Wechselstimmung

Es muss anders werden! Ist das nicht zu spät – hätte x nicht früher handeln müssen? Das hört man dieser Tage überall. Die Aufforderung zur Veränderung geht dieser Tage – wie ein Fanal – durch die Medien.

Das trifft die Prominenten in Wirtschaft, Politik und Sport besonders: die Merkel muss weg!; der Löw ist gescheitert; diese Wirtschaftsbosse sind nicht mehr zu tragen.

Geradezu eine typische Illustration, die wie eine Parodie daher kam, war eine Sendung von Maischberger am 17.10.2018. Die Gäste überschlugen sich darin, Menschen weg beamen zu wollen.

Mir scheint, dass tatsächlich dieses ‚ich will es nicht haben‘-Gefühl den Salon er-füllt. Was die gemeinhin kultivierte Mehrheit der Bevölkerung – fokussiert auf die programmatische Wertschätzung – negiert, übt sie selbst aus: das Elend muss weg!

Das ähnelt / gleicht vielmehr dem, was wir ablehnen: „absaufen, absaufen!“; „spring doch endlich“; tritt endlich ab usw. Es ist wie der Pöbel, der auf dem Henkersplatz den Kopf des Beschuldigten fordert. Das machte man mit Robespierre, aber auch mit Jesus.

Gleichsam plädiert die Vernunft für eine Fehlerkultur: man muss sich und anderen Fehler verzeihen können – schließlich sind wir fehlerhafte Menschen. Auch das Strafrecht überwindet das schon lange: es geht zwar um Reue, aber eben auch um Reintegration.

Am Beispiel des Fußballtrainers Löw lässt sich das exemplarisch verfolgen: der Mann hat viele Erfolge erlangt, was sicherlich auch an ihm als Kompetenzträger lag. Er war auch ein Gesicht des schönen Sommers 2006. Mit drei lauen Spielen und einer Krise ist er als Person an den Pranger gefesselt worden. Letztlich gilt er als Belastung, als Hemmnis für den Erfolg, als Hindernis für einen Neuanfang. Alle scheinbar kompetenten Beobachter lassen sich von dem Wettbewerb um die finsterste Analyse hinreißen.

Wieso tun wir das nur? Gibt es eine Halbwertzeit für das Erträgliche, ein ewiges anthropologisches Konzept, das nur noch nicht gelüftet ist? In Großbritannien gibt es das in der Wahlforschung, Swings genannt. Ansonsten bleibt noch der Begriff der Wechselstimmung.

Irgendwie hat es dann die Mehrheit satt: man hat sich über-sehen an einer Person. „die heute 18-jährigen kennen in ihrer Lebenszeit nur Merkel als Kanzlerin.“ Es ist wie ein „Point of no Trust“. Es kann doch nicht sein, dass sich in einer Zeit des Wandels Altes bewährt!

Ich selbst hege Abscheu vor dieser Haltung: das Neue muss gut sein; es muss sich durchsetzen. Wieso nur?

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