Der Ostdeutsche

Es gibt ihn eben doch, diesen Menschen, der post-sozialistische Lebenslogik demonstriert, eine kollektiv einheitliche Erinnerung pflegt und diese besondere Satzmelodie und Phonetik eigen iost.

Sicherlich gibt es auch diesen Westdeutschen, der die Sicherheit im Handeln zeigt, seine Umwelt kritisch analysiert und die westliche Welt bereist hat.

Ich las kürzlich einen Beitrag über die Alt Right in den USA. Die hängt am Lebensideal der 1950er Jahre, als die weiße Kleinfamilie in den Vorstädten zu materiellem Reichtum kam. Alles war geordnet, alles strahlte Zufriedenheit aus. Ihr Land zeigte große wirtschaftliche und militärische Stärke, die USA gerieten zur Supermacht.

Vielleicht war ja dieses Gefühl den bekennenden DDR-Bürgern ähnlich, da sie gewohnt waren, im modernen Sozialismus eine besondere Rolle einzunehmen. Denn die DDR war Musterschüler des Ostblocks und gleichzeitig musste sich das Land täglich mit dem größeren Bruder im Westen messen. Symbolische Siege etwa im Sport ließen die Bürger glauben, man sei besser.

Doch irgendwann holte die Wirklichkeit dieses trotzige Superioritätsgefühl ein und strafte es durch eine neue Wirklichkeit lügen. Und typisch für den Deutschen ist, nicht nachzugeben und sich mit dem Neuen zufrieden zu erklären. Dazu kommen die Härten des Übergangs, die vielen Menschen Jobs und Lebensgrundlagen raubten. Der Erfolg der neuen Wirtschaftsweise und der massiven Investitionen zeigt ihnen die Unterlegenheit ihres alten Regimes, in das sie erfolgreich sozialisiert worden waren.

Und so hängt man am Tropf der glorreichen Vergangenheit. Das tun auch das UK und Österreich. Auch dort ist dieser Hang zum großen historischen Erbe noch heute gesellschaftlich und politisch wirksam: ohne ihr Bild kein Brexit!

Und so jammert man sich durch die Gegenwart. Das Schlimmste dürfte sein, das Vorherige und Alte nicht mehr schätzen zu dürfen, obwohl man es lieben gelernt hatte. Und gerade weil man sich nun irgendwie subjektiv und objektiv benachteiligt in der Tristesse der Zweitklassigkeit eingerichtet hat, ist man darüber verärgert, dass erneut ‚über ihre Köpfe‘ entschieden und Geflüchtete in ‚ihr‘ Land gelassen werden.

Man will sich erst gar nicht mit den Neuen auseinander setzen. Denn wären sie da, hätte man schon verloren. Man hat Angst um die sozialen Transfers der reicheren deutschen Regionen und den Erhalt des gerade noch geretteten letzten Stücks ihrer Kultur.

Auch wenn die materiellen Investitionen des Westens angekommen und sichtbar sind, hat sich kein Gefühl der Dankbarkeit entwickelt: denn die zwangsweise Entwurzelung aus dem realsozialistischen Alltag wiegt die bloße Modernisierung der Infrastruktur nicht auf. Zu viel ist gegangen, wie die Sicherheit, die Kinder, die Hoffnung und anderes. Und wer sich als das eigentliche Opfer fühlt, der will sich nicht noch um andere Opfer kümmern müssen.

Und die Sicht des Westens? „Die haben uns nie verstanden, ja auch nicht zugehört. Sie haben Fürsorge und Entwicklung angestoßen, aber eigentlich Ausbeutung und Kolonialisierung gebracht. Und dann verlangen sie auch noch Dankbarkeit, was ein Hohn ist.“

Diese defensive Haltung verstehe ich. Mir ist bewusst, dass aus Frustration Aggression erwächst. Was mich jedoch unversöhnlich lässt, ist die Selbstaufgabe, das mangelnde Nachdenken und die fehlende Humanität. Opfer sein, ist bequem – und dann auch zu legitimieren, dass man zum Täter wird, ist zu viel des Verständnisses. Im Grossen wie im Kleinen muss man das vertreten.

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