Eine Gruppe von Menschen beobachte ich schon länger. Es ist eine Gruppe aus Kollegen. Es ist ein durchmischter Haufen, aus ganz Deutschland, jünger und älter, Frauen und Männer, unterschiedlicher Qualifikationen.
Es gibt eine Reihe von Konsensen, ohne dass sie jemals angesprochen würden. Vielleicht sind sie dem einen oder anderen nichtmals bewusst. Alle wissen, dass es eine Verbindung auf Zeit ist; dass man sich nicht streiten will, obgleich man einander nicht mag; dass sozialer Frieden wichtiger ist als thematischer Erfolg; dass der Status Quo aus Ruhe, Machbarbarkeit und guter Bezahlung wichtiger ist als ein gemeinsame Interesse auszubilden und es mit Konsequenz zu verfolgen. Ich glaube, dass dies für viele zufällige Gruppen auf Zeit einen Normalzustand bedeutet.
Aus der Distanz herrschen ultimative Oberflächlichkeit und weitreichende Sprachlosigkeit vor. Tatsächlich begegnet man sich ritualisiert zum Mittagessen zu der immer selben Zeit. Ungewollt sitzt man sich gelegentlich einfach nur schweigend gegenüber.
Doch ergeben sich natürlich auch Gespräche. Meist haben Sie alltägliche Phänomene zum Thema, die man auch in Magazinen liest. Gewissermaßen herrscht der Plauderton im Magazin-Stil vor. Die Mütter erzählen gerne über ihren Nachwuchs, die Väter eher belächelnd bis despektierlich über das, was in den Schulen vorgeht.
Kommt es zu Beruflichem, gibt es genau zwei Optionen: erstens gibt es die Haltung, genau hier zu schweigen, da man sich ja gerade in der Mittagspause befände. Die solle man nutzen und nicht dem beruflichen Kontext widmen.
Zweitens aber stellt sich eine Stimmung der Häme und des Hänselns ein. Mich erinnert das stark an die Schulzeit, als diejenigen, die sich persönlich für die Themen interessierten, unverhohlen als uncool behandelt wurden: alles, was nach Identifizierung mit dem Arbeitgeber aussieht, wird niedergemacht. Es geht so weit, dass Sätze unwidersprochen bleiben wie: „ich ersehne mir schon den Tag, wenn ich hier raus bin. Ich würde freiwillig keinen Tag länger hier arbeiten.“ Es ist die Verächtlichkeit, die man auch von Stammtischen über das eine oder andere vermeintliche Fehlverhalten kennt.
In diese Stimmung mischt sich zusätzlich ein Anspruch, der einer kollektiven Überzeugung zu entsprechen scheint: „ohne mich wäre hier viel weniger Qualität. Die Kollegen sollen endlich einmal funktionieren. Die Vorgesetzten sind unfähig.“ Und das reklamiert jeder für sich – und somit auch gegen alle.
Wer es jedoch ausdrückt, der darf nicht auf Zustimmung hoffen. Denn gerade im Schweigen und dem Gegenwillen, jeglichen Wettbewerb zuzulassen, liegt der Konsens: solange man nichts austragen muss, solange haben wir Frieden und die Enttäuschung auf allen Schultern verteilt.