Die schöne alte Vergangenheit

In ‚Klassentreffen‘ resümiert der Schauspieler Charly Hübner, dass die Vergangenheit doch schöner als Gegenwart und Zukunft ist.

Wenn man nun die Wahl hätte, würde man sich in die Vergangenheit beamen wollen? Würde man tatsächlich diese Wirren der Jugend erneut durchlaufen wollen, die einem so viel Unsicherheit beschert haben? Wollte man erneut durch Pickelalarm, Demütigung durch die Konkurrenten und die materielle Abhängigkeit gehen wollen? Würde man sich tatsächlich aufraffen wollen, sich zu engagieren und zu arbeiten, um endlich auf eigenen Füßen stehen zu wollen? Würde man diese ganzen Prüfungen nochmals durchlaufen wollen?

Diese Verklärung kenne ich nicht: vielmehr habe ich noch immer das dumpfe Gefühl, mir den damaligen Kontext nicht hatte aussuchen können. Mir gefielen meine Bezugspersonen nur bedingt, waren sie doch zu dominant und zu sehr mit ihrer eigenen Identitätsbildung beschäftigt. Die erzwungenen sozialen Bindungen haben mich schon immer genervt – das hatte sich also schon in der Jugend herausgebildet.

Objektiv war ohnehin die Vergangenheit mit weniger Komfort und mehr Unabwägbarkeiten verbunden. Es gab mehr Gewalt; weniger Auswahl; allein das Bedienen der Wohnung machte mehr Arbeit; mehr Leerläufe; eine un-endliche Welt.

Jedoch war auch, was heute nicht mehr ist: eine gewisse Höflichkeit unter den Menschen; mehr gegenseitiges Kümmern als bloße Coolness und Durchsetzung; mehr Verbindlichkeit unter den Menschen; eine tiefere gedankliche Auseinandersetzungen mit den großen Fragen des Lebens; und eine emotionalere Tiefe.

Wenn ich mir vorstelle, meine alte Klasse wieder zu treffen, dann geht das nicht mit einer großen Vorfreude einher. Zu sehr befanden sich die Personen in der Schlacht um das Beliebtheits-Ranking. Schon immer fehlte mir bei ihnen die absichtslose Freundlichkeit. Ich komme mir dann vor, als sei Gegenwart.

Dominantes Palaver

Palaver ist ein schönes Wort, das den Vokal ‚a’ zum Klingen bringt. Es ähnelt dem Palare im Italienischen.

Ich kenne eine Reihe von Leuten, die Gespräche nicht beenden können: kommt es zur ersten Andeutung einer Abrundung oder eines Abschlusses, entspringt erneut die Lust am Reden. Und ein neues Thema wird eröffnet.

Es gibt auch Menschen, die Dialog als Monolog missverstehen: dazu zähle ich einige Kollegen. Der eine wendet sich dann an den Adressierten – unterhalb der Komfortzone, die man gemeinhin auf eine Elle Länge bemisst. Eine andere kann in einem Gespräch den anderen nicht erneut sprechen lassen und fährt mit lauterer Stimme fort, ohne Inhaltliches zu sagen. Ein weiterer redet in jedem Dialog 3x so viel wie der andere, als ob es eine fixe Idee wäre. Und eine letzte Kollegin unterbricht das Gegenüber in einem Dialog ständig mit ‚bitte?‘. Formuliert der dann erneut seinen Satz, wird er sofort wieder unterbrochen.

Das Opfer dieses Schwalls fühlt sich dominiert, ja ungehört. Es ist wie ein Schauer Regen, der auf einen niederprasselt, ohne ihm entweichen zu können. Es ist ein wenig wie Missbrauch: denn man erlebt das Zuhören als Gefangenschaft und Fremdbestimmung.

In ihrer Cicero-Kolumne en passant hat Sophie Dannenberg kürzlich auch genau das berührt: https://www.cicero.de/search/node?keys=Dannenberg. Sie haben gehört, dass Menschen im Verlauf ihres Lebens einen Gutteil daran verschwenden zuzuhören.

Man muss sich fragen, wie solche Änderungen von der Normalität entstehen. Und welchen Zweck es wohl erfüllt? Was haben nur diese Vielsprecher davon? Bekommen sie nicht mit, dass man sich flehentlich nach einem Ende sehnt? Noch schlimmer wird es, wenn der andere dann noch räumlich näher kommt oder gar mit Berührungen Nähe kommuniziert.

Man muss schließen, dass das für den anderen wichtig ist; dass er sich gar wohl fühlt, indem er spricht. Es ist vermutlich nicht nur Teil seines Verhaltensrepertoires, sondern seines Charakters und seiner Persönlichkeit. Es ist ihm ein Bedürfnis. Er ist süchtig danach.

Umso schwieriger ist es, sich dessen zu verwehren, weil es einem auf die Nerven geht. Es heißt, genau diesen Teil einer Persönlichkeit zunächst auf die Ebene des Gesprächs zu heben und dann noch rational zu thematisieren. Das könnte in etwa so klingen: ich sehe eine Unwucht in unseren Redeanteilen; gerne würde ich dieselbe Gelegenheit haben, meine Gedanken auszuführen; oder ich möchte auch sprechen. Ob das gehört würde?

Löw und Thon

Und wieder bin ich erzürnt über den Wandel der journalistischen Berichterstattung. Denn wie in einem schlechten Drehbuch wurde der ‚ehemalige Weltmeister‘ nach seiner ‚Haltung‘ über die Trennung von 3 Spielern gefragt. Und so wurde die persönliche Haltung eines fachlichen Experten erfragt.

Es ging dabei um ‚richtiges‘ menschliches Verhalten, das timing, die Art und Weise usw. Es sagt viel über den Interviewten, nicht aber über den Trainer Löw aus.

Daher muss man sich als Konsument, als Hörer oder Leser fragen, wieso man solchen Kommentierungen seine Aufmerksamkeit und Zeit schenkt. Ist das interessant? Sind das News? Ist das von öffentlichem Interesse? Ist es das, was die Briten human interest nennen?

Und hat das irgendetwas mit der fachlichen Entscheidung zu tun? Denn das legitimiert doch überhaupt die Einladung eines bekannten ehemaligen Profi-Fußballers. Blickt man auf den Sachverhalt des WM-Aus der deutschen Mannschaft, ist es folgerichtig, die Leistungsträger auszutauschen, die eben ihre Leistung nicht abrufen konnten.

Wochen lang überboten sich die Kommentierungen darin zu fordern, ein Schnitt zu machen. Das implizierte, die bekannten Schlüsselfiguren zu entfernen. Jetzt geschieht es – etwa 8 Monate später – und führt zu einer erneuten Welle der Empörung: wie kann es sein, dass die Helden der Vergangenheit gehen müssen?

Es geht den Medien offensichtlich kur darum, ein Thema zu haben, das Schlagzeilen und Aufmerksamkeit schafft. Es geht nicht um den Auftrag, nicht um öffentliches Interesse, nicht um relevante Information. Das Moralisieren taugt ausreichend dazu, Themen zu Headlines zu machen.

Und gleichzeitig halte ich das moralisieren ob des Fehlverhaltens eines anderen und auf dessen Kosten für un-moralisch: Wie nur kann man zu Lasten anderer profitieren wollen? Pfui!

Ich habe Emotionen, also bin ich gut

Thematische Losungen werden von Menschen über ihr gesamtes Leben getragen. Ein Thema kann ein Evergreen sein, wenn es zum Lebensthema wird. Immer wieder wird es neu bestärkt; meist auch nach außen getragen. Es ist wohl wie ein Trauma, das nicht vergeht; wie ein lebenslanger Wunsch, der unerfüllt bleibt; wie ein Glaubenssatz, der stärker als ein religiöses Glaubensbekenntnis ist.

Eine Kollegin im Job ‚rühmt‘ sich damit, gut zu sein. Sie trägt diese Überzeugung dann nach außen, wenn sie provoziert wird. Zu ihrer Erklärung von Güte gehören einige Konzepte: Schwächere zu beschützen; über Ungerechtigkeit zu schweigen; und eigene Emotionen auch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie unterstreicht ihre vermeintliche moralische Überlegenheit mit körperlich eindeutigen Hoheits-Bekundungen ihrer selbst.

Das ist bemerkenswert, da sie gleichermaßen auf die Bestätigung durch den anderen hofft und an sich auch damit rechnet. Kommt es nicht dazu, dreht sie den eigenen Körper so weg, wie ein römischer Feldherr seinen Mantel um den eigenen Torso wirft, um danach auf sein Pferd zu steigen und davon zu reiten. Aussage: „ich bin überlegen, mir treu und ohnehin ein Star.“

Menschen dieser Überzeugungen habe ich immer wieder getroffen. Es ist selbstverständlich nicht möglich, sich über das Phänomen mit dem selbst erklärten emotionalen Mensch zu unterhalten – zu viel Rationalität, zu viel Abgeklärtheit, zu viel Überlegenheit werden einem dann vorgeworfen. Kann man denn Nichteinmischung nur intuitiv fühlen? Und somit die Wahrheit sagen? Muss dieses umständliche Denken und Fabulieren sein? Ist das nicht Kopf-lastig? Entfernt einen das intellektuelle Geschwafel nicht von der echten Wahrheit, die irgendwo im Bauch steckt?

Was hier verkehrt wird, ist die Freiheit des Selbst gegenüber der Pflicht zum Benehmen gegenüber dem anderen. Es ist ein Egoismus, der den Schaden des anderen für schadlos hält, da man schließlich intuitiv gehandelt hat: denn das Gute kommt von innen. Das Nachdenken und Abwägen ist eine Abkehr von der Natur.

Aber: die Natur des Menschen ist zwar dies des ens soziale. Jedoch bleiben wir eben auch Raubtiere: homo homini lupus.

Bilanz und Standortbestimmung

Menschen um die 50 haben viel hinter sich – und meist noch einiges vor sich. Der öffentlichen Einordnung gilt das als mid life crisis. Komisch ist, dass dies nicht als x-te Chance angesehen wird.

Das dürfte historisch einzigartig sein. Denn Menschen waren mit 50 Jahren für die traditionelle Gemeinschaft nicht mehr Investition, sondern Ballast. Sie konnten für den Fortbestand der Gruppe nur noch dann von Nutzen sein, wenn sie Medizinmänner wurden oder kluge Entscheidungen für die Belange aller fällen konnten.

Heute fühlt es sich für den über 50-jährigen ähnlich an. Doch sein Selbstbewusstsein ist ein anderes. Denn die Lebenserwartung ist höher und ein Einsatz auf dem Arbeitsmarkt möglich und nötig.

Also ist die Situation einmalig: jeder kann noch fast zwei Jahrzehnte mit einer durchschnittlich moderaten Gesundheit aktiv sein. Es gibt also eine Perspektive.

Und die Geschichten aus dem privaten Umfeld und den Medien zeigen immer wieder, welche Chancen Gesellschaft und Arbeitsmarkt heute der Gruppe 50+ bieten. Die Führungsetagen sind voll von dieser Altersgruppe. Sie sind quasi das Gerüst oder der Sicherheitsanker für das gesamte Land.

Wer jedoch nicht eingeschlagene Wege weitergehen kann, wer nicht seine Entwicklung vertiefen kann, muss Bilanz ziehen. Dann heißt es, rational zu analysieren: was kann ich, wofür andere Menschen bezahlen würden? Was kann ich dort einbringen?

Wer auch immer nach Gusto geht, ohne den ‚Markt‘ zu bewerten, beispielsweise als Yoga Lehrer in einem leeren Studio nur auf Selbstverwirklichung zu hoffen, könnte scheitern.

Nicht nur darf die nächste Station als Erfüllung dessen angesehen werden, was man in der Vergangenheit als Lücke identifiziert. Es darf nicht nur Kompensation sein.

Eine Bilanz ist eine Bilanz ist eine Bilanz. Auch wenn man sie gerne so oder so lesen würde. Man muss alle Zahlen anschauen.

Bruno auf St. Pauli

„Ich bin ein Einzelgänger, aber nicht einsam“, sagte ein 70-jähriger Flaschensammler in Hamburg, als er um eine Bewertung seines Lebensgefühls gebeten wurde. Sein Porträt wurde in der ZDF-Reportage 37 Grad gezeigt (am 13.12.2018):

https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-die-pfandjaeger-100.html.

Bruno hatte eine wilde Biographie hinter sich. Vielleicht war er schon so. Oder er ist darüber zu einem freundlichen und gütigen Menschen geworden.

Die Doku zeigt ihn in seinem Kiez Flaschen sammeln. Er kennt sich aus. Die Menschen kennen ihn und geben ihm die Flaschen, damit er sich das Pfand holen kann.

Bruno zeigt sich wie ein sozialer Kleinstunternehmer, der sich selbst versorgt, ohne die staatlichen Unterstützungssysteme zu beanspruchen. Er macht sein Ding. Und er ist gewissermaßen stolz darauf.

Mich hat dieser Mensch schwer beeindruckt. Denn seine Würde, seine Freundlichkeit und seine Energie zeigen, dass er sein Schicksal annimmt und darüber Zufriedenheit erfährt. Er ist ein Gegenentwurf zu den Maulern, den Unzufriedenen, den Forderern, den selbst erklärten Opfern.

Wie viele Menschen weltweit das unternehmen und vorleben? Natürlich haben sie keine Lust dazu. Selbstverständlich erhoffen sie sich ein besseres wirtschaftliches Schicksal. Und doch sind es Millionen, die ihr Leben so meistern. Die Briten haben dafür einen Wahlspruch: to earn its own money.

Chaos im Kopf

Es gibt Menschen, die es wert sind, über sie zu berichten. Es fällt mir in diesem Fall aber schwer, da es sich um eine Frau handelt, die nur in Schlagzeilen und Oberflächlichkeiten lebt. Doch das ist es, was mich fasziniert.

Es gibt einen Fächer an thematischen Registern, die in Reihenfolge der externen Herausforderungen geöffnet werden: will sie sich avantgardistisch und künstlerisch geben, erwähnt sie Bekannte und Museen oder Konzerträume; soll ihr vorausschauendes Denken betont werden, so wird das Hohelied der digitalen Anwendungen gesungen; gibt es eine Möglichkeit, ihre soziale Kompetenz und ihre Fähigkeit zur Empathie herauszustellen, so betont sie ihr ehrenamtliches Coaching; und heißt es, ihr zentrales Talent auszuführen, so wird ihr Netzwerk von Marketing-Profis ausgerollt.

Das ganze Spiel wird garniert und strukturiert durch zentrale Begrifflichkeiten, die immer wieder kehren: out of the Box denken; einfach machen; mit denen reden, die schon erfolgreich auf dem Markt sind etc.

Das klingt alles fürchterlich modern und auf Höhe der Zeit. Doch halten all‘ die verbalen Versprechungen nicht die Wette auf ihr Verhalten. Denn die Talente und Selbstzuschreibungen sind recht hohl. Das Abrufen ist ent-täuschend.

Die Sucht, alles an anerkannten Rollen abzucremen, wird offensichtlich schon alleine dadurch, dass größere Widersprüche auftauchen: die pointierte Lockerheit vs. dem Stöhnen über das Volumen ihrer Arbeit; die Freundlichkeit vs. ihr ständiges Schimpfen über andere; die Erkenntnis der Dinge vs. der Aufgabe, das Richtige durchzusetzen.

Summa summarum: wie steht es um ihr Selbstgespräch oder ihren inneren Dialog? Kann es da mit richtigen Dingen zugehen? Was kann man mit einem solchen Menschen nur anfangen? Wie muss man ihn behandeln, um auch sich selbst gegenüber gerecht zu werden?

Der Argumentation folgen

Ein herrlicher Ausdruck!

Für die Masse an Menschen zählt das Werturteil, die Entscheidung oder die Einschätzung, wenn sie einen Sachverhalt anschauen. Zu zeitintensiv und zu anstrengend ist, auch die Qualität und Schlüssigkeit einer Meinung nachzuvollziehen. Es ist wie ‚der Glaube‘ an die mathematische Lösung, für die es keiner Betrachtung der Herleitung bedarf.

Wieso bringt man jungen Menschen nicht bei, dass dies wichtig ist? Und wie man das macht? Ist der bloße Erörterungsaufsatz genug? Muss man Lernmethoden kennen, Logik und Entscheidungsschritte?

Der Mensch ist sowohl ein Mängel- als auch ein Routinewesen, vor allem ist er eine Effizienzmaschine: wozu differenziert nachdenken, wenn es auch ohne geht?

Wir leben jedoch in einer Zeit, in der der Mensch mit dieser Haltung nur schwer zurecht kommen wird. Denn es herrschen eine Pluralität von Meinungen; eine komplizierte (Um)Welt voller Herausforderungen;

Einer Argumentation zu folgen, ist ein wenig wie einer Geschichte lauschen. Es ist wie ein Experiment, um zu schauen, wie der Faden weiter gesponnen wird. Man muss nur aufpassen und sich nicht von dem Strom der Bilder forttragen lassen. Man sollte nicht in der Erwartung sein einzuschlafen.

 

Die Schwere des Stolzes

Die DDR war für viele eine Heimat. Was sie auch immer zur Identifizierung heranzogen: die ehemaligen DDR-Bürger verwehren sich mit Beleidigung und Aggression gegen jegliche Anwürfe von Menschen, die nicht denselben Erfahrungshintergrund haben.

Dies wird zumindest politisch (an)erkannt, da nämlich die Bevölkerung zum Opfer umgedeutet wird. Waren die Ostdeutschen unmittelbar nach 1990 die unbedarften und unmündigen Ossis, hat sich das Bild gewandelt. Denn die Ostdeutschen pochen auf die Anerkennung ihrer Lebensleistung – zunehmend mit Erfolg.

Knifflig wird es jedoch, wenn das auch die tun, die zu den Stützen des alten DDR Regimes gehörten. Es sind die vielen aus den Staat stabilisierenden Apparaten, ob Beamte, Lehrer, Soldaten oder gar Parteikader. Auch sie beanspruchen Anerkennung – und reklamieren daher die Befreiung von Schuld und Verantwortung.

Menschen können nicht mit Schuld leben, selbst wenn sie sich selbst für getanes Unrecht geißeln, wenn sie selbst ihre größten Kritiker sind. Das ist ähnlich dem Mörder oder Fast-Lottomillionär. Es schmerzt. Es schreit nach Korrektur, weil die Dissonanz nicht bestehen bleiben kann.

Und jetzt muss man sich vorstellen, dass die Geächteten inmitten der Mehrheitsgesellschaft leben (müssen). In meinem beruflichen Umfeld zähle ich solche Menschen zu meinen Kollegen.

Ein Miss-Verständnis ergab sich im losen Gespräch, als wir über den sog. Tag der Befreiung sprachen. Ich meinte, dass ich lieber den 07. Mai, den Europa-Tag als den 08. Mai, den Tag der Befreiung begehen würde. Mein Gegenüber versetzte das in Erstaunen, dann Unverständnis und schließlich Ärger. Ich bemühte mich darum zu erfahren, worin das Problem bestünde: es war die Ignoranz vor der Leistung der Russen, die Nazi-Deutschland besiegt haben. Dies wurde als Ablehnung des persönlichen Wertesystems gedeutet. Ich war reichlich verwundert, musste aber anerkennen, dass ein DDR-Grande gerade seine Geschichte höher bewertete.

Die Seele des Ehrenämtlers

Wie schrecklich! Die Oppositionellen der Diktaturen werden nur selten Helden der neuen Zeit. Sie werden vergessen; oder sie wollen nicht am Neuen als Vorzeigefiguren oder Neugestalter teilhaben. Oft sind sie seelisch gebrochen und körperlich geschädigt. Sie kämpfen mit ihrer Gesundung, ihrer wirtschaftlichen Position in der neuen Zeit.

Oft auch wollen sie sich bloß der neuen Normalität aufschließen. Sie haben ihr Ziel erreicht. Wieso sollten sie weiterhin politisch tätig werden? Die Opposition hat sich erledigt.

Am Beispiel von Bärbel Bohley zeigt sich das schwierige Schicksal einer Oppositionellen. Denn mit der neuen Zeitrechnung sah sie ihre Zielsetzungen nicht erfüllt. Sie wurde ent-täuscht. Die neue Stimmung des Optimismus der Nach-DDR-Zeit aber wollte ungebrochen bleiben. Bohley sah ihre Hoffnungen enttäuscht – und ging wieder in die Opposition.

Gelegentlich werden jedoch die Revolutionäre der ersten Stunde auch von denen der zweiten gefressen. Ihnen bleibt nur, von den Historikern bewertet zu werden. So erging es Robespierre, Che Guevara, Yusuf oder Murci. Aktuelle Beispiele sind wohl Assange und Snow.

Oft aber sind diese streitbaren Menschen gebrochen. Sie beziehen zuweilen Opferrenten oder andere Fürsorgeleistungen. Dann sind sie Opfer ihrer persönlichen Anstrengungen und deren gewaltsame Niederschlagung durch die Autoritäten des alten Regimes geworden.

Dafür gibt es gar Beratungsstellen.

An sich aber bleibt den Oppositionellen ihre An-Erkennung versagt. Wie sollte die auch aussehen? Dass täglich tausende Profiteure an deren Anwesen vorbeilaufen und kandieren? Dass Ihnen lebenslang eine Rente gezahlt wird? Das sie ein Ehrengrab erhalten? Dass Ihnen ein politisches Mandat angeboten wird?

Diese Personen, die tatsächlich eine historische Leistung vollbracht haben, suchen wohl nicht nach Anerkennung und Wertschätzung ihrer Leistungen. Das zeigt wohl nur, dass dies nicht ihr Motiv zur Opposition war, sondern die Beseitigung der von ihnen empfundenen Missstände.

Ich ziehe den Hut davor!