Freiheitsentzug

Was eigentlich bedeutet der Entzug von physischer Freiheit? Es ist für das Tier im Menschen schrecklich. Denn er kann seine körperlichen Bedürfnisse nicht ausleben – es sei denn, man ist mit dem Kick im Gefängnishof ausgelastet. Daneben ist natürlich die Gefängniskost zu nennen, auf die man vermutlich wenig Einfluss hat. Doch könnte ich mir vorstellen, dass heutzutage gesundes Essen – nicht nur aus Kostengründen – auch im Knast Einzug gehalten hat. Auch in Jugendherbergen gibt es zwischenzeitlich veganes Essen.

Die Freiheit des sozialen Aktionsraums kommt zum Stillstand, da man nur noch die Gedanken und die Wörter hat. Zwar mögen da auch noch Familienmitglieder, Freunde oder Sozialarbeiter sein. Doch an sich hat man so gut wie keinen Bewegungsspielraum mehr.

Menschen sollen während eines Freiheitsentzugs nun durch den bloßen Entzug ihrer Freiheit ihre Haltung, ihre Kompetenz und ihre Persönlichkeit ändern. Das ist natürlich völliger Unfug. Nur die Abschreckung könnte etwas erbringen. Vor allem verlernt man Freiheit, sich darin zu bewegen, sie zu nutzen, von ihr zu profitieren usw. Das ist nicht gut, um dann später in ihr zurecht zu kommen.

Natürlich gibt es auch Menschen, die sich mit dem Entzug ihrer Freiheit arrangieren bzw. sie gar genießen. Denn so ein Gefängnis hat auch sein Vorzüge: das Essen bekommt man automatisch; man hat einen strukturierten Tagesablauf; man muss so gut wie keine schwierigen Entscheidungen treffen.

Die Situation in einer Diktatur zeigt denn auch, dass es sehr wohl viele Menschen gut aushalten, wenn man sich nicht gerade nach totaler Freiheit sehnt. Was ist, wenn die Insassen und Untertanen kriminelle Energie haben? Wie würde man sie denn bestrafen?

Und gibt es standardisierte Freiheitsbedürfnisse? So wie in einer Pyramide? Muss Freiheit sein, um Mensch zu sein?

Games of Thrones

Was halten Sie von Fantasy-Filmen? Überhaupt von Fantasy?

Eigentlich ist es eine nicht gerechtfertigte Okkupation. Denn Phantasie gibt es bestimmt nicht nur in Fantasy.

Diese Fantasy-Welt bezieht sich auf eine bestimmte historische Epoche. Es sind die mittelalterlichen Motive mit den bekannten Figuren. Es handelt sich um Herz und Schmerz, um Krieg und Frieden, um das Drama und die Spannung. Es handelt sich um die Spitzen des Lebens, nicht um den normalen Alltag.

Es ist eine übersichtliche Welt, die mit einfachen Geschichten auskommt, die jeder versteht. Es geht um das konkrete und wahrnehmbare menschliche Erleben. Daher spielen Mythen, Archetypen und Dämonen eine ebenso große Rolle wie die konkrete Natur, die freilich die der mittleren Breiten ist.

Und erstaunlich ist, dass die Figuren der Kindheit dort wiederkehren. Es sind Wesen, die schon in sich ausrücken, wofür sie stehen, die Feen, die Drachen, die Weisen, die Kinder und und und. Unter den Menschen wird aber auch bei jeder Figur klar, für welche der Persönlichkeit und Rolle sie steht: der Greise, die üppige Frau, der Prinz, der Böse, der Kämpfer usw.

Es ist eine eigenartige simple Welt, die meist menschliche Auseinandersetzungen in den Mittelpunkt stellt. Es sind Dramen mit dem Ausgang in beide Richtungen, der Vernichtung und dem ewigen Sieg.

Aber gleichzeitig wohnt den Personen Übermenschliches inne: sie verfügen über eine magische Klaviatur, sich die Kräfte der Natur eigen zu machen oder ihnen zu trotzen sowie sozialen Einfluss zu nehmen, also Menschen zu begeistern und zu führen.

Fantasy scheint mir manchmal wie eine einzige Ansage an die Komplexität der Moderne: alles ist erlaubt bis auf das Eingehen auf das heute und jetzt. Deswegen ist es ja eine Phantasiewelt, die nicht besteht und niemals kommen wird.

Insoweit stellt es eine Flucht dar, wohltuend und entspannend. Sie berührt weder Leser noch Zuschauer. Sie entlastet vom Alltag. Vor allem spiegelt sie auch nicht und lässt somit Querverbindungen und Assoziationen kaum zu.

Fantasy ist wie eine Bild gebende Droge. Man findet sich in einem georderten, auf- und erregenden, aber niemals bedrohenden Tripp wieder. Es lebe die Ausflucht, die uns entspannen lässt!

Wir sehen uns dann allenfalls oben

Beim Warten in einer Schlange saß plötzlich ein älterer Herr in seinem Rollstuhl neben mir: er faselte – aber mit einem Lächeln. Er macht sich lustig, dachte ich erst. Denn er formulierte seine Assoziationen zu der Schlange von Menschen, die er beobachtete. Man musste aus den Wortfetzen den Eindruck gewinnen, dass er sich lustig machte. Doch hatte er ein so gütiges Gesicht mit blitzenden freundlichen Augen, dass man keine Bedrohung empfand oder Notwendigkeit zur Gegenwehr sah. Zudem sass er ja durch seine Behinderung gefesselt in einem Rollstuhl.

Wäre er betrunken, flätig oder riechend gewesen, hätte man sich umgehend abgewandt. Jedenfalls machte er genauso wie ein Obdachloser seltsame Dinge, von denen sich der Mensch brüsk abwendet, weil sie nicht vertraut sind. Nur bei Kindern ist dies anders. Aber er löste eher eine grundsätzliche Sympathie aus.

Plötzlich kehrte seine Begleiterin, wohl Frau zurück, die ihn schalt und bedeutete, besser zu schweigen als „die Leute zu belästigen.“ Instinktiv verdammte ich die Frau, den Mann zu unterbrechen. Er sprach doch nur. Andererseits kann man nachvollziehen, dass er als ständiger Begleiter durchaus aufdringlich werden kann.

Sie schob ihn schließlich fort, er lächelte nur ob ihres Tadels – und uns zugerichtet: „wie sehen uns dann ohnehin da oben auf dem Spielplatz‘“.

Hauptsache Spaß

Die Menschen aus Afrika und der Karibik sind für jeden Spaß zu haben und gehen keinem Spaß aus dem Weg. Es ist immer lustig mit ihnen. Man könnte meinen, sie wären nur und ausschließlich dafür auf der Welt. Alles muss dahinter zurückstehen.

Wenn man nun Länder aus diesen Regionen als rückständig bezeichnet, so geht der Eurozentriker davon aus, dass er die Messlatte für richtiges Benehmen setzt. Und wahrscheinlich hat er auch Recht: denn die Spaßeshaltung führt nicht dazu, sich für materiellen Fortschritt zu engagieren und sein Leben zu opfern. Denn gerade im Immateriellen liegt für diese Menschen der Kern des Lebens.

Ist also Spaß und Humor eine Wachstumsbremse? Das ist vermutlich so einfach nicht zu sagen! Man kann sich auch der Frage widmen, wie Innovationsgeist und Humor korrelieren. Vielleicht gibt es dazu ja schon Forschung – was ich jedoch leider nicht weiß. Jedoch lässt sich auch eine gewisse Annäherung per Augenschein vornehmen. Nehmen wir Philosophen und Denker: ist von denen Humor überliefert? Es sind gewiss nicht Kant und Heidegger: der eine saß permanent in seiner Stube, der andere durchwanderte den Schwarzwald. Zumindest könnte man ahnen, dass Zweideutigkeiten ein kleines Werkzeug des Denkens sind; zum einen schreiben viele Denker in autoritären Regimes; zum anderen könnte man sich so Gedankenspielereien widmen. Aphorismen sind von einer Reihe von Denkern überliefert – teils mit Spuren von Humor, teils nicht. Schopenhauer wäre so ein Vertreter.

Auch Politiker werden gerne und häufig zitiert – selbst wenn ihr Image schlecht ist. Haben sie es ist einmal zum Status des Staatenlenkers geschafft, so wird ihnen alles als tief durchdacht abgenommen. Die gesamte politische Klasse scheint mir weniger korrupt als äußerst geistreich und eben offen für Entcullungen. Persönlich könnte ich mich bei derzeitigen Politikern wie Schäuble, Lammers oder Merkel davon überzeugen. Auch Clinton oder Obama sind geradezu witzig. Der Star ist und bleibt jedoch Churchill, der unfassbare bon mots hinterlassen hat.

Ob nun Wirtschaftslenker ausgewiesenen Humor haben, weiß ich nun auch nicht. Auch gibt es zumindest keinen, der auffallen würde bzw. das in der breiten Öffentlichkeit demonstrieren könnte. Vielleicht sind eben Unternehmer zu fokussiert, zu ehrgeizig. Vielleicht ist auch der Humor ein Hindernis – oder hat eben im Weltbild des Profiteure keinen der Platz.

Wirksam für die Entwicklung von Innovationen sind mehrere Faktoren, wenn man den Kognitionsforschern folgt. Denn Offenheit und Phantasie des Geistes muss man schon haben; auch die Chance, gleichförmige Routinen durchbrechen zu können. Das Zulassen von Un-Sinn, das Durchspielen von Szenarien spielt eine große Rolle.

Also könnte es doch sein, dass der Humor eine ständige Innovation ist? Sucht man nicht die Absurditäten, also die Abweichungen von der Normalität? Könnte man nicht so viel einfacher auf bessere Lösungen stoßen?

Schwer zu sagen, ob die Haltung des Spaßmachens uns hilft.

Ich irre mich

Der Mensch von heute irrt nicht selbst: er wird verwirrt; er wird verführt; er wird abgelenkt; er wird Opfer des Kontextes, seiner Umstände.

Kürzlich widerfuhr es mir auch: bei einer Kleinigkeit hatte ich schlicht nicht richtig nachgedacht: ich hatte mich geirrt. Mir war klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte – Ja gemacht! Er war mir nicht ‚unterlaufen’.

Bei meiner internen Fehlersuche kam ich schnell auf die Quelle meines Fehlers: es war Trägheit und der Mangel an Sorgfalt. Ich hätte das mit Konzentration lösen können. Insoweit war dies einer dieser berühmtem Flüchtigkeitsfehler.

Es gibt aber auch Fehler bei eigenen Operationen, bei denen weder Wissen noch Kompetenz ausreichen. Klassisch dafür sind kleinere mathematische Aufgaben oder Quizze in den öffentlichen Medien. Es reicht dann schlicht nicht, eine Aufgabe zu lösen.

Immer wieder bin ich selbst erstaunt, wie schwach mein aktives Wissen sein kann. Dann kann ich Dinge nicht abrufen, die mir immer bekannt waren. Ich könnte dann sagen: „eigentlich weiß ich das. Doch irgendwie komme ich gerade nicht darauf. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich müde bin.“

Eine beliebte Erklärung für nicht Wissen ist auch das Abtun: „heutzutage ist doch überall alles abrufbar. Da muss man nicht selbst noch Wissen anhäufen und sich anstrengen.“ „Wichtig ist doch nur zu wissen, wo etwas steht.“ Und wenn dann jemand mit Detailkenntnissen über irgendeinen Sachverhalt glänzt, dann wird dies durch andere Äußerungen abgewertet: „Das gehört wahrscheinlich auch zum Lexikon unnützen Wissens.“

Gleichzeitig gibt es eine Tradition, Denkfehler aufzudecken, die immer wieder und von allen Menschen begangen werden. Sie irren sich; werden aber auch zu Fehlern verleitet.

Es ist interessant, wie sehr der Mensch von der Fehlerfreiheit seines Denkens ausgeht und überzeugt ist. Gar wird es zum Entscheidungskriterium für so vieles statuiert. Beispiel ist der Augenzeugen-Nachweis. Er wird oft zur Grundlage dafür gemacht, dass ein Freiheitsentzug verhängt wird.

Der heutige Mensch traut seinem Denken alles zu. Es ist seltsam: denn während der Schulzeit wird ihm durch die Notengebung geradezu ständig vor Augen geführt, dass es ein Delta zur Perfektion, also zur Fehlerfreiheit gibt.

Das ist auch Aufklärung!

Wunderliche Verhalten

Kennen Sie Menschen, die in spezifischen Situation wunderlich reagieren? Die gegen alle Erwartung seltsame Dinge tun? Die man gemeinhin als irrational bezeichnen würde?

Beispiel: zwei sehr alte Bekannte würden mich niemals auf ein Treffen ansprechen. Sie warten, bis ich die Initiative ergreife. Tue ich das nicht, gibt es kein Treffen. Die offene Frage ist, ob wir uns jemals wieder sehen oder sprechen würden, wenn ich inaktiv bliebe.

Beispiel 2: ein alter Bekannter lässt sich nicht helfen. Wenn ich aus eigener Initiative etwas für ihn organisiere, taucht er ab. Es handelt sich um durchaus sinnvolle Unterstützungen, wie Tipps für einen neuen Arbeitgeber. Der sonst erlesen höfliche Mensch reagiert überhaupt nicht, er ignoriert die Hilfeleistung.

Beispiel 3: eine Nachbarin hat das Grüßen und die kleinen Schwätzchen eingestellt. Ihre totale Verweigerung ist mutmaßlich auf den Plan zum Bau eines Aufzugs zurückzuführen, den wir unterstützen. Sie lehnt ihn ab, da es ihr Badezimmer dann verschattet, wenn eine Kapsel auf- oder absteigt. Dass ältere Menschen, die in oberen Etagen wohnen, ausziehen müssen, vernachlässigt sie.

Beipiel 4: mein verstorbener Onkel hatte Zeit seines Lebens Angst vor Ärzten bzw. irgendeiner Begleiterscheinung. Er konsultierte sie einfach nicht. Er kaute für zwei Jahrzehnte auf einem Provisorium herum.

Wunderliche Eigenschaften können den Menschen wunderlich machen. Der Betrogene selbst jedoch ist in keiner Weise derselben Meinung, sein Verhalten und seine Haltungen sind konsequent und gehören zu ihm.

Wir Verwunderten über die Wunderlichen haben meist die Hoffnung, dieser Mensch möge doch endlich wieder ‚normal‘ sein. Schließlich fiele er dann nicht auf und man könnte ihn wieder als Mitmenschen gewinnen.

Ich weiß nicht: wunderliche Menschen sind gemeinsprachlich Originale. Sie sind einzigartig und unverwechselbar. Das ist doch eine echte Errungenschaft: sagen nicht alle, Persönlichkeitsentwicklung sei der Gipfel des reflektierten Daseins? Mit dem ständigen Wunder im eigenen Verhaltensrepertoire wäre das jedenfalls erreicht.

Aufruf an alle

Wie häufig hört man den Kommentar, ‚wacht auf‘, ‚hört hin‘, ‚nehmt es wahr‘, ‚seht auf diesen Skandal‘? Die Message ist stets dieselbe: Öffentlichkeit, nimm den Missstand wahr und löse ihn auf!

Dieses Motiv ist in der Politik und in den Medien verbreitet: wer nicht auf dem institutionellen Weg seine Interessen durchsetzen kann, der versucht es mit der diffusen Öffentlichkeit, die sich der eigenen Anliegen annehmen soll.

Das geschieht auch im kleinen sozialen und alltäglichen Bereich. Denn alle Wege müssen genutzt werden, um die eigenen Interessen zu wahren.

In Polit-Filmen taucht diese Methode immer wieder auf. Meist geht es am Ende darum, dass man den Medien oder Gerichten oder sonstigen die Informationen über die geheimen Machenschaften zuschickt. Es ist der berühmte Umschlag oder die Kopie, deren Eintreffen im Abspann zu sehen ist.

Das Interessante ist, was nach dem Abspann passiert. Denn es ist ganz und gar nicht ausgemacht, dass sich irgendetwas im Sinne des Absenders tut. Das öffentliche Interesse möge es richten, denkt sich der Absender. Doch eigentlich ist es der Medienvertreter oder Jurist, der dann über das weitere Handeln entscheidet.

Der bloße Hinweis auf eine unmoralische Machenschaft muss noch lange nicht bedeuten, dass das öffentliche Interesse es gleichsam so beurteilt. Man schaue in die USA, wo das gewählte Staatsoberhaupt lügt, betrügt, amoralisch ist und schlicht ich-bezogen. Man schaue aber auch nach Deutschland, wo zwischenzeitlich die kriminelle Tat eines Flüchtlings in den Medien höher rangiert als eine grassierende Wohnungsnot.

Oder man schaue den whistleblower, der verurteilt wird, der seine Karriere aufgibt, der seine Existenz aufgibt – alles andere als gelobt zu werden. Denn andere Logiken als nur der Glaube an das gute öffentliche Interesse greifen.

Daher ist die Gleichsetzung von öffentlichem Interesse und moralischem Gewissen nicht mehr gleichzusetzen. In ärmeren Ländern gilt dies ohnehin nicht. Dort müssen Menschen ihre physische Existenz sicher. Moral hat es dort schwer.

Das heißt aber sich, dass sich der Mensch nicht mehr auf absoluten Wertemaßstäbe verlassen kann. Er muss das schon selbst konstruieren.

Du könntest gut Adeliger werden

Das wurde mir kürzlich gesagt. Und es stimmt: ich könnte ein Leben ohne materiellen Broterwerb und mit viel Hobbies ausfüllen. Ich könnte Luxus leben, wenn auch beschränkt auf meinem persönlichen Luxus. Der besteht nicht aus den typischen Luxusgütern. Es ist eben ‚mein‘ Luxus, der aus seltsamen Dingen besteht.

Eigentlich empfand ich das nicht als Beleidigung. Vielleicht war es aber so gemeint. Denn dahinter steht ja Verweigerung von Arbeit, die im deutschen Kulturraum als unbedingt ehrlich gilt.

Adelige hatten immer schon ein Problem. Denn sie wurden beneidet, waren aber gestresst, ihren sozialen Status zu verteidigen. Sie leisteten schließlich nicht, sondern konsumierten nur. Einerseits durften sie nicht arbeiten, andererseits mussten sie ein Vermögen haben.

In ihrer kleinen Nische müssten sie dann irgendwas mit sich anfangen. Es ging um nichts anderes, als die ‚Klasse‘ zu schützen, indem man sie stabilisiert. Als Adeliger hatte man bereits eine gesellschaftliche Rolle, konnte sie also nicht erst frei suchen und dann auch bestimmen.

Der Adel hatte scharfe Außengrenzen. Er konnte sich zahlenmäßig nicht erweitern, ohne sich selbst zu gefährden. Er musste Inzest und Wettbewerb miteinander versöhnen.

Immerhin konnte er seinem kulturellen Faible freien Lauf lassen. Das wäre doch etwas: nur Schwelgen in kulturellen Vorlieben, wenn auch mit angezogener Handbremse.

Kindersprache – eine Polemik – jenseits der Logik der political correctness

Die Ostdeutschen sind wie Kinder – voller Scham und Angst. So haben sie viele Unschuldsgesten in ihr normales Verhaltensrepertoire integriert. Ihre Ausdrucksweise verniedlicht; ihr Humor eckt nicht an; ihr Blick ist der des vorsichtigen Abwartens.

Bloß nicht auffällig werden, scheint gerade zu ein Volkssport gewesen zu sein. In der Masse untergehen, bloß keinen individuellen Kurs einzuschlagen, wohl reiner Selbstschutz. Alle Regeln zu befolgen, dürfte zu tiefer innerer Überzeugung gelangt sein.

An der deutschen Wiedervereinigung zeigt sich, wie schwer mergers and acquisitions sind. Denn die einstmals in inniger Feindschaft verbundenen Bestandteile der deutschen Nation wussten einfach zu wenig übereinander. Anderseits hatten sie auch keine Chance auf ein Zusammenleben vor der Hochzeit.

Die Ostdeutschen haben entweder direkte Erfahrung gemacht oder von ihren Eltern und peer groups gelernt zu überleben. Daher haben sie natürlich die Schutzmechanismen aus der Diktatur konserviert. Und der vernehmliche Gedanke ist natürlich, sich nicht in Gefahr zu bringen: „Sprich bloß nicht zu laut; das könnte sonst noch einer hören.“ Zwar entspricht es der sozialen Diktatur auch im Westen: „was sollen denn die Nachbarn denken?“ Auch eine kleine soziale Ächtung ist eben weniger schlimm als ein echter Freiheitsentzug.

Die Empfindung, stets nur Objekt des Herrschens anderer gewesen zu sein, lässt so auch jegliche subjektive Mitverantwortung, also die Offenheit persönlicher Reflektion nicht zu. Daher rührt wohl auch die geringe Entwicklung des Selbstbewusstseins; man dachte letztlich auch mehr in Grenzen denn in Möglichkeiten.

Und Jahre später lässt sich aus dieser Opferhaltung auch Kapital schlagen. Der gesamte politische Diskurs ist ein einziger Aufschrei nach Aufmerksamkeit und Fürsorge:

– wie durften uns doch früher nicht entwickeln

– die Wende war eine traumatische Erfahrung

– unsere Lebensleistungen wurden dadurch geächtet, dass sie in einer Diktatur erbracht wurden

– das vergangene Unrecht ist niemals bereinigt worden

– die heutigen Lebensverhältnisse sind ungleich

– die Politik betrügt nur und verspricht falsche Sachen

– und nun werden auch noch die Flüchtlinge anderer Länder bevorzugt

Es gipfelt geradezu schlüssig darin, sich als bessere Deutsche zu demonstrieren. Denn wir sind das Volk.

Da die Ostdeutschen nun merken, dass sie ernst genommen werden, fangen sie an, ihre strukturellen Beschwerden in die Wahlen einzubringen. Die Opfer einer Diktatur werden flügge; sie haben bemerkt, dass sie als aggressive Opfer zu ihrem Vorteil agieren können.

Beugen von Wahrheiten

Geschichten-Erzähler sind verdächtig. Denn sie bürden uns die Entscheidung auf, ob wir uns gerne in den Geschichten wohlfühlen oder sie hinterfragen.

Geschichten haben im Kindesalter eine bedeutende Rolle. Sie bereiten uns auf die Welt vor. Sie erzählen mit einem emotionalen Spannungsbogen, welche Regeln herrschen. Sie schärfen die Sinne für gut und böse.

In der Vergangenheit gab es ein großes Heer von unterschiedlichen Geschichtenerzählern, die wichtig für die Verbreitung von Informationen waren, wie beispielsweise die Bänkelsänger. Nachrichten verbreiteten sich mit den Handeltreibenden oder dem fahrenden Volk – eben allen, die mobil waren.

Es gibt viele Geschichtenerzähler,

wie Reiseleiter

wie Geistliche

wie Künstler

wie Journalisten.

Zwischenzeitlich gibt es angepasst Formate, selbst für die trockenen Themen, wie Wissenschafts-Comics oder Science Labs.

Einige Beispiele, wie ich sie kürzlich erlebte:

– Homosexualität bei Herrschern ist absichtlich, um die Bevölkerung vor vermehrtem Wachstum zu bewahren.

– ‚ein Geschäft machen’ kommt aus dem Gespräch von römischen Besuchern einer Latrine. Die trafen dort wirtschaftliche Vereinbarungen.

– Geld stinkt nicht = non olet: Sklaven holten die Münzen aus den Abwasserkanälen, die als Gebühr dienten. Kaiser Vespasian wollte seinem Sohn beweisen, dass Geld nicht stinkt.

– ‚halt die Klappe’ kommt von Klappstühlen, die die orthodoxen Geistlichen während der langen Gottesdienste am Stehen hielten.

Geschichten sind per definitionem geschlossene Erzählungen mit Anfang und Ende. Sie beinhalten eine Wahrheit, die der Autor einem größeren Publikum bekannt machen will. Gleichzeitig setzt aber auch der einzelne Geschichtenerzähler darauf, die Aufmerksamkeit als der Erstverbreiter zu erlangen. Es ist wie der Marathon-Läufer, der die Geschichte vom Sieg über die Perser berichtet; aber auch wie der moderne Journalismus, der mit einer Geschichte zuerst aufmacht.

Zwischenzeitlich werden Psychologen und Kognitionsforscher jedoch auch der Gefahr gewahr, die mit einer Erinnerung verbunden ist: denn sie wird immer wieder neu konstruiert. Den Effekt sehen wir, wenn wir stille Post spielen: das Anfang der Kette korrespondiert fast nie mit ihrem Ende. Auch eine einzelne Person kann dieser Gefahr unterliegen, weil sie immer wieder die Lücken schließen muss, die die Vergesslichkeit reißt. Und so verfälschen sich die Geschichten über die Zeit wie von selbst.

Die Geschichte an sich korrespondiert mit der Erwartung des aktuell zuhörenden Publikums mehr als mit den faktischen Ereignissen von damals. Es ist ja auch die Interpretation, die an sich den Wert für die Zuhörer ausmacht. So ist es auch mit der Geschichtswissenschaft, die eher eine Geschichtsschreibung ist.

Aber: in jeder Geschichte steckt ein Körnchen Wahrheit, wie der Volksmund sagen würde. Also lassen sich auch nicht vollständige Unwahrheiten seriös verkaufen – oder eben erfinden.

Und so gibt es einen riesigen Graubereich zwischen der Übertragung von Informationen und der Unterhaltung mit Geschichten. Man benötigt als Zuhörer eine gewisse Mündigkeit, um damit umgehen zu können. Geschichten sind nicht nur Lüge, und Wahrheit ist immer auch bisschen Interpretation.