Der Tod

In den letzten zwei Wochen erhielt ich drei Todesnachrichten von Elternteilen von Bekannten und Freunden. Alle Verstorbenen gehören den Jahrgängen der 1930er Jahren an.

Die schlichte Häufung führt dazu, es nur noch hinzunehmen und einzugestehen. Es ist so, dass die Generation unserer Eltern uns verlässt.

Mir kommt das ein wenig wie ein Rechenschieber vor: die Säuglinge und Kinder werden älter, die Eltern sterben.

Was mich erschüttert, ist, dass es mich nicht erschüttert. Denn mir wird mit jeder Nachricht klarer, dass die Biologie nicht einfach mehr zulässt. Mich erfreut, dass viele von diesen Menschen gehen, ohne schwer erkrankt zu sein. Sie sterben lautlos, zurückgezogen und ohne Drama. Sie sind plötzlich entschwunden.

Und so frage ich mich, ob der Mensch so wenig Mensch ist, dass sein Tod plötzlich zur Normalität wird. Die objektive Tatsache bleibt. Aber selbst das subjektive Empfinden wird ‚loose‘. Und das evoziert mein Erstaunen. Denn ist der alte Mensch weniger Mensch?

Diese Sätze ‚er hat sein Leben gelebt‘ oder ‚Gott hat ihn zu sich berufen‘ oder ‚wir trauern um unseren x / y‘ sind so beiläufig und ritualisiert, dass es mich geradezu ärgert. Doch weiß ich gleichzeitig, dass mich die Trauer und das Nachdenken für jeden dieser Menschen für Tage und Wochen stark beklemmen würde – und das stets nach demselben Muster.

Wie schön ist es dann, sich mit der Tatsache zur Ruhe zu bringen, dass dies alles ’normal‘ ist. Biologisch und evolutionär ist es ja so. Doch werfe ich mir auch vor, dass mein Denken sich in allgemeines Realisieren und Ritualisieren flüchtet, da ich die Kraft nicht aufbringen will, aktiv zu gedenken.

Eine befriedigende Reaktion gibt es wohl nicht.

Die Familie

Die Familie hat in unserer öffentlichen Welt einen Heiligenschein. Normativ ist sie Hort des Vertrauens, von Heimat, der Gemeinschaft der Zuneigung und Aufopferung und so mancher anderen emotionalen – eher biologischen – Superlative.

Sie ist aber – neben der Funktion des Hortes und der Erziehung – auch Ort allen sozialen Übels. Ich verstehe nicht, wie christliche Parteien das zum Wert an sich stilisieren, wenn 60 Jahre Sozialarbeit in unserem Land das Gegenteil reparieren müssen.

Die Psychologen dürften ohnehin diejenigen sein, die am meisten dazu beitragen können. Und sie haben einen dunklen Eindruck von Familie, nur einen positiven Eindruck von irgendwelchen sozialen Kontakten, die man frei wählen kann.

Allein Freud hat das Gebäude ‚der heiligen Familie‘ eingerissen. Zudem muss man sich auch fragen, ob die Legitimität der Familie durch die christliche Lehre und das dynastische Prinzip ausreichend begründet sind. Denn diese beiden Gedankenfiguren dürften dafür verantwortlich sein, dass die Familie immer wieder als soziale Keimzelle angeführt und beworben wird.

Wenn damit verbunden ist, dass soziale Interaktionen eben auch nicht nur die eine, sondern auch die andere Waagschale meinen, wäre das begründet. Wird aber immer nur das rosige und gefällige Bild von Familie betont, leidet schließlich auch die eher nüchterne Betrachtung, dass Familie wichtig ist, aber eben auch Macken hat.

Eine Familie muss konstruiert und gepflegt werden. Es ist nicht selbstverständlich, sich auf die Solidarität des anderen zu verlassen, wenn man nicht selbst höflich ist und mit Wertschätzung dem anderen begegnet. Es ist eine Notwendigkeit, sich zu informieren, wie Familie ist, einschließlich Erziehung, Altenpflege, Krisenbewältigung und so vielem mehr. Bloß darauf zu hoffen, dass man das alles kann und sich schon irgendwie ergibt, ist fahrlässig.

Und jenseits der Programmatik, Familie sei schlicht gut und ein ‚Muss‘, sollte eben auch Beratung normal werden, wenn das reale Programm nicht mit dem gewünschten übereinstimmt. Manchmal sind es Familien oder spezifische Personen einfach nicht wert. Zuweilen muss man sich trennen. Selten muss man sich wehren und sanktionieren.

Die sieben Todsünden

Es lohnt immer wieder, sich mit den Grundlagen zu beschäftigen, auch wenn man lieber einen spannenden Thriller sehen würde.

Und so traf ich auf das Konzept der sieben Todsünden, als ich etwas von Akedia las. Das scheint mir unter nicht-Christen weitgehend unbekannt, auch wenn der Begriff der Todsünde geläufig ist. Man sollte eine Straßenumfrage durchführen:-)

Welche sind diese sieben Todsünden? Es sind Hochmut, Geiz / Habgier, Wollust, Jähzorn / Wut / Rachsucht, Völlerei, Neid / Eifersucht, Faulheit / Ignoranz.

Ich war erstaunt, dass keine der Todsünden strafrechtlich relevant ist. Alle sind bloße Haltungen und Stimmungen des Menschen, die einen Antrieb darstellen – nicht mehr und nicht weniger. Sie kommen nur dann

zum Tragen, soweit eine Straftat mit Motiven unterlegt wird, um die Intention zu analysieren, die so schließlich einen beträchtlichen Einfluss auf das Strafmaß hat. Aber an sich kann uns jeder dieser Impulse im Alltag treffen.

Von den sog. Todsünden werden einige heute anders bewertet: so wird in jeder auch etwas Positives gesehen: in Hochmut gesunder Stolz; in Geiz Genügsamkeit; in Wollust das natürliche Bedürfnis nach Sexualität; in Jähzorn gesunde Wut; in Völlerei, sich hin und wieder gehen zu lassen; in Neid der Antrieb zu Wettbewerb; und in Faulheit Entspannung und Ausruhen. Die Psychologen hatten ihr Wort mit im Spiel, dass diese grundsätzlichen Antriebe des Menschen ’normal‘ sind. Sie erfüllen also psychologische und biologische Funktionen.

An Beispiel der Trägheit und Faulheit wird das besonders deutlich: die Akedia galt im Mittelalter als Sünde, da sie den Auftrag Gottes nicht erfüllte, also das Leben für die göttliche Botschaft zu nutzen. Heutzutage jedoch wird Trägheit als Notwendigkeit für Leistungsfähigkeit interpretiert: ohne Pause keine Energie!

Die sieben Todsünden sind nach heutiger Interpretation eher ’natürliche‘ Impulse, deren Unterdrückung sich rächt. Sie auszuleben, heißt nur, sich schlecht zu benehmen – mehr nicht. Aber immerhin sind sie insoweit ein guter Leitfaden für sozial verträgliches Verhalten.

 

Die Verantwortung übernehmen, gehört bestraft

Der ‚Mann auf der Straße‘ ist empört: die ‚da oben‘ sind doch nur an Macht, an Profil, an Mauschelei und am Ränkespiel interessiert. Sie stecken sich die Tasche voll – und interessieren sich für uns nicht die Bohne.

Ein plumpes und ungebildetes Szenario? Aber nein: in TV-Umfragen hört man das, serviert von Journalisten, wie sie Konflikt und Frontstellung zum Aufhänger ihrer Berichterstattung machen.

Es gab in der Geschichte Armutsaufstände und Technikstürme. Das sind dumpfe Bezeugungen gegen Umstände, von denen man glaubte, sich nicht anders von Ihnen entledigen zu können. Meist ging das mit Gewalt einher.

Daher speist sich der Argwohn gegen ‚die da oben‘ aus deren Selbstverständlichkeit, für andere agieren zu können. Sie wollen lenken. Und dagegen muss man sein – schon alleine deswegen, weil man nicht dazu gehört.

Deswegen ist die Übernahme von sozialer und gar öffentlicher Verantwortung blöd! Das höre ich häufig, wenn ich beiläufig von irgendeiner Aktion erzähle, die ich begonnen habe, wie eine Anfrage an die Kommunalverwaltung, eine Bitte an das Ordnungsamt oder eine ehrenamtliche Aushilfe als Streckenpfosten eines Laufwettbewerbes.

Eine Kollegin von mir schaut mich dann mit dem Gesicht an, das mir zuruft: Du arroganter Typ! Du willst wohl etwas Besonderes sein! Du bist vermutlich der, der öffentliche Einrichtungen so richtig nervt. Und mehr hast Du auch nicht geschafft. Und außerdem erreicht hast Du ohnehin nichts. Man könnte doch statt dessen ‚mal richtig bei der Arbeit anpacken.

Und so gibt es

 

Du blödes Hollywood

Dieses Hollywood ist eine Welt für sich, lassen uns die Äußerungen erfolgreicher deutscher Schauspieler, der Glaube an ‚das‘ globale Qualitätssiegel oder Filme zum Innenleben der Kinofabrik glauben machen. Es ist wie ein Biotop.

Man hört aber auch von Bollywood oder der Massenproduktion von Filmen in Nigeria. Die sehen in Hollywood einen Orientierungspunkt. Oder werden von anderen damit verglichen.

Hollywood ist ein Monopol. Die wirtschaftliche Macht zeigt sich in der Struktur der Kinowelt. Dagegen haben sich Programm- und Autoren-Kinos gewandt, ohne irgendetwas dagegen ausrichten zu können.

Was aber wirklich stört, ist die Globalisierung von Kultur und Werten, die mit den in Hollywood produzierten Filmen zwangsläufig einhergeht. So kennen die Kinder der entwickelten und industrialisierten Welt alle die Straßenansichten von New Yorck, aber nicht aus Stockholm oder aus Jakarta. Sie kennen diese Genres und immanenten Typen, die immer wieder transportiert werden.

Ist es dann nicht klar, dass sich einige Kulturen mit einem selbstbewussten Anspruch beklagen, dass damit fremde und ‚ungewollte‘ Wertewelten vordringen?

Die Film- und Kinosäle sind ein sehr starker Sozialisierer von jungen Menschen. Und der Stoff dazu kommt aus einer Quelle, die immer gleichen Inhalt produziert. Sie hat keinerlei Varianten. Ob sie schmeckt, weiß der Konsument nicht – da er noch niemals aus einer anderen Quelle getrunken hat.

 

Du Snob

„Du bist ein Snob! Hör auf, alles ‚Scheiße‘ zu finden. Fang endlich damit an, auch die positiven Dinge zu sehen!“

Das hörte ich in einer dieser nervigen Erweckungskomödien aus den USA. Ich hatte noch nie von dieser Bedeutung von Snob gehört – doch ist sie fraglos inspirierend.

Denn sie nimmt aufs Korn, das NEIN zu entlarven. Dass es bloße Opposition ist, ohne konstruktiv mit Umständen und Sachverhalten umzugehen. Denn das NEIN ist für die Verneiner Ausdruck und Zeichen, gegen eine Mehrheitsmeinung zu sein, um sich so abheben zu können.

Der Snob ist derjenige, der nicht zur Masse gehören will, die er zumindest leicht – vielleicht aber auch stärker – verachtet. Er ist im Anders sein nach seinem Selbstverständnis besser. Darin ähnelt er dem Zyniker, der ebenso herrschende Normalität zu kritisieren versucht, indem er vorgibt, es besser zu wissen.

Snob geht übrigens auf ’sans noblesse‘ zurück. Das betitelte die Liste der Mitglieder in englischen Universitäten, die keinen Adelstitel besaßen. Es waren also diejenigen, die gerne dazu gehörten, aber eben nicht den ererbten Stand vorweisen konnten.

Die Deutung des Snobs, zu denen zu gehören, die sich von der Mehrheit entfernen, um anderes zu sein, ist also neu – und trefflich. In der Pubertät ist das genau das Richtige, danach nicht mehr!

Falls Du ‚mal reden willst

Dieser einfache Satz löst Allergien, Sehnsüchte, Ängste oder Fluchtinstinkt aus. Denn es bedeutet Auseinandersetzung mit sich selbst.

Puh! Mich erinnert das an ein beiläufiges Gespräch mit einem Mann, dem ich einst anbot, ihm einen Tipp für einen Weiterbildungsgutschein seines Arbeitgebers zu geben. Ich meinte, dass er doch ein Coaching wahrnehmen könne. Doch er sagte nur mit leicht traurig verzerrter Miene: dann müsste ich ja meine Probleme besprechen.

Das NEIN stand auf seiner Stirn. Wie ein Fußballfan, der zum Spiel eines Erzrivalen seines Clubs gehen soll. Reden und Austausch als Schreckgespenst? Basiert nicht nur Ausgleich, sondern auch Lernen und Persönlichkeitsentwicklung auf Kommunikation, auf den Abgleich eigenen Denkens mit dem anderer?

Frauen erfahren diese fast ‚instinktive‘ Reaktion des Mannes recht häufig – auch wenn sich das mit den jüngeren Menschen dieser Tage ändert. Doch ist das wohl typisch: man redet eher mit den Freundinnen oder den Kumpels.

Reden als Symbol für Verweigerung? Was ist das denn? Vielleicht ist es ein Zeichen des emanzipatorischen pubertierenden Geistes, der eben nicht in eine Situation geraten will, in der man gänzlich fremdbestimmt ist: es wird nun geredet, nichts anderes; der andere bestimmt das Thema; selbst soll man ehrlich sein und preisgeben; der andere aber bestimmt die Sanktion, die gegen einen selbst verhängt wird. Das verstehe ich gut.

Nun kann man sagen: „verlasse endlich Deine Komfortzone!“ Dabei wird suggeriert, dass man sich nach dem Reden auf einer höheren Stufe der Persönlichkeitsentwicklung und des Bewusstseins befinden würde – doch eben unter Zwang.

Der Satz ‚lass uns reden‘ ist wie diese erzwungene Klärung des Stärkeren, wie der Lehrerin oder der Mutter. Tatsächlich gibt es aber auch die – Typ-gemässe Gouvernante – Frau, die dem Mann, dem Bruder, dem Vater wie dem Sohn sagt: lass uns das nun bitte einmal klären. Und der Mann erleidet dann immer eine Niederlage gegen die bessere Sprachlichkeit, den Willen zum Klären sozialer Konflikte, die Sucht nach Harmonie und das größeren Repertoire an Druckmitteln.

„Lass uns reden“ kann eben auch Abschreckung, nicht Einladung sein.

Falsche Vergleiche? Sexueller Missbrauch vs. ökonomischer Abhängigkeit in der Ehe

Was eigentlich regt uns so auf, wenn wir von sexuellem Missbrauch von Kindern hören? Selbst bei sonst von mir als durchweg rational strukturierten Menschen lassen sich ‚Ekel‘ und Aggression bis zum Vernichtungswunsch beobachten. Auch in der Hierarchie des Gefängnisinsassen sind Missbrauchstäter ganz ‚unten‘ angesiedelt. Alle sind sich einig: „sperrt sie weg – das sind doch keine Menschen!“

Woran liegt das nur? Ich habe mich das schon so häufig gefragt. Eine erste Hypothese ist das konsensuale Bild vom ‚unschuldigen Kind‘, das noch so viel Zukunft vor sich hat, sich nicht erwehren kann, lebenslange negative Auswirkungen mit sich tragen wird und der Abhängigkeit von der Macht des Erwachsenen ausgeliefert ist.

Eine erste Hypothese ist die Asymmetrie von Macht und die daraus resultierende Abhängigkeit. Würde aber das die heftigen Reaktionen und Sanktionsforderungen begründen können? Denn liegen die nicht auch bei anderen Gruppen vor? Nehmen wir Beispiele wie die Pflegebedürftigen, denen Gewalt angetan wird; die Frauen, die erst ausgebeutet und dann verlassen werden; die Männer, die in der Ehe Gewalt erfahren; oder die Opfer von Mobbing in Vereinen oder Betrieben, die ‚zerstört‘ werden. Immer liegt auch hier genau dieses Kriterium vor. Niemand aber würde darauf kommen, dass man die vermeintlichen Täter ähnlich moralisch aburteilen würde wie die Missbrauchstäter.

Eine zweite Hypothese könnte darin bestehen, dass Kinder bedingungslose Fürsorge benötigten, sind sie doch schließlich Schutzbefohlene und unsere Zukunft. Wäre dies logisch, da wir doch zeitgleich behinderte Kinder beargwöhnen ebenso wie vorlaute, unhöfliche, schlaue und gewalttätige Kinder ablehnen? Ist es nicht auch so, dass wir Kinder von Geflüchteten eben als Geflüchtete beurteilen – also raus damit?

Falsche Vergleiche gibt es nicht: es gibt nur solche, die anregen. Vergleiche an sich können auch nicht geschmacklos sein. Und die Gegenwehr gegen einen guten Vergleich, dass ‚man Äpfel mit Birnen vergleiche‘, ist die Hilflosigkeit gegenüber einem treffenden Vergleich.

 

„Galanterie der Woche“

Die Bibel – aber auch andere heilige Schriften – wollen, dass man sich an das Gute hält. Das ist der ‚gute‘ Umgang miteinander!!! Denn davon hängt alles Gedeihen des Menschen an: kein Konflikt und gewaltsamer Tod; kein streitbar Machen von Saaten und Ernten; stabile Paarungen und Nachkommen usw.

Die Bibel formulierte es mit der guten Tat, die man jeden Tag als Richtschnur befolgen sollte. Weihnachtsmann und Knecht Rupprecht achten darauf.

In der zusehends rationalen und nicht-gläubigen Welt haben uns goldene Regel und kategorischer Imperativ das zur Lebensregel zementiert.

Und heute? Nüscht! Man vergisst das, vernachlässigt es, schiebt es beiseite. Wäre es daher nicht an der Zeit, den Wettbewerb um die ‚Galanterie des Tages‘ aufzurufen?

Statt dieser Quiz-Shows im TV und Kurznachrichten im Netz könnte man doch einen Wettbewerb starten: wer war in der letzten Zeit galant? Und was war die schönste, ja galanteste Galanterie?

Das wäre schön. Denn man könnte ein neues Phänomen in den eigenen Alltag einschleichen. Was passieren würde, weiß man noch nicht. Doch das soziale Experiment wäre es wert.

 

Geschlechtliche Identitäten

Es gibt zwischenzeitlich so viele Selbstbeschreibungen von Geschlecht, das selbst ein interessierter Mensch keinen Überblick gewinnen kann.

Im SPIEGEL las ich, dass es nicht nur dutzende, sondern noch viel mehr Konzepte gibt. Scheinbar explodiert die Zahl sexueller Identitäten.

Wieso fasst die Menschheit den Entschluss, plötzlich nicht mehr in Frau und Mann unterteilt sein zu wollen? Das ist nicht leicht zu verstehen, ist es doch eine anthropologische Konstante und eine fundamentale Tatsache aller moralisch-sittlichen Systeme. Binnen zweier Generationen ist die sexuelle Identität ein weltweites Phänomen geworden. Woran nur liegt das?

Ich könnte spekulieren, um mir das irgendwie zu erklären: erstens, gibt es so etwas wie ein Gruppenphänomen, nicht dazu gehören, eben anders sein zu wollen.

Dann könnte es auch in der individuellen Erfahrung von Erziehung begründet sein, soweit Eltern ihre Kinder zu sehr in eine Rolle drängten – um dann genau die Opposition zu erfahren, wie sich der Punk gegen die zwanghafte Geordnetheit der Schuluniformen aufgelehnt hat.

Weiter ist es sicherlich auch Ausgeburt der allgemeinen Entwicklung, seine eigene Identität zu konstruieren. Das Internet bietet dafür einen Raum, in dem sich ein Wettbewerb um die schrillsten Entwürfe entfacht hat.

Viertens ist es damit zu erklären, dass Biologie und Körperlichkeit sich immer weiter von der evolutionären Bestimmung entfernt haben.

Schließlich könnte es schlicht ein – noch – ungeklärtes Rätsel sein, das möglicherweise gar unter biologischem Einfluss steht.

Ob sich das Phänomen über Untersuchungen an Einzelpersonen erklären lässt, weiß ich nicht. Man könnte sich vorstellen, die Regelmäßigkeit der Biographien – ähnlich dem Prozess von Phylo- auf Ontogenese – zu analysieren; in der Hoffnung auf generalisierte Ergebnisse.

Ich selbst bin aufgrund meiner eigenen Ahnungslosigkeit völlig unvorbereitet für eine Bewertung und somit ein Handlungsreisender im Umgang mit solchen Personen. Ich bin eigentlich nur: neugierig.