„Ein Zeichen setzen“

Menschen setzen gerne Zeichen – vielleicht wie Tiere ihre Reviere markieren. Sie wollen Botschaften äußern. Sie wollen das öffentliche Bewusstsein erreichen. Sie wollen die Welt verändern.

Niemals zuvor haben Menschen so viele Zeichen gesetzt. Das ist ein großer Fortschritt, da sich Menschen so mit allgemeinen öffentlichen Fragen auseinandersetzen. Schlicht, sie kümmern sich. Das ist ‚das‘ Ideal der Demokratie, in der sich jeder an öffentlichen Debatten beteiligen kann. Jeder macht das Öffentliche zu seiner eignen Sache.

Doch die Ritualisierung, Zeichen zu setzen, wird dann zu einer Belastung, wenn jeder jedes Anliegen in das Interesse der Öffentlichkeit lenken will. Denn dann kommt es wie bei einer normalen Überforderung dazu, dass man nicht mehr verdauen kann, was da an einen herangetragen wird.

So stand ich kürzlich in einem Supermarkt in einer Schlange, als eine ältere Dame zu einer Kasse ging, die anmutete, als sei sie nur für kleine Einkäufe. Weit hinten in der Warteschlange rief ein Mann erst zaghaft, dann immer lauter, dass es so nicht ginge: schließlich könne das nicht jeder machen. Dann wurde er aggressiver, redete sich in einen Rausch: zunächst ging er auf die ältere Frau zu und beschimpfte sie damit, dass sie sich schämen sollte. Schließlich verlor er die Fassung darüber, dass niemand in sein Getöse einstimmte. Denn: er äußere sich auch an Stelle aller anderen Wartenden, mache sich also zum Verteidiger der Gerechtigkeit.

Irgendwie waren alle von dieser Szenerie eigentümlich düpiert und verlegen. Denn das war zu viel an Explosion; und vielleicht nichtmals gerechtfertigt. Auch hatte man keine Lust, mit dem Brüller, der fortweg eine Fontäne an Spucke ausstieß, gemeinsame Sache zu machen. Zudem war die kleine Episode völlig belanglos, da uns Wartenden das ein paar Sekunden unseres Lebens kostete. Tja, soziale Normen werden immer ausverhandelt, aber so?

Und natürlich lässt sich auch steigern, Zeichen zu setzen: war nicht der Mörder des jüngsten Sohnes von vWeizsäckers letztes Jahr ebenso ein Rächer aller derjenigen, die an Fehlentscheidungen des Vaters gelitten hatten? War das nicht ein Zeichen der richtigen Kritik?

Aber es lässt sich eben auch abschwächen: wer trägt nicht schon irgendwelche Symbole, mit denen er in der Außenwelt assoziiert werden will? Es mag die Marke der Oberhemden sein oder aber die Aufschrift auf dem T-Shirt, man möchte sich verortet wissen und es den anderen so auch kundtun. Alle politische Symbolik fußt auf diesem Command.

Also lasst uns weiter Zeichen setzen, die wichtig sind. Doch sollten es nicht so viel werden, dass man vor lauter Zeichen auf dem Boden keine Freifläche mehr zum Gehen hat.

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