Ein Bekannter von mir ist ein wahrer Lebenskünstler: er hat die Kunst zu überleben perfektioniert. Denn ich erinnere nicht, dass er jemals einer ‚geregelten‘ Arbeit nachgegangen ist. Seine Biographie ist wild: er wurde als Jugendlicher nach Deutschland eingeschleust. Dann hat er niemals die hiesige Staatsbürgerschaft angenommen. Durch seine reichhaltige Erfahrung an Gelegenheitsjobs kann er mit vielem nicht nur etwas anfangen, sondern auch arbeiten.
Was mich jedoch tief beeindruckt, ist sein Umgang mit schönen Dingen, die er temporär in Besitz nimmt – und dann wieder ziehen lässt. Die Kostbarkeiten stammen von seinen Touren über Flohmärkte, die er an sonntäglichen Wochenenden früh morgens startet.
Er erobert Stücke wie andere Medaillen oder Preise. Und das sind dann geschmackvolle Armbanduhren, Dekofiguren, die Absonderlichkeiten früherer Schreibwarenhandlungen oder Kleidungsstücke.
Sein Sinn für das Schöne ist mit vielen Sinnen verbunden. Er fährt auf die Ästhetik eines Stücks ab; er kann sich für die Technik begeistern; er erfreut sich an der Haptik des Materials; und er vermag den historischen Zeitzeugen dahinter zu sehen.
Emotional scheint er immer wieder ergriffen zu sein. Denn er strahlt wie der Junge, der zu Weihnachten das ersehnte Fahrrad geschenkt bekommen hat. Natürlich genießt er die Aufmerksamkeit, die ihm gegeben wird, soweit er seine Trophäen präsentiert. Und vielleicht denkt er auch an den Handelswert, den er später wieder einstreichen kann, wenn er sein Gut wieder verausgabt. Aber ich kann mir eben auch vorstellen, dass er verliebt auf das Stück schaut, wenn er alleine ist. Dann wird es berührt. Und vielleicht entführt ihn dieses Stück Schönheit auch in die Phantasiewelt der Vergangenheit, als das Stück einfach nur Funktion war.
Schnöde ließ sich abwerten, dass sei nur aus der Erziehung erwachsen, mit der Eltern versuchten, ihren Kindern den Wert von Dingen nahezubringen. Dann wäre diese Sozialisierung nur übersteigert. Das ist jedoch schnurz, da eine Wertschätzung für Dinge einer Wertschätzung von Menschen an sich zu vergleichen ist.