Menschliche Gruppen müssen sich organisieren, um handlungsfähig zu sein und eine interne Mindestordnung aufzustellen. So gehen sie sich nicht an den Kragen. Die Frage ist, was das aus uns macht, wenn wir uns für eine Ordnung entscheiden.
Es könnte so schön sein: Menschen leben in gegenseitigem Einverständnis zusammen. Alle können ihren Bedürfnissen und Interessen nachgehen. Nirgendwo führt das zu Konflikten oder Problemen. Kann das überhaupt funktionieren?
Doch Menschen sind eben nicht nur Panda-Bären, sondern auch Grizzlies. Sie können nicht einfach so genügsam nebeneinander leben. Wenn sie dann zusammen leben müssen, wird es kompliziert. Klarer Regeln bedarf es dann, wenn sie gemeinsam arbeiten müssen.
Hierarchie ist die einfachste aller Organisationsformen. Die Regeln sind einfach und von einfachen Menschen leicht bedienbar. Je nach Status muss man gehorchen oder Gehorsam einfordern. Bis auf diejenigen oben und unten in der Hierarchie haben alle dieselben Rollen.
Schaut man sich die Alternativen an, so sind die viel komplizierter. Nimmt man die Liberalen Demokratien, wird es richtig schwer: denn man muss die Regeln zwischenmenschlichen Verhaltens aushandeln, jeweils neu festlegen. Man vergleiche: in einer Hierarchie ist klar, wer wem Gefolgschaft leisten muss; in einer liberalen Demokratie kann man sich entscheiden, ob man dem reichen oder prominenten Menschen irgendeinen Vertrauensvorschuss gibt. An sich kann man sich verhalten, wie man will.
Hierarchisches Denken in einer freiheitlichen Gesellschaft ist wie ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, das nicht mehr in die Moderne passt. Und dennoch: es scheint bei vielen eine Intuition zu sein, sich in Hierarchien gut orientieren zu können. Selbst in Status-orientierten Betriebshierarchien werden plötzlich mündige Erwachsene zu ergebenen Gehorsamsempfängern. Da wird der Mittelmanager in einer Sekunde zum verlegenen Kind, das um die Wertschätzung seiner Vormünder buhlt. Da wird der reflektierte Experte zu einem Berichterstatter, der Angst vor der Zurechtweisung hat.
Hierarchisches Denken obsiegt über den gesunden Menschenverstand. Es ist wie ein tief verwurzeltes anthropologisches Prinzip, das sich hier seinen Weg bahnt. Wer schon findet es nicht als angenehm und privat, jemandem zu folgen, der die Richtung vorgibt? Und wen mit Weisungslust drängt es nicht, eine Gefolgschaft zu leiten? Er wird sich dafür anstrengen wie sonst nicht.
Hierarchisches Denken findet sich auch heute in unserer Gesellschaft, die Selbstreflektion und Eigenverantwortung zu ihren wesentlichen Merkmalen zählt. Schlimmer noch: der Staat (weniger der Arbeitsmarkt) setzt auf den mündigen Bürger: aber Mündigkeit ist der Gegensatz zu hierarchischem Denken. Sie vertragen sich einfach nicht. In der Schule werden wir zu denkenden Wesen erzogen, in Betrieben und anderen sozialen Kontexten wieder auf Funktionen reduziert und zu Befehlsempfängern gemacht.
Das Schlimmste an diesem Zielkonflikt ist die Konsequenz: denn Menschen verstehen ihre Eigenverantwortung als Recht und ihre hierarchische Funktion als Pflicht. Im letzten Fall vergisst man das Mitdenken; im ersten Fall führt dies zu einem Anspruchsdenken: der Staat hat mir gewisse Dienstleistungen zu ermöglichen, mich glücklich zu machen bzw. vom Unglück fernzuhalten. Je nach Fragestellung kann man sich so auf das ein oder andere berufen.
In hierarchischen Organisationsformen ist es äußerst leicht, sich nicht verantwortlich zu fühlen: schließlich wird alles von oben bestimmt!
Man muss sich fragen, wie sich eigentlich militärisches Denken vollzieht: denn der Plan ist das eine, die Ausführung das andere. Wenn der Soldat seine Waffe nur gelangweilt hervorkramt und sich erst gar nicht in die Feindberührung begibt, dann gewinnt man auch keinen Krieg. Doch sagt man wohl, dass die Moral in der Truppe schlecht ist.
Es funktioniert ganz wie der Feudalismus: gegen Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten erhält man Abstinenz jeglicher Verantwortung. Schließlich ist man nur ausführendes Organ. Man nehme den Vergleich zum Massenmörder Eichmann: ich habe alles nur auf Anweisung getan; also bin ich unschuldig. Die Hierarchie zersetzt Moral und Mitdenken, Eigenverantwortung und Menschlichkeit.