Denkmuster in der Krise

Es gibt ja dieses bekannte Muster der ‚inneren Antreiber‘ aus der Transaktionsanalyse: die Antreiber brechen sich mit der Krise Bahn. Im Stress sind sie nicht mehr zu stoppen. Jeder verhält sich unter Stress extremer. Die Antreiber sind: Genauigkeit und Fehlerlosigkeit (Sei perfekt!); Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit (Sei anderen gefällig!); Gründlichkeit und Durchhaltevermögen (Streng Dich an!); Stärke und Unabhängigkeit (Sei stark!); Schnelligkeit und die Fähigkeit, Chancen zu nutzen (Beeil dich!).

Nun haben wir Corona: und die Welt steht Kopf. Man muss sich fragen, wieso das eigentlich so ist. Denn die aktuelle Grippewelle mit 100en von Toten ist egal, die Todeszahlen des Winters 2017/18 von 25.000 Menschen alleine in Deutschland niemandem geläufig. Genauso wenig wie die 400.000 Toten, die Afrika jährlich durch die Infektionskrankheit Malaria zu beklagen sind.

Die Medien und die Politik gehen dabei eine seltsame Koalition ein, die dennoch irgendwie rational ist: es heißt bloß Ruhe zu bewahren und keine Panik auszulösen. Und gerade das schafft die Kommunikation, indem sie eben immer mehr mit dem Thema präsent ist. Wer nicht die ungeschönte Wahrheit ausspricht, befördert Spekulationen und Befürchtungen.

In einem Land mit der Garantie freier Selbstbestimmung ist das schwierig, da eben die ‚Kein Zwang‘-Politik an ihre ultimative Grenze stößt. Am besten ist dies gekennzeichnet mit dem Satz, der derzeit auch wiederum Schlagzeilen macht: „freie Fahrt für freie Bürger.“

Man fühlt sich ähnlich einer Notsituation im Verkehr: es stockt; aber man wird nicht informiert. Denn wieso treibt man dieses ganze Spiel? Ist das nicht völlig überzogen?

Dann erhält man Zeichen aus dem sog. gut gerüsteten Gesundheitssystem: Ärzte ziehen nämlich nicht mit. Sie weigern sich auch, einen Check vorzunehmen, weil dann die Praxis 2 Wochen wegschlossen wird.

Das ganze Beispiel zeigt allenthalben ritualisiertes Handeln mit wenig gesundem Menschenverstand. Schön war, dass die Kanzlerin bei allen Forderungen nach Gesundheitsschutz zur Mäßigung und zum Abwägen aufgerufen hat. Das ist angesichts der radikalen Szenarien zum Stopp des öffentlichen Lebens völlig richtig. Zudem dürfte sich eine Wirtschaftskrise anbahnen. Aber es ist jetzt schon absehbar, dass Journalisten und Kommentatoren nach dem Abflauen wieder von Überreaktionen reden werden.

Aber nein

Es gibt Menschen, die jede Aussage mit einer Gegenaussage kommentieren.

Um ein Beispiel zu machen: ist heute nicht schönes angenehmes Wetter? Schon, nur könnte es doch eigentlich 5 Grad wärmer sein. Oder: fandest Du nicht auch, dass das gestern Abend ein tolles Fußballspiel war? Die hätten doch aber höher gewinnen können.

Es gibt zwei Arten von ‚aber nein‘: die erste Art verstärkt noch die erste Aussauge. Der die gemacht hat, ist dann über das Nein recht überrascht. Am liebsten würde er kommentieren: aber das habe ich doch gerade selbst gesagt. Er ist dann ein wenig verwirrt.

Die zweite Art ist die Entgegnung mit einer Bekräftigung, dass die Aussage nicht stimmt – eigentlich eine bodenlose Behauptung ist. Es ist wie ‚stimmt nicht’.

Solche Menschen mit diesem Automatismus kommen vor: und sie nerven. Denn stets provozieren die das Gefühl, dass der andere belehrt und besser weiß, was richtig ist. Der andere stellt sich also auf eine höhere Stufe – ganz wie ein Gewinner einer Goldmedaille. Und dann weiß man auch, dass man schlechter, schwächer und weniger leistungsfähig ist. Aber: der andere behauptet es ja nur.

Vermutlich schwingt das bei den meisten Menschen mit. Doch erfüllen sie wohl eher den Wunsch des Besserwissers; der Ärger des anderen ist ein Kollateralschaden, der eben damit einher geht.

Solche Menschen können nicht glücklich werden, soweit sie nicht Partner finden, die wiederum sagen müssten: aber ja, Sie haben natürlich vollkommen recht. Das sind die, für welche die Vermeidung von Konflikten und ihren Konsequenzen das höchste Gut für das eigene Verhalten ist. Nur dann passen ‚aber nein’ und ‚aber ja’ zusammen.

Bin ich mehr als die Summe meiner likes?

Kürzlich las ich auf einem großen Plakat diesen Satz, den vermutlich eine der christlichen Konfessionen als Thema erfunden hat. Die Frage ist jedoch klasse: denn sie thematisiert etwas, was wohl tatsächlich für heranwachsende Menschen zur Frage werden kann. Ist denn mein Profil im Netz die Abbildung meiner selbst? Ist es vielleicht nicht auch viel ausdrucksstärker als ich selbst erklären könnte? Was bin ich denn überhaupt, was nicht die Einträge im Netz schon dokumentieren? Kann überhaupt etwas real sein, das nicht im Internet hinterlegt ist?

Im Netz kreiiert man ein Profil, wie man gerne anderen Menschen erscheinen möchte. Genauso so will man gesehen werden. Erwachsene können sich darüber lustig machen, aber auch ihre Einträge in den sozialen Medien strotzen von künstlichen Selbsteinschätzungen. Auch bei Jugendlichen ist es zur allmächtigen Haltung geworfen, wenn man den Jugendstudien glauben schenken darf. Der wichtigste Wert an sich ist, wie man selbst aussieht.

Je mehr der Avatar / die Identität im Netz nun Aufmerksamkeit findet, desto mehr könnte man glauben, dass man ein sichtbares Resultat des eigenen Ansehens in der Welt hat. Dies ist viel deutlicher als im realen und analogen Leben, da man sich dort der Aufmerksamkeit und der Wertschätzung nicht sicher sein kann, sondern sie erst enträtseln und aufdecken muss. Wie viel einfacher ist es aber, die Daumen zu zählen.

Diese neue Währung der Aufmerksamkeit ist eine Irrung mit Blick auf die Ausbildung einer Persönlichkeit: der Mensch begibt sich so in Abhängigkeit vom Urteil anderer, als Einzelperson, aber auch als Figur im Netz mit all’ seiner Öffentlichkeit. Wie gelingt es dann, überhaupt mit sich in einen Dialog zu treten, wenn nur und ausschließlich der Daumen der anderen zählt? Der moderne Internet-Mensch liefert sich so vollends aus.

Das Netz wird zu dem, was die bürgerlichen Liberalen mit Entsetzen bei Gemeinschaften von Migranten vermuten: es wird eine Parallelgesellschaft. Und man muss zuweilen den Eindruck bekommen, dass das Netz wirkungsmächtiger ist als die reale Welt. Beispielsweise sind die vielen solitären Attentäter nur ihrer sog. Netzgemeinde verpflichtet. Nur die zählen, nicht die Eltern oder die fehlenden anderen Bezugsgruppen.

Und ist man denn nun nur die Summe seiner likes? Man kann es kurz und simpel beantworten: die Menschen sind eben nicht nur eine Collage von Bildern mit kurzen Kundenbewertungen darunter. Sie sind auch nicht nur Ansammlungen von physiologischem Material und chemischen Substanzen.

Das relative Prinzip der Gerechtigkeit

Gerechtigkeit ist ein Wort, das sich vielleicht so vieler Deutungen erfreut, wie es Menschen gibt. Denn jeder hat wohl eine sehr eigene Art von Vorstellung, was gerecht ist.

Ein durchgängiges Prinzip könnte die Formel sein, dass es „für mich gerecht“ ist. Das bedeutet wohl, dass man seinen richtigen Anteil reklamiert. Was einem zusteht, ist indes alles andere als klar. Denn man kann ja nicht sagen, dass man von allem ein Stück Kuchen haben will – das ist illusionär wie unsinnig. Wenn jemand anders aber einen Vorteil hat, dann ist man auf diesen neidisch. Das mag auch das Grundgefühl derjenigen sein, die dem Sieger bei einer Tombola nicht seinen Preis gönnen.

Oder die Nachricht von Menschen, denen in Not noch ein Unglück passiert. Der Mensch beurteilt das Leben wie den Alltag unter seiner ureigenen Vorgabe nach einem Gleichgewicht. Es kann so nicht sein, dass manche Menschen viel Leid erfahren, andere aber nicht. Pechvögel und Glückspilze sollten nur Ausnahmen bleiben.

Gerechtigkeit wird auch als Muster gegen die Ungleichheit an Macht und Anerkennung vorgebracht. Die da oben verschieben doch nur unser Geld; der kleine Mann muss aber hart für sein Einkommen arbeiten. Also will man diese vertikale Stratifizierung unterbinden. Seltsamerweise ist der protestantische Deutsche dann aber voller Akzeptanz, wenn es um die Vermögensungleichheit geht. „Das geschieht denen recht“ ist die Formel der ausgleichenden Gerechtigkeit: nur zu häufig wird dann das Unglück von Reichen kommentiert; es kann aber auch sein, dass man den Lottogewinn von armen Menschen beglückt kommentiert. Der Deutsche denkt tatsächlich in Kategorien einer fairen Verteilung von Lebenschancen. „Das hat er sich verdient“ wäre so eine Floskel, die das stützt.

Eine Selbstverantwortung steckt hinter vielen Konzepten der Gerechtigkeit: nur wer für sich selbst sorgen kann, ist auch für sein Schicksal verantwortlich. Die anderen aber sollen die Hilfe der Gemeinschaft beanspruchen dürfen.

Es hätte mich treffen können

Die me too-Debatte ist noch nicht vorbei; schon wird sie zum Standard des Mainstreams in Deutschland. Zwischenzeitlich nervt mich das immer mehr. Immerhin habe ich das Glück, als neutraler Beobachter fungieren zu können. Denn ich bin weder Täter noch Opfer.

Doch kann ich mir nach solch einleitenden Zeilen vorstellen, einen Vorwurf zu provozieren, dass niemand unschuldig ist: man hätte auch etwas unternehmen können, um das Unglück zu verhindern. Denn man könnte sich doch einbringen: auch Männer könnten in der Debatte etwas beitragen. Aber eigentlich sollten sich die alten, weißen Männer besser schämen. Denn es sind doch die, die die herrschenden Strukturen zementieren. Und wenn die bestehen, müssen sie auch eine Mitschuld tragen.

Am Max Delbrück-Zentrum in Berlin wurde nach Angaben des lokalen Radiosenders Jahre lang sexueller Missbrauch betrieben. Es handelte sich um Übergriffe wie x, aber eben auch Komplimente. An demselben Tag veröffentlichte die Anti-Diskriminierungsstelle eine Statistik, wonach jede/r 11. Arbeitnehmer/in schon Übergriffe erfahren habe. Und die Bundesministerin für Familie wurde zitiert, dass doch bitte mehr strafrechtlich verfolgt werden müsse.

An diesem Tag bekam ich den Eindruck einer Weltverschwörung und einer globalen menschlichen Tragödie: alle Männer sind Schweine; und ein Lebens entscheidender Umstand wird unter den Teppich gekehrt.

Diese Debatte wird abstrakt und isoliert diskutiert. Sie beläuft sich auf Überschriften; nur die Anklage alleine soll schon einen Missstand feststellen. Es muss nicht weiter differenziert werden. Die Angeklagten würden sich doch nur herausreden wollen und irgendwelche Argumente erfunden. Immer dieses Geschwafel – verdammt, gib es doch zu!

Das klingt ziemlich nach Pöbel, mehr noch nach Mob. Das ist, wie sich die sog. aufgebrachte Masse gegenüber dem Verdächtigen verhält. Eine differenzierte Verteidigung kommt einem Schuldeingeständnis gleich.

Und wenn es auch möglicherweise nicht zu einem Übergriff gekommen ist, dann ist doch schon der Umstand der Möglichkeit verdächtig. Ist nicht schon alleine die Möglichkeit alleine strafwürdig? Der Diebstahl findet schließlich auch nur statt, weil die Umstände ihn erlauben.

In derselben Masche sah ich einen Fernsehbericht über Original Play. Es geht dabei um geplantes körperliches Ringen und Raufen. Das verantworten Erwachsene und Kinder. Die Aufregung war enorm: es liest sich wie eine Anleitung zum Kindesmissbrauch. Und schon gibt es erste Stimmen von Kindern, dass die Erwachsenen auch intime Körperteile berührt hätten.

Fast muss man sich schämen, nicht in dasselbe Horn zu stoßen. Denn sonst verharmlost man den Sachverhalt. Man muss schon Position beziehen; klare Kante zeigen.

Es ist ähnlich den großen Bewegungen im Mittelalter, als der Verdacht bestand, dass den Menschen der Teufel innewohnt. Man mutmaßte in allem und jedem Anzeichen dafür. Aber auch in den 1970er Jahren zeigte sich der Wahn, die Terroristen aufspüren zu wollen. Phasen der Hysterie verschlucken leider den gesunden Menschenverstand.

Fans sind lästig

Ist man ein Star, hat man es nicht leicht: überall wird man erkannt und angesprochen, aber auch angegafft und angepöbelt. Das Alleinstellungsmerkmal des Stars wirkt im Kleinen wie im Großen.

Ich sehe oft Prominente. Das hängt mit meinen Dienstreisezielen zusammen wie mit meinem Wohnort, nahe dessen sich zumindest kulturelle und politische Promis niederlassen. Und somit sehe ich sie denn auch im Alltag.

Diese Situationen dürften für viele nicht schön sein, verkehren sie dann dort doch nur als normale Bürger – ohne Sonderstatus. Und sie sind eine Projektionsfläche für andere, die sich dann genau anschauen wollen, was von ihrer Vorstellung wahr ist und was nicht. Auch ist der Normalbürger natürlich ein Voyeur, ein Schaulustiger und ein Gaffer. Zwar gestehen wir uns das nie ein. Aber wie verhalten wir uns, wenn wir eine Gruppe von Menschen sehen, die ihren Blick auf ein Objekt richtet, das sich nicht einsehen lässt? Dort nicht hinzugehen, ist dem Menschen fremd.

Neuerdings kommt das Jagen per Smartphone hinzu. Auch ich habe das schon gemacht, zuletzt bei dem deutschen Triathlon, an dem der iron man-Sieger Patrick Lange teilnahm. Dann habe ich auch schon Ei Wei Wei photographiert, obwohl ich seinen Werken nichts abgewinnen kann – zugegebenermaßen quatschte den armen Mann eine Bekannte von mir voll. Und mein Husarenstück war, also ich den Tatort-Kommissar in meiner Einkaufsstraße bis zu Karstadt verfolgt; ich brachte mich in Stellung, um ihn abzubilden. Doch er verschwand durch die Hintertür.

Nach den Paparazzi kommen die Autogramm-Jäger – dazu hat es mich noch niemals gedrängt. Was soll ich mit einer Unterschrift? Andererseits bin ich fürchterlich stolz auf ein Meran-Heft über Berlin, dass der damalige regierende Bürgermeister Willy Brandt signiert hat.

Mein Vater hatte diese Gabe, die Promis einfach in kleine Gespräche zu verwickeln. So grüsste er Luis Tränker; fragte Genscher nach seinem Befinden; oder fragte Menschen einfach, ob sie der oder diejenige seien.

Und dann kommen natürlich noch die Grenzüberschreitungen von Menschen, die konkreten Anteil am Leben des Promis haben sollen. Viele versuchen es durch Sex. andere hoffen auf irgendwelche gearteten finanziellen Beziehungen. Also muss man sich schon wehren.

Gerüche

An der Front der Sinne ist wohl das, was ich rieche, am meisten verkümmert. Ich muss mich schon enorm konzentrieren, um überhaupt etwas zu erinnern oder zu konstruieren. Wäre ich bei einer Verkostung von Gerüchen, würde ich versagen.

Bei einem Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen in Ost-Berlin meinte ein ehemaliger Insasse, der unter den Besuchen war, dass es auch 20 Jahre danach noch immer so rieche. Es war wohl ein Hinweis auf die spezielle Verbindung zwischen Bodenbelag und Reinigungsmittel.

Ich versuche mich an den Geruch der Wohnungen meiner Großeltern zu erinnern. Und tatsächlich gab es etwas Unverwechselbares. Ich habe es noch heute in Erinnerung. Bei den Eltern meines Vaters gab es diesen Küchengeruch, der irgendwie metallern war. Auch der Flur roch so. Mit dem Öffnen der Wohnungstür hatte man ihn in der Nase.

Bei der Mutter meiner Mutter allerdings gab es diesen eher warmen und süßlichen Eindruck. Bei meinem Großvater mütterlicherseits roch es nach Wurst – was mich nicht wundert, da im Keller ein Lager für Fleischwaren war.

Und auch bei meinen Eltern gab es Gerüche. M.E. war es eine Mischung aus Haarfestiger, Weichspüler, Lederreinigungsmittel u.a. Im Bad roch es nach vor sich hin trocknenden Waschlappen, die alles dominierten.

Im meiner Wohnung mag es auch riechen. Ich ahne den Eindruck, dass ich den Geruch wohl kenne, weil es eben meiner ist. Vermutlich ist es so wie mit der persönlichen Stimme, die sich nicht wiedererkennen lässt, da sich nämlich der Klang durch die Resonanz des eigenen Kopfes ergibt.

Was so die Bestandteile eines Geruches von Räumlichkeit ausmacht, weiß ich nicht genau. Es mögen die zusätzlichen Mittel sein, aber auch das Mobiliar und der Teppich. Es sind wohl auch die typischen Nahrungsmittel und Rückstände des zubereiteten Essens.

Und auch Menschen riechen selbst; der eine stärker, der andere weniger. Ich kannte einst eine Frau, die erdig roch – durch die Kleider und selbst in der Kälte. Vor allem Kinder riechen wohlig, wie ich finde; irgendwie frisch. Und ältere Menschen können säuerlich riechen, auch wie ältere Kleider, die länger schon nicht gewaschen wurden.

Und natürlich gibt es Gerüche, die einen selbst erfreuen: die sind vermutlich hoch subjektiv, wenn auch einige Evergreens wohl zur universalen Grammatik des Wohlgeruchs zählen, wie beispielsweise frische Kräuter. Ich persönlich mag sowohl Benzin als auch Kaffee. Als Junge hegte ich den Wunsch, Zimmer mit spezifischen Gerüchen einzurichten.

Sie wird nur benutzt

In den letzen Wochen hat sich Greta Thunberg in meine Gespräche gemogelt. Und es passierte, was mich überraschte: viele meinten geradezu einstimmig und mit derselben Wortwahl, dass sie doch nur benutzt würde.

Es schwingen so viele Haltungen in diesem Urteil mit. Die Message ist jedoch dieselbe: mal halb lang; das ist doch alles übertreiben; das Mädchen weiß nicht, was es tut; ihre Angriffe sind unfair; sie wird sich nur vor den Wagen anderer gespannt …

Und es sind nicht nur die älteren Herren, die das ‚verkünden‘. Vielmehr weiß jeder, wie es läuft. Es ist wohl zunächst die Verwunderung über den Erfolg eines 16 jährigen Mädchens. Es kann doch einfach in der heutigen Zeit nicht sein, dass ein junges Mädchen so viel Bedeutung entfaltet. Darin schwingt der Unglaube mit – aber auch der Zweifel an sich selbst, nicht auch nur Ähnliches schaffen zu können.

Dann wird das durch das Krankheitsbild garniert, bei dem mitschwingt, dass es ein begünstigendes Moment für das Verhalten des Mädchens ist. Nur so ist es erklärlich, dass sie ihre Kindheit und ihre Jugend nicht Alters adäquat wahrnimmt und lebt.

Es wird der Vermutung Ausdruck verliehen, dass Mächte am Werk sind, um den großen Erfolg erst zu ermöglichen. Irgendjemand muss doch davon profitieren. Da ist ja beispielsweise auch dieser schwedische Medienmanager, der sie groß gemacht hat. Sie ist doch nur das Produkt einer Kampagne.

Schließlich wird auch die Rationalität in Frage gestellt: denn die Kinder sind doch nur emotional und können nicht argumentieren. So müssen Kinderkreuzzüge im Mittelalter entstanden sein.

In der Summe bleibt der Eindruck, dass das Anliegen unsauber ist, alles eine Konstruktion für andere Zwecke und die Person ferngesteuert. Am Ende wird damit gesagt, dass nicht sein kann, was nicht wahrscheinlich ist. Die ganze Bewegung wird dadurch diskreditiert. Ich mutmaße, dass das Phänomen dieser negativen Bewertung interessanter ist als der Erfolg. Denn die Gegenwehr ist kaum verständlich, erfasst sie doch nicht den Kern des Erfolgs.

Innere Kohärenz

Wie häufig haben wir das Gefühl, dass etwas nicht stimmig ist? Irgendwo nicht zusammenpasst? Etwas falsch ist?

Zwar handelt es sich um einen schwer zugänglichen Begriff. Doch hat er eine lange Tradition und ist ein äußert wichtiges Momentum für Verhalten und Stimmung. Es ist ein medizinischer Begriff, der in der Geschichte der Psychologie schon einige Wandlungen erfahren hat.

Verlässt man den klinischen und medizinischen Bereich mit seiner grundsätzlichen Anmutung von Krankheit und Pathologie, so eröffnet das Konzept ein wichtiges Moment zur Einsicht über sich selbst – und den anderen. Denn die Verwirrung darüber, dass etwas nicht stimmt, löst verschiedene Reaktionen aus: es ist zunächst diese Irritation, dass das oder jenes nicht richtig ist.

Und daraus entwickeln sich dann die großen Schlussfolgerungen, sprunghaft und zwangsläufig. Das Gegenüber ist sofort mit einem Mangel behaftet; und es stellt sich das Gefühl ein, dass man sich in Acht nehmen muss. Alleine die Formulierung, dass etwas nicht richtig ist, rückt den gemeinten Menschen schon in die Nähe des psychisch Erkrankten. Insgesamt lautet die Grundstimmung dann: bitte Distanz wahren!

Der Mangel an Kohärenz ist die Ursache dafür, dass der Mensch eine Situation und eine soziale Interaktion als schräg empfindet – es ist dieser Modus, dass etwas stört, nicht passt. „Irgendetwas stimmt nicht mit dem Menschen“, haben wir alle schon einmal gehört. „Der ist unehrlich!“

Anders gewendet ist ein Mindestmaß an Kohärenz auch die Mindestbedingung, sich auf einen anderen Menschen überhaupt einzulassen. Man muss sich schon wohlfühlen oder neugierig sein. Sonst kann daraus kein Kontakt erwachsen, der einem gefällt – es sei denn, man sucht willentlich und bewusst gesteuert den Kontakt zu einer anderen Person.

Auch der Körper verlangt nach einem Gefühl an Integrität und Passung: es gibt so viele Menschen, die mit ihrem Körper fremdeln, ihn gar ablehnen. Auch nach einer längeren und ernsthaften Erkrankung sucht er den Zustand, in dem man seinen Körper wieder annehmen kann. Man blickt dann nicht mehr von oben herab auf den Körper herunter und denkt, dass das alles nicht schön aussieht.

Kohärenz ist auch das Ziel kleiner Alltagsentscheidungen. Man nehme nur die Menschen, die nur in Fahrtrichtung einen Verkehrsträger nutzen können. Dann fühlt es sich erst richtig an.

Der Mensch ist auf Kohärenz verpflichtet, wenn er sich frei entscheiden kann, seinen inneren Stimmen und Stimmungen zu folgen. Alles andere sind Zwänge, die ihn verpflichten, diese Komfortzone zu verlassen. So muss man ja auch beispielsweise mit Menschen auskommen, auf die man sich niemals freiwilligen einlassen würde, gerade im beruflichen Alltag, aber genauso bei einem Engagement in der Freizeit.

Daher klingt vermutlich auch das programmatische Ziel eines Team-Building hohl. Den man kann nur schwerlich seine inneren Neigungen überwinden oder korrigieren, jemand zu mögen – es sei denn, man tut dies aus ideellen oder religiösen Gründen. Man erinnert sich an die Formel von Sepp Herberger, der die Lösung ausgab, eine Fußball-Mannschaft müsse aus 11 Freunden bestehen. Heute hat man die Einsicht, dass eher eine kooperative Konkurrenz zu Erfolgen führt – oder eben ein guter Physiotherapeut.

Plurales Leben

Der Grundsatz der liberalen Gesellschaft ist, dass jeder so leben darf, wie er will. Welche Errungenschaft! Ist doch die gesamte Geschichte der menschlichen Entwicklung davon geprägt, dass sich der Stärkere durchsetzt und der Schwächere unterworfen wird.

Andererseits handelt es sich dabei aber auch um eine Zumutung wider die Natur des sozialen Zusammenhalts: denn der orientiert sich weiterhin an der Gemeinschaft der Gleichen. Dies kann Familie sein, die Gruppe der Gleichaltrigen, die gleich aussehen usw. Es schließt aber diejenigen aus, die eben nichtmals rudimentäre Gemeinsamkeiten aufweisen, also die Freaks.

Die sog. Anthropologie macht uns also einen Strich durch die Rechnung, wenn eine pluralistische und libertäre Gesellschaft ansteht. ‚Die Natur des Menschen‘ ist nicht leicht mit diesem Programm zu vereinbaren bzw. zu verzahnen. Denn der Mensch ist eben nicht nach den Grundprinzipien dieser Gesellschaft gebaut – sonst wäre sie wohl auch schon von Anbeginn der Menschheit das Maß gewesen. Sie ist vielmehr erwachsen aus bitteren Erfahrungen und guten Erkenntnissen. Aus der Idee geborgen wurde sie erst pilotiert, dann aber auch zum Modell erhoben. Es verhält sich dabei ähnlich wie bei Überformung der Umwelt durch den Menschen: das Anthropozän ist das Ergebnis.

Doch gelten die Grundprinzipien nur als Rahmen, der auch durchgesetzt sein will: zu sehr kämpft der Mensch mit seinen Atavismen aus wilden Zeiten. Denn im Kleinen kehren viele der ‘Schlechtigkeiten‘ wieder, die wir eigentlich überwinden wollen.

Gerade im politischen Raum sieht man die Rückschritte: dort nämlich breitet sich schleichend der hässliche und mit Hass getünchte Ton aus, den man über Jahrzehnte versuchte, unter den Deckel zu schieben. Und tatsächlich gibt es auch diese polare Weltsicht von US and THEM durch neue völkische Parteien. Der Wolf wagt sich aus dem Schafspelz.

Das plurale Leben in Eintracht und Neugierde gilt es also nicht nur zu verteidigen, sondern auch zu missionieren. Tatsächlich heißt es, den Radikalen durch Umerziehung und Verhaltensänderung zu begegnen.