Oh, wie lange habe ich schon nicht mehr grundsätzlich zu Fragen der Gerechtigkeit nachgedacht! Im Radio hörte ich ein Interview mit einem Bischoff, der ins Zentrum seiner Ausführungen die Verteilungs- und Chancengerechtigkeit stellte.
Und dann lief mir dieser ideologische Satz aus DDR-Zeiten über den Weg: „Freiheit ist die Entscheidung für die Notwendigkeit.“ Vermutlich ist schon viel darüber diskutiert worden. Denn im Kern ist das eine Nicht-Definition oder Verweigerung der Existenz von Freiheit.
Was eine Straßenbefragung mit einer offenen Frage wohl erbringen würde? „Was ist Freiheit für Sie? Sind Sie zufrieden mit Ihren Freiheiten? Bedarf es weiterer gesetzlicher Freiheitsrechte? Werden Sie in Ihren Freiheiten eingeschränkt? Halten Sie gewisse Freiheiten für überflüssig?“
Oder: Was ist wichtiger in einer Gemeinschaft – Freiheit oder Pflicht? Gibt es ein optimales Verhältnis zwischen beiden? Sind die zu vereinbaren oder schließen sie einander aus?
Rosa Luxemburg hat die bekannte Formel geprägt, die immer wieder zitiert wird: „Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden.“ Doch ist zu fragen, was das eigentlich bedeutet: soll der andere seine Freiheit auf Kosten meiner eigenen entfalten können? Darf der Nachbar laute Musik hören, wenn ich nicht schlafen kann? Oder soll man bei der eigenen Deutung seiner Freiheit immer auch an die des anderen denken?
Tja, auch Luxemburg könnte nicht nach ihrem programmatischen Ziel wirken. Denn jegliche Ausübung eigener Freiheit hat mit der des anderen und dem anderen zu tun:
Wessen Freiheit ist mehr wert? Ist in einer Gesellschaft von gleich wenigen Bürgern Gleichheit überhaupt zu gewährleisten, wenn jeder seine Freiheit in Anspruch nimmt? Muss daher nicht jegliche Freiheit auch durch Regeln eingeschränkt werden?
Das muss sie, und auch im Alltag: denn wenn jeder im Straßenverkehr auf seine Freiheit pochte, würden erst Chaos und dann Unfrieden entstehen. Und statt im Einzelnen (für alle und für jeden Fall) Regeln aufzustellen, sollte sich jeder auch bewusst sein, dass seine Freiheit ein Geschenk der anderen ist: die nehmen sie nur nämlich nicht.