Mängelwesen

Der in der breiten Öffentlichkeit vergessene Helmuth Plessner hat den Menschen als Mängelwesen bezeichnet, so wie er sich biologisch darstellt: ohne Angriffswaffe, quasi nackt ohne schützendes Fell, in Stärke und Schnelligkeit vielen Tieren unterlegen und so weiter und sofort.

Heute hauen wir uns auf die Schulter und bestätigen uns untereinander, dass wir die Krönung der Schöpfung sind. Immerhin tickt auf diesem Planeten so ziemlich alles nach unserem Handeln – leider auch unkontrolliert, da sonst keine Kriege und eine Erderwärmung samt Umweltzerstörung stattfinden würden.

Das jedoch kümmert uns nicht in unserem Selbstbewusstsein. Doch man prüfe sich sorgfältig, ob wir nicht einzeln das genaue Gegenteil dessen sind, was wir als Gruppe ausmachen: wir sind schwach, ohnmächtig, für uns selbst ohne andere zu sorgen.

Ebenso eklatant ist das Missverhältnis zwischen kollektivem Weltwissen und dem des einzelnen. Wir haben nur einen winzigen Ausschnitt an Wissen zur Verfügung. Zwar haben wir durch unser Alltagswissen unser Leben weitgehend im Griff; doch wissen und können wir eben so viel nicht.

Und dazu zählt auch das Grundlagenwissen. Mir fällt das bei dem Bildungskanon genauso ein wie bei der Kenntnis unserer natürlichen Umwelt. Wieviel Opern hat Beethoven nochmals geschrieben? Oder um welchen Baum handelt es sich da vorne? Eigentlich laufen wir wie Blinde durch unsere eigene Heimat.

Uns dann muss man sich nicht auch Frage, ob mit einer geistigen und emotionalen Höherentwicklung auch eine größere Fragilität einher geht. Kann ein Baum eine Depression haben? Will sich ein Schwein selbst verwirklichen? Werden wir durch unser Potential nicht genau dort gebremst, wo wir es nicht entfalten können? Und ist das nicht eine enorme Schwäche? Denn hätten wir nicht die Möglichkeit, dann wären spürten wir auch keine Mängel.

Ohnehin merkt man sich – nach irgendwelchen Forschungen – 7x mehr die schlechten Dinge des Lebens als die guten. Es gibt posttraumatische Störungen, aber kaum Nachhaltigkeit von glücklichem Empfinden; eher wird es als normal angenommen. Eine Bevölkerung, die eine rückschrittliche Entwicklung erfährt, wird rebellieren, eine Bevölkerung im Wohlstand sich nur aushalten, aber nicht nachhaltig glücklich sein.

Und dann kommt da noch diese Langeweile hinzu. Als Kind will man beschäftigt werden. Als Erwachsener will man Sinnerfüllung. Je älter man wird, desto desillusionierter blickt man auf das eigene Sein. Und am Ende eines Lebens ist man nur noch dessen froh, aus dem Fenster zu schauen und Vögel zu beobachten. Ein Elefant zieht sich dann an ein Wasserloch zurück und stirbt. Ein Mensch jedoch braucht selbst im Tod noch Fürsorge.

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