Die revolutionäre Idee der künftigen Änderungen zum Guten ist die Trägerideologie des Wutbürgers: lasst uns die Regierungen und die herrschenden Verhältnisse niedermachen, um dann das Reich der Sonne aufgehen zu sehen!
Was nur glauben diese Menschen, dass ihre Wut schwinden und gar verschwinden lässt? Was genau muss geschehen? Weiß man automatisch, was man will dadurch, dass man benennen kann, was man nicht will? Ist das Ziel nur die Verkehrung des abgelehnten Status Quo?
Könnte man nicht einen Fragebogen entwerfen, der den Wutbürger entlarvt? Könnte man den dann nicht abgleichen mit Fragebögen zu Persönlichkeitstypen und -Charakteren?
Hier möchte ich zum Wutbürger rechter Provenienz schreiben; auch wenn die linke Perspektive nicht weit davon entfernt ist:-)
Die bekannteste These zur Erklärung für die Zustimmung zur AfD ist die des Verlustes der alten Welt, also der eigenen Vergangenheit – und damit des persönlichen Wertekonzepts, der eigenen Gewohnheitswelt, seiner eigenen Identität oder gar seines traditionellen Lebensalltags. Wenn alles, was einem liegt, was man liebt, wo man sich sicher fühlt und sein Leben führt, ins Wanken gerät, so ist man gegen das Neue.
Das ist wohl eine anthropologischen Konstante: der Mensch verteidigt sich. Gestaltet er mit, wird er gefragt oder versteht er den Wandel, so bleibt keine Ohnmacht, sondern es entstehen Einsicht und gar Zustimmung. In der Geschichte wandten sich die Kirche gegen die Moderne, die Arbeiter gegen Maschinen, die Machthaber gegen die Demokratie. Jeder Umbruch bringt Verlierer mit sich, weil sie etwas aufgeben müssen, das ihnen vertraut war. Und das wiederholt sich dieser Tage wieder, da nämlich durch die Ankunft der neuen globalisierten und erbarmungslosen kapitalistischen Welt.
Der Wutbürger hat das Gefühl, er würde unter die Räder zu kommen. Er weiß, dass er sich nicht wehren kann. Er will das Neue einfach nicht haben, und schon gar nicht wahr haben.
Wann eigentlich tritt Wut im Leben eines Menschen auf? Ich kenne zwei dieser typischen Phasen im Leben. Erstens ist es die Trotzphase des 3-5 jährigen Kindes, das sich gegen die elterlichen Eingriffe in das eigene Dasein verwehrt. Und dann ist es das Gefühl über eine grobe und nicht gerechtfertigte Behandlung eines Dritten während des gesamten Erwachsenenalters. Meist geht das mit einem Verlust einher, wie dem des Arbeitsplatzes oder dem des Lebenspartners.
Wut muss abreagiert werden – so sagen es der Volksmund und wohl auch moderne Mediziner.
Und Wut will dabei nur gezeigt werden. Man verlangt überhaupt nicht nach Dialog oder Verständigung. Es geht darum, seine Wut zeigen und ausleben zu dürfen. Darüber verlieren die Menschen ihre Selbstregulierung, ihre nachhaltige Zufriedenheit, Hoffnung und den grundlegenden Charakterzug des rationalen Analysierens. Es wird nur noch geglaubt, nicht mehr gewusst, argumentiert, zugehört oder nachgedacht.
Schwierig für denjenigen, der die Wut zu spüren kommen soll, ist es, sich das Phänomen zu erklären. Den Wütenden nach seiner Wut zu fragen, ist wohl in etwa so, wie den Irren nach seiner Erkrankung zu fragen. Zudem weiß der Adressat von Wut nicht, wie man den Wütenden erlösen kann. Im politischen Umgang glaubt man an den Dialog. In der Psychologie würde man eher an Auspowern und Disziplin denken. Das lässt sich aber in einer Demokratie nur schwerlich tun.
Vielleicht sollte man die Wut wüten lassen, bis sie wie ein Feuer verglimmt. Dennoch kann sie zur Gefahr werden, wenn sie etwas entzündet. Wahrscheinlich bedarf es der Entlarvung des Wutzustands, um den Wütigen zur Rücksicht, später zur Einsicht zu zwingen.
Der Vorschlag des Lehrers, sich wieder zu vertragen und doch die Hand zu geben, ist Unsinn.