Es gibt diesen Topos von der Persönlichkeitsentwicklung. Er muss für Vieles herhalten. Denn alles, was Beschäftigung mit sich selbst ausmacht, lässt sich durch Persönlichkeitsentwicklung erklären.
Doch was bedeutet es, eine Persönlichkeitsentwicklung zu durchlaufen? Ist es die bloße Veränderung? Oder nur die Alterung mit ihren typischen Phasen, die hin zur Gelassenheit führen? Oder tatsächlich eine Höherentwicklung zu neuen Einsichten und Reflektionen?
Und kann sich eine Persönlichkeit überhaupt entwickeln? Ist sie nicht stabil? Ist eine Persönlichkeit nicht auch definiert, so dass eine Entwicklung eher das Einnehmen einer neuen bedeuten würde? Und kann die Entwicklung auch in das Negative kippen?
Wahrscheinlich ist Persönlichkeitsentwicklung das, was man selbst darunter versteht. Die Antwort ist keine Ausflucht, sondern eine Erfahrung, die sich mit vielen Begrifflichkeiten auf dem ‚Bewusstseins‘-Markt machen lässt. Denn Empathie, Identität, Haltung, Aufmerksamkeit u.a. werden von jedem Interessenten so verstanden, dass er in den eigenen Lebensräumen passt.
Was das Wort Persönlichkeitsentwicklung aber auch impliziert, ist das Erfordernis, sich zu entwickeln. Man darf nicht stehen bleiben, sich nicht ausruhen, usw. Es klingt für mich danach, ‚arbeiten‘ zu müssen, in der Szene anzukommen. Die Veränderung ist wie die protestantische Ethik, an sich zu arbeiten.
Zudem impliziert das Wort, dass man besser mit Beratung und Expertise fährt. Denn ‚Change Management‘ ist nicht bloßes Tun, sondern verlangt zwischenzeitlich komplexe Analyse und adäquates Handeln. Was früher die bloße Änderung war, ist heute halbwissenschaftlicher change.
Ich bin mir bei mir selbst im Unklaren, ob ich mich überhaupt entwickle oder jemals nicht entwickle. Denn eigentlich altere ich nur so vor mich hin – eben ganz biologisch. ‚Natürlich‘ erwachsen mir – zwangsläufig durch soziale Kontakte und Auseinandersetzungen – auch Einsichten. Doch verlangt das nicht nach tiefer Reflektion oder Beratung.
Nehmen wir die Beispiele Toleranz und Konflikt. Ich toleriere mehr und weniger gleichzeitig. Mir ist um die schwierige Änderung dessen bewusst, was Menschen nicht verändern wollen. Und dann ist es so: Fehlverhalten hinnehmen; ob es mir passt oder nicht. Gleichzeitig muss ich in meinem sozialen Umfeld nicht das dulden, was mir auf die Nerven geht und ich ablehne. Also ziehe ich Grenzen und halte sie ein.
Konflikt ist faszinierend. Statt Verachtung und Flucht vor Einigung zu begehen, will ich lernen, mich zivilisiert auch über existentielle Dinge streiten und auseinandersetzen zu können. Ob ich das einmal schaffen werde, weiß ich nicht. Doch dann habe ich mich einen Tick entwickelt.