Man stelle sich nur vor, welche Abhängigkeiten Menschen eingehen. Im Gegensatz zum beschworenen freien Willen, der konstitutiv für unsere liberale Gesellschaft ist, schlägt das eine enorme Kerbe in unserer programmatisches Selbstbildnis. Kann ein Wähler süchtig sein? Ist ein Mensch straffähig, wenn er unter der Wirkung seiner Sucht stand – ob auf dem Tripp oder eben auf der Suche danach?
Menschen sind immer irgendwie süchtig nach irgendetwas. Ihr Verhalten richtet sich danach aus, ihre Sucht zu befriedigen. Und dann sagt man ja auch, Menschen könnten sich nur schwerlich ändern.
Kürzlich sah ich einen Mann pinkeln, der gleichzeitig sein Mobilphone bediente. Ich dachte bei mir zunächst an eines dieser Missgeschicke, die den Mann hätte erschrecken lassen. Doch war er zu versiert, um das geschehen zu lassen.
Süchte sind so unterschiedlich: es ist die Sucht, mit Jogging-Hosen vor dem Fernsehen zu liegen; die körperliche Sucht des langen Ausschlafens; die Sucht zu quatschen; die Sucht nach Alkohol oder Drogen; und die Sucht nach dies und das.
US-Präsident Trump hat nun „den Drogen den Kampf angesagt“. Ein hübscher, aber gleichzeitig naiver und tollpatschiger Slogan! Denn es sind doch nicht die Drogen: „it is the people, stupid!“ Man fragt sich hierbei nach der Richtung von Kausalität, nach Wirkung und Ursache.
Ich frage mich ja, ob überhaupt zwischen Hobby und Sucht ein Unterschied besteht. Denn Abhängigkeiten und Zwangshandeln schweißen sie doch zusammen. Und wo ist der Unterschied zwischen Sucht und persönlichen Routinen? Ist man nicht verärgert, wenn man einer Routine beraubt wird? Ist es nicht auch verbunden mit einem körperlichen und psychischen Schmerz?
Existiert also diese beklemmende und diskriminierte wie verachtete Sucht des anderen? Oder ist das nicht ein Bestandteil seiner Selbst, wenn man aufwächst? Man könnte sagen, dass jeder nicht nur suchtgefährdet ist, sondern tatsächlich süchtig. Denn vor positiven Gefühlen kann man sich nicht bewahren. Und auch von denen wird man abhängig!
Was also verdient überhaupt den Begriff, ja den Vorwurf an Sucht? Möglicherweise hat der Mensch nur wenig Spielraum zwischen seinen Süchten. Er ist an sich nicht suchtgefährdet, sondern voll von Süchten.