Ehrbegriff

„Da gehe ich dann aber mit erhobenem Kopf raus!“ „Das muss der mir schon direkt ins Gesicht sagen!“ „Man trägt mich hier nur mit den Füßen zuerst raus.“ „Dem habe ich es aber gegeben.“ „Wenn ich etwas mache, dann aber auch richtig.“ „Jetzt ‚hab Dich nicht so.“ „Machen Sie das bei sich zu Hause so?“

Diesem preußischen Ideal ist nichts entgegenzusetzen – denn noch mehr Preußentum. Doch sind die Preussen auch schlechte Verlierer. Denn trotz der sich anbahnenden Niederlage im Ersten Weltkrieg wollten sie die damaligen Heeresfürsten nicht anerkennen.

Wie dem auch sei: wir Deutschen leben im Bann der preussischen Werte. Sie sind als Glaubenssätze in einem jeden von uns tief verankert. Wer eines Beweises dafür bedurfte, könnte dies an den kleinen Fibeln sehen, die man anlässlich der Flüchtlingswelle 2015 verfasste: Dort war dann vom leisen Alltagston, der Sauberkeit, der Pünktlichkeit, der Verlässlichkeit u.a. die Rede.

Wer das an sich wahrnimmt, kann in die selbst gesteuerte Umerziehung gehen: alles ablehnen, was auch im Geringsten damit zu tun hat. So kann man außen abzuschütteln versuchen, was nach innen ungleich schwieriger ist.

Mancherlei mutet dann recht kurios an: so erinnere ich mich an eine kleine Szene in einer Veranstaltung an einer Hochschule. Die Teilnehmer wurden gebeten, ihren Namen in einer Liste anzugeben. Ein Nachbar verneinte: Ich bin doch keine Nummer.

Aber warte, bis Du in einer deutschen WG wohnst. Dann werden Pläne für den Kühlschrank ausgehängt; es werden Putzzeiten definiert; und die Bewohner in ihrem ‚Freisein‘ reglementiert.

Und warte, wenn Du älter wirst und über die Zügellosigkeit der Jugend klagst. Die benehmen sich nicht, opfern ein freundliches Zusammensein und gehen unsinnigen Zielsetzungen nach. Was nur macht die aus? Haben die überhaupt noch einen Ehrbegriff? Und plötzlich wird der Altlinke zum Rechten, obwohl er sich nicht geändert hat.

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