Harneke und sein Selbst

Lernt man sich besser kennen, kann das auch dazu führen, dass man sich selbst besser einschätzen kann.

Der Regisseur Michael Harneke äußerte in einem Interview (Berliner Zeitung, 06.10.2017): „Ich traue mir selbst nicht über den Weg.“ Zudem: jeder Mensch ist zu jeglichem Bösen fähig.

Was für ein Zwischenergebnis seiner Selbsterkenntnis! Denn die überragende Mehrheit der Menschen würde behaupten, sich im Leben zum Besseren zu entwickeln. Dazu passt der Begriff Persönlichkeitsentwicklung, der wohl nur ausschließlich in positiver Richtung verstanden wird. So würde die Erkenntnis von Harneke wohl als ‚irre’ weg gewischt werden. Es passt einfach nicht.

Die Sicht auf sich selbst ist so vielen Stimmungen, Brillen und Prägungen unterworfen. Schade eigentlich. Denn das Selbst ist vermutlich das größte Interesse des Menschen – mehr als Frauen oder Männer, Autos, berufliche Karriere oder gar Krieg und Frieden. Wer möchte sich nicht kennen? Es ist das höchste Gut eines bewussten Lebens.

Zudem kann man sich kaum mehr als in der Einschätzung seiner Selbst vertun. Beispielsweise der Satz: Entweder Du bist genial oder total bescheuert! Aus der Innenperspektive könnten beide Varianten stimmen. Beurteilen lässt es sich wohl nicht.

Schön war auch Reinhold Messner in einer Talk Show (WDR, 13.10.2017), der sich rückwärtig erinnert: Ich muss mich immer wieder Menschen zumuten.

Und so muss man sich schließlich fragen, was eigentlich das Selbst ist, wie es sich schnappen lässt, ob man es objektiv umreißen kann. Oder sind Denken und Selbst so verschmolzen, dass es nicht geht? Vermutlich ist das Selbst auch eine Konstruktion, die zu jeder Zeit der Lebens unterschiedlich ausfällt.

Dennoch gibt es absolute Aussagen über sich. Es könnten Schlussfolgerungen von älteren Personen sein, oder aber Selbstversicherungen von jüngeren. ‚Ich bin gutmütig‘ wäre so ein Beispiel.

Vielleicht kann man sich nur dem Selbst annähern. Fixieren lässt es sich nicht. Es dürfte ein fluides Gut sein. Und so eignet es sich auch zum goldenen Kalb: es gibt nichts von sich, will aber verehrt sein.

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