Kürzlich habe ich an einem Workshop teilgenommen. Thema: Brainstorming über Design und Gestaltung einer neuen Website.
Mir widerfuhr, was ich nicht für möglich gehalten hatte: ich wollte darüber sprechen, ob das eine oder andere Gestaltungselement hilfreich ist. Mir schwebte vor, dass ich die Gestaltung dem Zweck unterordne, unter den das ganze Experiment gestellt war. Denn das Design soll ja schließlich den Zweck der Seite besser transportieren helfen.
Es kam ganz anders. Mir wurde klar gemacht, dass man sich spielerisch mit Elementen befassen sollte. Es bedürfe des Schneidens und Klebens von Gestaltungselementen, um dem Design einen Ausdruck zu verleihen. Nur diese Spontaneität, das Experimentieren und das Fallenlassen garantierten die Güte der künftigen Seite: „theoretische Diskussionen helfen uns hier nicht weiter.“
Der Beurteilungsmassstab bestand schließlich aus Geschmack und Novität. Die Diskussion offenbarte primär ästhetische Merkmale, die es unbedingt zu beachten gelte. Vor allem neue Standards wurden zur Grundlage dafür genommen.
In der Auswertung einigte sich die Runde schnell darauf, dass sich der neue wohltuend von dem aktuellen Zustand distanziere: „Gott sei dank keine Bleiwüste mehr!“
Es war dann von Sliders die Rede, übersichtlichen Seiten, ästhetischen Elementen und des Zugriffs auf Informationen mit nur drei clicks. Es drehte sich alles um die Verpackung, so gut wie nichts um die Informationen, die transportiert werden sollen. Zufrieden lehnte sich die Mehrheit zurück, indem man auf die übersichtliche und wortlose Ästhetik blickte.
Das Expertenteam, das den Workshop moderierte, meinte, dass dies nun einmal heute so sei. Man müsse sich dem unterordnen. Und schließlich konkurriere man mit anderen um die Aufmerksamkeit des Publikums. Und wer da nicht zum Verweilen auf der Seite eingeladen werde, der habe gleich verloren.
Ich dachte nur, dass sich also auch bei Unternehmen derselbe ‚run’ um Aufmerksamkeit vollzieht wie unter den Menschen: jeder will gesehen werden; jeder will in einem guten Licht erscheinen. Und auch dabei ist es gleichgültig, ob man einen Beitrag geleistet hat, ein guter Mitarbeiter zu sein.
Ich wurde in einer Zeit sozialisiert, als der Schein weniger wichtiger war als das Sein: wir Jugendlichen verweigerten uns, gut gekleidet zu sein; dafür gingen wir auf anti-AKW-Demonstrationen. Wir zelebrierten, nicht auf unser Äußeres zu achten, dafür aber die wichtige Literatur zu lesen. Dass die Autoren auch Signalwirkung hatten, hätten wir niemals zugeben:-) Dennoch, auch ich meine es noch immer ernst, wenn ich Fragen zur Gestaltung vor mir habe. Sie sind nur Mittel zum Zweck, nicht der Zweck an sich.
Wie sehr man sich vertun kann, zeigt die Partnerwahl: wer nur auf das Äußere des anderen achtet, vergisst, dass er sich mit ihm / ihr auch noch unterhalten können muss. Moden sind Moden. Schon die Quelle des Wortes weist darauf hin, dass es sich nur um einen Modus handelt.
‚Contents‘ werden zwischenzeitlich aber eher verächtlich von diesen Entwicklern betrachtet: wichtig ist die Organisation des Prozesses, die Schnelligkeit der Übertragung, der Komfort der Handhabung usw. Die Contents können dann ja später eingespeist werden.
Bilder lassen sich dafür allenthalben finden: Werbung und Verpackung sind wichtiger als das Produkt; der Verkaufserfolg eines Buches besser als seine Qualität; die körperliche Wohlgeformtheit besser als die Gesundheit; die Fassade schöner als der Wohnbereich usw.
Und auch die Gesellschaft macht mit: Image und Bild sind oftmals wichtiger als die Leistung an sich. „Eine gute Figur zu machen“, kann entscheidender als das Resultat sein. Der Ankündigungspolitiker ist im Moment glaubwürdiger als der Ergebnispolitiker.
Ich mag Contents. Ich bin neugierig auf das Erfahren von Inhalten. Natürlich bin ich froh, wenn es mir leicht gemacht wird, Inhalte zu erschließen. Im Kern aber zählt nur das, was man entdeckt. Es ist wie mit einem verpackten Geschenk: wenn man vorgedrungen ist, hält man es stolz in Händen und zerknüllt das Geschenkpapier.