Deutschland ist sprichwörtlich für die Angst geworden. The German Angst ist zum geflügelten Wort gereift – so liest man. Mir persönlich ist niemals ein Ausländer begegnet, der mich darauf angesprochen hätte: „sind Sie auch von Angst geprägt? Können wir vor diesem Hintergrund überhaupt einen Dialog führen, ohne dass Sie Angst verspüren?“
Nun hat ein Historiker ein Buch vorgelegt, das die Geschichte der Bundesrepublik über den Gefühlsfaden Angst erklärt: Frank Biess, Republik der Angst. Er sieht in allen möglichen gesellschaftlichen Tendenzen Zeichen der Angst, um den Faden spinnen zu können. Vieles ist gut argumentiert.
Die interessanteste Spekulation ist die über die Angst, für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs bestraft zu werden. Damit ist so etwas wie eine Reaktion auf die Gräuel im Inland gemeint, also nicht auf die auswärtigen Kriegshandlungen, die auch gegen die Genfer Konventionen verstoßen haben.
Es ist ein psychologischer Komplex, der sich kaum rational entwirren lässt. Denn es geht um das schlechte Gewissen, die Angst, entdeckt zu werden; dass man aber auch an die Mitverantwortung bzw. das Mitwissen nicht mehr erinnert werden will; und dass man sich nicht der Aufarbeitung unterziehen will, weil es im Jetzt schmerzt und weil es den zementierten Seelenfrieden des Heute zerstören würde.
Es ist die Angst des Mörders, seine Untat eingestehen zu müssen: das schlechte Gewissen manifest zu machen. Ich las dazu, dass Mörder auch unter ihren eigenen Taten leiden. Die Gesellschaft will den Mörder aber leiden und sich schlecht fühlen sehen. Es geht um Reue und um Verhinderung der Wiederholung. Doch der Patient, der Mörder, kämpft mit seinem Seelenfrieden. Er ist – auch – Opfer seiner Tat. Denn er ist erschrocken und angeekelt davon. Die Bilder gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es ist sein Trauma.
Es hängt nur von der Gnade der Gesellschaft und dem Grad ihrer Erkenntnis ab, ob er auch Opfer sein darf. Sonst ist der Mörder verdammt – ganz wie im biblischen Gedanken der Hölle.