Die me too-Debatte ist noch nicht vorbei; schon wird sie zum Standard des Mainstreams in Deutschland. Zwischenzeitlich nervt mich das immer mehr. Immerhin habe ich das Glück, als neutraler Beobachter fungieren zu können. Denn ich bin weder Täter noch Opfer.
Doch kann ich mir nach solch einleitenden Zeilen vorstellen, einen Vorwurf zu provozieren, dass niemand unschuldig ist: man hätte auch etwas unternehmen können, um das Unglück zu verhindern. Denn man könnte sich doch einbringen: auch Männer könnten in der Debatte etwas beitragen. Aber eigentlich sollten sich die alten, weißen Männer besser schämen. Denn es sind doch die, die die herrschenden Strukturen zementieren. Und wenn die bestehen, müssen sie auch eine Mitschuld tragen.
Am Max Delbrück-Zentrum in Berlin wurde nach Angaben des lokalen Radiosenders Jahre lang sexueller Missbrauch betrieben. Es handelte sich um Übergriffe wie x, aber eben auch Komplimente. An demselben Tag veröffentlichte die Anti-Diskriminierungsstelle eine Statistik, wonach jede/r 11. Arbeitnehmer/in schon Übergriffe erfahren habe. Und die Bundesministerin für Familie wurde zitiert, dass doch bitte mehr strafrechtlich verfolgt werden müsse.
An diesem Tag bekam ich den Eindruck einer Weltverschwörung und einer globalen menschlichen Tragödie: alle Männer sind Schweine; und ein Lebens entscheidender Umstand wird unter den Teppich gekehrt.
Diese Debatte wird abstrakt und isoliert diskutiert. Sie beläuft sich auf Überschriften; nur die Anklage alleine soll schon einen Missstand feststellen. Es muss nicht weiter differenziert werden. Die Angeklagten würden sich doch nur herausreden wollen und irgendwelche Argumente erfunden. Immer dieses Geschwafel – verdammt, gib es doch zu!
Das klingt ziemlich nach Pöbel, mehr noch nach Mob. Das ist, wie sich die sog. aufgebrachte Masse gegenüber dem Verdächtigen verhält. Eine differenzierte Verteidigung kommt einem Schuldeingeständnis gleich.
Und wenn es auch möglicherweise nicht zu einem Übergriff gekommen ist, dann ist doch schon der Umstand der Möglichkeit verdächtig. Ist nicht schon alleine die Möglichkeit alleine strafwürdig? Der Diebstahl findet schließlich auch nur statt, weil die Umstände ihn erlauben.
In derselben Masche sah ich einen Fernsehbericht über Original Play. Es geht dabei um geplantes körperliches Ringen und Raufen. Das verantworten Erwachsene und Kinder. Die Aufregung war enorm: es liest sich wie eine Anleitung zum Kindesmissbrauch. Und schon gibt es erste Stimmen von Kindern, dass die Erwachsenen auch intime Körperteile berührt hätten.
Fast muss man sich schämen, nicht in dasselbe Horn zu stoßen. Denn sonst verharmlost man den Sachverhalt. Man muss schon Position beziehen; klare Kante zeigen.
Es ist ähnlich den großen Bewegungen im Mittelalter, als der Verdacht bestand, dass den Menschen der Teufel innewohnt. Man mutmaßte in allem und jedem Anzeichen dafür. Aber auch in den 1970er Jahren zeigte sich der Wahn, die Terroristen aufspüren zu wollen. Phasen der Hysterie verschlucken leider den gesunden Menschenverstand.