Political Correctness

Auch wenn man des Englischen nicht besonders mächtig ist, so hat man von diesem Begriff gehört. ‚Politisch korrekt‘ ist etwas, das man mit Schmunzeln sagt – und sich dann darüber hinweggesetzt. Dann kann man fortfahren mit dem bösen Witz, der bestimmte gesellschaftliche Gruppen in Würde, Respekt oder Selbstverständnis verletzen könnte.

Es macht sogar Spaß, sich dem Zwang, nett zu allem und jedem zu sein, zu entziehen. Es ist wie eine harmlose Grenzüberschreitung oder ein Kavaliersdelikt, für den man keine Strafe erwarten muss.

Zwischenzeitlich schreiben viele Autoren dem PC-Konzept gar zu, für die neue Welle von rechtsextremen Parteien in Europa und den USA verantwortlich zu sein. Denn die schweigende Mehrheit musste sich ja immer ‚benehmen‘ und dürfte niemals ihre gefühlte Wahrheit sagen. Das muss sich auch nicht mit der alternativen These beißen, wonach der neue völkische Populismus vor allem dadurch verursacht würde, dass die Verlierer der Globalisierung aufschreien: ich will meine alte heile Welt wieder haben.

Und wenn man sich Trump als Vorturner anschaut, dann verdichtet sich in ihm das Bild der weißen USA, mit dem Hündchen, dem Frauchen, den gekämmten Kindern und dem Anspruch, das gesellschaftliche Leben für die Familie zu lenken. Kennzeichnender noch ist die Persiflage – besser das Nachäffen – eines behinderten Journalisten, der ihn interviewen wollte.

Und wenn nun die Politik schon nicht mehr korrekt ist, dann fallen alle Schranken bei den Wählern. Man lässt die emotionale und kognitive Sau ‚raus. Das zeigt sich in vielen Berichten von Ausländern, die beispielsweise aus New Yorck City oder London berichten. Dort werden die Ausländer, Zugezogenen, Fremden von der vermeintlichen autochthonen Bevölkerung nicht nur gemieden, sondern auch im Alltagsleben diskriminiert.

Kann es sein, dass hier Grenzen überschritten werden, die uns Dekalog und Menschenrechte eigentlich schon aufgeben? Sind die vielleicht der Kern der Political Correctness? Kann es sein, dass uns eben die Anthropologie der Savanne und des ländlichen Subsistenz-Lebens zum Populismus zurückkehren lässt? Kann es sein, dass wir eben einmal wieder in dem ewigen Kampf zwischen programmatischer Ethik und Wettbewerb um das bessere Leben in einen neuen Ausschlag des Pendels geraten sind? Das würde ich bejahen.

Sounding

Sind Sie schon einmal zufällig im Internet eine dieser Dialogforen zu praktischen Lebensthemen begegnet? Oder kennen Sie sonstige Unterhaltungen in Social Media?

Ein Beispiel: eine Person beklagt, dass sie ein Passwort vergessen hat. Und plötzlich schwirren Kommentare hin und her. Dann muss man das oder jenes machen …

Wieso unterhalten wir uns eigentlich extensiv über Beiläufigkeiten? Ist es wichtig, sein Meinungsbild mit anderen abzugleichen – ähnlich wie es Japaner tun (indem man stets eine Reaktion der Zustimmung gibt)? Muss der Mensch sich beraten? Muss der Mensch sich stets vergewissern, dass er nicht alleine ist?

Es scheint wie Streicheln zu sein, wenn man andere an seinen Gedanken teilhaben lässt. Es ist wie sich zu zeigen und zugewandte Menschen um sich zu wissen, die es gut mit einem meinen: man gehört dazu, ohne sich exponieren zu müssen. Alles ist normal.

Digitale Veränderungen

Alles schwärmt von den neuen Möglichkeiten der digitalen Technik. Und alles äußert sich melancholisch enttäuscht darüber, dass früher vieles besser war und vergangen ist.

Und alle Welt weiß auch, dass sich bestimmte Techniken nicht durchsetzen werden. Es gibt diese Haltung von Eltern, die behaupten, dass sich ihre Kinder – sich eines besseren belehrend und einsichtig werdend – eben doch wie sie selbst verhalten werden.

Beispiel: die werden auch wieder mit Büchern lernen – und nicht mit dem Computer. Sie werden eben auch die Lerngruppe genießen und sich der schönen neuen digitalen Welt verweigern. Das gute Alte bleibt erhalten. Der eigene normale Standard setzt sich durch.

Und dennoch schleichen sich Dinge ein, die nicht mehr wegzudenken sind. Das Smartphone ist zum ständigen Begleiter einer Vielzahl von Menschen geworden. Und auf Reisen sieht man Menschen bei der Sicherheitskontrolle einen ganzen Park an Endgeräten auspacken.

Und plötzlich kommen andere Dinge auf uns zu: der Roboter, der uns im Restaurant bedient. Das car to go – Angebot, das sich nur mittels Smartphone in der Nähe finden kann. Oder das Haus, das per Computer gesteuert wird.

Das Einstein’sche Diktum, dass sich technische Optionen immer in die Realität umsetzen, bedeutet, dass wir den Neuigkeiten nicht entgehen können. Sie werden kommen.

Aus der sorgenvollen wie neugierigen Erwartung wird erst Alltag, dann Ernüchterung und Klage werden. Ebenso offensichtlich ist, dass sich die Menschen dann auch wieder nostalgisch an die ‚guten alten Zeiten‘ erinnern werden, als die technischen Neuerungen uns noch nicht in Abhängigkeit gestürzt hatten.

Komisch, kaum einer sieht sich in die Lage, dem zu entkommen: das würde bedeuten, frei zu wählen, ob eine technische Neuerung in sein Leben vordringt; zu prüfen, welche Auswirkungen das auf sein Verhalten hat; zu analysieren, ob dadurch  Bequemlichkeit, Zeiteffizienz und Qualitätssicherung nicht auf Kosten der eigenen Kompetenz geht; und vor allem zu schauen, ob nicht auch der Körper Schäden nimmt.

Die Zukunft ist endlich

Menschen überschätzen den Raum und die Zeit, die sie für Vorhaben besitzen, die Ihnen bleiben. Meist verschiebt man die schönen Abenteuer in den Ruhestand, auf das Wochenende oder in den Urlaub. Einfach nur auf später.

Auch plant man ständig Neues. Man entwirft Vorhaben. Das gehört zum Menschen. „Das machen wir dann, wenn ich in Rente bin.“ Hierbei überlegt man nicht, ob ausreichend Zeit bleibt und sie nicht durch andere Verpflichtungen beschränkt wird.

Die Psychologie des offenen Endes ist für den rationalen Menschen erstaunlich, weiß er doch um seine Endlichkeit sowie die Verringerung seines Energiepolsters am Lebensende.

Aber auch im Kleinen gefährdet uns diese Verschiebung, man prokrastiniert notwendige Erledigungen. Was dann passiert, ist der Bau von Stapeln, Listen und Vorbereitungen. Die Last wächst, der Druck steigt, die Überforderung ist programmiert.

Wahrscheinlich hat das mit den Topoi unserer christlichen Archetypen zu tun: wer sich im Leben anstrengt, wird im Leben dafür belohnt. Gar der protestantische Leitsatz ‚erst die Arbeit und dann das Vergnügen‘ ist in uns so verwurzelt, dass wir gar nicht anders können. Schließlich haben unsere Mütter früher gesagt, man müsse erst die Hausaufgaben erledigen, bevor man auf den Bolzplatz gehen oder mit der Freundin sprechen dürfe.

Es gilt, den Rhythmus in den Griff zu bekommen. Denn auch für die kleinen Anstrengungen muss es Belohnungen geben.

Zudem sollte man sich fragen, ob die ewigen Jagdgründe, die 100 Jungfrauen oder das Paradies wahrscheinlich sind. Kann es sein, dass uns diese Visionen so vertraut sind, dass wir wirklich an sie glauben? Sollten wir uns nicht vergegenwärtigen, dass diese Bilder nur deswegen erfunden wurden, um uns die Angst zu nehmen?

Verloren in der Opposition

Menschliches Verhalten ist immer wieder eine Wundertüte. Ich bin stets über Interpretationen verwundert, die mir – auf den ersten Blick – so absurd erscheinen: jemand folgert genau das Gegenteil dessen, was mir selbst logisch erscheint.

Mir fällt ein, dass die Selbstwahrnehmung von Außenseitern genau zu einer ‚pampigen‘ und ‚trotzigen‘ Interpretation der sozialen Stellung führt. Der Obdachlose sieht sich als ‚wahrer‘ Lebender. Minderleister sehen sich als einzig einsichtig. An Stammtischen werden die globalen Probleme gelöst.

Dazu fällt mir natürlich auch das Elternteil ein, dass schlechte Schulnoten der Kinder mit Hochbegabung interpretiert.

All‘ das berührt mich eigentlich nicht – weil ich selten unmittelbaren Kontakt zu Menschen dieser Art habe. Dann bin ich jedoch umso mehr entsetzt, wenn der ‚Verkehrer‘ plötzlich auftaucht. Denn auch ich kenne solche, die die Fakten auf den Kopf stellen.

Ein Beispiel: meine Mitmenschen deuten mich als alles Mögliche. Und tatsächlich sind es die kleinen Wink’s und klaren Aussagen, wie mich meine Umwelt sieht. Und dann bin ich immer wieder überrascht. Also bin ich auch ein ‚Verkehrer‘?

Natürlich würde ich das weit von mir weisen. Denn schließlich kenne ich mich doch selbst am besten! Tja, so einfach ist es nicht, sich auf einen Konsens bei der Beurteilung von Menschen und Sachverhalten festzulegen.

Doch würde man nun schließen, alles wäre eben relativ – gemäß der fatalistischen Haltung, eine konsensuale Haltung könne es nie geben – dann würden wir eben niemals eine Grundlage haben, wie wir mit einander umgehen.

Gut, dass es zumindest unumstößliche kollektive Einsichten gibt. Analog der Überzeugung, dass man Mitmenschen nicht tötet.

Wenn man sich ins Abseits der mehrheitlichen Überzeugungen bringt, dann greift die Logik, dass die Mehrheit Recht hat. Doch ist auch gewiss, dass Mehrheiten nicht dem Recht und somit der Gerechtigkeit verpflichtet sind.

Drehen wir uns nun im Kreis? Ein wenig schon. Eine solche Debatte lässt sich nicht schließen, nur für mehr Differenzierung öffnen. Nur wer gegen objektive Wahrheiten steht – mit all‘ dem flankierenden Brimborium von offenkundig subjektiven Wahrheiten – der stellt sich eben ins Abseits. Und man kann sich dafür oder dagegen entscheiden.

 

 

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Von Gebern und Nehmern

In einer Zeit, als ich zur Vergegenständlichung aller Preise die Schallplatte und den Bierkasten zum Benchmark machte, teilte ich auch die Menschen in gute und schlechte Menschen ein. Mein Grundkriterium war niemals ein netter und nicht netter Mensch oder Freund und Feind.

Heute spiele ich oft mit dem Gegensatzpaar Nehmer und Geber: es gibt Menschen, die geben können, tatsächlich geben und immer geben wollen. Und es gibt diejenigen, die persönlichen Vorteile suchen, ihr persönliches Interesse zum Antrieb ihres Handelns machen.

Mein Vater lebt im betreuten Wohnen in einem Stift. Die Beschäftigten dort sind durchweg ihren Kunden zugeneigt, wenngleich sie sehr unterschiedliche berufliche Hintergründe haben. Sie eint Ihr Konsens, es den dort lebenden Hochbetagten schön zu machen. Sie geben immer.

Die US-Amerikaner hofieren und verehren ihre Feuerwehrleute. Ich kann das nicht nachvollziehen, da deren Heldentum, das Geben von Hilfe, doch ’nur‘ eine professionelle Dienstleistung ist.

Nehmern begegnet man im Leben immer wieder. Sie sind verdammt verbreitet. Vermutlich ist ihre Zahl so hoch wie die von Gebern. Es sind diejenigen, für die selbstverständlich ist, aus einer Situation ‚Kapital zu schlagen‘ oder ‚persönlichen Profit zu ziehen‘. Es sind die, die beim Verteilen des Kuchens schon alleine deswegen das größte Stück haben wollen, weil es wichtig ist, mehr als die anderen zu haben. Es sind die, die sich in der Schlange vordrängeln. Und es sind die, die auffallen wollen.

Nehmer mag ich nicht. Alleine schon muss einem bange sein, dass man etwas verteidigen muss. Beim Geber hat man immer die Option zu reagieren. Der Nehmer sieht Interaktionen als Deal, Wettbewerb, gar Kampf. Will man sich dessen aussetzen? Der Geber nimmt mich wahr und überlegt, wie er mit mir positiv umgehen kann. Ihm liegt daran, dass es mir gut geht und ich mich wohl fühle.

Wieso also sollte man Nehmern folgen?

Was bitte ist ein reifer Mensch?

Es gibt diesen Topos von der Persönlichkeitsentwicklung. Er muss für Vieles herhalten. Denn alles, was Beschäftigung mit sich selbst ausmacht, lässt sich durch Persönlichkeitsentwicklung erklären.

Doch was bedeutet es, eine Persönlichkeitsentwicklung zu durchlaufen? Ist es die bloße Veränderung? Oder nur die Alterung mit ihren typischen Phasen, die hin zur Gelassenheit führen? Oder tatsächlich eine Höherentwicklung zu neuen Einsichten und Reflektionen?

Und kann sich eine Persönlichkeit überhaupt entwickeln? Ist sie nicht stabil? Ist eine Persönlichkeit nicht auch definiert, so dass eine Entwicklung eher das Einnehmen einer neuen bedeuten würde? Und kann die Entwicklung auch in das Negative kippen?

Wahrscheinlich ist Persönlichkeitsentwicklung das, was man selbst darunter versteht. Die Antwort ist keine Ausflucht, sondern eine Erfahrung, die sich mit vielen Begrifflichkeiten auf dem ‚Bewusstseins‘-Markt machen lässt. Denn Empathie, Identität, Haltung, Aufmerksamkeit u.a. werden von jedem Interessenten so verstanden, dass er in den eigenen Lebensräumen passt.

Was das Wort Persönlichkeitsentwicklung aber auch impliziert, ist das Erfordernis, sich zu entwickeln. Man darf nicht stehen bleiben, sich nicht ausruhen, usw. Es klingt für mich danach, ‚arbeiten‘ zu müssen, in der Szene anzukommen. Die Veränderung ist wie die protestantische Ethik, an sich zu arbeiten.

Zudem impliziert das Wort, dass man besser mit Beratung und Expertise fährt. Denn ‚Change Management‘ ist nicht bloßes Tun, sondern verlangt zwischenzeitlich komplexe Analyse und adäquates Handeln. Was früher die bloße Änderung war, ist heute halbwissenschaftlicher change.

Ich bin mir bei mir selbst im Unklaren, ob ich mich überhaupt entwickle oder jemals nicht entwickle. Denn eigentlich altere ich nur so vor mich hin – eben ganz biologisch. ‚Natürlich‘ erwachsen mir – zwangsläufig durch soziale Kontakte und Auseinandersetzungen – auch Einsichten. Doch verlangt das nicht nach tiefer Reflektion oder Beratung.

Nehmen wir die Beispiele Toleranz und Konflikt. Ich toleriere mehr und weniger gleichzeitig. Mir ist um die schwierige Änderung dessen bewusst, was Menschen nicht verändern wollen. Und dann ist es so: Fehlverhalten hinnehmen; ob es mir passt oder nicht. Gleichzeitig muss ich in meinem sozialen Umfeld nicht das dulden, was mir auf die Nerven geht und ich ablehne. Also ziehe ich Grenzen und halte sie ein.

Konflikt ist faszinierend. Statt Verachtung und Flucht vor Einigung zu begehen, will ich lernen, mich zivilisiert auch über existentielle Dinge streiten und auseinandersetzen zu können. Ob ich das einmal schaffen werde, weiß ich nicht. Doch dann habe ich mich einen Tick entwickelt.

Die Wende

Es ist schon komisch! Im Herbst 2015 trommeln die Bürger geradezu von ihrer eigenen Moral besoffen, um Flüchtlinge willkommen zu heißen. Die Politik macht mit, lässt sich von der Woge mitreißen.

Dann kommt es zu einem Stimmungsumschwung, symbolisch durch die sog. Übergriffe in der Silvesternacht 2015 am Kölner Hauptbahnhof. Die Symbolik ist stark: junge Männer benehmen sich wie eine Horde unentwickelter und unzivilisierter Wilder.

Das höhere Gut der Unversehrtheit von Frauen kippt die Stimmung, angeheizt durch die Medienberichterstattung, die der Empörung Ausdruck verleiht.

Ein Rationale dieses Stimmungsumschwungs liegt aber auch in der Tatsache, dass eine Umbewertung stattfindet: haben junge Männer das Recht, unbescholtene Frauen zu belästigen? Treffen hier nicht unvereinbare Wertewelten aufeinander? Es ist verdammt schwer, sexuelle Übergriffe zu entschuldigen. Denn auch ein liberales Strafrecht kann nicht ent’schuld’igen, dass Bürgern – zumal schwächeren – Unrecht angetan wird. Die political correctness hat hier keine Chance. Die jungen männlichen Flüchtlinge sind per se ausgeschlossen.

Zudem taucht das Motiv auf, dass diese jungen Männer diejenigen sind, die nicht die hilfsbedürftigsten Menschen sind. Die haben nämlich die Flucht nur angetreten, weil sie sie auch körperlich und gesundheitlich erfolgreich beenden konnten. Vielmehr manifestiert sich der Glaube, dass es sich um Witschaftsflüchtlinge handelt, ein in Deutschland eher verpöntes Konzept.

Verstärkt wird dies noch dadurch, dass junge Männer ohne Qualifikationen kein ‚Gewinn‘ für das Land sind. Denn sie bleiben auf Zeit, im errechneten Durchschnitt rund 15 Jahre, ein Sozialfall: Man muss mehr investieren als eine Rendite ansteht.

Ein Jahr danach ist alles anders: denn die Willkommenskultur kehrt sich in eine Verschärfung der Abschiebung um. Beigetragen dazu hat auch der islamische Terrorismus, der zum pars pro toto für die Flüchtlinge avanciert.

Das alles ist uns Beobachtern bekannt, nur zu gut geläufig. Ich frage mich aber, ob wir selbst merken, wie unsere eigenen Werte denen weichen, die uns die veröffentlichte Meinung vorgibt?

Macht sich in unserem Denken nicht plötzlich der Gedanke Raum, dass wir eben ausgenutzt werden? Dazu tragen die Stimmen der gemäßigten Rechten, wie der CSU bei ebenso wie das Handeln der osteuropäischen Staaten, die Deutschland gerne weitere Lasten aufbürden.

Und schon sind unsere Werte von vor 1,5 Jahren gekippt. Ist unser eigener Wertewandel dem kollektiven unterworfen, von ihm anhängig? Können wir uns ihm überhaupt entziehen?

Tatsächlich sitzen wir Stimmungen auf: gehen wir in eine Bar, in der gelacht wird und offensichtlich gute Laune herrscht, lassen wir uns mitreißen. Das geht auch beim Gegenteil, wenn wir einer Trauerfeier beiwohnen. Schon alleine der Herz zerreißende Film lässt uns Tränen vergießen.

Die Stimmung erhält dann Oberwasser vor dem Wert, den wir gerne explizieren. Man muss sich nur vorstellen, dass der neue SPD-Kanzlerkandidat Schulz Gerechtigkeit zum Schlachtruf einer Kampagne macht. Ist das die christliche Gerechtigkeit, dass auch Flüchtlinge eine Heimstatt benötigen? Oder ist das die christliche Gerechtigkeit, die denen ein Prä gibt, die genau unter dieser Integration anderer zu wenig bekommen könnten?

Die Russin

Am Weltfrauentag (immer am 08. März) wurde ich überrascht, als mir jemand erzählte, dass die Männer im Büro morgens den Frauen das Frühstück bereit gestellt hatten.

Eigentlich kenne ich nur den Diskurs, dass Frauen strukturell, aber auch in konkreten Situationen unterdrückt werden: Equal Pay; Gewalt gegen Frauen; das muslimische Frauenbild; usw. Und nun plötzlich die Verehrung der Frau? Spontan überrascht mich die Erinnerung an die Mutterehrung in der Nazizeit, als die vermeintlich biologische Produktion von jungen Männern zelebriert wurde.

Doch die Stellung der Frau in Russland ist dann manifest, wenn man eine kennen lernen darf. Denn man ist als protestantischer Deutscher nicht darauf vorbereitet, Charme zu zeigen, Verehrung zu demonstrieren, der Erfüller von Launen zu sein usw.

Russinnen fordern von Männern viel ein. Sie sind weniger Partner denn Diva. Gleichzeitig sind sie jedoch auch treu, was uns Westler wiederum verwundert. Die Mischung ist seltsam.

Ich habe genau drei Russinnen vor Augen. Sie waren in jeder Beziehung ’schwierig‘. Meine erste Begegnung war die in einer Integrationsklasse in den 1990er Jahren. Bei einem freien Aufsatz schrieb diese auf natürliche weise hübsche Frau, dass ihr deutsche Frauen leid täten: denn sie seien so verwahrlost; einfach nicht zurecht gemacht.

Dann traf ich eine elegante ehemalige Tänzerin, die ein wildes Road Movie als Biographie zu erzählen wusste. Ihre Sympathie war unmöglich zu erlangen, da sie alles, was ich sagte, einer grundlegenden Kritik unterzog, daran zweifelte.

Und kürzlich begegnete ich bei der Arbeit einer Weißrussin, die sich nicht auf einem Dialog auf Augenhöhe einlassen konnte. Zu sehr musste sie ihr Ich in den Vordergrund stellen, um einen Dialog akzeptieren zu können. Ein beliebiges Thema wurde zum Kampf um das letzte Wort.

Alle diese Frauen sind Kämpferinnen auf deutschem Boden: sie kämpfen um ihr Dasein – und für die Aufrechterhaltung dieser Kultur der Russin an sich.

Ich sehe für mich eine enorme Herausforderung, mit solchen weiblichen Charakteren umzugehen. Denn ich habe keine Wahl: entweder ich erfülle die Erwartungen, die Frau zu hofieren – oder aber es ist Schluss!

Die großen Zahlen

Big Data haben mich schon immmer fasziniert. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, als ich mit Vergnügen das Statistische Jahrbuch der EU durchgeblättert habe – mit Lust am Wissen um den Durchschnitt und die Extreme. So wusste ich lange Zeit zu repetieren, wer die größten männlichen Europäer oder die kleinsten Europäerinnen waren.

Ich halte viel davon zu wissen, was ein Durchschnitt ist, aber auch das Ausmaß bestimmter Phänomene zu kennen. Vor allem komme ich dadurch dem auf die Spur, was real ist und was nur vorgestellt oder gedacht ist. Denn meine Vorstellungen stimmen beileibe nicht immer nur den statistischen Realitäten zusammen.

Nehmen wir ein Beispiel, die Gefahr durch terroristische Anschläge. Die Wahrscheinlichkeit, davon betroffen zu werden, ist zwar höher als von einem Meteoriten erschlagen zu werden, doch eben minimal. Auch wenn ich in Berlin lebe, so wäre es doch ein großer Zufall, davon betroffen zu sein.

Immerhin sind auch Alltagsphänomene davon betroffen, die immer wieder unsere Aufmerksamkeit auf uns ziehen. So denken wir bei einer angehenden Erkältung: muss das schon wieder sein? Hätte ich mich nicht schützen können? Man muss sich beruhigen: Doch 4 x im Jahr erwischt es uns.

Immerhin 10.000 Tote sterben jährlich in Deutschland durch Haushaltsunfälle, eine enorme Zahl. 4.000 kommen durch Verkehrsunfälle um ihr Leben. Aber auch 10.000 Menschen gehen durch Suizid aus dem Leben. Und x erhalten jährlich eine Krebsdiagnose.

Durchschnittlich jeder dritte Erwachsene ist einmal in seinem Leben von einer psychischen Erkrankung betroffen.

So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Denn bei einer Strassenumfrage würden wir vermutlich ganz andere Zahlen nennen. Das zeigt sich ganz besonders an der Einschätzung, dass die terroristische Bedrohungen unmittelhar sind. Wie anders wäre zu erklären, dass Menschen in Deutschland tatsächlich Angst entwickeln?

Die Fakten nicht nur wahr- und hinzunehmen, sondern anzunehmen wird zu einer großen Herausforderung.