Nebensächlichkeiten

Wieso nur gibt es Menschen, die sich den wesentlichen Fragen verweigern? Meine Mutter drängte meinen Vater stets, sich zu den großen Fragen feste Meinungen zu bilden. Er schwieg meist dazu. Mein Vater flüchtete sich vielmehr in die vielen Kleinigkeiten des Lebens.

Nebensächlichkeiten sind die eigentliche Hauptsache, wie ich häufig empfinde. Da man ihnen wesentlich häufiger begegnet, kommt auch mehr Überraschendes zum Vorschein. Es ist wie die Entdeckung der Welt durch Kinder: egal, wo man hinschaut, eröffnet sich ein neues Bild. Schaut man nur auf die bekannten Phänomene, ergibt sich immer wieder dasselbe Muster.

Nehmen Sie den Fußballfan, der in bestimmten Größen seines Sports denkt: zum Sport selbst gehören die Tore und die Stars; zum Ambiente das Stadion, das Singen und das Ausleben aller Emotionen. Doch kann man sich freilich auch mit den vielen Kleinigkeiten auseinandersetzen: wann nämlich fallen während der 90 Minuten die meisten Tore? Welches Stadion hat eine Rasenheizung? Ist die Abseitsregel Plan der Verteidigung oder Dummheit des Angriffs? Das ist doch richtig spannend!

Es gibt aber auch Kompositionen, die fast nur aus Kleinigkeiten bestehen, wie ein Uhrwerk, die Zeichnung eines Raubvogels, die Maserung eines Baumstamms usw. und darin kann man sich verlieren. Dann ergeht es einmal wohl wie demjenigen, der Puzzeln liebt.

Synonyme von Nebensächlichkeiten gibt es nicht so richtig: sie sind den jeweiligen kleinen Eltern angepasst, wie Staffage, Paraphernalia, Nippes oder Kleinod. Es ist so schade, dass sie immer nur eine Nische einnehmen. Ich denk, dass sie für die psychologische Stabilität eine wichtige Rolle spielen. Liegt bei den großen Fragen des Lebens viel im Argen, können die vielen Kleinigkeiten über das Leid hinweghelfen.

Mit erzählte einst eine ältere Frau, dass sie eine Freundin im Hospiz über die letzte Zeit begleitet habe. Offensichtlich gab es das auf und ab, das Schwankern der Extreme zwischen Angst und Freude am Kleinen. Ich war schwer beeindruckt, wie sie berichtete, dass die Blumen auf dem Nachtisch die sterbende mehr als nur erfreut hatten. Sie habe sich in den Einzelheiten der Stile und Blüten verloren, die Spuren des Wassers nachgezeichnet. Sie verfiel damit in glückliche Momente trotz ihres Zustands.

Ich versuche Nebensächlichkeiten in meinem Leben Platz einzuräumen. Aber ich muss auch aufpassen, mich darin nicht zu verlieren;-)

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