Auf Weltreise im eigenen Land

Kürzlich war ich in Sachsen, genauer in der Lausitz. Die Begegnung mit Menschen ist dort, wie ich fühle, als wenn ich als Mensch auf einem Planeten nur Zwerge oder andere Fremdlinge treffe.

Die Menschen gucken; Sie ziehen dabei den Kopf etwas zurück, um künstlich noch mehr Distanz aufzubauen. Sie lachen dieses verlegene Übersprungslachen, ohne dass weit und breit ein Witz zu finden ist.

Vom Anblick her sind sie irgendwie anders: denn oft färben sich die Frauen ihre Haare in schrillen Farben. Die Männer sind häufig tätowiert und gepierct. Auch ist die Kleidung merkwürdig auffällig, überladen – als ob sie nicht eine Fläche ohne irgendeinen Schmuck, eher Gedöns, ertragen.

Auch die Inneneinrichtungen sind so: völlig überladen mit Nippes; meist Souvenirs aus dem Leben der Bewohner und ihrer Verwandten; ohne einen strukturierenden Stil als eben die bloße Sammlung von Souvenirs. Autos sind voll von Kleinigkeiten.

Kleinere Städte sind ähnlich strukturiert; Sie folgen denselben Logiken des Rückbaus aus einer ‚blühenden‘ Zeit. Im Zentrum sind Markt und Bahnhofsvorplatz. Ein Netto, Lidl oder Aldi ist Zentrums-nah auf einer Ödfläche erstanden. NKD, KIK oder ein Billig-Sortimentler sind zu finden. Es gibt die Filiale eines Systembäckers, wie auch immer sie heißen, ist meist ‚am Platz‘ und ein kleiner Treffpunkt. Nagelstudios und Solarien sind fast immer zu finden, ein Friseur auch. Ein Versicherungsbüro ist schick aufgemacht. Eine Apotheke, die Arztpraxis oder die Post runden das Bild ab.

Eine städtische Infrastruktur gibt es freilich auch, die jedoch in Einheitsgestalt wie in anderen Teilen Deutschlands besteht. Dazu gehören die Verkehrsflächen, Ämter oder Versorgungsanlagen. Sie sind alle modern, vermutlich auf dem neuesten Stand der Technik.

Die Bildersprache des Alltags ist die aus Graffiti, Aufklebern, Plakaten, Werbungen und Ladennamen. Auffällig ist dabei wieder der schale Witz, die oft martialisch-aggressive Rhetorik und auffällige Farbgebung, die alles aus dem Malkasten herausholt.

Ergo: selbst wenn man sich äußerlich ähnlich ist, aus der gleichen Ecke stammt, dieselbe Sprache spricht … man kann sich so fremd sein wie man glaubt, es dem Ureinwohner auf einer fernen Insel zu sein.

Wahre Sucht

Man stelle sich nur vor, welche Abhängigkeiten Menschen eingehen. Im Gegensatz zum beschworenen freien Willen, der konstitutiv für unsere liberale Gesellschaft ist, schlägt das eine enorme Kerbe in unserer programmatisches Selbstbildnis. Kann ein Wähler süchtig sein? Ist ein Mensch straffähig, wenn er unter der Wirkung seiner Sucht stand – ob auf dem Tripp oder eben auf der Suche danach?

Menschen sind immer irgendwie süchtig nach irgendetwas. Ihr Verhalten richtet sich danach aus, ihre Sucht zu befriedigen. Und dann sagt man ja auch, Menschen könnten sich nur schwerlich ändern.

Kürzlich sah ich einen Mann pinkeln, der gleichzeitig sein Mobilphone bediente. Ich dachte bei mir zunächst an eines dieser Missgeschicke, die den Mann hätte erschrecken lassen. Doch war er zu versiert, um das geschehen zu lassen.

Süchte sind so unterschiedlich: es ist die Sucht, mit Jogging-Hosen vor dem Fernsehen zu liegen; die körperliche Sucht des langen Ausschlafens; die Sucht zu quatschen; die Sucht nach Alkohol oder Drogen; und die Sucht nach dies und das.

US-Präsident Trump hat nun „den Drogen den Kampf angesagt“. Ein hübscher, aber gleichzeitig naiver und tollpatschiger Slogan! Denn es sind doch nicht die Drogen: „it is the people, stupid!“ Man fragt sich hierbei nach der Richtung von Kausalität, nach Wirkung und Ursache.

Ich frage mich ja, ob überhaupt zwischen Hobby und Sucht ein Unterschied besteht. Denn Abhängigkeiten und Zwangshandeln schweißen sie doch zusammen. Und wo ist der Unterschied zwischen Sucht und persönlichen Routinen? Ist man nicht verärgert, wenn man einer Routine beraubt wird? Ist es nicht auch verbunden mit einem körperlichen und psychischen Schmerz?

Existiert also diese beklemmende und diskriminierte wie verachtete Sucht des anderen? Oder ist das nicht ein Bestandteil seiner Selbst, wenn man aufwächst? Man könnte sagen, dass jeder nicht nur suchtgefährdet ist, sondern tatsächlich süchtig. Denn vor positiven Gefühlen kann man sich nicht bewahren. Und auch von denen wird man abhängig!

Was also verdient überhaupt den Begriff, ja den Vorwurf an Sucht? Möglicherweise hat der Mensch nur wenig Spielraum zwischen seinen Süchten. Er ist an sich nicht suchtgefährdet, sondern voll von Süchten.

Die guten alten Freunde gehen

In der Zeitung las ich, dass Rehberg gestorben ist. Wer? Na, Hans-Michael Rehberg.

Er war ein Schauspieler, dem ich über 40 Jahre immer wieder begegnet bin – aber eben nur als Zuschauer. Rehberg spielte kleine und große Rollen. Er war ein sog. Charakterschauspieler, weder sympathisch noch abstoßend. Er war einfach da. An seine Rollen kann ich mich nicht erinnern, aber seine Bewegungen, vor allem seine Stimme. In meiner Erinnerung geblieben ist, dass er meist ernst, undurchdringlich und wichtig war.

Was er wohl für ein Typ war? Wieso er wohl immer so distanzierte Rollen spielte? Warum er gerade dafür ausgewählt wurde?

Das Spannende an Schauspielern der zweiten Garde, also der prominenten Nebenrollen ist, dass wir sie alle in unser kollektives Erinnern eingebettet haben. Vermutlich würden wir sie auf der Straße erkennen und versucht sein, sie zu grüßen. Wir aber wissen über sie als Menschen nichts, gar nichts. Sie sind nicht die Ikonen der Presse. So erfahren wir auch nichts über ihr Privatleben.

Über die Todesnachricht ist man kurz geschickt und getrübt – als ob ein Bekannter nun niemals mehr zu Besuch käme. Es reißt ein Stück Gewissheit aus der eigenen Erinnerung, die eigentlich Gegenwart ist.

Doch im Kino unserer Gedanken sind sie wohl Vertraute. Wir können mit ihnen spielen und spekulieren. Sie sind möglicherweise auch markant, da sie für Typen von Menschen stehen, bestimmte Handlungen, ihre Stimmen oder Gesichter uns an dritte erinnern. Sie sind daher ein Stück Wiedererkennungs-Muster für so allerlei.

Es ist ein wenig so wie mit ehemaligen Mitschülern. Auch sie verschwinden nicht in unseren Erinnerungen. Sie sind wie eingeprägt. Daher geht mit ihnen ein Stück Vertrautheit einher. Und so spielen sie auch eine Rolle, wenn wir zwischen zwei Filmen entscheiden müssen: dann geht der Abenteurer wohl für den Unbekannten, der andere für den Bekannten – als ob man wüsste, worüber man sich dann unterhalten würde.

Irgendwie ist es schön, auch Unbekannte zu seinen Bekannten zu zählen, wenn es auch nur eine einseitige Beziehung ist. So erweitern wir immens unseren Freundeskreis.

Unbarmherzig

Ich kenne einen Mensch, der durchweg angenehm im Umgang ist. Man kann mit ihm lachen, sich austauschen und vieles mehr. Es macht Spaß, sich zu unterhalten, Gedanken zu vertiefen oder humorig zu sein.

In die Unterhaltung mischen sich dann jedoch immer wieder harsche Aussagen über Problemfelder, denen man unweigerlich im Leben begegnet, wie zur Kinderziehung, zu Migranten, zum Alkoholkonsum usw.

Dann fühle ich mich, als ob jemand in eine Starre verfällt. Denn es erhebt sich dann die Frage, ob man einen ethischen Korrekturbedarf anbringen muss – in dem Stil, dass diese Aussagen doch eher Eckpunkte eines moralischen Verständnisses sind, das man selbst nicht teilt.

Ich selbst bin dann verunsichert, aus welchen Überlegungen solche Gedanken entstehen. Darüber hinaus frage ich mich, wieso ich dann diese Unfälle toleriere, wobei ich sonst eher revoltieren würde. Zur Relativierung, nicht Entschuldigung, kann ich dann nur beitragen, dass ich mich von meiner mehrheitlichen positiven Bewertung beeindrucken lasse.

Barmherzig ist auch so ein Wort: es dürfte wohl bedeuten, dass man Mitmenschen Unterstützung in Not gewährt, ohne auf eine Gegenleistung achten zu wollen. Vielleicht würde man es heute als humanitär bezeichnen. Darüber hinaus bezeichnet unbarmherzig wohl auch die Verachtung von Hilfe. Ungnädig wäre wohl falsch, da Gnade voraussetzt, dass sich ein Mitmensch etwas zu Schulden hat kommen lassen.

Wie kommt es, dass ein sozial verständiger Mensch Härten in Einzelbereichen seiner Umwelt zeigt? Hat er genug von seinem durchschnittlichen Verhalten? Benötigt man eigene Spitzen, um auch dem eigenen Bedürfnis gegen die ewige Harmonie nachzugeben? Muss jeder einfach einmal urteilen dürfen – aus dem Bauch, ohne viel Überlegung?

Ich selbst kann das bei mir beobachten, da ich mich beim Fußballspiel in das Verhaltensrepertoire des Schreiers und Angreifers fallen lasse. Das macht gar Spaß!

Was überhaupt treibt den Menschen, anderen gegenüber in einer bestimmten Lebenssituationen Härte zeigen zu wollen? Wohl weil man mit der Situation Selbstverschulden impliziert. Klassisch ist dafür der alkoholisierte und schlecht riechende Obdachlose, dem man einfach Faulheit, mangelnde Initiative und Einsicht unterstellt. Gerade hier würde wohl Barmherzigkeit beginnen, wie es kirchliche Praxis zumindest der Franziskaner war. Barmherzigkeit wärmt mir schon als Wort das Herz.

Digitalisierungs-Leugner

Es gibt die Menschen, die sagen, es wird nicht so schlimm kommen: der Tanker bewegt sich in den immer gleichen Fahrwassern. Und es gibt diejenigen, die beeindruckt sind von der Veränderung: jegliche Änderung ist erforderlich; disruption ist toll; die Traditionalisten sind doof usw.

Jeder muss entscheiden, inwieweit seine Grundhaltung über eine Bewertung in einem x-beliebigen Sachverhalt entscheidet. Und so verhält es sich mit vielen anderen ‚Entscheidungen‘, ob beispielsweise Ungerechtigkeit herrscht, ob Gesundheit alles ist, …

Meist ‚glaubt‘ man, man treffe Entscheidungen durch die Abwägung von Tatsachen und objektiven Faktoren. Denn wer will sich schon sagen lassen, Entscheidungen kämen aus einem Stream von Ideen und Haltungen, am besten noch Interessen. Nein, man will doch lieber öffentlich – egal, wie klein der Raum ist – sagen können, dass Argumente die Grundlage persönlicher Entscheidungen sind.

Verschließt man sich allerdings bei seiner Entscheidungsfindung der Akzeptanz um die grundlegende Richtung seines Denkens, dann hat man auch kein Bewusstsein dafür, dass alle seine Entscheidungen vorbestimmt und angeleitet sind.

Und so feiert man Phänomene, ohne sie zu hinterfragen. Und so leugnet man Dinge, die fraglos vorhanden sind.

Der prominenteste Fall dürfte der Nutzer des smart phone‘s sein. Denn das geliebte Handy ist doch ein Zeichen der Modernität: es ist schick; man ist dabei; das Neueste ist Teil seines Selbst. Der Nutzer will nicht erkennen, dass viele Fabrikarbeiter bei der Herstellung des Smartphone unterbezahlt sind, dass die Energiebilanz negativ ist, dass herkömmliches soziales Verhalten darunter leidet, dass seine Nutzung eine Einladung für den Bruch des persönlichen Umgangs ist, dass man Haltungsschäden entwickelt und und und. Es gibt nur wenig Einsicht in die dunklen Seiten. Man leugnet, da man sehr wohl weiß, aber nicht zugibt.

Man kann sagen, dass dies Selbstbetrug ist. Man kann aber auch sagen, dass man in einer modernen Umwelt nicht mehr handeln könne, wenn man jedes Detail durchleuchten müsste.

Und so wird man eben auch zum Leugner, auch wenn man Leugner ablehnt.

Einfluss auf andere

Wann schon bekommt man mit, dass man selbst Einfluss auf das Denken, Handeln und somit Leben von anderen hat? Es dürfte selten genug vorkommen.

Doch bestätigte mir in diesen Tagen ein junger Mann, dass eine Aussage von mir richtungsweisend für ihn sei. Ich war überrascht. Noch mehr, als ich gestehen musste, dass ich dies wohl eher beiläufig in einem Gespräch erwähnt hatte. Es ging darum, dass ich wiederholte, man müsse mit 37 Jahren einen Status im Arbeitsleben errungen haben, um ‚voranzukommen‘. Sonst wäre es aus.

Das Gefühl, irgendwie wirksam für das Denken anderer zu sein, ist seltsam: es schwingt spontan der Stolz mit, einem Mitmenschen irgendetwas mitgegeben zu haben. Dann stellen sich rasch die Zweifel ein: das ist Zufall, von so vielen Faktoren geprägt.

Mir selbst ist es ja auch nicht anders ergangen. Denn einprägsam sind Dinge, die ich irgendwo aufgeschnappt habe, sei es in Filmen oder Büchern, Weisheiten, aber auch von einzelnen Menschen. Doch von Menschen übernehme ich meist ihre Haltung im Leben, ohne auf Einzelheiten zu achten. Es ist der Lehrer, der Opa oder eine andere Person, die Respekt entfaltet.

Alles Handeln und Verhalten wird gemeinhin als privat betrachtet. Doch immer wieder bewegt man sich unter Menschen. Und provoziert so deren Verhalten, was bei einem selbst Eindruck hinterlässt.

Ein Beispiel ist die Art und Weise, mit Arbeitslosigkeit umzugehen. Wie ein Korsett liegt auf uns Deutschen, nur dann anerkannt zu sein, wenn man beruflichen Erfolg vorweisen kann. Diese preußischen Haltungen sind omnipräsent. Gerade der Erwerbslose wird überdurchschnittlich häufig depressiv. Obdachlose werden beschimpft, sie sollten gefälligst arbeiten. Und plötzlich begegnet mir ein Gleichaltriger, der sagt, er verstehe nicht, wieso wir Deutschen aus Arbeitslosigkeit so ein Drama machten. Denn man könne doch froh sei, eben nicht zur Arbeit gehen zu müssen. Das gibt mir freilich auch zu denken. Denn das Faktum an sich ist kein Weltuntergang, für das ich es aber halten könnte.

Zu gerne wüsste ich, ob andere Menschen mich zum Vorbild für irgendein Verhalten genommen haben. Noch besser wäre, wenn ich dann sagen könnte, meine Modellbildung sei ein Verdienst meiner persönlichen Entwicklung. Und so könnte ich mich sonnen in meiner eigenen Anerkennung. Doch weiß ich auch, dass Saat nur dort aufgeht, wo fruchtbarer Boden ist. Ich weiß auch, dass ich ein Produkt von vielem bin, kaum aber von einer bewussten Nachverfolgung eines Persönlichkeitstypen. Und bange wird mir, wenn ich ein Modell der Abschreckung wäre. Und ich weiß, dass einige Mitmenschen dies genau so sehen. Ergo: mein Einfluss ist wohl wie der jedes anderen, gut und schlecht gleichermaßen.

Nichtmals ein kleines Lächeln

Wie sehr kann man seine globale Umwelt missverstehen! So war ich kürzlich einen Kaffee to go kaufen. Das Restgeld warf mir die Verkäuferin in die kleine Schale, den Kontakt der Augen meidend, die Gestik gelangweilt und sich rasch abwendend. „Welch seltsames Verhalten!“, dachte ich bei mir. „Kann diese junge Frau denn nicht danke oder bitte sagen?“

Und so könnte ich nun den Tag weiter mit der Frage nach dem Verhalten dieses jungen Menschen verbringen. Ich würde dann bei und zu mir denken, dass diese Frau unhöflich ist, wohl den gesellschaftlichen Umgangston nicht kennt, sich gehen lässt oder sonstiges. Ich würde mich innerlich empören und abschließend ein Urteil treffen: wie etwa ‚blöde Kuh‘ oder ungezogene Göre.

Habe ich aber schon verraten, dass diese junge Frau wohl einen Migrationshintergrund hatte? Das jedenfalls müsste ich aus dem dunklen Teint ihrer Gesichtshaut schließen. Dazu diese dunklen Augen und fast schwarzen Augenbrauen.

Nun könnte es doch sein, dass ihre häusliche Kultur tatsächlich auf Krawall gebürstet ist: „diese Deutschen sind so Höflichkeits duselig. Genau gegen diesen Mainstream lehne ich mich auf.“ Dann wäre das Verhalten ein gesellschaftlich-politischer Protest, der eben mich als zufälligen Repräsentanten erwischt hätte.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass die junge Frau aus einer Familie stammt, in der strenge Regeln des Umgangs von Mann und Frau gelten. Dann wäre es völlig ‚normal’ gewesen, die Distanz zu wahren.

So weiß ich nicht wirklich, was passiert ist. Ich kann mir nur sicher sein, dass ich mir meiner eingepflanzten Beurteilungsmuster nicht sicher sein kann.

Gesetz gegen Hassrede

Als Junge noch dachte ich, dass nur wenige Menschen böse seien und von der Polizei gejagt würden. Meine Eltern hatten mich gelehrt, solche zu meiden. Lass Dich bloß nicht auf x ein! Denn dann begibst Du Dich in Gefahr.

Das neue Gesetz baut auf automatische Filter, aber auch auf eine manuelle Entfernung von Beiträgen, die voll von Äußerungen sind, die als gemeinsamen Nenner in der Verachtung von Menschen haben.

In den USA werden die großen Konzerne dieser Tage gequizzt, wie man auf ihren Plattformen politische Einflussnahme verhindern kann. Anlass ist die wahrscheinliche Einflussnahme von russischen Hackern auf die US-Präsidentschaftswahlen 2016, als vermeintlich neutrale Nachrichten im Netz gestreut wurden. Sie waren jedoch mit politischen Forderungen durchsetzt.

Und so werden nun Schranken aufgebaut, um den Hass und seine Brüder und Schwestern aus der Vielstimmigkeit des Internets zumindest zu minimieren. Dies ist kein demokratischer Prozess von unten, sondern eine Initiative ‚von oben‘, den funktionalen politischen Eliten, denen gemeinhin Korruption und Eigeninteresse vorgeworfen wird.

Es ist erstaunlich, dass der innere Teufel toben darf. Ist es lediglich die besondere Kommunikationsplattform, welche die Katalyse darstellt? Ist es die mangelnde soziale Sanktion gehen Fehlverhalten? Ist der moderne Mensch seiner Möglichkeiten beraubt, auch seine Aggressivität ausleben zu können, die nun einmal in ihm angelegt ist?

Ich frage mich, ob das Zeitalter der Demokratie vorerst innerlich so ausgehöhlt wird, dass es an seinem Kern einbüßt, nämlich an der Souveränität des Volkes. Müssen wir an diesen Grundfesten rütteln? Ist es nicht so, dass das Modell Singapur zum Leitbild werden muss, da dort der Mensch in seinem Verhalten von einem harten Regime gezügelt wird? Was ist mit der Freiheit der Äußerung, die zu den Menschenrechten zählt? Ist nicht auch die ziellose Aggressivität schon alleine ein Bruch des Menschenbildes, auf dem die moderne Demokratie aufbaut?

Nicht in den letzten 100 Jahren war uns der Mensch an sich so fremd, wenn man vom Holocaust absieht. Hat er sich jemals geändert? Ist er besser, reifer, verträglicher geworden? Ist das Internet ein ‚Unfall der Geschichte‘?

Und was heißt das nun eigentlich für den Umgang in der realen sozialen Umwelt? Sollen wir den, der herumschreit, auch anzeigen dürfen? Ist der Ausländerhass so nicht auch ein notwendiger Straftatbestand? Und müsste dann nicht auch der Hass aus den Fußballstadien verschwinden?

Historische Fehlentwicklungen wurden gesühnt, indem Wahrheitskommissionen eingerichtet wurden? Strafe war fällig. Benötigen wir nicht eigentlich auch eine Um-Erziehung, da die Erziehung offensichtlich fehlgeschlagen ist?

Vielleicht sollten wir ein ‚nudging‘ anstreben: jeder erhält ein Hasskonto, das er selbst führen darf. Gerät er dauerhaft ins Minus, so wird er sozial geächtet. Wer im Plus bleibt, bekommt öffentliche Belohnungen jedweder Art. Das machen uns derzeit die Chinesen vor, die die neuen technischen Möglichkeiten gegen den ‚Missbrauch‘ nutzen. Vorbild China?

Harneke und sein Selbst

Lernt man sich besser kennen, kann das auch dazu führen, dass man sich selbst besser einschätzen kann.

Der Regisseur Michael Harneke äußerte in einem Interview (Berliner Zeitung, 06.10.2017): „Ich traue mir selbst nicht über den Weg.“ Zudem: jeder Mensch ist zu jeglichem Bösen fähig.

Was für ein Zwischenergebnis seiner Selbsterkenntnis! Denn die überragende Mehrheit der Menschen würde behaupten, sich im Leben zum Besseren zu entwickeln. Dazu passt der Begriff Persönlichkeitsentwicklung, der wohl nur ausschließlich in positiver Richtung verstanden wird. So würde die Erkenntnis von Harneke wohl als ‚irre’ weg gewischt werden. Es passt einfach nicht.

Die Sicht auf sich selbst ist so vielen Stimmungen, Brillen und Prägungen unterworfen. Schade eigentlich. Denn das Selbst ist vermutlich das größte Interesse des Menschen – mehr als Frauen oder Männer, Autos, berufliche Karriere oder gar Krieg und Frieden. Wer möchte sich nicht kennen? Es ist das höchste Gut eines bewussten Lebens.

Zudem kann man sich kaum mehr als in der Einschätzung seiner Selbst vertun. Beispielsweise der Satz: Entweder Du bist genial oder total bescheuert! Aus der Innenperspektive könnten beide Varianten stimmen. Beurteilen lässt es sich wohl nicht.

Schön war auch Reinhold Messner in einer Talk Show (WDR, 13.10.2017), der sich rückwärtig erinnert: Ich muss mich immer wieder Menschen zumuten.

Und so muss man sich schließlich fragen, was eigentlich das Selbst ist, wie es sich schnappen lässt, ob man es objektiv umreißen kann. Oder sind Denken und Selbst so verschmolzen, dass es nicht geht? Vermutlich ist das Selbst auch eine Konstruktion, die zu jeder Zeit der Lebens unterschiedlich ausfällt.

Dennoch gibt es absolute Aussagen über sich. Es könnten Schlussfolgerungen von älteren Personen sein, oder aber Selbstversicherungen von jüngeren. ‚Ich bin gutmütig‘ wäre so ein Beispiel.

Vielleicht kann man sich nur dem Selbst annähern. Fixieren lässt es sich nicht. Es dürfte ein fluides Gut sein. Und so eignet es sich auch zum goldenen Kalb: es gibt nichts von sich, will aber verehrt sein.

Erwachsen

Das Wort ‚erwachsen’ ist wohl eine Utopie. Denn es unterstellt eine Souveränität, die von den Erwachsenen selbst wohl kaum als richtig und machbar empfunden wird.

Was gehört denn eigentlich dazu, erwachsen zu sein?

1. physisch heißt es wohl, nicht mehr im Wachsen zu sein. Komisch aber ist, dass sich der Erwachsene dennoch körperlich weiterentwickelt. Zudem ist der Körper durch Handeln formbar, wie durch Training ein Sportler werden kann.

2. geistig erwachsen dürfte bedeuten, sich im Griff zu haben. Der Erwachsene kann sich rational verhalten. Er ist in der Lage, abstrakt zu denken. Er kann mit Krisen umgehen.

3. sozial heißt erwachsen, sich den Regeln entsprechend zu verhalten. Er weiß um die gesellschaftlich akzeptierte Entwicklung, z.B. eine Karriere zu durchlaufen.

4. wirtschaftlich erwachsen heißt, sein eigenes Schicksal auf dem Arbeitsmarkt bestimmen zu können.

5. rechtlich ist der Erwachsene ein Subjekt, das voll strafmündig ist. Da er einen freien Willen hat, darf er auch für Fehlverhalten zur Verantwortung gezogen werden.

Kinder haben ‚erwachsen’ als Gegenbegriff im Gebrauch: „ihr Erwachsenen wollt immer recht haben! Und Ihr wollt bestimmen, wie wir leben.“

Alles spricht dafür, dass dies bloße Programmatik ist: den allseits Erwachsenen gibt es so wohl nie. Denn auch der Erwachsene ist doch nur dann erwachsen, wenn es sein Inneres ihm ermöglicht und seine Umwelt zulässt.

Ich glaube, dass der Erwachsene nicht den Druck zulassen sollte, dass man dem Versprechen des Wortes folgen sollte. Denn das würde ein tägliches Anrennen bedeuten, das nicht zum zweifellos ein Erfolg führen kann.