Rituale sind nach der anthropologischen Forschung sinnvoll. Man nehme den Abschied von einem verstorbenen Menschen. Es hilft ungemein, dem ganzen Gedöns aus Totenwache, Waschung, Bestattung / Verbrennung und symbolischer und verbaler Begleitung tu folgen. Sonst nämlich würde man vermutlich vor sich hinlaufen, die Haare raufen, um sich schlagen und sich im Wald verirren.
Rituale können jedoch auch Muster ausprägen, die zweifelhaft sind oder schlicht unsinnig. Den Menschen umtreibt Gerechtigkeit, folglich auch Sühne und Strafe.
Kürzlich verlor die DFB Nationalmannschaft mit einem 0 : 6. Ich sah die Vorstellung und war seltsam berührt. Denn die Spieler waren an diesem Tag ‚neben sich‘. Sie bekamen keinen ‚Zugriff‘ auf das Spiel. Auch wenn mein strategisches und spielerisches Vermögen begrenzt waren, so kann ich doch aus meinen längeren Erfahrungen mit aktivem Fußball berichten, dass ich das kenne – aus beiden Richtungen: Kanter-Siege fühlen sich für den Gewinner seltsam an; und auch hohe Niederlagen sind kaum erklärbar. Es gibt Tage und Zeiten, in denen Menschen ihren Stimmungen unterliegen – hoch und beiseite. Wenn sich das kumuliert, wird der Unterschied eklatant.
Fragt sich, was zu tun ist, damit sich das nicht wiederholt. Es heißt Änderung: bitte Umso gravierender, desto schlimmer die Erfahrung. Und der Mensch verkürzt Dann seine komplexe Erfahrung: ein Sündenbock spült die Sünden aller weg.
Yogi Löw ist als Bundestrainer der Mannschaft daher auf dem Schafott der Diskussion. Weg mit ihm! Dann kann man die Niederlage besser verkraften. Es lässt sich dann hoffen, dass alles besser wird. Es geht um Bewältigung des Schmerzes.
Nun war bei der TV-Übertragung auch Schweinsteiger dabei, eine fraglose Autorität in Sachen Fußball. Er vertrat zusehends die These, dass die Spieler unmotiviert, irgendwie lauschig wären. Er wiederholte es umso häufiger, je öfter sein gegenüber, Moderator Opdenhövel, meinte, der Bundestrainer müsse seiner Verantwortung nachkommen. Und was passiert jetzt? Die Medien fordern den Kopf des Bundestrainers.
Es ist wie der atavistische Aufschrei des Pöbels, der Köpfe rollen sehen will! Die Meinung der Experten ist gleichgültig, die öffentliche Meinung lebt!
Diese Stück Reflektion zu Ritualen ist lehrreich: denn es offenbart die segensreiche Kraft des Rituals, aber auch den Zwang der Glaubenssätze dahinter. Dazu passt ein Zitat von Brecht, das ich kürzlich las: „Wer a sagt, der muss nicht b sagen. Er kann auch erkennen, dass a falsch war.“