Schon zweimal in meinem Leben traf ich Menschen, die davon berichtet haben, aus sozialen Gruppen die einzig Überlebenden zu sein.
Einmal war es eine Finnin, die auf meine Frage nach ihrem Erleben bei Klassentreffen meinte, dass sie alle umgekommen seien – durch Drogen, Unfälle oder Gewalt. Kürzlich traf ich eine Polin, die meine Frage nach Familienangehörigen erwiderte, die seien alle gestorben. Beide machten dieses Gesicht, dessen Ausdruck zwischen Unglaube, Peinlichkeit und Übung wechselte.
Mein Großvater war auch ein Mensch, der auf dieses Erleben verweisen konnte. Sein gedankliches Belächeln dieser tollpatschigen Horde um Hitler musste er in einem Lager für Kriegsgefangene in der Sowjetunion büssen. Er kehrte mit rund 10 % der Gefangenen als Überlebender zurück – und das erst Jahre nach Kriegsende.
Das Überleben ist seltsam, soweit der Tod die Normalität darstellt. Denn dann fühlt man sich wohl irgendwie allein gelassen. Es kehrt sich um, was sonst normal ist. Man muss sich fragen, wieso es einen nicht selbst erwischt hat. Und vielleicht taucht auch der Gedanke auf, dass in einer anderen Welt alle Toten zusammenhocken.
Auch für Hochbetagte mag der Satz befremdend sein, dass alle Weggefährten aus derselben Altersgruppe bereits verstorben sind. Das eigene Über- oder noch Leben dürfte so weniger als Geschenk wahrgenommen werden, sondern, zurück gelassen worden zu sein.
Vor allem dürfte sich eine gewisse Einsamkeit einstellen. Denn die natürlichen Bezugspersonen fehlen. Geradezu neidisch könnte man auf deren Ableben blicken, da sie dem eigenen Schicksal etwas voraus haben. Irgendwie muss sich auch das Gefühl ausbreiten, noch nicht die entsprechende Reife erlangt zu haben.
Der Tod verliert so wohl auch an Schrecken, da er mehrheitlich bereits erfahren wurde: wenn die anderen das hinter sich gebracht haben, dann kann es so schlimm nicht sein. Es ähnelt ein wenig wie die Einstellung von Woody Allen, der sagt: ich habe nichts gegen den Tod – ich möchte nur nicht dabei sein.
Jedenfalls sind Menschen, die solches erfahren, um eine Perspektive reicher: zwar sind sie im Leben verlassen. Aber ihr Tod bedeutet eine Heimkehr.