Lob als Selbstverständlichkeit

Die TOP-Gefühle der Deutschen sind Angst und Unzufriedenheit. Das Erste ist gar international sprichwörtlich geworden. Das Zweite ist allgemeinverständlich für viele Vorkommnisse, wie Protestwähler oder andere Nöhler.

Wir Deutschen scheinen süchtig nach Lob und Wertschätzung zu sein. Denn damit können Angst und Unzufriedenheit gemildert, vielleicht ausgelöscht zu werden.

Machen wir ein gedankliches Experiment analog der Parallelaktion in Musils ‚Mann ohne Eigenschaften‘: ein nationales Projekt wird erschaffen, um den Deutschen Lob und Wertschätzung zu bringen. Bei einer solchen Planung stellen sich dann gleich zu Beginn viele entscheidende Fragen: wann wird etwas als Lob empfunden? Wie muss es verpackt sein? Wie lange hält es an? Wie dick aufgetragen muss es sein?

Was würde wohl herauskommen? Würden die Deutschen überhaupt Lob empfinden können? Was wäre diese Empfindung: Genugtuung, Bestätigung, Motivation, lästige Kommentierung? Anderes?

Ich wage die Hypothese, dass auch ständiges und intensives Lob nicht verfangen würden. Selbst mit dem Spenden des Lobs wäre der Deutsche am Ende über Kreuz: „immer dieses Lob! Kann man nicht ‚mal anders loben?“

Lob ist das emotionale Pendant zur technischen Perfektion. Nichts kann gut genug sein. Doch kann das sozial funktionieren? Geht das überhaupt mathematisch? Lob erhält mehrheitlich derjenige, der sich in einem Wettbewerb durchsetzt. Doch können das nicht alle sein. Denn es gibt nur drei Plätze auf dem Podium.

Ein schönes Bild ist der Sport. Denn wenn die Bambinis um die Wette laufen, dann ist jeder von ihnen Sieger. Das lässt sich in den Gesichtern der Eltern ablesen. Ähnliches gilt neuerdings bei Abiturfeiern: die werden zelebriert wie besondere Ausnahmeleistungen. Doch über 50 Prozent der Jugendlichen absolvieren Abitur.

Lob ist in Deutschland ein gefühltes Menschenrecht. Jeder muss es bekommen. Lob gehört auch den Opfern. Gut zu ersehen ist das unter Ostdeutschen, die für ihre Lebensleistung in der ehemaligen DDR gelobt werden wollen. Denn dort war nicht alles schlecht. Exemplum generalis ist dann die Kinderkrippe. Der Unterdrückungsapparat, der immerhin 1 Mio. von 17 Mio. Bürgern ausmachte, bleibt dann unberücksichtigt, hat mit Lob schließlich nichts zu tun: den kann man doch woanders aufarbeiten.

In Deutschland wird Lob mit Anerkennung und Wertschätzung verwechselt. Aber auch An-erkennung wird nur denjenigen gegeben, die sici aus der Masse hervortun. Aber auch Wertschätzung gibt es nach deutschem Denken dann, wenn etwas besonders war. Das Benchmark ist der Wettbewerb, nicht der Mensch, der erstmals etwas Neues in seinem Leben geleistet hat.

Und so gilt eigentlich die Politik als letzt Verantwortlicher für Lob. Alle möglichen Gruppen verlangen eine besondere Würdigung. Besonders absurd empfinde ich dies in dem Schlussbericht des Opferbeauftragten für das Attentat, Breitscheidplatz Kurt Beck. Die Hinterbliebenen wollen öffentliche Anerkennung durch Politiker. Wieso das denn eigentlich? In Afghanistan oder im Irak werden täglich Menschen zum Opfer politischer Gewalt. Kämen die Hinterbliebenen darauf, von der Politik Anerkennung einzufordern?

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