Das soll die/der mir doch direkt ins Gesicht sagen

Menschen empören sich, wenn Sie erfahren, dass über sie schlecht geredet wurde.
Ich selbst bin mir gewiss, dass dies auch mir geschieht. Lasse ich ein wenig Revue passieren, so reagiere ich jedoch höchst unterschiedlich auf die Kunde. Wieso?, muss ich mich dann natürlich fragen. Woran oder an wem liegt das?
Natürlich sind die mir gleichgültig, die ich ohnehin nicht mag. Vielleicht kann ich mit ihnen besser abschließen, wenn ich erfahre, dass sie über mich gelästert haben.
Dann gibt es diejenigen, die Dritten eine andere Einschätzung über mich preisgeben als sie mir verstehen machen wollen. Das quittiere ich meist damit zu überlegen, welche Beobachtungen mich dazu führen, die Einschätzung des anderen so zu deuten. In diesem Fall versuche ich, mir Situationen wachzurufen, die ich durchlebt habe. Ich frage mich dann auch, wieso ich zu positiveren Schlussfolgerungen gelangt bin.
Drittens gibt es Menschen, die mich ablehnen, obwohl ich sie mag. Das ist für mich nicht leicht auszuhalten. Mein Grübeln findet dann rasch den Ausweg zu denken, die Person sei nicht gut gelaunt oder würde mich eben nicht an einem guten Tag erlebt haben.
Schließlich gibt es diejenigen, die über mich ein negatives Urteil fällen; aber ein solches, das ich für ungerechtfertigt und unsinnig halte. Das regt mich wahrlich auf. Vor allem sind Urteile dann befremdlich, wenn die Vorwürfe beinhalten, die die Verurteiler selbst treffen können.
Diese Reaktionen würde ich wohl auch an den Tag legen, wenn die Personen mir ihre Kritik direkt äußern würden. So ist für mich die Quelle der Erfahrung weitgehend gleichgültig. Nur müsste ich mich mit der Person in Dialog auseinandersetzen.
Viele andere jedoch trifft nicht das Urteil, sondern die vermeintliche Feigheit, dies nicht direkt und von Angesicht zu Angesicht geäußert zu haben. Das kommt von dieser archaischen Vorstellung der Augenhöhe, der Fairness des offenen Zweikampfes, der Auseinandersetzung von Mann zu Mann, der Waffengleichheit, des Duells. Auch erinnert das an Moralvorstellungen des Alten Testaments, als es noch um Auge um Auge und um Zahn um Zahn ging.
Alle großen Duelle der antiken Literatur zeigen jedoch stets Kritik: bei Hektor und Archill oder David und Goliath. Und ad absurdum werden diese Auseinandersetzungen von der Praxis der Duelle, die zur Erhaltung der Ehre eine Schiesserei erzwang.
Auch weiß ich nicht, ob der zart besaitete, also sensible und empfindliche Mensch wirklich diese Erfahrung eines direkten Angriffs aushält. Will man das? Oder wollen die, die sich so äußern, nur den Angreifer ihrerseits angreifen?

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