Der Zwang zum ‚Selbstlob’ älterer Männer

Wer kennt das nicht? Man sitzt einem älteren Mann gegenüber, der aus seinem Leben berichtet wie aus einer Heldengeschichte, die die Welt noch nicht gesehen hat.

Man erstarrt dann berührt und weiß sich nicht zu verhalten. Denn der innere Wunsch besteht darin, dem guten Gefühl keinen Schaden zuzufügen. Andererseits würde man dies einem Gleichaltrigen nicht durchgehen lassen. Denn es ist dann doch reichlich Selbstlob, das man – aus welchen Gründen auch immer – nicht zulassen will.

Was eigentlich ist mit den älteren Frauen? Sind sie genauso? Meine Erfahrung ist die der Sehnsucht nach dem Leben als Mutter: was war es für eine schöne Zeit, als ich alle umsorgen konnte! Ähnlich ist es für die kinderlosen älteren Frauen, die dann die Geschichte erzählen, für andere Menschen wirksam gewesen zu sein. Mich würde interessieren – was ich aus eigenem Erleben nicht weiß -, was denn die Gekümmerten dazu sagen würden.

Ist das der Ort für die Verdammnis der Rückschau älterer Menschen auf ihr Leben? Mitnichten! Denn das machen wir vermutlich alle, um unserem Leben Sinn und Geschichte zu geben. Man will, dass es rund ist.

Vermutlich entscheidet sich der Zuhörer analog seiner Persönlichkeit: entweder man mag Geschichten oder nicht; entweder man ist zugewandt oder nicht; entweder man schätzt Lebenserfahrung oder nicht…

Ich hatte zwei sehr unterschiedliche Großväter: der eine erzählte nichts über die Vergangenheit, und niemals über seine wohl erschütternden Kriegserlebnisse. Das nimmt mich Wunder, da er nämlich lange in russischer Kriegsgefangenschaft war, bevor Adenauer seinen Deal umsetzte. Der andere war dieser Typ, der ständig davon sprach, „dass er immer vorneweg gewesen sei.“ Man musste den Eindruck bekommen, dass er maßgeblich Weltpolitik geschrieben habe. Doch beide erzählten ausgewählte Geschichten, die man als Kind wunderbar befand. Es war wie Münchhausen, der sein Repertoire zum Besten gab. Ich liebte es.

Auch heute mag ich diese Situation, wenn Menschen ihre Bedeutsamkeit weitergeben. Ich bin auch amüsiert, ja. Aber ebenso sehe ich in den Gesichtern dann Freude und Gewicht, als ob die Schwere des Alltags von diesen alten Menschen abfiele. Sie sind dann schlicht glücklich, geradezu im Flow.

Zuweilen erinnere ich mich nur dieser Geschichten, wenn ich an Verstorbene denke. Ihre Gesichter sind nur noch verwaschen, ihre Körper kaum mehr einzuschätzen. Ihre Stimmen, ihre aufgerissenen Augen, ihre typischen Haltungen bei der Erzählung bleiben mir am längsten haften. Und: es sind meist lehrreiche Geschichten!

Tracker

Frauen äußern sich despektierlich über diese Menschen, die ständig ihre körperlichen Daten abrufen. Für die Gesundheit ließe sich das ertragen, nicht aber um sportliche Leistungen einer kleinen Öffentlichkeit kundzutun.

Es sind Männer, die solche Dinge tun. Sie stellen beispielsweise ihre Laufzeiten in irgendwelche Foren – wohl in der Erwartung, dass irgendeine/r anerkennend oh aufschreit. Männer können damit sehr, sehr viel Zeit verbringen. Sie sind fasziniert vom Umgang mit der Technologie, der Beherrschung ihrer spezifischen Tätigkeit und der Demonstration ihres Erfolges. Es erinnert irgendwie an eine Jagd, über die der Jäger sich selbst zelebriert. Es klingt dann wie der große Affe, der mit den Fäusten auf seinen Brustkasten trommelt: seht her, ich bin stark!

Und natürlich haben die Frauen recht. Denn an Kümmerlichkeit ist das männliche Verhalten hierzu nicht zu überbieten – wie aus der Zeit gefallen!

Und dennoch haben die Frauen unrecht. Dieses beiläufige und hochnäsige Belächeln gleicht dem neuen emanzipatorisches Impetus, sich besser fühlen zu dürfen als dieses andere Geschlecht. Das Multitasking und Männerschnupfen sind schöne bildliche Symbole dafür. Und das ist wiederum eine Gegenwehr, die eigentlich nur in Haltung begründet ist: wir sind eben besser.

Der Mann kann von seinem Drang nach Wettbewerb einfach nicht lassen. Gleichzeitig kann er kaum mit der Niederlage leben. Geht das Spiel verloren, war es der Schiedsrichter, der Regen, der unfaire Gegner oder anderes. War der Lauf langsam, dann wären es die Schuhe, die Strecke oder das Essen am Vorabend.

Diese Tracker könnten aber auch Sinn machen, ohne eine Verurteilung nach sich zu ziehen. Es sind nicht die Tracker, es sind die Zwecke.

Ich will nicht zu kurz kommen

Wer kennt nicht diese innere Stimme, die befiehlt, sich bestimmt nicht in die Schlange zu stellen, bei der man später drankommt? Ebenso will man auch nicht, dass man im Autoverkehr ständig langsamer als der Rest fahren muss. Auch mag man an einer großen Tafel mit Leckereien nicht nur die Krümel der leckersten Speisen bekommen – oder sich bei der Portion bescheiden müssen.

Man denke an das eigene Verhalten, wenn man abgekämpft vom Tag und hoffnungsfroh auf eine ruhige Bahnfahrt nach Hause sich in einer Reihe mit seinem Gepäck verbarrikadiert – und plötzlich dieser neue Passagier fragt, ob hier nicht vielleicht Platz ist. Tja, dann würde man liebsten ’nein‘ sagen.

In vielen dieser typischen Situationen reift man zum antisozialen Masochisten, der die anderen gerne in ihrem Leid belässt, weil er seinen momentanen Vorteil nicht hergeben oder teilen will.

Ich glaube, dass dies auch Menschen widerfährt, die sich für sozial, menschlich und freigiebig einschätzen. Wie kann man sich irren, wenn den eigenen Kopf plötzlich solche Gedanken beherrschen!

Plötzlich stehen Einsicht und Haltung in Konflikt. Beides lässt sich natürlich ändern, wenn auch nur schwerlich.

Die Schönheit der Dinge

Ein Bekannter von mir ist ein wahrer Lebenskünstler: er hat die Kunst zu überleben perfektioniert. Denn ich erinnere nicht, dass er jemals einer ‚geregelten‘ Arbeit nachgegangen ist. Seine Biographie ist wild: er wurde als Jugendlicher nach Deutschland eingeschleust. Dann hat er niemals die hiesige Staatsbürgerschaft angenommen. Durch seine reichhaltige Erfahrung an Gelegenheitsjobs kann er mit vielem nicht nur etwas anfangen, sondern auch arbeiten.

Was mich jedoch tief beeindruckt, ist sein Umgang mit schönen Dingen, die er temporär in Besitz nimmt – und dann wieder ziehen lässt. Die Kostbarkeiten stammen von seinen Touren über Flohmärkte, die er an sonntäglichen Wochenenden früh morgens startet.

Er erobert Stücke wie andere Medaillen oder Preise. Und das sind dann geschmackvolle Armbanduhren, Dekofiguren, die Absonderlichkeiten früherer Schreibwarenhandlungen oder Kleidungsstücke.

Sein Sinn für das Schöne ist mit vielen Sinnen verbunden. Er fährt auf die Ästhetik eines Stücks ab; er kann sich für die Technik begeistern; er erfreut sich an der Haptik des Materials; und er vermag den historischen Zeitzeugen dahinter zu sehen.

Emotional scheint er immer wieder ergriffen zu sein. Denn er strahlt wie der Junge, der zu Weihnachten das ersehnte Fahrrad geschenkt bekommen hat. Natürlich genießt er die Aufmerksamkeit, die ihm gegeben wird, soweit er seine Trophäen präsentiert. Und vielleicht denkt er auch an den Handelswert, den er später wieder einstreichen kann, wenn er sein Gut wieder verausgabt. Aber ich kann mir eben auch vorstellen, dass er verliebt auf das Stück schaut, wenn er alleine ist. Dann wird es berührt. Und vielleicht entführt ihn dieses Stück Schönheit auch in die Phantasiewelt der Vergangenheit, als das Stück einfach nur Funktion war.

Schnöde ließ sich abwerten, dass sei nur aus der Erziehung erwachsen, mit der Eltern versuchten, ihren Kindern den Wert von Dingen nahezubringen. Dann wäre diese Sozialisierung nur übersteigert. Das ist jedoch schnurz, da eine Wertschätzung für Dinge einer Wertschätzung von Menschen an sich zu vergleichen ist.

Das Alter der Menschheit

Wie alt ist der Mensch? Wie viele Menschen gab es insgesamt schon? Und wie viele Familien haben eigentlich schon ihr Experiment durchlebt?

Man liest, dass der moderne Mensch 180.000 Jahre alt ist. Angesichts des Alters des Lebens und des Planeten ist das nichts – so gut wie nichts. Und dennoch hört es sich wie eine recht lange Zeit an. Legt man für die Zeit einer Generation 25 Jahre zugrunde, macht das insgesamt x Generationen.

Was hat sich nur alles in dieser Zeit getan? Der Mensch war erst einer, der in den Wäldern Früchte und andere Nahrungsmittel sammelte – so wie man heute in Outdoor-Trainings lernen kann. Dann jagte er große Tiere, worüber er zum Fleischfresser wurde.

Dann fing er an zu siedeln und sich seine Nahrungsmittel über den Ackerbau und die Tierhaltung zu besorgen.

Und in einem kurzen Zeitraum sind wir wie heute: durch die der Verwandlung der Hand-in-den-Mund-Versorgung ernähren uns Spezialisten, nämlich Bauern und Landwirte, währenddessen wir völlig neuen Möglichkeiten des Lebensvollzuges nachgehen können.

Geschichte ist aber erst die Entwicklung der Formen von gemeinschaftlich, von kleinen Gruppen zu dem Wirrwarr heute.

Menschheit ist also ein Rahmen, der eigentlich ein bloßer Begriff für völlig unterschiedliche Lebensweisen ist. Eigentlich ist die Klammer nur dieser schnöde menschliche Körper, der aufrecht und unbehaart daher kommt. Und der ist Objekt und Untertan seines Kopfes, gibt nicht mehr den Ton an. Der Körper ist der Lebensweise unterworfen, die der Kopf will.

Und so sind wir auch dem physischen Konzept des Menschseins entwachsen, ja entfremdet. Es ist Masse, die geformt wird. Der Mensch definiert sich heutzutage durch das Resultat von Fühlen und Denken – und natürlich die Auswirkungen seines Handelns. Er orientiert sich viel weniger an den Begehrlichkeiten des Körpers.

Und insoweit ist das Alter der Menschheit unerheblich für uns heutzutage. Die Erinnerung zurück bringt nur dann eine Einsicht, wenn wir den Gesetzmäßigkeiten und somit auch Malaisen und Krankheiten des Körpers verstehen wollen. Schließlich hat sich unser Körper nicht – und überhaupt nicht – geändert, sieht man von den Zivilisationskrankheiten ab.

Gleichsam ist auch das, was untechnisch Emotion genannt wird, mit dem Innenleben des Körpers erklärbar, wir Hormonen, temporären Stimmungen wie Stress oder Hunger. Es ist daher schon seltsam, dass der gängige öffentliche Kommentar die Emotionen als etwas betrachtet, was toll ist und wegen seiner Urtümlichkeit positiv betrachtet werden sollte.

Nehmen wir das Beispiel der Kommentierungen von Fußballspielen: „die Mannschaft zeigt Emotionen“, d.h. den Willen zum Sieg und die Wiederbelebung des Kampfgeists – und plötzlich wird gewonnen:-)

Oder nehmen wir das Beispiel der Unsicherheit über das irrationale Verhalten gegenüber Fakten, die nicht geglaubt werden wollen. Das kann der Klimawandel sein, die Globalisierung von Migration und Kultur oder die Katastrophe y. Was ist an einem solchen Begriff von Emotion gut?

Ansonsten spielt die Menschheit vor uns eher die Rolle, sich davon abgrenzen zu müssen: was früher war, ist alt und überkommen. Retro mag schick für die Form und Mode sein, mehr nicht.

Es ist schade, dass Erbe nur ‚alt‘ ist.

Gefährder

Ein Wort geht durch das deutsche Land: der Gefährder. Es ist ein Synonym für den wild gewordenen, unkontrollierbaren, jungen Erwachsenen, der sich einer fundamentalistischen religiösen Bewegung oder schlicht der Begeisterung für kriminelle Handlungen angeschlossen hat. In der großen Anzahl sind es Männer. Früher sprach man von Intensiv-Straftätern.

Der deutsche Staat kann sich dann des Problems entledigen, wenn diese Personen (auch) den Pass eines anderen Landes haben. Sie werden ausgewiesen. Dort werden sie ihren Familien, den staatlichen Behörden oder ihrem Schicksal überlassen.

Die Gefährder gefährden den Frieden, die öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit. Sie könnten terroristische Anschläge initiieren oder ausführen.

Angesichts des Wortes alleine muss man innehalten und sich vergewissern, ob das die einzigen Gefährder unserer Gesellschaft sind. Ich meine ’nein‘. Denn mir fallen spontan extremistische Meinungen unter Politiken und sonstigen Meinungsführern ein. Dazu kommen Umweltsünder aller Art, angefangen von den Massentierhaltern bis hin zu den wilden Entsorgern. Weiter ließen sich dazu die reichen Mitbürger zählen, die das soziale Gleichgewicht empfindlich stören.

Und zudem muss man sich fragen, ob wir nicht ohnehin durch unser Tun Gefährder sind. Schon alleine mein Steuern eines Autos ließe sich dazu zählen. Und als Arbeitnehmer könnte ich den betrieblichen Wünschen nicht nachkommen. Solche Gefährder handeln dann nicht intendiert.

Die sog. Gefährder sind nur eine Sorte von Gefahr-bringenden Bürgern, Tätigkeiten und Stellungen. Sie wollen physische Gefahr schaffen. Ich hoffe, dass das Wegschicken besser funktioniert als das Wegsperren in Gefängnissen.

Zu viel an Introspektion

Wie sehr wir doch dieser Tage darauf achten, dass wir unser Empfinden ausleben können. Es ist der Zeitgeist! Menschen, Lesern und Zuhörern wird empfohlen, ihrer inneren Stimme zu folgen. Sie sollten vor allem ihre eigene Entwicklung im Blick haben. Man solle sich bloß nicht an den Erwartungen anderer orientieren, wie es Generationen zuvor getan haben. Sie sollten den Beruf ergreifen, der ihnen Spaß macht.

Damit einher geht auch der implizite Appell, sich durchzusetzen. Der andere, der Bekannte, der Freund, das Familienmitglied werden daran gemessen, wie viel sie umsetzen. Geht das gut, ist es gut.

Ein fundamentaler Wechsel der Haltung geht damit einher. Denn zuvor galt der Satz ‚was sollen denn die Nachbarn denken?‘. Man sollte sich benehmen. Dafür musste man die vielen informellen Regeln befolgen. Eigentlich wurde man dadurch zum austauschbaren Element.

Ich kenne eine Person, die sich diesem Trend mehr als geöffnet hat: Sie lebt ihn. Es ist ihre Weltanschauung. Einige Beispiele aus ihrem Repertoire: hätte ich Kinder, würden die nicht diese Freiheiten bekommen; nach einem halben Jahr habe ich eigentlich kein Interesse mehr an neuen Bekannten; meine Busenfreunde werden mir allmählich fremd, da sie sich von unseren Gemeinsamkeiten weg bewegen.

Natürlich gibt es viele Reflektionen zur Individualisierung. Verstanden hatte ich bislang, dass dies eine eigene Gestaltung des Lebens meinte, in etwa so, dass man seine Wohnung so einrichten würde, wie man wollte. Doch geht mit dem Konzept vielmehr einher: denn es fordert von der Umwelt, bei der Gestaltung des eigenen Lebens konstruktiv und positiv mitzuwirken.

Am Beispiel der Berufsbildung, der Berufsorientierung und der Wahl des Arbeitgebers zeigt sich das exemplarisch. Es gibt dann den Wunsch, sich den Arbeitsplatz vorzustellen und die Kollegen zu konstruieren, die man erwartet. „Ich kann mir vorstellen, dass die Kollegen aus aller Herren Länder kommen, dort unterschiedliche Sprachen gesprochen werden und wir flexible Arbeitsplätze und -zeiten haben.“

Gleichzeitig erhebt man Ansprüche an die Organisation der Prozesse des Arbeitgebers, intern wie extern. So sollte der Chef auf Du und Du sein. Die Prozesse sollten Fehlerkultur erlauben und auch Personalentwicklung befördern. Man sollte in der Hierarchie schnell aufsteigen können. Auch das Produkt oder die Dienstleistung sollten nachhaltig sein, – und sich dennoch verkaufen lassen. Die Arbeit muss sinnvoll sein und die Welt voranbringen.

Ein bisschen erinnert das an Pippi Langstrumpfs Motto „ich mach‘ mir die Welt so, wie sie mir gefällt‘. Aber das Szenario lässt sich auch mit dem Mantra des Kommunismus assoziieren, jeder solle nach seinen Bedürfnissen und Talenten leben können.

Neben diesen objektiven Wünschen existiert die subjektive Haltung, die anderen mögen doch dem entsprechen, was das Innere benötigt. Es ist richtig und wichtig, diesem Anspruch zu folgen. Es ist ebenso und mit der derselben Bedeutung wichtig, die Mitmenschen so zu behandeln.

Das geht nicht!

Der kürzlich verstorbene Film-Photograph Ballhaus meinte in einem Interview zu seiner Emigration in die USA, ihn habe genervt, dass man in Deutschland immer nur gesagt habe: das geht nicht! So könne man nie Innovationen und Experimente machen.

Wer verbindet das nicht mit unserem Land? Dieses ständige NEIN. Würde man einen weltweiten Vergleich an Schildern und öffentlichen Warnhinweisen starten, käme Deutschland wahrscheinlich auf das Podest – vielleicht hinter Singapur:-)

Wir lehnen das instinktiv ab, empören uns öffentlich über all‘ diese Verbote. Doch sind es keine fremden Mächte, die uns Verbote auferlegen. Wir sind es selbst. Auch wenn wir staatliche Autoritäten oder gar Politiker dafür verantwortlich machen, sind wir es doch wieder selbst.

Es ist eigentlich gleichgültig, welche Situation wir nehmen. Verständlich scheint uns der Aufschrei nach mehr Regeln bei einem Terroranschlag oder einem Verbrechen: hätte man nicht…? Müsste man nicht…?

Ich kenne noch diesen Satz, der wohl andere Wendungen nach der Generation meiner Eltern erfahren hat: das gehört verboten; daneben steht der Satz: das gehört sich eigentlich verboten.

So wollen wir auch unser Alltagsleben – und zwar in allen Facetten – geregelt haben. Und zur Ausübung pflichtgemässen Handelns gehört nun einmal auch das Verbot der Alternative. Das geht so nicht!

Das eint uns Deutsche, ob wir jung oder alt, links oder rechts, reich oder arm sind. Wie sind überzeugte Regeler und vor allem Aufrufer von Regeln.

Tuscheln around

Ein älterer Herr, der eine steile Karriere bis zu einer entscheidenden Position in einem Bundesministerium durchlaufen hat, riet mir einst sich zu wehren – als Grundsatz! Man dürfe sich keinesfalls den informellen Regeln des Gehorsams unterwerfen. Weniger hatte er vor Augen, für seine psychische Stabilität zu argumentieren als an seiner Profilierung, um klar zu machen, wofür er stand.

Er warnte mich aber auch, nicht zu übertreiben. Denn würde man sich zu sehr wehren, würde man rasch zum Außenseiter. Dann könne man noch so brillant sein wie kein anderer. Es würde nicht mehr helfen. Das sei wie ein abgefahrener Zug.

Wahrscheinlich hat jeder diese Erfahrung schon einmal gemacht, dass Grüppchen über die eigene Person tuscheln. Man kann nur den Eindruck haben; aber man kann auch tatsächlich das Thema der Unterhaltung anderer sein. Gerade in der Schulzeit sind junge Menschen einerseits so unverfroren, andererseits so willig und darauf aus, dem anderen ihren Austausch zu demonstrieren. Daher verheimlichen sie auch nichts.

Im Erwachsenenalter ist es dann der bewusste und bestimmte, oft lächelnde Blick, der den anderen bedeuten soll, dass das Verhalten des anderen eine These bestätigt, die man vermutlich teilt. Der Blickkontakt kann Anerkennung ausstrahlen. Meist dürfte es sich aber um Ab-urteilung handeln. Solche will man nicht laut aussprechen, da sie Widerspruch und Konflikt hervorrufen könnte.

Das ist wie ein Pranger, vermutlich zutiefst menschlich. Für den Betroffenen bedeutet es allerdings die Manifestation seiner Position als Außenseiter.

Gegenwehr ist nicht angesagt, da es kaum Möglichkeiten gibt, um mit Eleganz auf dieses ‚Miss-Verhalten‘ hinzuweisen. Man könnte zumindest äußern, dass man es gesehen habe. Man könnte intervenieren, dass man zu jedem Gespräch bereit sei. Man könnte nachfragen, was denn so interessantes sei, das man nicht offen aussprechen könne.

Aber man erinnere sich der verzweifelten Rufe eines Unschuldigen vor Gericht, der beteuert, die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen zu haben. Es nützt nichts! Seine Verurteilung steht. Die Sanktion kann nicht geändert werden.

Bleiben wir beim Bild des Gerichtes, so tun sich jedoch schöne weitere Gegenstrategien auf. Man könnte nämlich nachfragen, ob man in Berufung gehen könne. Es ließe sich auch nach der Urteilsbegründung fragen, die man auch postalisch entgegennehmen würde. Oder man könnte sagen, dass der Verteidiger gleich vorbeikäme.

Und es könnten auch die Weisen zu Worte kommen: es werfe den ersten Stein, der frei von Schuld ist!

Anspruch

Neulich erhielt ich bei Xing eine Anfrage. Dort kann man unter Interessen seine Motive für eine Kontaktaufnahme angeben. Der Anfrager suchte nach: interessanten Menschen und spannenden Herausforderungen.

Irgendwie war ich gerührt, dass ich in diese Kategorie passen sollte. Es klang ja wie ein Kompliment. Vielleicht hatte das aber auch damit zu tun, dass der Anfrager keine Alternativen im Template zu wählen wusste. Wozu er jedoch eine Anfrage stellte, bleibt mir unklar.

Doch wie ernüchternd und hoffnungsfroh mich dieses Interesse stimmten, ist eine andere Sache. Denn auch wenn sich so gut wie alle Menschen – bis auf die schüchternen und soziophoben – auf die Suche nach interessanten Kontakten machen, wer äußert es schon in dieser offenen und transparenten Form? Vermutlich sind die Social Media – Nutzer eher geneigt, sich selbst als Angebot zu offerieren, um wahrgenommen zu werden, als tatsächlich darüber auf die Suche zu gehen.

Es ist wohl auch die neue Welt der Kommunikation, aus dem geheimen und geschützten Raum heraus Kontakte aufzunehmen. So lässt es sich vermeiden, die Schmach der Zurückweisung zu erleben: die kennt jeder, der in der Jugend auf andere zugeht, um mit Ihnen in Kontakt zu gelangen. Und es gibt diejenigen, denen diese Form von Kommunikation völlig ausreicht.

Welchen Anspruch hat nun der Nachfrager an mich erhoben? Dieser Mensch ist weit weg. Ich werde gewiss nicht mit dieser Person in einem Dialog über irgendetwas treten. Und so ist es natürlich bequem, einfach nur den Kontakt bestätigen zu können, ohne mich auf anderes einlassen zu müssen. Vielleicht jedoch würde es sich lohnen.