Rituale sind wichtiger als Analysen. Also debattiert die Öffentlichkeit über einen harten und klaren Schnitt, nachdem die deutsche Fußballnationalmannschaft in der WM frühzeitig gescheitert ist. Die Verantwortlichen beim DFB meinen, man müsse analysieren, woran es lag. Dieser Zwischenschritt zwischen Reiz und Reaktion ist richtig, wie es auch nach Wahlen immer wieder geäußert wird.
Doch was ergibt nun die vorzeitige Bilanz nach der Vorrunde? Die deutsche Mannschaft hat mit 68 Versuchen die neusten Torschüsse abgegeben; Spieler Gross war der mit den meisten Ballkontakten; und die Zweikampfwerte waren die dritt besten. Das sind erstklassige Werte, die nicht mit dem Abschneiden korrelieren. Zudem stellen bereits Reporter die Mannschaft für die EM 2020 auf: es sind aber nur 4 neue Spieler dabei.
Das öffentliche Ritual bestimmt sich nach dem Handeln der Medien – und somit der Erwartung der Öffentlichkeit. Es sind immer der Scharfrichter und der Verurteiler, die da sprechen. ‚Im Zweifelsfall für den Angeklagten‘ gilt nicht.
In Deutschland ist Scheitern weiter ein moralisches Verdikt statt eines Entwicklungsschrittes zur Einsicht. Das Funktionieren ist die Norm. Der Ingenieur und der Meister sind das Benchmark. Daher sind Minderleister und Kranke Versager.
Vielleicht ist übrigens das auch der eigentliche Türöffner für den Holocaust gewesen: ein zivilisiertes Volk verachtet und eliminiert, die es als Minderleister definiert. Dass es keine empirische Evidenz dafür gibt, ist gleichgültig. Nur auf den Mechanismus, diese immanente Logik von Lebenswert und Leistung kommt es an.
Scheitern ist Versagen. Eine Ehe zu beenden ist die Erwartung und das Versprechen nicht zu erfüllen. Scheitern ist irgendwie Verrat am Konsens, am Inbegriff des Deutschen, der Überzeugungsgemeinschaft Erfolg usw.
Und so vollzieht es sich nun mit ‚la Mannschaft‘: trotz guter Werte wird die Argumentation ins virtuelle Psychologische verschoben, um dem Topos des Scheiterns weiter anführen zu können. Die Spieler waren bräsig, uninspiriert, satt, überheblich usw. Die Einstellung war schuld!
Nicht-deutsche Beobachter können wohl ohne den Ballast analysieren und schlicht feststellen, dass das Problem war, Tore zu erzielen. So meinte es auch der ehemalige Weltklassespieler von Basten. Und ob sich die mit einer falschen Einstellung daran gemacht hat, ist wohl schwierig nachzuvollziehen.
Tja, die objektiven Tatsachen sind egal; aber die subjektiven Einstellungen wuchtig.