Es zählt die Kraft des Arguments

In einem Interview mit der neuen Bildungsministerin des Landes Brandenburg, Birgit Ernst, äußerte sie, dass im Kern politischen Engagements das Argument stehe.
Ich war geradezu elektrisiert von dieser Klarheit, wie man Politik angehen kann. Denn auch in jedwedem Dialog halten wir als Maßstab hoch, die Wahrheit durchzusetzen. Und es stimmt, soweit ich Menschen im heftigen Dialog beobachte, dass alle Beteiligten den anderen von den eigenen Ansichten zu überzeugen suchen.
Wer Interessen hat, zu denen er sich bekennt, muss sie gegen anderes aufrecht erhalten, um besten Fall durchsetzen.
Was aber passiert, wenn beide Wahrheiten auf einem großen Fundus an Fakten und Erfahrungen beruhen? Dann bilden sich Systeme aus, Anschauungen ubd Haltungen.
Eine Identifikation des Menschen mit dem System, nehmen wir den freiheitlichen Liberalismus, kann nicht anders, als ihn eins mit seiner Persönlichkeit zu bewerten.
Tja, wie soll es dann überhaupt zu einer Haltung kommen, dass auch ein anderer ein besseres Argument haben kann? Es geht nicht. Es würde erst dann funktionieren, wenn das eigene System keinen Schaden nimmt, soweit man dem Gegenüber recht gibt. Das wäre bloße Taktik.
Es kann bei einer politischen Auseinandersetzung, in der der Glaube an eine Sache auf dem Spiel steht, keine Zugeständnisse geben.
Anders verhält es sich dann, wenn der gesamte politische Rahmen die Menschen überzeugt, an ihn zu glauben. Dann ist es möglich; nicht nur leichter, Zugeständnisse zu machen.
Die erwähnte Politikerin hat also nur recht, wenn sie mit Gegenübern zu tun hat, die in der Wahl der Mittel streiten, nicht aber in den fundamentalen Zielsetzungen, für das sie in der Politik aktiv sind. Und so ist sie nur auf einer Insel der Wahrheit. Die Welt kann sie somit nicht erklären – und in ihr auch nicht erfolgreich sein. Geht es um die Auseinandersetzungen um widerstrebende Zielsetzungen, zählt nur noch die Macht, sie gegen die anderen durchzusetzen.

Fehler? Fehler!

Begeht das eigene Kind bei einer schulischen Aufführung einen Fehler, so nimmt man es in den Arm und versichert, dass dies nicht schlimm sei. Erfährt man von einem Fehler, den ein Kassierer bei einer Berechnung begangen hat, dann ist dies unverzeihlich – für immer und ewig.
Es ist erstaunlich: die Wirkung eines Fehlers bemisst sich nicht nach den objektiven Folgewirkungen, sondern der Person, die den Fehler begeht.
In Deutschland jedoch gibt es ganze Berufsgruppen, die unter Fehlerverdacht stehen, wie Politiker, Lehrer, Beamte und Ärzte. Es ist geradezu ein Sport, Funktionsträger dieser Milieus eines Fehlers zu überführen. Es ist Erfolg genug. Man erzählt auch dann gerne darüber.
Die Fehlerfindung und -bezichtigung hat also eine soziale Funktion. Aber eigentlich geht es darum, Normen zu stärken. Doch scheint das nicht mehr das primäre Merkmal zu sein. Es geht eher darum, die Prominenten zu relativieren, die einen besonderen Status genießen. Es geht um Skandal und um Pranger. Dabei ist der Pranger der Funktion in seiner mittelalterlichen Entstehung verloren gegangen. Es geht nurmehr um das Johlen des Mobs, wenn jemand moralisch hingerichtet wird.
Der Fehler ist also nicht nur ein Fehler, sondern mehr: er ist eine Einladung zur Verunglimpfung; die Fehlerbezichtigung ist ein Mittel zur Selbststärkung; man fühlt sich wohler und besser, wenn die Stars einer Gesellschaft gedemütigt werden; sie sind nichtmals so gut wie man selbst.
Wunderlich ist, dass die Fehlerrecherche auch der Stärkung der Analysefähigkeit und der Teilhabe dient. Denn ohne Prüfung auch keine Aufdeckung von Mängeln, Fehlern und Schwachstellen. Doch überlassen wir Konsumenten der Medien dies den Mittlern, den Medien. Ihr investigatives Recherchieren dient ja auch nur der Kontrolle: Misserfolg heißt, nichts zu finden – oder schlimmer, die korrekte Normalität zu finden.
Auch in politischen Filmen gibt es nur noch den korrupten Politiker. Wann kann man jemals etwas über die sehen – außer heldischen Biographien? Oder bei Historienfilmen? Lincoln, Thatcher, Hitler wurden in den letzten Jahren so ins kollektive Erinnern übersetzt.
Aber auch in der Kultur hat sich hartnäckig ‚wir – und die da oben’ erhalten. Mit der AfD erlebt der dumpfe Stammtisch seine Renaissance.
Der öffentliche Fehler ist etwas anderes als der private oder eigene Fehler. Der private Fehler wird eher toleriert oder aber frühzeitig verdammt. Der Fehler anderer in der alltäglichen Umgebung erzwingt Tuscheln und Rufschädigung: „haben Sie schon gehört, dass x sich daneben benommen hat? Ist das nicht schrecklich?“ Soziale Ächtung, wenn auch schleichend und leise, kann daraus erwachsen.
Der eigene Fehler aber ist immer verzeihlich und somit verdrängbar. Denn er ist eine nicht intendierte Unterlassung oder beiläufige Ignoranz. Wegen der mangelnden Intention ist Schuld keine Kategorie.

Glaubenssätze

„Rechts von der CDU darf es keine weitere Partei geben.“ Also kann das für die derzeitige Parteiführung nur bedeuten, das man die erstarkte AfD rechts überholen muss. Und so setzt sich die logische Kette fort, ohne das Axiom in Frage zu stellen. Die CSU heizt den Überbietungswettbewerb an, indem immer schärfere Maßnahmen gegen Flüchtlinge gefordert werden.
Es ist schlicht eine ins Höfliche und Etablierte umformulierte Hetze. Flüchtlinge werden zum Stigma für viele Probleme: Gewalttaten; Dreck; Arbeitslosigkeit; Ungleichverteilung öffentlicher Investitionen; und vieles andere mehr.
Der Glaubenssatz ist mächtiger als das kulturelle Erbe, der Weltblick der traditionellen Wähler und die Programmatik früherer Parteiprogramme. Schlicht bedeutet es die Aufgabe der christlichen Position von Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Und das trotz des großen C um Parteinahme!
Der Stammwählerschaft muss das nicht gefallen, wie das ARD-Magazin Monitor am 10.01.2018 beweist. Sie fühlen sich missbraucht, nicht mehr vertreten. Es treibt die These an die Oberfläche, bei den nächsten Wahlen zwar der AfD stimmen abzujagen, aber die eigene Kernklientel an Grüne, SPD und FDP zu verlieren.
Als Unbeteiligter hat man ja den Vorteil, aus der Ferne nüchtern betrachten zu können, wofür sich andere erklären müssen. Was nur treibt Menschen der CSU-Spitze, solchem Schabernack zu folgen? Sie sind allesamt fraglos überdurchschnittlich intelligent. Sie haben alle ein riesiges soziales Netzwerk, das Ihnen doch mehr Gefühl für die Stimmung garantieren sollte.
Wieso nur übergeben sie ihr eigenes Schicksal an ein so großes Wagnis? Denn die Rückkehr zur eigenen Identität wäre doch genau das Gegenteil. Haben sie sich vielleicht in ein Abenteuer manövriert, aus dem sie nur mehr mit extremen Positionen herauskommen? Hören sie nur noch auf schrille Stimmen? Glauben sie, dass östliche Nachbarländer ihnen Vorbild sein müssen?
Sind Sie vielleicht gar von den neuen Positionen überzeugt? Das bedeutete, jegliche Werte aus den allgemein bildenden Schulen und dem Kommunionsunterricht ad acta zu legen oder besser über Bord zu werfen. Wie sollen bloß Menschen an sie glauben, wenn sie Menschen verachtend mit Flüchtlingen umgehen?
Gehört der Glaubenssatz zur Herrschaft über die Stammtische dazu, der ebenso zum Arsenal der methodischen Überzeugungen gehört? Und gesellt er sich zu dem Glaubenssatz, mit den Wählern zu gehen statt ihnen ein überzeugendes Angebot zu machen?
Und gefährdet die Partei nicht ihren eigenen sozialen und ethischen Zusammenhalt, indem sie einer momentanen Stimmung im Land nachgibt? Ist der bekannte interne Zentralismus nicht gefährdet, wenn die Parteibasis alternative Vorstellungen hat?
Was schon helfen solche Überlegungen, wenn Glaubenssätze verehrt und inbrünstig gefolgt werden? Glaubenssätze sind purer Glaube. Oder die Welt reif dafür ist, wird sich zeigen.

hüpfendes Männlein

Kürzlich traf ich einen Menschen, der mir gegenüber sass und einfach keinen Dialog führen konnte: die Augen versuchten, die meinen zu treffen, wanderten aber sogleich danach in eine andere, dann in viele Richtungen. Reaktionen auf meine Aussagen bestätigten meine Thesen, aber wurden aufgrund eines Mangels an Stellungnahme sogleich wieder ignoriert. Präzise Nachfragen endeten in einem Auflachen und einer beiläufigen Antwort (wo keine Frage war).
Menschen dieser Art weiß ich gar nicht zu kennzeichnen. Ich nehme deren innere Bewegungsmanie wahr, ohne äußerlich nervös zu wirken. Ein Thema zu vertiefen, ist unmöglich. Und so gleicht ein solcher Austausch einem Schattenboxen. Es schwingt ein wenig nach rechts, dann wieder nach links. Das Gespräch findet einfach keinen Kern.
Wenn ich es recht bedenke, so bin ich schon häufig auf diese Menschen getroffen. Sie entziehen sich jeglichem präzisen und tieferem Austausch. Sie weichen aus, wo man auf eine substanzielle Antwort hofft. Sie geben den Eindruck, das Gespräch sofort beenden zu wollen, ohne auch nur eine Spur von Entschlossenheit zu haben, dies umzusetzen.
Und so bleibt ein Gefühl wie nach einem faden Essen: es gab keine Kontur, nichts war zu beißen da. Der Geschmack war fad. Das Gericht war außerdem lauwarm. Man wird sich kaum daran erinnern, so beiläufig war die Aufnahme von Nahrung. Irgendwie hat das Essen dann seinen Zweck erfüllt. Es könnte Fast Food gewesen sein.
Wie nur muss das innere Erleben bei solchen Menschen sein? Sind sie wohl zufrieden, jegliche Präzisierung oder Konkretisierung eines Sachverhaltes zu vermeiden? Welches Format eines Gesprächs würde ihnen wohl gefallen? Nehmen sie den anderen als aufdringlich und fordernd wahr? Oder wollen sie schlicht in Ruhe gelassen werden?

Contents

Die Digitalisierung weckt Hoffnungen und schürt Ängste. Kaum jemand weiß, was digitale Prozesse alles in kurzer Zeit in unserem alltäglichen Leben verändern werden.
Die Breite der Reaktionen ist wohl während der Geschichte der Zivilisation stets dieselbe: es gibt diejenigen, die Technik befürchten, und diejenigen, die sie herbeisehnen. Ihr Urteil basiert stets und ausschließlich auf Haltungen, nicht auf Wissen und Abwägungen.
Dieser Tage setzt sich allerdings ein seltsamer Vorgang durch: alle sehen und spüren Veränderungen. Man reflektiert das, was man in der Schule gelernt hat: die industrielle Revolution hat neue Lebensformen geschaffen. Und jetzt wird es genauso kommen. Doch weiß man nicht, wie das enden wird.
Die Menschen versuchen, mit den neuesten Möglichkeiten einer digitalen Technologie mitzukommen. Fast jeden Monat wird irgendetwas Neues geschaffen, dessen man sich zur Erleichterung des Alltags bedienen kann. Und so muss man sich auf die Technik konzentrieren, um mitzukommen. Jeder Neugierige versucht zu folgen und zu experimentieren. Die Zeit, die man für ständig neue Anwendungen aufbringt, wächst und nimmt immer größeren Raum ein. Alles verspricht Erleichterung und einen Wurf, sich von irgendeinem Arbeitsschritt – also Ballast – zu lösen.
Leicht lässt sich dies für Formen beobachten, wie sich Menschen miteinander austauschen. Man kann Tag und Nacht mit einander kommunizieren; alles ist leicht, prompt und leicht machbar.
Doch die Tiefe des Inhalts will einfach nicht mitkommen: je mehr ich mit meinen Freunden reden und schreiben kann, desto weniger habe ich mitzuteilen. Denn das menschliche Dasein gibt so viel nicht her, über das man ständig reden müsste. Und so chatten und schnattern wir wie nie zuvor!
Gerade im Vokabular der eingeweihten Könner zeigt sich, wie sehr wir uns auf die technologische bzw. methodische Seite stürzen: jetzt brauchen wir nur noch ‚content’, um die Möglichkeiten der Technik ausschöpfen zu können.
Auf diesen Content bezieht man sich nur noch abwertend. Er ist zweitrangig geworden. Denn es zählt die Technologie.

Ist Ekel wirklich Ekel?

Ekel lässt sich nicht unterdrücken. So viele Wissenschaftler schreiben, dass man dem inneren Gefühl des Ekels nichts entgegen setzen kann.

Ich weiß ja nicht. Zunächst denke ich an Sozialarbeiter oder an Pathologen. Sie haben einen professionellen Umgang mit den Seiten des verwahrlosten Ding Mensch, die sich in Geruch, Körperausscheidungen, Schmutz, asozialem Verhalten und anderem zeigen. Sie müssen das annehmen, um ihren Auftrag erfüllen zu können.

Dann denke ich an Hundehalter. Die laufen derzeit mit kleinen Beuteln herum und sammeln den Kot ihrer Vierbeiner ein. Ich beobachte dabei nie (!) dieses Gesicht, was darauf schließen lässt, dass sie die Masse in ihrer Hand anwidert.

Aber auch denke ich an verwandte Menschen. Eltern müssen während der Aufzucht ihres Säuglings und späteren Kleinkinds immer wieder und wieder die auswürfe der kleinen Menschen nehmen, wie sie sind. Das würden sie für niemanden sonst tun. Es würde sie ekeln.

Und dann kommt noch der älter werdende Mensch hinzu, der allmählich die Kontrolle über seinen Körper einbüßt. Die Partner und Kinder sind bereit, alles zu tun, um die Contenance vor der Umwelt zu wahren.

Wie machen sie das alles? Diese Menschen ertragen, was andere Menschen anekelt. Sie beherrschen ihren Ekel. Es ist schön zu sehen, dass Menschen mit einem Auftrag persönlicher Bedeutung über menschliche Bestimmtheit hinweggehen können. Sie überwinden vermeintliche anthropologische Konstanten.

Lob als Selbstverständlichkeit

Die TOP-Gefühle der Deutschen sind Angst und Unzufriedenheit. Das Erste ist gar international sprichwörtlich geworden. Das Zweite ist allgemeinverständlich für viele Vorkommnisse, wie Protestwähler oder andere Nöhler.

Wir Deutschen scheinen süchtig nach Lob und Wertschätzung zu sein. Denn damit können Angst und Unzufriedenheit gemildert, vielleicht ausgelöscht zu werden.

Machen wir ein gedankliches Experiment analog der Parallelaktion in Musils ‚Mann ohne Eigenschaften‘: ein nationales Projekt wird erschaffen, um den Deutschen Lob und Wertschätzung zu bringen. Bei einer solchen Planung stellen sich dann gleich zu Beginn viele entscheidende Fragen: wann wird etwas als Lob empfunden? Wie muss es verpackt sein? Wie lange hält es an? Wie dick aufgetragen muss es sein?

Was würde wohl herauskommen? Würden die Deutschen überhaupt Lob empfinden können? Was wäre diese Empfindung: Genugtuung, Bestätigung, Motivation, lästige Kommentierung? Anderes?

Ich wage die Hypothese, dass auch ständiges und intensives Lob nicht verfangen würden. Selbst mit dem Spenden des Lobs wäre der Deutsche am Ende über Kreuz: „immer dieses Lob! Kann man nicht ‚mal anders loben?“

Lob ist das emotionale Pendant zur technischen Perfektion. Nichts kann gut genug sein. Doch kann das sozial funktionieren? Geht das überhaupt mathematisch? Lob erhält mehrheitlich derjenige, der sich in einem Wettbewerb durchsetzt. Doch können das nicht alle sein. Denn es gibt nur drei Plätze auf dem Podium.

Ein schönes Bild ist der Sport. Denn wenn die Bambinis um die Wette laufen, dann ist jeder von ihnen Sieger. Das lässt sich in den Gesichtern der Eltern ablesen. Ähnliches gilt neuerdings bei Abiturfeiern: die werden zelebriert wie besondere Ausnahmeleistungen. Doch über 50 Prozent der Jugendlichen absolvieren Abitur.

Lob ist in Deutschland ein gefühltes Menschenrecht. Jeder muss es bekommen. Lob gehört auch den Opfern. Gut zu ersehen ist das unter Ostdeutschen, die für ihre Lebensleistung in der ehemaligen DDR gelobt werden wollen. Denn dort war nicht alles schlecht. Exemplum generalis ist dann die Kinderkrippe. Der Unterdrückungsapparat, der immerhin 1 Mio. von 17 Mio. Bürgern ausmachte, bleibt dann unberücksichtigt, hat mit Lob schließlich nichts zu tun: den kann man doch woanders aufarbeiten.

In Deutschland wird Lob mit Anerkennung und Wertschätzung verwechselt. Aber auch An-erkennung wird nur denjenigen gegeben, die sici aus der Masse hervortun. Aber auch Wertschätzung gibt es nach deutschem Denken dann, wenn etwas besonders war. Das Benchmark ist der Wettbewerb, nicht der Mensch, der erstmals etwas Neues in seinem Leben geleistet hat.

Und so gilt eigentlich die Politik als letzt Verantwortlicher für Lob. Alle möglichen Gruppen verlangen eine besondere Würdigung. Besonders absurd empfinde ich dies in dem Schlussbericht des Opferbeauftragten für das Attentat, Breitscheidplatz Kurt Beck. Die Hinterbliebenen wollen öffentliche Anerkennung durch Politiker. Wieso das denn eigentlich? In Afghanistan oder im Irak werden täglich Menschen zum Opfer politischer Gewalt. Kämen die Hinterbliebenen darauf, von der Politik Anerkennung einzufordern?

Der Harlekin

Die Melancholie hat ein Gesicht, den Harlekin des polnischen Historienmalers Jan Matejko.

Es handelt sich um den Hofnarren Stańczyk, der betrübt auf dem Bett sitzt, nachdem er vom Verlust eines Teils des polnischen Herrschaftsgebiets an die Preußen erfährt. Sein Körper hängt geknickt auf der Bettkante. Sein rotes Kostüm ist so unpassend wie man sich kaum vorstellen kann. Sein Blick geht trübe zu Boden.

Gerade weil es seine Aufgabe ist, den Hofstaat zu belustigen, zu unterhalten und zum Nachdenken anzuregen, kann er sich auch nicht in seine Traurigkeit fallen lassen. Seine Stimmung bleibt gleichwohl verhalten und gedämpft, da seine Späße nicht über das historische Faktum hinwegtäuschen können.

Melancholie ist daher nicht einfach nur Traurigkeit, sondern auch der Versuch, weiter am Leben teilzuhaben. Doch der externe Beobachter bemerkt natürlich, dass die Vitalität und Lebensfreude zumindest für eine Zeit verschwunden sind.

Für diejenigen, die der beklemmenden Stimmung verfallen sind, heißt es, das Kostüm als Anreiz für eine Besinnung zu akzeptieren, wieder die eigene Stimmung in eine Balance zu bringen. Streift man es ab, ist der Kontakt zur Lebenswirklichkeit vorerst gebrochen. Man würde seine Rolle und seinen Stand in der Gesellschaft verlieren.

Im Gegensatz zum Clown gehört die Traurigkeit nicht zum Portfolio des Harlekins. Der Clown darf rühren, soll fühlen motivieren. Der Hofnarr allerdings ist ein Spiegel; seine Aufgabe ist die eines Warners, der Teil hat auch am Diskurs und dem Rationale einer Diskussion zu Hofe.

Ich wundere mich zuweilen, dass dieser Tage keinerlei Funktionen bei Regierungen vorgesehen sind. Es ließe sich glauben, dass die Opposition dies vollführe. Das kann aber wohl nur die politische Satire. Doch schauen die Politiker solche TV-Sendungen?

Fordern statt Beichten

Entsetzter kann man nicht sein: die öffentlich-rechtlichen Medien schelten alles, was vermeintlich mangelnde Verantwortung ausmacht: verfolgt Eure Interessen; macht Kompromisse; folgt dem, was Ihr im Wahlkampf gesagt habt; folgt nicht dem Ruf der Macht; tretet zurück; legt bitte mittelfristige Programme vor; tretet zurück; man soll den Wähler respektieren; und und. Am Ende bitte: liefert; lasst uns in Ruhe mit Sachfragen; unterhaltet uns! Die sind doch alle doof.

Die sozialen Medien sind vermutlich stärker im Duktus: Ihr seid unfähig; Ihr wollt nicht; Ihr ver …

Diese Öffentlichkeit zwingt zur Erfüllung von allem und jedem – auch wenn es sich widerspricht. Es gibt gar die These, dass eine Koalition das Beste ergibt, weil alle Strömungen und Absichten darin enthalten sind.

Was tun? Ist jetzt ‚die‘ Politik Mensch geworden? Sind wir nun zufrieden, dass die auch nicht anders sind? Wollen wir den Politiker als Elite und Mächtigen endlich auf Augenhöhe, um uns gut zu fühlen? Es ist, als ob alle Wähler an dem Drehbuch einer Sitcom von bekannten Entscheidungsfindern mitschreiben würde. Es geht nur noch um das wie (des Possenspiels), nicht mehr um das was (die zu regelnden Probleme und Inhalte).

Aber kann das gelingen? „Zu viele Köche verderben den Brei“, heißt es rechtens. Ist das wirklich noch Politik, in der es eigentlich darum gehen sollte, die Herausforderungen und Probleme des Kollektivs, eben der Gemeinschaft (die im griechischen Polos genannt wird) zu lösen? Da geht es um Überleben, die nachhaltige Sicherung der Nahrungsmittel und um die Verteidigung gegen eventuelle Feinde, wie Menschen, Natur oder Krankheit.

Und es sind die Medien, die in den Dienst des Voyeurismus und des Mobs getreten sind. So werden sie selbst wahrgenommen. So spielen sie im Zeitalter des Internets überhaupt noch eine Rolle, in der jeder zum Schreiberlinge mutieren kann, da er leicht an Öffentlichkeit gelangen kann. Und so buhlen sie darum, noch wahrgenommen zu werden, indem sie ‚human interests‘, also Zeitschriften -Themen zum Zentrum macht. Dabei geht kaum mehr um informieren oder analysieren, eher um unterhalten und kommentieren, am Ende gar um Meinungsmache.

 

Gefalle ich mir eigentlich?

Mein Vater sagte gelegentlich über Menschen, dass sie sich selbst nicht gefallen. Das waren Typen, die muffelig, zickig, unfreundlich und abweisend waren. Die Interpretation meines Vaters bezieht sich auf Menschen, die seltsam sind, ohne einen objektiven Grund dafür zu haben.

Ähnlich stellt sich die Welt dar, wenn man schlecht gelaunt ist, ohne einen triftigen Grund dafür angeben zu können. Dann könnte man höchstens unbekannte biochemische Vorgänge anführen, um seine Stimmung erklären zu können.

Ich kann mich noch an eine Szene erinnern, die mich beeindruckte – und mir ein Stück erwachsener Sein bedeutet. Eine Mutter scholt ihren jüngsten, der einfach nur ‚nöckelig‘ (ein Ausdruck meiner Mutter) war. Er nölte weiter. Schließlich gab sie ihm einen Klaps auf den Hintern mit den Worten: „nun hast Du wenigstens einen Grund, schlecht drauf zu sein.“

Dieses Phänomen, aus einer momentanen körperlichen Stimmung heraus schlechter Laune zu sein, ist nur ein Bild für Menschen, die sich in ihrer Haut nicht wohl fühlen. Sie hadern mit sich, und treffen mit ihren Aggressionen und Seltsamkeiten Dritte.

Als Beobachter (diese Rolle kann man sich nur einbilden) ließe sich ohne weiteres Hintergrundwissen fragen, ob man sich die Frage ‚Gefalle ich mir?‘ eigentlich selbst stellt. Wann tut man es? Versucht man sich so zu ändern, dass man sich schlussendlich mag? Würde man anderen zustimmen, die sich auch über sich selbst abfällig äußern? Wie: „oh ja, ich gefalle mir schon seit Jahren nicht. Das ist richtig, was Sie sagen.“

Man könnte weiter gehen: würde ich mich in mich selbst verlieben können? Kann ich in meinem Sein und Zustand ein Modell für andere sein? Wären anderen Menschen froh, ich zu sein? Und wenn ich mich so ansehe und reflektiere: mache ich meine Sache im Leben eigentlich gut?

Zu selten stellen wir uns derlei in Frage, auch wenn wir gegenüber anderen uns leicht tun, irgendetwas zu identifizieren, was uns missfällt. Sind wir zu faul? Zu irrational? Geben wir nach der Pubertät einfach auf, uns selbst Fragen zu stellen? Oder haben wir schlicht Angst um den inneren Konflikt, der sich dann auftun könnte?

Ich selbst hadere nicht mit meinem Äußeren. So muss ich auch keine Zeit vor dem Spiegel verbringen, um mich zu prüfen – und mich schließlich ins echte Licht zu rücken. Und ich hadere immer weniger mit mir – aber gefalle ich mir im Umkehrschluss dann auch schon?