Im Auge der Macht

Gelegentlich habe ich durch meinen Beruf mit prominenten Amtsträgern zu tun. Das können sehr unterschiedliche Menschen sein.

Auch wohne ich in Charlottenburg in Berlin, wo es eine hohe Dichte an öffentlich bekannten Personen gibt.

Kürzlich musste ich jemandem die Hand drücken, den ich auch persönlich kenne. Es geschah etwas Seltsames: mein offenes und freundliches Gratulieren verband sich damit, dass ich der Person in die Augen schaute. Plötzlich akkommodierte der Blick meines Gegenübers in einen Weitblick, der mich nicht mehr fixieren konnte. Er schaute quasi durch mich hindurch.

Ich musste mich im Moment gar nicht mehr fragen, was das bedeutet. Denn es passierte eine Menge: zunächst war klar, dass dieser Augenblick an persönlicher Hinwendung zu Ende ist. Dann wurde alleine schon damit signalisiert, dass die persönliche Augenhöhe wieder der professionellen Distanz weichen muss. Gleichzeitig wurde deutlich gemacht, dass es der Mann mit Status ist, der die Spielregeln eigenständig beschreibt.

Mir fällt heute der Ausdruck Augenhöhe ein, der für uns Menschen so eminent wichtig ist: wer das leugnet, leugnet wohl die Wirklichkeit. Der Begriff beschreibt eher die echte körperliche Höhe, in der sich Augen treffen. Der kleine Mann war im Nachteil, da er den Kopf strecken musste – und somit suggerierte, dass seine Manneskraft einer physischen Auseinandersetzung nicht gewachsen wäre – das war in der Zeit der Waffen wohl die Norm.

Und so betrachte ich Menschen mit Macht genauer. Es sind diese Mikrogesten, die bewusst gesetzt werden. Es sind immer die, welche Überlegenheit suggerieren, wie dieser leicht gehobener Kopf; das Gähnen; das bewusste Zucken mit den Wimpern; das nur kurze Anschauen – als ob diese Menschen wüssten, wie man andere nochmals ihres Status und ihrer Rolle bewusst macht.

Als ich jung war, glaubte ich, dass das Treffen der Augen das Delikateste zwischen Menschen ist, wahrscheinlich mehr als Sex. Die evolutionäre Erklärung für den Übergang von Begatten zu sexuellem Kontakt Auge und Auge scheint das zu bestätigen: Mann und Frau wurden gleichwertig; der Mensch schaute auf den Akt.

Und so versuchte ich, den Blick auszuhalten, um meine Personenstärke zu beweisen. Ich versuchte das erstmals mit Stringenz bei dem Pfarrer im Vorbereitungsunterricht zur Konfirmation. Zwar schielte er leicht, doch empfand ich ihn mit seiner banalen Position ‚glaube einfach‘ als eine enorme Provokation. So begann ich mit Augenduellen. Und ich gewann immer häufiger.

Heute habe ich ein gewisses Repertoire – auch an Einsichten. Blicke haben ihre eigenen Regeln, wie Anschauen oder Beobachten. Es stimmt: das Auge schafft Macht!

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