Menschenrechte über allem

Welch‘ ein Siegeszug die Überzeugung von der Einhaltung der Menschenrechte durchlaufen hat!

Menschenwürde geht dagegen unter, ist doch dieses Konzept anstrengend. Denn es ist diffuser und je nach Interpretation noch beliebiger und somit weitreichender.

Menschenpflichten hingegen sind nicht en vogue. Wahrscheinlich ist es genau das, was man den sog. westlichen Mächten vorwarf und vorwirft. Sie sind verkommen eigensüchtig; jeder schaut nur auf sich; sie klagen auf eine freie Entwicklung der eigenen Persönlichkeit usw. Selbst überzeugten Liberalen wächst der radikale Liberalismus über den Kopf. Beispiel: sexuelle Identität. Dass zwischenzeitlich jeder die Änderung seines Geschlechts anstreben kann, ist befremdlich.

Menschenrechte sind tatsächlich eine große Errungenschaft. Problematisch wird es jedoch, dass damit ein Minimum, aber nie ein Maximum verbunden ist: denn inwieweit schadet mein rigoroses Streben nach eigenen Zielen vielleicht auch anderen? Ist es in Ordnung, andere zu belasten? Wann genau kann man von der Belastung eines anderen sprechen: wenn er verstimmt ist; wenn er Schaden erleidet?

Dieser Tage erwächst dem bis dahin ungebremsten Siegeszug der Menschenrechte mit dem Konzept der political correctness ein Korsett. Es ist die moralische Antipode zum radikalen Liberalismus. Es nimmt genau das aufs Korn, was an Schadenswirkung durch die ultimative Freiheit ausufern kann.

Doch erwirkt es auch eine Vielfalt an Regeln, die lächerlich sind; die aber vor allem keine Fehler erlauben. Es droht die Verdammung durch die soziale Mehrheit. Political correctness versucht einen Menschen zu schaffen, den es kaum geben kann: immer reflektiert; immer gut; immer nach den Regeln. Gut, dass es noch das Konzept der Menschenrechte gibt.

Olds statt News

Diese Hatz, das immer Neueste zu wissen, ist eine Qual. Der Preis ist das Gefühl, Aufmerksamkeit zu verdienen, weil man am Puls der Zeit ist.

Die Gegenbewegung, das Retro, ist tatsächlich wie die Renaissance zu ihrer Zeit. Man sieht in der Vergangenheit eine Mode – oder besser die Wurzel für eine neue Mode in der Gegenwart.

In den Tageszeitungen sollen Neuigkeiten stehen. Das ist ihr Sinn und Zweck. Sie hatten früher ein Alleinstellungsmerkmal, Menschen zu informieren, als es noch keine konkurrierenden Medien wie Fernsehen, Radio oder Internet gab.

Zwischenzeitlich haben sie ihre Rolle jedoch modifiziert. Sie sind eher zum Unterhalter und zur Quelle von Hintergrundwissen geworden, mit dem Nachrichten bewertet und eingeordnet werden.

Daher muss man sich fragen, wie Hintergrundwissen vermittelt wird, um überhaupt Neuigkeiten bewerten zu können. Denn das ist die Vorbedingung, um einschätzen zu können, was News ausmacht. Wenn ein US-Präsident beispielsweise militärische Einheiten aus einer Krisenzone zurückordert, muss man wissen, wieso sie dort waren. Das sind Olds.

Ähnlich verhält es sich mit der Beurteilung des Heute im eigenen Leben. Man könnte sich darüber erzürnen, dass sich ein Erfolg nicht einstellt. Doch muss man dafür bewerten können, ob die Genese der Umstände günstig war. Ohne Olds keine News!

Hass erdrückt die Seele

Kürzlich lief ich an einem Denkmal in der Nähe der Spree vorbei, das ich noch niemals wahrgenommen hatte. Es war mit Blumen geschmückt, wohl anlässlich des Jahrestages der Pogromnacht. Daneben lag eine Postkarte, auf der folgender Satz stand:

„wer Hass verbreitet, wird böse.“

Sofort hatte ich den Eindruck, dass dies wohl diese überzeugten Gedenker waren, die überall für Moral auftreten und Spuren hinterlassen. Ich halte diese Gruppe von Enthusiasten gesellschaftlich für wichtig. Doch sind sie eben persönlich langweilig, da sie quasi Ein-Themen-Menschen sind.

Doch dann fragte ich mich, ob denn das stimmen kann. Ich kenne den Buchtitel ‚Angst essen Seele auf‘ und kann das auch nachvollziehen. Ist es so, dass aggressive, böse sowie nörgelnde und lamentierende Menschen seelisch verarmen, vielleicht gar erkranken?

Es gibt einiges, das dafür spricht. So habe ich einen Kollegen, dem in all‘ seinem Handeln antreibt, seine Mitmenschen zu beschuldigen, zu beleidigen, zu belächeln, einfach nur schlecht zu machen. Mir scheint, dass dies ein innerer Zwang, ja eine Sucht ist. Eine Handlungsalternative würde ihm nicht einfallen. Aufgrund vergangenen Handelns ist vorhersehbar, wie er agiert.

Nach mehreren Jahren beobachte ich, wie seine Umwelt reagiert und Schlüsse zieht. Die Menschen wenden sich ab. Das Publikum wahrt zwar das Gesicht, indem sein Missverhalten nicht verbal sanktioniert wird. Und dennoch: die schleichende Isolierung nimmt zu.

Und so erhält dieser Mensch nur noch seine Fassade aufrecht, in dem coole Eigenständigkeit zelebriert wird. Wenn jedoch dann echter Widerstand auftaucht, ist er machtlos dem Gefühl ausgeliefert, dass er alleine ist. Der vermeintliche Gegenangriff bleibt aus. Er entfernt sich dann in sich.

Zwischenzeitlich sind Seele und Körper angegriffen: der Mann schlufft mit gebeugtem Rücken, meidet den geraden Blick in jemand anderes Augen, wirkt nervös.

Diese Entwicklung könnte zufällig sein, aber auch begründet in der eigenen böswilligen Natur. Am Ende spürt man das alleine Sein, die Distanzierung der persönlichen Umwelt und die Verunsicherung über sich selbst.

Persönliche Angriffe

Wie geht man eigentlich mit Angriffen auf die eigene Person um?

Zunächst ist wichtig zu konstatieren, dass dies allen Menschen widerfährt – es sei denn, sie sind Einsiedler oder gefühlskalt.

Ein Beispiel kenne ich aus meinem beruflichen Alltag. Dort gibt es Menschen, die gestikulierend und auch in Worten bedeuten, dass ich überziehe. Dazu fällt mir just eine Szene aus einem aktuellen Tatort ein: Maria Furtwängler trifft auf ihre neuen Kollegen und erklärt über sich selbst, dass sie mit Niveau arbeite. Die sind ihrerseits verstimmt und beleidigt. Doch die Kommissarin wollte vermutlich nur anspornen und sich selbst erklären.

Mir ist dies schon häufig passiert. Ja, es gibt Menschen, die mich in meiner Außenwirkung klar einschätzen: entweder ich bringe die Mitmenschen gegen mich auf; oder sie blicken zu mir auf. Ich sei eben polarisierend. Das würde stets und immer wieder passieren.

Und so habe ich meine treuen Feinde. Das sind diejenigen, die spezifische Verhaltensweisen, Werthaltungen und persönliche Eigenschaften zu Schlüsselreizen ihrer Ablehnung machen. Sie zeigen das gesamte Repertoire an Ablehnung: Meidung, despektierliche Äußerungen, Mikro-Gestiken.

Demgegenüber bin ich machtlos. Dennoch irritiert mich im besten Fall die pure Ablehnung, im ernsteren Fall erschüttert die mich kurzfristig, aber auch nachhaltig.

Was tun?

Es akzeptieren!

Pingelig

Am einem üblichen Fußballabend hörte ich in der Live-Berichterstattung den Reporter sich mühen, das theatralische Leiden der Stars zu rügen. Es sei schon seltsam, dass man sich bei der leisesten Berührung winde und darstelle, als sei einem das Bein abgetrennt worden. Der Sprecher wies auf die Qualitäten der Handballer hin, die einstecken müssten und weiter liefen. Man könnte noch die Wasserhandballer anführen, die tatsächlich regelmäßig in Situationen geraten, in denen sie um das biologische Überleben ringen.

Nun ließe sich anführen, es sei doch nur gut, wenn die Hochleistungskörper der Fußballer signalisierten, dass man sie vor unnötigen Verletzungen durch Fouls bewahren möge. Doch der Mythos des Fußballs beinhaltet nun einmal den unverletzlichen und rauhen Recken, der den Schmerz wegsteckt – wie uns unsere Eltern mit dem Hinweis auf die Indianer weiß machen wollten.

Grundsätzlich aber ist eine kleine Tradition der Jammerei entstanden, die von Reportern Schauspielerei genannt wird. Die Fußballer winden sich, verzerren ihre Haltungen und gestikulieren Schmerz. Das dient nur dazu, dass der Schiedsrichter die angeblichen Fouler bestraft.

Es ist ein wenig wie Oper: Schauspielerei als Begleitkulisse für den Fußball. Es ist wie die B-Note im Eiskunstlauf.

Die Fußballer dürfen hier ganz Diva sein. Und zur Diva gehört das prätentiöse Gedöns. Das Pingelige ist also eine Notwendigkeit und Teil des Selbstverständnisses.

Reihenfolge der Sympathien

Jede Tätigkeit, mit der ein Mensch seinen Lebensunterhalt verdient, hat in der Gesellschaft ein Image. Das ist innerhalb von sozialen Gruppen immer so.

Astrid Lindgren dürfte so einen Ruf haben, der sie rasch zur Lieblingsschriftstellerin vieler macht. Es ist so heimelig, an das unbeschwerte Kinderdasein zu denken und es lobzuhudeln. Das dürfte direkt auf Lindgren übertragen werden. Man sollte das nicht mit Enid Blyton machen.

Als Kind wusste man, die erstbeste Freundin zu nennen: Reihenfolgen bestimmten das Handeln. Das kam stets als Antwort auf die Einladungen Kindergeburtstag.

So gibt es eine Rangfolge unter den Berufen, unter den Strafgefangenen, unter den Fußballvereinen, den Eisläden, der Musik, den Urlaubszielen – die gesamte Umwelt wird in ihrer Wertigkeit differenziert. Und das scheint normal zu sein, sowohl für jeden gelten als auch eine eherne Norm des Denkens zu sein.

Nun steht der libertäre und aufgeklärte Zeitgeist damit im Widerspruch, und zwar heftig. Denn man soll keine Unterschiede machen: alle Menschen sind gleich, ob weiß oder schwarz, ob Mann oder Frau. Alle sollen gleichberechtigt sein. Jede Stimme zählt bei den Wahlen gleich. Der Mensch ist aber nur nominell und programmatisch gleich. Die menschliche Psychologie lebt von Un-Gleichheit.

Dennoch entstehen Reihenfolgen und Mehrheiten. Man könnte sagen, dass dies in einer Demokratie erforderlich ist. Aber vielleicht ist es nicht deren immanente Logik der Demokratie, sondern der alte Wunsch nach Reihenfolge, der Wahlen bestimmt: wer ist wichtig? Wer hat das Sagen?

Unser seltsames nicht eingegrenztes und dennoch geläufiges Konzept von Intuition könnte auch die Sicherheit nach Reihenfolge beherbergen. Sie ordnet die vielen anderen um uns herum. Die gibt der direkten Umwelt Struktur.

Selbst‘einschätzung‘

Ich begegne immer mehr Menschen, die mir ihren Stand der Überlegungen zu sich Selbst offenbaren. Sie reden vom Status ihrer Entwicklung, ihren Wünschen und den Einschätzungen ihrer selbst.

Das erlebe ich privat seltener, da ich weniger Kontakt zu jüngeren Menschen als Gleichaltrigen habe. Beruflich beobachte ich Kollegen, die ‚einfach so‘ zum Vorgesetzten gehen und sich eine Einschätzung über sich abholen. Sie wollen sich spiegeln; sie wollen wissen, wo sie stehen; sie wollen eine warme Bemerkung.

Herrlich! Das ist, was zwei Generationen zuvor die Progressiven forderten: endlich kehren die Menschen ihr Innerstes hervor und reflektieren. Sie spiegeln sich und teilen es mit; zeigen Emotionen; lassen andere an ihren Selbsteinschätzungen teilhaben; und beziehen sie somit ein. Haben wir also nun den Gipfel erreicht, da die eigene Persönlichkeitsentwicklung nach außen gekehrt wird?

Ich bin zwischenzeitlich davon reichlich genervt. Denn Gespräche drehen sich um einen der Gesprächspartner. Anders ausgedrückt: Sie monopolisieren das Thema; sie herrschen; sie machen andere abhängig.

Ein Bekannter erzählte mir einst, er sei zu einem Abendessen eingeladen worden, bei einem ihm gut bekannten Paar. Sie waren jedoch gerade in Trennung. Beide versuchten, den Gast auf ihre Seite zu ziehen. Das bedeutet, für ihre Interpretation der Trennung einen Fürsprecher zu finden.

Man könnte es auch ‚sich aufdrängen‘ nennen. Denn will man wirklich wissen, sich anhören, beraten – was einem kein eigenes Thema ist? Da hilft es kaum, wenn der andere vorab fragt, ob es ok ist, ein Gespräch zu führen. Denn der Antworter fühlt sich durch seine Werte gebunden, sich bereitzustellen.

Wahrscheinlich ist das ‚normale Mass‘ der gute Freund. Man teilt Interessen, Werte, Hobbies – sukzessive auch Erlebnisse, Vergangenheit u.a. Nur in Notlagen und Entscheidungssituationen holt man sich den Ratschlag des Freundes. Der kennt schließlich die eigenen Bedürfnisse, und kann so aus einem anderen Kopf die Situation zu verstehen versuchen – mit dem Mehrwert eines anderen.

Ein anderes Maß könnte die Großmutter oder (gütige) Onkel sein, bei denen überwiegt, aus Dankbarkeit über das Leben die eigenen Lehren weiterzugeben. Auch sind sie zu Ratschlägen und Einschätzungen willig, da sie Zeit mitbringen, gerne soziale Kontakte pflegen und auch das Gefühl bekommen, weiterhin gebraucht zu werden und von Nutzen sein können.

Nun scheint der fragende Blick des Enkels und Freundes jedoch Umstand aller Lebenslagen und jeden Alters zu werden. Ich erinnere mich noch an die Frage einer jüngeren Bekannten: „willst Du mein life Coach werden?“ Sie meinte das wohl ernst.

Wie machten das wohl Menschen in früheren Zeiten? Ich denke, dass sie schlicht zu ihren Geistlichen gingen. Und wenn die nicht da waren, dann beteten sie und baten den Herr um Rat. Und zuvor schauten die Menschen wohl einfach Tiermägen an.

Sich nicht riechen können

Was ist schlimmer: nicht schmecken? Oder nicht riechen? Eine akademische Frage, bei weitem gefehlt! Denn ich kenne drei Menschen, die tatsächlich nicht mehr riechen noch schmecken können.

Den einen fragte ich, was schlimmer sei. „Es ist eindeutig das Riechen. Denn man kann ja nicht einschätzen, ob man sich der sozialen Umgebung aussetzen kann.“ So wäre man dann also auf andere angewiesen zu erfahren, ob man beispielsweise einen Mangel an Hygiene verrät.

Nun lässt sich das Phänomen natürlich auch küchenpsychologisch erläutern – indem man seine Gedanken lose logische Verknüpfungen finden lässt. Ausgangspunkt dürfte sein, dass man annimmt, nur solche Menschen verstünden sich, die sich nicht riechen können.

Aber was passiert dann, wenn man mit sich selbst olfaktorisch entfremdet. Jedoch muss man vorab fragen, ob es nicht ohnehin Menschen gibt, die ihren eigenen Geruch nicht mögen. Was ist mit Mundgeruch, was mit Ausscheidungen?

Die Entfremdung vom körperlichen Selbst ist mit vielerlei Dingen möglich, der Amputation, der Abhängigkeit von Medikamenten, der Ansicht über die eigene Hässlichkeit, der Ablehnung von bestimmten Partien wie Füßen, Brüsten oder Nasen. Und tatsächlich beginnt dann das Hadern. Die Entfremdung von seinem Körper ist für viele mit strukturellen Erkrankungen ein enormes Problem: denn die Einheit von Körper und Geist wird auch gegen den eigenen Willen vollzogen. Das gilt für Krebsopfer oder an Parkinson Erkrankte. Immerhin stirbt ein Teil von ihnen, und sie schauen zu.

Es handelt sich in psychologischer Sicht immer um einen Kontrollverlust. Viele lächeln darüber, soweit andere beobachtet werden, denen es gerade widerfährt: bei denen der Erfolg ausbleibt; die von einem Konkurrenten verbal attackiert werden; denen ein Missgeschick in der Öffentlichkeit widerfährt.

Wehe der Situation, wenn dem Menschen diese Erfahrung aufgezwungen wird. Das passiert bei Kleinigkeiten: dem Schluckauf oder Rülpsen; kann man nicht mehr Wasser lassen, wird es mulmig; knickt das Bein weg, ist das kaum mehr zu verbergen; erinnert man sich jedoch nicht mehr an substantielle Zeiten seiner Biographie, wird es beängstigend.

Vermutlich bedeutet es nicht mehr und nicht weniger, wenn das Riechen verschwindet. Zudem kann man an einem Teil der Welt nicht mehr teilnehmen, der Freude über Gerüche. Also sollte man sich freuen, auch das Unangenehme nicht mehr riechen zu müssen.

Stunde zum Nachdenken

Kürzlich erzählte mir ein Bekannter, dass er immer für Freitag nachmittag in seinen Kalender eine Stunde Nachdenken eintrage. Denn sonst käme er nicht zum Denken, nur zum Ausführen.

Ich hatte zudem einen Beitrag über einen Manager gelesen, der thematisierte, wann eigentlich in einer dichten Arbeitswoche Strategiebildung vollzogen würde. Denn der Kalender lässt das schlicht nicht zu. Die kurzen Passagen ohne Termin dienen der Vor- und Nachbereitung oder schlicht zur Erholung. Also muss man sich fragen, wann eigentlich Denken überhaupt möglich ist.

Mein Bekannter ist Geschäftsführer. Auch wenn er seine Tätigkeit schon länger ausübt, so ist es im Sinne der Optimierung und Erhaltung des Geschäfts geboten, auch über Prozesse, Rahmenbedingungen oder Strategie – also die großen Fragen – nachzudenken. Alles andere ist Ausführen und Verwalten.

Solche Stunden fallen wohl noch immer der preußischen Tugendlehre zum Opfer: wer das braucht, hat seinen Job verfehlt. Gleichzeitig ist die globale Kultur dafür verantwortlich, weil sie der Führungskraft immanente Fähigkeiten unterstellen. Der Vielfalt der Annahmen haftet der Anschein der Illusion und des Unmöglichen an: denn wer für größere kognitive Herausforderungen gewappnet sein will, der muss auch Kapazitäten investieren können. Und das sind Zeit, Weiterbildung, Beratung und Austausch sowie Gesundheit.

In der Glitzerwelt der Hochglanz-Magazine, die Wirtschaft, besser Business zum Thema haben, gibt es das nicht. Die typischen Accessoires der Überflieger und Vordenker bestehen aus Abschlüssen, beruflichen Stationen, persönlichen Verbindungen zu anderen Promis oder aber auch extravaganten Hobbies (Golfen, Laufen) und anderen Talenten (wie Kochen).

Einzige Annäherung an so etwas wie Räume zum Nachdenken sind Selbsterfahrungen aller Art: Wanderungen; Klosteraufenthalte; Meditationsreisen; oder …

Aber Vorhalteräume zum Nachdenken und Lernen finden sich hier so gut wie nicht. Manager und niedrigere Führungskräfte gehen nicht auf philosophische Seminare oder in strukturierte Beratungsstunden – höchstens zum Coach, der sich auf ihre persönliche Rolle konzentriert.

Und schon gar nicht wird quer gedacht, um Innovationen anzuregen. Nachdenken gilt als immanent im Lebensvollzug – eben nebenbei so. Das passt sich dem Standard der Gesellschaft an: wieso eigentlich lernt man in der Schule nicht ‚Nachdenken‘, also begünstigende Faktoren und strukturelle Gestaltungen?

Und so gehen wir als Amateure und Ignoranten an das Nachdenken heran. Wir tun und machen das in der Hoffnung, dass es gelingt. Wir machen uns keine Gedanken darüber, ob gerade die Instanz zur Anleitung für unser Handeln gesund ist und richtig funktioniert. Wir pflegen und trainieren sie auch nicht; wissen aber auch nicht, wie das geht.

Daher ziehe ich den Hut davor, dass man das offen zum Thema macht und für sich setzt. Es setzt Nachdenken auf die Tagesordnung.

Touristen, die unwillkommenen Mitmenschen

Touristen sind Freiwild. Denn sie laben sich an der fremden Leistung der Einheimischen – ist jedenfalls deren Annahme. Denn wer eine Sehenswürdigkeit tatsächlich würdigen will, der kann doch nicht wirkliches Interesse haben. Das ist ein Dummchen, das nur Geld hat und die Einheimischen verdrängt. Er produziert die Touristen-Orte, die aus billigem Ramsch und schlechten Restaurants bestehen.

Ein Touristen Nap ist somit gerechtfertigt. Man kann und ‚muss‘ sie ausnehmen. Touristen sind ja mit den heimischen Bräuchen nicht vertraut. Sie sind daher zweitklassig.

Es dürfte das anthropologische Muster sein, den Fremden zu beargwöhnen. Denn er birgt Gefahr. Er könnte Böses im Schilde führen. Er könnte das eigene System zum Einsturz bringen. Er könnte einen selbst vernichten.

Touristen wachsen wie eine Epidemie nach. Sie gehen und kommen in immer größeren Mengen. Man wird sie einfach nicht mehr los. Sind sie jedoch einmal nicht mehr da, wünscht man sie sich auch gerne wieder zurück.

Objektiv mag der Tourismus den Unterhalt garantieren. Aber sie löschen die Seele dessen aus, was überhaupt eine Sehenswürdigkeit ist. Sie sind eine Massung wie eine Lawine von Schlamm. Sie sind keine Menschen, sondern nur Teile eines größeren Ganzen.

Auch wenn man fremde Kulturen mag, sind sie nur dort, wo sie sich in ihrer Kultur zeigen, auch interessant. Treten jedoch Menschen auf, die nur noch oberflächliche menschliche Bedürfnisse demonstrieren, dann ist das eine Zumutung. Das trifft auf Touristen zu.

Tatsächlich gaffen Touristen wie Zoobesucher, die jenseits des Zauns sind. Ihre Konsumentenhaltung wird als bloßer Voyeurismus wahrgenommen. Und dennoch: es sind Menschen.