Begeht das eigene Kind bei einer schulischen Aufführung einen Fehler, so nimmt man es in den Arm und versichert, dass dies nicht schlimm sei. Erfährt man von einem Fehler, den ein Kassierer bei einer Berechnung begangen hat, dann ist dies unverzeihlich – für immer und ewig.
Es ist erstaunlich: die Wirkung eines Fehlers bemisst sich nicht nach den objektiven Folgewirkungen, sondern der Person, die den Fehler begeht.
In Deutschland jedoch gibt es ganze Berufsgruppen, die unter Fehlerverdacht stehen, wie Politiker, Lehrer, Beamte und Ärzte. Es ist geradezu ein Sport, Funktionsträger dieser Milieus eines Fehlers zu überführen. Es ist Erfolg genug. Man erzählt auch dann gerne darüber.
Die Fehlerfindung und -bezichtigung hat also eine soziale Funktion. Aber eigentlich geht es darum, Normen zu stärken. Doch scheint das nicht mehr das primäre Merkmal zu sein. Es geht eher darum, die Prominenten zu relativieren, die einen besonderen Status genießen. Es geht um Skandal und um Pranger. Dabei ist der Pranger der Funktion in seiner mittelalterlichen Entstehung verloren gegangen. Es geht nurmehr um das Johlen des Mobs, wenn jemand moralisch hingerichtet wird.
Der Fehler ist also nicht nur ein Fehler, sondern mehr: er ist eine Einladung zur Verunglimpfung; die Fehlerbezichtigung ist ein Mittel zur Selbststärkung; man fühlt sich wohler und besser, wenn die Stars einer Gesellschaft gedemütigt werden; sie sind nichtmals so gut wie man selbst.
Wunderlich ist, dass die Fehlerrecherche auch der Stärkung der Analysefähigkeit und der Teilhabe dient. Denn ohne Prüfung auch keine Aufdeckung von Mängeln, Fehlern und Schwachstellen. Doch überlassen wir Konsumenten der Medien dies den Mittlern, den Medien. Ihr investigatives Recherchieren dient ja auch nur der Kontrolle: Misserfolg heißt, nichts zu finden – oder schlimmer, die korrekte Normalität zu finden.
Auch in politischen Filmen gibt es nur noch den korrupten Politiker. Wann kann man jemals etwas über die sehen – außer heldischen Biographien? Oder bei Historienfilmen? Lincoln, Thatcher, Hitler wurden in den letzten Jahren so ins kollektive Erinnern übersetzt.
Aber auch in der Kultur hat sich hartnäckig ‚wir – und die da oben’ erhalten. Mit der AfD erlebt der dumpfe Stammtisch seine Renaissance.
Der öffentliche Fehler ist etwas anderes als der private oder eigene Fehler. Der private Fehler wird eher toleriert oder aber frühzeitig verdammt. Der Fehler anderer in der alltäglichen Umgebung erzwingt Tuscheln und Rufschädigung: „haben Sie schon gehört, dass x sich daneben benommen hat? Ist das nicht schrecklich?“ Soziale Ächtung, wenn auch schleichend und leise, kann daraus erwachsen.
Der eigene Fehler aber ist immer verzeihlich und somit verdrängbar. Denn er ist eine nicht intendierte Unterlassung oder beiläufige Ignoranz. Wegen der mangelnden Intention ist Schuld keine Kategorie.