge von geringem Wert für den Lebensalltag. Dazu passt, dass Experten, Sachverständige und Meister gut gelitten sind. Denn bei denen lässt sich davon ausgehen, dass sie durch berufliches Können ihren Status erlangt haben.

Dazu kommt als Motiv die Unmöglichkeit, den Inhalt der Expertise nachvollziehen zu können. Wenn nicht klar ist, wer was gut macht, bei dem gewinnt der Zweifel über den Status.

Viele junge Menschen erfahren die Ablehnung in ihrer sozialen Gruppe, wenn sie Talent und Intelligenz aufweisen. Der Klassenprimus gehört eigentlich nie dazu, weil er sich eben abgrenzt. Und: er bekommt Anerkennung, was wiederum zu Neid führt.

Und so geht es im Leben dann immer weiter und weiter – es sei denn, der intelligente Mensch trifft auf andere intelligente Menschen. Plötzlich teilt man ein gemeinsames Merkmal. Dass es auch dann zu Konkurrenzen kommt, ist nicht verwunderlich. Schließlich war das vorherige Ausgrenzungsmerkmal dasjenige, womit man sich identifizieren musste – ‚besser‘ oder eben intelligenter als die anderen zu sein. Und das wird dann ja auch wieder in Frage gestellt.

Jedenfalls ist der Wertekonflikt immanent: denn einerseits prämiert die Gesellschaft Leistung. Andererseits aber wird das Ergebnis von Leistung, die mit Intelligenz einher geht, beargwöhnt. Und so versteht man schwerlich, wieso man hier zermahlen wird.

Dumm gelaufen! Denn Deutschland ist ein besonderes Terrain für Intelligente. Andere Länder tun sich leichter mit intelligenten Hochleistern.

Eine besonders seltsame Situation besteht darin, dass zwischenzeitlich Leistung noch höher und als Standard erklärt wird. Das wiederum basiert auf der deutschen Gleichstellung von Perfektion und Machbarem: es muss immer das Beste sein, was ’norm’al ist.

Und so belasten wir Älteren Jüngere mit unseren eigenen Erwartungen an deren Leben: sie müssen das Optimum herausholen. Sie müssen zu den Besten gehören.

In meiner Generation galt noch, dass es den Kindern besser gehen solle. Das hatte mit der Stunde ’null‘ und entgangenen Chancen zu tun, die meine Eltern erlebt hatten. Benchmark meiner Eltern bei meiner Erziehung war daher, dass es den Kindern gut geht. Und das war definiert mit Friede, Auskommen und persönlichen Glück.

Und so bricht sich das ‚gewollte‘ Maß an besser Sein Bahn. Denn wir nehmen Hochleistungsländern wie in Südostasien kaum wahr. Wir sind verwöhnt mit dem Status als Exportweltmeister, der uns immer wieder bestätigt, dass wir Deutschen die besten Produkte fertigen. Es geht so weit, dass wir so interpretieren, dass unser persönliches Erleben in die Welt unserer Erwartungen passt: so werden die Noten für Bildungsleistungen immer besser; und so tauchen plötzlich überall Hochbegabte auf.

Doch: unser Sample von Menschen ist wie die der anderen Staaten. Auch hierzulande dürfte eine Normalverteilung existieren. Es sei denn, wir sind so dreist, mathematische Gesetze mit unserer Spekulation außer Kraft zu setzen. Mögen uns gerade die intelligenten Menschen davor bewahren.

Köln is’n Jefühl

Der Kölner hat es unter allen deutschen Großstädten geschafft, Heimat so zu zelebrieren, dass selbst Zugezogene und Fremde glauben, dort sei ‚Heimat‘ zu Hause. Und plötzlich sind gar diejenigen Kölner stolz, die mit Karneval nichts zu tun haben. Denn Karneval ist der Nährboden, auf dem das Kölsch Sein erwächst. Und blüht.

Es ist ähnlich dem Zitat von Kennedy, er sei ein Berliner. Auch Berlin hat etwas Mythisches, dem man sich nur zu gerne anschließt. Denn es haben sich hier nicht nur große historische Ereignisse zugetragen, sondern auch Schauergeschichten vollzogen. Gleichzeitig ist Berlin ein Motor von Kunst und Kultur. Aber vor allem: Berlin ist trotziges Opfer gegen Unrecht, wie gegen die Blockade oder den Mauerbau.

Aber dann kommen auch schon Salzgitter, Recklinghausen, Heilbronn und andere. Was passiert mit den Menschen in diesen Städten? Vielleicht strömen sie an einem Samstag Morgen auf den kargen Marktplatz, sind über eine Brache traurig, da sich dort ein Café befand, oder ärgern sich über ein neues Nagelstudio. Wohlige Heimat hat eine andere Fassade.

Aber so muss man sich auch die Stadtlandschaft von Köln anschauen: die Stadt ist nicht schön. Wer das behauptet, hat vermutlich zu viel Kölsch getrunken:-) Köln ist verzwirbelt: unmögliche Straßenführung; die Masse von simplen Nachkriegsbauten, die den Betrachter sich abwenden lässt; selbst der besungene Rhein fließt starr und fast schnurgerade durch sein hässliches Bett.

Und doch ist Köln die Kulisse für besinnungslose Fröhlichkeit, dem ungebrochenen Optimismus und der nicht stoppen wollenden Monologe. Man könnte meinen, die Menschen dort seien in einem permanenten Rausch. Denn ‚immer gut drauf‘ zu sein, ist für den Deutschen nicht nachzuvollziehen – es sei denn, man erklärt es mit Alkoholkonsum.

Ein Problem stellt der Karneval dar. Denn er überlagert das Bild von Köln: Nicht-Kölner nehmen Kölner nur wahr, wenn in Köln Karneval gefeiert wird. Und so sortiert sich die Landschaft in Lederhosen-Bayern und Schützenfest-Niedersachsen.

Kölner sind das Elixier von Köln – auch diejenigen, die dort nicht aufgewachsen sind. Die Haltung zum Leben ist eine soziale Norm: wer klagt, wird nicht ernst genommen; wer klagt, der wird ausgegrenzt; wer klagt, gehört nicht dazu. Wer fröhlich ist, ist Kölner!

Mannbarkeitsgesten

Es gibt diese typischen Gesten eingebildeter und sich selbst versicherter Stärke und Unabhängigkeit. Das beginnt mit einem breit beinigen Stand und Gang. Dazu kommt das Aufrichten des Oberkörpers. Daneben steht die Haltung der Augen, die schmal gepresst von oben herab blicken. Begleitet wird das auch von einer lauten Stimme.

Im sozialen Umgang miteinander führen alle Peer Kulturen eigene Rituale ein, die cool und lässig aussehen sollen. Gelacht wird über andere, ansonsten auf Augenhöhe untereinander.

Es gibt auch Mikro-Gesten: dazu fällt mir der große Schluck aus dem Whisky-Glas ein.

Man beobachtet solcherlei Gebähren vor allem an männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Aber auch lesbische Frauen können sich besonders männlich gegen. Genauso sind es die älteren Männer, die sich der Körpersprache erinnern.

Ist das dem Menschen aufgezwungen? Gibt es nicht genau diese Verhaltensweisen auch in der Tierwelt? Gerade die nahesten Verwandten, die Menschenaffen, geben uns hier reichlich Material: wie der Silberrücken agiert; oder das Alpha-Tier regiert.

Was tun, wenn man plötzlich selbst solche Gesten entdeckt? Soll man sagen, die hätten sich von alleine eingestellt? Die Umwelt würde sie schon anders wahrnehmen? Könnte man nicht prüfen, wann das angefangen hat? Lässt sich herausfinden, in welcher Stimmung man damals war?

Ich persönlich kenne nur den reflektierten Umgang damit: große Schlücke von Whisky flutschen über die Zunge und in den Schlund; der breitbeinige Gang wirkt wie der eines Bettnässers; und das laute Sprechen im Umfeld von Unbekannten ist mir peinlich. Ich lasse es, weil ich mich so schnell zum Halbstarken reduziert fühle.

Schlimme Nachrichten

Der Augenblick der schlimmen Nachricht ist ein Schock. Es kann die Mitteilung einer strukturellen Krankheit sein, der Verlust eines Menschen, das Ende einer beruflichen Anstellung oder die Trennung von einem Vertrauten.

Denn es kommt da etwas her, was den Status Quo in Frage stellt und substantielle Veränderung bedeutet. Vielleicht bedeutet es gar, den Tod vor Augen zu haben.

Der Kopf spült dann kurzzeitig ein Szenario ab, das wie ein Kinofilm im Schnelldurchlauf wirkt. Es ist wohl wie eine Reaktion der Panik und einer akuten Phobie, die dann ein biologisches Programm ablaufen lässt. Wer in die Literatur der Angststörung eintaucht, der lernt Begriffe wie Amygdyla und limbisches System kennen.

Der Mensch an sich misstraut solchen Ausnahmesituationen. Er will sie rasch beseitigen, zur Normalität zurückkehren: „weg damit – ich ertrage es nicht.“

Ich kann mich an eine Situation erinnern, die nur entfernt diesem beschriebenen Zustand ähnelt: auf der Beerdigungsfeier meines Großvaters war ich berührt von der traurigen Stimmung. Ich wusste, dass der Mann mit mir wenig anzufangen wusste. Und dennoch schien mir die Unverrückbarkeit dieses Aktes einer Bestattung schon alleine als Anlass, traurig zu sein.

Vielleicht verhält es sich mit ’schlimmen Nachrichten‘ ähnlich. Denn oft sind dann Dinge geschehen, die ’schreck’lich sind, jedoch mit meinem Leben so gut wie nichts zu tun haben. Nehmen wir einen terroristischen Anschlag mit menschlichen Opfern. Wir kennen sie nicht – und sind dennoch von der Tat überwältigt.

Gleichzeitig lernen wir diesen ‚thrill‘ zu kultivieren. Das bemerkt der Jugendliche schon bei seinem ersten Besuch der Kirmes: soweit er in die Geisterbahn oder das Riesenrad -aufsucht. Der TV-Thriller erreicht Massen von Menschen.

Im Voyeur gibt es diese Lust auf Schreckliches, was sich unter ‚Gaffern‘ bei einem Verkehrsunfall zeigt.

Der Moment, schreckliche Nachrichten zu erhalten, lässt uns konventionell reagieren. Man macht das eben so.

Hören Sie mir doch auf – die Alten mit ihren Weisheiten gehen mir auf die Nerven

Seltsame Dialoge habe ich kürzlich durchlebt. Das Muster war immer dasselbe: hör auf, Dich als erfahrener und besser Wissender aufzuführen! Einmal meinte eine junge Frau zu mir im Gespräch, wahrscheinlich könnte ich schon wieder eine Phalanx an Argumenten gegen ihre These vorbringen. Dann pampte mich ein Gesprächspartner am Telefon an, es reiche jetzt, da er gegen meine Erfahrungswerte wohl nicht ankäme; er müsse sich erst schlau machen. Und ein anderer Kollege maulte einst per Mail, die Älteren hätten nicht immer Recht. Usw.

Mir wurde stets mulmig, da ich noch immer hoffe, die Macht der Argumente würde entscheiden. Oh nein! Dem ist nicht so. Denn es entscheidet die Glaub-Würdigkeit darüber, ob jemand überhaupt zuhört und die Argumente der anderen reflektiert. Denn das muss erst einmal die Schallmauer durchbrechen, der inhaltlichen Auseinandersetzung die Priorität einzuräumen. Immer entscheidet darüber der persönliche Grenzraum.

Ich gewinne den Eindruck, dass Respekt und Status einer Person immer höher als die Bedeutung des Inhalts schwingen. Das ließe sich leicht kulturell erklären, indem man sich das Muster patriarchalischer Familienstrukturen anschaut: egal wie unsinnig die Meinung des Vaters, sie muss befolgt werden. Nun könnte man abtun, dass dies gerade in konservativen und traditionellen Gesellschaften ja die Norm sein könne. Doch findet sich das auch in der freiheitlichen deutschen Gesellschaft allenthalben und überall. Es sind die nicht offensichtlichen und versteckten Bedeutungszuschreibungen der Zuhörer, die über das Gewicht eines Beitrages entscheiden. Also bestimmt die soziale Konstellation den Austausch.

Die andere Seite jedoch ist die der mauligen Ahnung, dass man im Gefecht der Argumente nicht auf Rücksicht zu hoffen braucht. Das wiederum bringt Menschen dazu, den Dialog zu relativieren. Erstaunlich ist, dass nicht die Neugierde am Erfahrungswert, der neuen Erkenntnis und dem Wissen obsiegt. Es siegt das Interpretationsmuster, dass die eigene Person hier nicht gewürdigt wird. Denn das Argument zählt. Wieso dann diese Menschen aus dem Austausch aussteigen, verstehe ich nicht. Ich würde immer dabei bleiben, um mehr zu erfahren.

Opfertäter

Manchmal muss man neue Worte schöpfen, um Sachverhalte erklären zu können. Das kann man mögen, gar bewundern, aber auch ablehnen, da man so den Zuhörer bedrängt, sich anzustrengen.

Nun also der Opfertäter: ich kenne eine Frau, die ständig vorgibt, dass man sie nicht ausreichend berücksichtigt. Immer sind die anderen für ihre Ansprüche nicht ausreichend, unterstützen sie eben nicht. Sie drängelt deswegen und ist empört über Gegenwehr.

Gerade die so Bedrängten wenden sich ab, distanzieren sich, empören sich öffentlich oder gehen in die Gegenoffensive. Sie halten die Person in ihrem Verhaltensrepertoire schlicht nicht aus.

Geschieht das, so sieht diese Frau eine Verschwörung gegen sich entstehen. Sie wirft den anderen mangelnde Kollegialität vor. Sie sucht dann nach Solidarität auch bei ihr Unbekannten, um sich von diesen psychologischen Verbündeten beschützt zu fühlen.

Untermalt wird das Ganze durch ein fahriges Wesen, das den Beobachter fast automatisch veranlasst zu helfen. Denn man hat den Eindruck, ein Kind würde sich in seiner Umgebung nicht zurechtfinden. Dazu kommt, dass diese Hilflosigkeit nicht zurückhaltend, sondern stark und öffentlich ausgelebt wird. Taucht ein kleines Problem auf, so werden alle Umstehenden damit vertraut gemacht. Jeder wird angegangen, ob er nicht da und dort Hilfestellung leisten könne.

Interessant auch ist die Perspektive auf den internen Dialog. Dazu hatte ich auch schon einmal Gelegenheit: „es sind die anderen, die ich manchmal etwas stürmisch bedränge. Na ja, so bin ich eben.“ Und das mit Lächeln. Und so ist die Aggression gegen andere gerechtfertigt.

Objektiv handelt es sich bei den Spannungen immer um eine Asymmetrie: die Frau fordert mehr von ihrer Umwelt als sie selbst zu geben bereit ist. Der Bruch der fundamentalen Regelung an gleichem bzw. gleichwertigem Umgang ist Grund für die Konflikte, die diese Frau immer wieder auslöst.

Der Opfertäter ist ein schwieriges Geschöpf. Denn er kann Instinkte der Unterstützung auslösen, obwohl er andere für seine Bedürfnisse einspannt. Und so ist er Täter, ob mit Intention oder nicht.