Ich weiß ja, dass Alkoholismus eine Krankheit ist

Vernunft und Instinkt können sich ausschließen, wie ich immer wieder bemerke. Ein besonderes Moment ist die Haltung von Menschen, die sich abfällig von einem Alkoholiker anwenden – auch wenn sie gelesen haben, dass Sucht unter das Label einer Erkrankung gehört.

Alkoholiker sind weithin geächtet – ähnlich wie dicke Menschen oder Menschen anderer Kulturen.

Ich habe mich häufiger schon gefragt, worin die Ursache dieser Mehrheitsmeinung besteht. Und natürlich hatte ich auf meinem Lebensweg schon Kontakte mit Trinkern, die übrigens allesamt recht umgängliche soziale Typen waren. Einmal habe ich mich eingemischt, einmal nicht, einmal musste ich von Amts wegen. Und auch ich hatte rechte ‚Manschetten‘.

Im Fall meiner Einmischung hat mir der Bekannte auf immer und ewig die Bekanntschaft gekündigt, nachdem ich einen Termin mit den anonymen Alkoholikern organisiert hatte.

Mehrmals habe ich es gelassen, es nicht angesprochen. Eine Person ist abgestürzt, hat ihre Anstellung verloren und schließlich Privatinsolvenz anmelden müssen. Ein älterer Nachbar in Kindertagen hat sein polterndes Unwesen getrieben, ist Treppen hochgestürzt und wieder herunter gefallen. Ein anderer Nachbar entsorgte morgens heimlich die leeren Wodka-Flaschen. Er starb einsam in seiner Wohnung.

Fälle akuten Alkoholismus habe ich gesehen und beobachte die noch. Eine Bekannte ist mir recht nahe. Beizeiten endet ein Abend in Gelalle und körperlicher Instabilität.

Ich bin umgeben von Alkohol. Meine väterliche Familie hatte eine gewisse freizeitliche Tradition, die sich um Bier organisierte, manchmal auch Härteres. Aber ich habe auch länger Fußball gespielt, so dass ich den Tanz um das Bier kenne, der immer wieder mit hohlem Gelächter besungen wird.

Auch ich bin beklemmt angesichts eines vollständigen betrunkenen Menschen, vor allem wenn er durch Jahre langen Missbrauch gezeichnet ist. Das gilt für den Jugendlichen am Rande von Großveranstaltungen – wie Karneval; der Zustand ist gepaart mit Gegröle und unvermittelter Nähe zu den Mitmenschen. Das gilt auch für den obdachlosen Trinker, der riecht, torkelt und Ekzeme aufweist.

Genau dieses Gefühl des körperlichen und moralischen Ekels dominiert die Reaktion: körperlich weicht man zurück, der Kopf schnellt nach hinten. Man will dem Geruch entweichen, vor den vermeintlichen Keimen fliehen.

Und vor allem bei Menschen im direkten Umfeld distanziert man sich empört: der trinkt doch; der ist nicht bei Sinnen; der hat sich nicht im Griff; der ist doch schwach; dem kann man nicht auf Augenhöhe begegnen, da sein Image auf mich zurückfällt, meinen Status untergräbt.

Gerade der Umgang mit einer Krankheit, die scheinbar auf Freiwilligkeit beruht und vermeintlich selbst gesteuert wird, ist schwierig – wie bei allen psychologischen Erkrankungen. Denn der engrist ff – sei es durch Medikation oder eine medizinische Maßnahme – . Denn bei der Frage der Auslösung schwingt immer mit, der Patient sei mitverantwortlich.

Das kann man auch bei einigen anderen Erkrankungen sagen, die jedoch weniger Schwierigkeiten beim Umgang machen: der Sport verunfallte Körper; Diabetes 2; Burn out; COPD; Und doch gelingt es uns dann besser, die Krankheit zu entdecken.

Vielleicht sind wir ja das Problem, nicht der Alkoholerkrankte.

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