Der Mensch bewertet rasch – und wohl immer rascher. Nach dem Psychologen Schmidbauer (Psychologie heute, Mai 2017, S. 12ff.) muss er sich so nicht mit der Komplexität der Situation auseinandersetzen: es ist abgehakt; ich kann zum nächsten Punkt übergehen; ich muss mich nicht kümmern.
Das wahre Vermögen ist dabei nicht die schnelle vermeintliche Beurteilung und Beherrschung der Situation, sondern das Aushalten von Unklarheit und Spannung. Es ist ein Raum der Suche und Verunsicherung, in den man schreitet, wenn man nicht sofort Bescheid weiß. Diese Unsicherheit auszuhalten, ist nicht jeder Manns Sache. Denn es ist alles andere als Komfort, Selbstsicherheit und Selbstverständnis.
Bei der Meditation gibt es diese Sequenz auch: man beobachtet, was vor sich geht, ohne Einfluss zu nehmen.
Kennen Sie die Verwirrung in Ihrem Kopf, wenn Sie nicht verstehen? Nehmen wir das Beispiel in einem Ausland, dessen Sprache Sie nicht verstehen. Nehmen Sie den Witz, den Ihr Gegenüber erzählt, Sie die Pointe aber nicht nachvollziehen können. Oder nehmen Sie die Unterhaltung in einer Gruppe, bei der einzelne auf eine Geschichte anspielen, die Sie nicht kennen. All‘ das fühlt sich unangenehm an. Gleichzeitig steigt in Ihnen das Gefühl, ja der Zwang auf, die Lücke der Unklarheit zu beseitigen.
Das Experiment zu wagen, kann sich lohnen. Denn man betritt unbekanntes Terrain. Und wer neugierig ist, der hält ohnehin aus, auf Unbekanntes zu treffen.
Diese Form von Aushalten will gelernt sein. Denn nicht Kontrolle ausüben zu können, ist dem Menschen recht wesensfremd. Zu sehr weiß er, seine Umwelt zu verstehen und zu beeinflussen. Sozialisierung bedeutet ja, sich in seiner Umwelt zurecht zu finden und sein Leben zu meistern.