Man kommt als Zeitungsleser und TV-Glotzer ja nicht an dem Rückzug der deutschen Kanzlerin vorbei.
Ich persönlich fühle mich wie in einem Schauspiel der in der Literatur beschriebenen Königsdämmerung. Alles trägt den Charakter eines Theaterstückes, das unterhält, thrillt und entertained. Es ist Soap. Oder besser: ein aktueller Shakespeare.
Es ist von großen Schwächen großer Führer die Rede. Wir, das Publikum, lächzen nach Konflikt und gaffen wir bei Sensationen mit offenem Mund. Wir sind nicht mehr wir, da wir das Schauspiel 1:1 übernehmen. Was hätte wohl Brecht dazu gesagt?
Ein wenig bin ich beschämt, wenn taktische Schritte der Politiker nur mit Alltagserklärungen wie Rache, Narzissmus, Macht und anderen Ur-Konzepten menschlichen Handelns interpretiert werden. Es ist tatsächlich der anthropologische Urschleim, der hier ausgepackt wird.
Ich wünschte mir, dass wir dahinter die waltenden Interessen sehen, den Preis für Veränderungen und die mittel- und langfristigen Folgewirkungen für die politische Gestaltung unserer gesellschaftlichen Herausforderungen.
In mir reift der Gedanke, dass wir nicht wirklich mündige Bürger sind. Unser Status als Wähler ist der des biologischen Erwachsenenalters, aber nicht desjenigen, der sich und seine Umwelt einzuschätzen weiß.
Denn im Urteil über Politisches wird das Raster des Theaterstücks genutzt. Doch ist das, was formale Politik ausmacht, wesentlich mehr: die Sicht auf große Entscheidungen für die Gesellschaft, in der wir leben; die Einschätzung einzelner Gesetzesvorhaben; die Ableitung von Folgen für die eigene Lebenssituation; und die Einschätzung des Einflusses von Entscheidungen auf die Zukunft. Es verlangt dafür Wissen um den sachlichen Zusammenhang; um die Infrastruktur des politischen Systems; um Status Quo und Veränderung der Entscheidung; und um den jeweiligen Transfer der eigenen Werte auf die Entscheidungsfragen.
Niemand sagt, dass dies leicht ist. Aber es ist das Benchmark!