Es geht ein Fanal um die Welt: „Cancel Culture!“
Wie nur kann man die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit auslöschen wollen? Hatten das nicht auch die Taliban mit den Kunstwerken getan? Wollen wir die Pyramiden schleifen, weil sie mit Sklavenarbeit geschaffen wurden? Wollen wir etwa unsere Eltern umbringen, weil sie uns dereinst getadelt haben?
Wollen wir uns des Materials entledigen, aus dem wir lernen, bessere Menschen werden zu können? Wollen wir uns des Dramas befreien, das unsere Theaterbühnen bereichert? Wollen wir Gehirnwäsche? Verstoßen wir nicht gegen den Grundsatz ‚die Gedanken sind frei’? Wollen wir weiter die Hybris des vermeintlich gerechten modernen Menschen zementieren?
Natürlich bin ich als Historiker entsetzt über einen solchen Zug! Denn habe ich doch das Interesse an diesem Fach vor allem deswegen entwickelt, weil ich wissen wollte, zu was der Mensch alles fähig ist. Ich glaubte damals, dass Menschen erst dann in ihrem Wesen zu verstehen sind, wenn man ihre Extrema kennt. Im Wesentlichen hatte es mir das Mittelalter angetan, da ich verstehen wollte, wieso sich Menschen plötzlich zivilisatorisch ‚zurück‘entwickelten. Und tatsächlich ist das ja eine Erkenntnis, dass die Menschheit keinen linearen Fortschritt zu mehr an Weisheit und Erkenntnis hinlegt. Vielmehr dürfte es sich um ein auf und ab handeln – nur das Mittel sollte eben im Koordinatensystem ansteigen; was das auch immer ist;-)
Das zu manipulieren, ist in etwa so wie die Gen-Schere an die DNA-Kette zu legen. Zwar ist dieses Verfahren so brillant wie genial – doch ist es eben auch im System der Ethikwerte neutral zu bewerten, da es eben vielfach anwendbar ist. Menschenmaterial ist eben gleichzeitig so und so. Man kann nicht einfach verbieten, wozu es fähig ist. Will man damit Gott spielen, die Vergangenheit zu verbieten?
Und liebe ‚Löscher‘: wollen Sie denn auch die eigenen Fehler aus der eigenen Biographie löschen? Wollen wir vielleicht lieber den Menschen ganz ausrotten? Denn dann gebe es sicherlich keine Ungerechtigkeit mehr. Alle wären Opfer.
Andererseits: sind wir nicht auch alle dafür, Gedenkstätten für Mörder einzureißen? Oder gleich zu verbieten? Wer würde schon ein Denkmal für Adolf Hitler dulden? So lächerlich es wirkte, doch die Attacke gegen eine Kopie bei Madame Tussaud in Berlin war bereits ein Start.
Und immer wird derlei getan: die Symbole der alten Herrschaft niederzureißen. Und zwar bei jedem politischen Wechsel. ‚Hallo, hier herrscht jetzt jemand anderes!‘ sagen uns die Aktionen. Es ist ein ‚norm’ales Verhalten.
Tatsächlich gehören die Sackgassen und Entgleisungen eben auch zur Kultur. Und man benötigt sie wohl auch schon allein deswegen, weil man nur so den Ausschlag des Pendels auf der anderen Seite wirklich begründen kann.