Das Sommermärchen von 2006 wurde ganz plötzlich zu einem emotionalen Ereignis: denn alle internationalen Fußballmeisterschaften zuvor wurden begleitet wie der Stammtisch: man nörgelte herum; wusste alles besser; und war dennoch stolz auf das Ergebnis.
Erstmals explodierte die Anzahl der nationalen Symbolik. Dies war zuvor ein Tabubezirk – nun aber die normale Durchsetzung des herrschenden Gefühls. Wie auch immer: Deutschlandfahnen überall. Es bürgerte sich ‚Schland’ ein und ‚la Mannschaft’.
Kommentatoren führten das rasch darauf zurück, dass die Normalität des Nationalen endlich wieder nach Deutschland zurückkehre. Endlich konnte man wieder auf einen aufgeklärten Patriotismus hoffen, der sich auf den Konsens der gemeinsamen liberalen Werte begründen würde und diesem so etwas wie einem ändern Nationalgefühl unterordnen würde.
Das könnte sein. Denn die letzten zehn Jahre beschreiben die geradezu erschreckende Wende hin zum normalen Nationalismus. Von Patriotismus ist seit der Flüchtlingskrise 2015 nichts übrig geblieben. Der hässliche Deutsche kehrt zurück, hält seit der Kölner Silvesternacht wieder die Kontrolle.
Zwischenzeitlich gibt es gruselige Entwicklungen, die mit Ortsnamen bezeichnet werden können, wie Dresden (Pegida), Cottbus (Flüchtlingsstopp) oder Kandel (Demos). Hoyerswerda und Solingen könnte man als Ausrutscher verstehen; doch jetzt reift die Gewissheit, dass der Patriotismus dem Fremdenhass gewichen ist.
Unsere Muster zur Bewertung aber sind wohl immer konstant und vorhanden gewesen. Denn mit dem Bezug zur eigenen Gruppe verlieren die anderen nicht nur an Wert, sondern können auch zu veritablen Gegnern erwachsen. Das zeigt sich an der Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört. Ich frage mich eher, ab Sachsen-Anhalt zu Deutschland gehört. Die deutsche Sprache ist es nicht alleine. Sonst könnte auch Österreich oder ein Teil der Schweiz zu Deutschland gehören – oder alle Zweitsprachler auf der Welt.
Ich mag diesen Party Patriotismus: er ist fröhlich und auch überbordend. Wenn die deutsche Mannschaft verliert, bleibt man sitzen und gibt Jogi Löw lächelnd Tipps. Man verkleidet sich wie an Karneval und kommt mit dem Nachbarn ins Gespräch. Was sehr kennzeichnend für diese Welle war, lässt sich an der Integration der zweiten Hälfte der Bevölkerung ablesen, d.h. der Frauen. Denn sie sind dabei – nicht wie früher zurückgezogen, wenn die Männer Fußball schauen.
Der Party Patriotismus ist gar dem Verfassungspatriotismus vorzuziehen, weil der wohl kaum erreichbar ist. Zu viel an Reflektion wird der Mehrheit der Bevölkerung abverlangt. Es reicht doch, wenn man einfach nur anständig ist.